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Dr. Sabine Muth vom Institut für Immunologie der Universitätsmedizin Mainz wird mit dem Boehringer-Ingelheim-Preis für theoretische Medizin ausgezeichnet.  Peter Pulkowski
Dr. Sabine Muth vom Institut für Immunologie der Universitätsmedizin Mainz wird mit dem Boehringer-Ingelheim-Preis für theoretische Medizin ausgezeichnet. Peter Pulkowski

Die Boehringer Ingelheim Stiftung zeichnet den Mediziner Dr. Michael Kühn
und die Biologin Dr. Sabine Muth mit dem Boehringer-Ingelheim-Preis aus.
Kühn erhält den Boehringer-Ingelheim-Preis für klinische Medizin. Er hat
herausgefunden, dass sich mit einer Kombination zweier Medikamente eine
häufige Blutkrebserkrankung wesentlich effektiver behandeln lässt als
bisher. Muth erhält den Boehringer-Ingelheim-Preis für theoretische
Medizin. Sie hat einen Signalweg entdeckt, über den Bakterien der
Darmflora das Immunsystem aktivieren. Die Erkenntnisse haben hohe
klinische Relevanz, weil sie neue Möglichkeiten für Therapien eröffnen.
Die Preise sind jeweils mit 15.000 Euro dotiert.

„Ich freue mich sehr für die beiden Preisträger:innen, die sich mit solch
wichtigen Forschungsthemen beschäftigen und diese mit großer
Professionalität vorantreiben – ein Beleg dafür, dass die Forschung an der
Universitätsmedizin Mainz einen wichtigen Beitrag zum besseren Verständnis
von Erkrankungen leistet. Weiterhin danke ich der Boehringer Ingelheim
Stiftung, dass sie die Nachwuchswissenschaftler:innen der
Universitätsmedizin Mainz bereits seit so vielen Jahren würdigt“, sagt der
Wissenschaftliche Vorstand und Dekan der Universitätsmedizin Mainz,
Univ.-Prof. Dr. Ulrich Förstermann.

„Wir sehen derzeit noch deutlicher, wie wichtig medizinische Forschung für
uns alle ist. Daher freuen wir uns, dass wir mit dem Boehringer-Ingelheim-
Preis exzellente Talente fördern, motivieren und anspornen können. Dr.
Kühn und Dr. Muth haben einmal mehr gezeigt, welch hohes Niveau die
Forschung an der Universitätsmedizin Mainz hat. Ich gratuliere beiden
herzlich im Namen der Stiftung“, sagt Christoph Boehringer, Vorsitzender
des Vorstandes der Boehringer Ingelheim Stiftung.

Der Boehringer-Ingelheim-Preis wird seit 1969 jährlich an
Nachwuchsforscher:innen der Universitätsmedizin Mainz verliehen. Den
Preisträger:innen sind unter anderem grundlegende Erkenntnisse über das
Immun-, das Herz-Kreislauf- und das Nervensystem, über
Infektionskrankheiten wie Hepatitis oder über Krebs zu verdanken. Rund
dreißig von ihnen leiteten oder leiten inzwischen Kliniken oder Institute
an Universitätskliniken.

Zur Arbeit von Dr. Michael Kühn:

Dr. Michael Kühn, Oberarzt und Leiter einer Emmy Noether-Forschungsgruppe
an der III. Medizinischen Klinik und Poliklinik der Universitätsmedizin
Mainz, erhält den Boehringer-Ingelheim-Preis für klinische Medizin für
seine Arbeit: „Synergistic targeting of FLT3 mutations in AML via combined
menin-MLL and FLT3 inhibition“, veröffentlicht in der Fachzeitschrift
„Blood“.

Kühn hat mit einem Forschungsteam aus Wissenschaftler:innen
herausgefunden, dass sich durch die Kombination von zwei neuen
Medikamenten eine bestimmte Form der sogenannten akuten myeloischen
Leukämie (AML), einer häufigen Blutkrebserkrankung, wesentlich besser
eindämmen lässt, als wenn die Medikamente einzeln verabreicht werden.

Für die aktuelle Studie haben Kühn und sein Team im Labor zunächst
untersucht, wie eine neue Klasse von molekular zielgerichteten
Medikamenten (sogenannte Menin-Hemmstoffe) genau auf die Leukämiezellen
wirken. Dadurch stellten die Wissenschaftler:innen fest, dass die
Medikamente ein bestimmtes Gen, FLT3 genannt, hemmen. „Das ist
bemerkenswert, denn es war bereits bekannt, dass eine Mutation dieses Gens
in etwa 30 Prozent der Fälle zur Leukämieentwicklung beiträgt“, sagt Kühn.
Schon vor einiger Zeit waren Medikamente entwickelt worden, welche die
Aktivität des Enzyms hemmen, das durch das FLT3-Gen produziert wird. Diese
sogenannten FLT3-Hemmer drängen die Leukämie anfangs häufig zurück und
wirken lebensverlängernd. Sie heilen die Krankheit aber nicht. Und ihre
Wirkung lässt mit der Zeit bei vielen Patient:innen nach, da die
Krebszellen Resistenzen gegen diese Medikamente entwickeln können. In
früheren Arbeiten hatte Kühn bereits herausgefunden, dass sich bei der
untersuchten Blutkrebsart in den kranken Zellen zwei bestimmte Proteine,
Menin und MLL, miteinander verbinden und so die Krankheit auslösen.

Im nächsten Schritt hat das Team um Kühn deshalb geprüft, was passiert,
wenn sie Patient:innen zusammen mit den FLT3-Hemmer Medikamente geben, die
die Produktion von Menin und MLL hemmen. „Im Ergebnis zeigt sich eine
synergistische Wirkung der Kombinationstherapie, das heißt, dass sich
dadurch der Effekt der Medikamente nicht bloß verdoppelt hat, sondern eine
vielfach erhöhte Wirksamkeit gegen die Leukämiezellen erzielt wird.
Gleichzeitig deuten unsere Daten darauf hin, dass Resistenzen gegen
FLT3-Hemmstoffe überwunden werden können“, sagt Kühn. „Deshalb ist es
naheliegend, dass wir diesen vielversprechenden therapeutischen Ansatz
bald in klinischen Studien überprüfen werden.“ Sollte sich die
Medikamentenkombination bewähren, könnte man so AML-Patient:innen mit
FLT3-Mutation mit weniger Nebenwirkungen behandeln. Bisher lässt sich AML
grundsätzlich nur durch eine aggressive Chemotherapie heilen. Diese hat
aber schwere Nebenwirkungen und kommt für die oft älteren Patient:innen
daher nicht in Frage.

Originalpublikation:
MM Dzama, M Steiner, J Rausch, D Sasca, J Schönfeld, K Kunz, MC Taubert,
GM McGeehan, Chun-Wei Chen, A Mupo, P Hähnel, M Theobald, T Kindler, RP
Koche, GS Vassiliou, SA Armstrong, MWM Kühn. Synergistic targeting of FLT3
mutations in AML via combined menin-MLL and FLT3 inhibition. Blood 2020
136(21): 2442-2456. DOI: 10.1182/blood.2020005037.

Zur Arbeit von Dr. Sabine Muth:

Dr. Sabine Muth, Postdoktorandin am Institut für Immunologie der
Universitätsmedizin Mainz, erhält den Boehringer-Ingelheim-Preis für
theoretische Medizin für ihre Arbeit „Microbiota-Induced Type I
Interferons Instruct a Poised Basal State of Dendritic Cells”,
veröffentlicht in der Fachzeitschrift „Cell“.

Muth ist es mit einem Team von Wissenschaftler:innen gelungen, einen
Signalweg aufzudecken, über den Bakterien der Darmflora das Immunsystem
beeinflussen. Das Team fand heraus, dass der Körper ständig auf diese
Bakterien reagiert, indem er geringe Mengen an Botenstoffen namens
Typ-1-Interferonen produziert. Diese Botenstoffe wiederum halten bestimmte
Zellen des Immunsystems, sogenannte dendritische Zellen, in einer Art
Habachtstellung. So können diese Zellen schnell reagieren und weitere
Teile des Immunsystems alarmieren, wenn Viren oder andere
Krankheitserreger eindringen.

„Die Menge an Typ-1-Interferonen, die der Körper in Reaktion auf seine
eigene Darmflora produziert, ist zwar sehr gering. Die durch sie
verursachte Voraktivierung der dendritischen Zellen ist aber notwendig,
damit diese überhaupt Immunantworten auslösen können“, sagt Muth. „Jedoch
bringt diese Voraktivierung der dendritischen Zellen das Risiko von
fehlgeleiteten Immunreaktionen und damit der Entstehung von
Autoimmunerkrankungen mit sich, wenn sie nicht konstant durch
Sicherheitsmechanismen des Immunsystems, wie regulatorische T-Zellen,
unterdrückt wird.“ Das Team zeigte, dass die Darmflora auch Immunzellen in
der Milz oder den Lymphknoten im Hals aktiviert. Dies ist bemerkenswert,
da diese Zellen keinen direkten Kontakt zu den Bakterien im Darm haben. In
Milz oder im Hals produzieren sogenannte plasmazytoide dendritische Zellen
als Antwort auf die Bakterien im Darm die geringen Mengen an
Typ-I-Interferonen und transportieren so die Signale der Darmflora in den
ganzen Organismus. Diese Erkenntnisse über das Zusammenspiel von
Immunsystem und Darmflora können helfen, neue Therapien für Krankheiten zu
entwickeln, bei denen die Darmflora gestört ist.

Originalpublikation:
L Schaupp, S Muth ,L Rogell, M Kofoed-Branzk, F Melchior, S Lienenklaus,
SC Ganal-Vonarburg, M Klein, F Guendel, T Hain, K Schütze, U Grundmann, V
Schmitt, M Dorsch, J Spanier, PK Larsen, T Schwanz, S Jäckel, C Reinhardt,
T Bopp, S Danckwardt, K Mahnke, GA Heinz, MF Mashreghi, P Durek, U
Kalinke, O Kretz, TB Huber, S Weiss, C Wilhelm, AJ Macpherson, H Schild, A
Diefenbach, HC Probst. Microbiota-Induced Type I Interferons Instruct a
Poised Basal State of Dendritic Cells. Cell 2020 181: 1-17. DOI:
10.1016/j.cell.2020.04.022.

Über den Boehringer-Ingelheim-Preis:
Der Boehringer-Ingelheim-Preis für exzellente wissenschaftliche Leistungen
auf dem Gebiet der klinischen und der theoretischen Medizin wird seit 1969
vergeben. Eine Fachjury der Universitätsmedizin Mainz wählt die
Preisträger:innen aus. Seit 1995 dotiert die Boehringer Ingelheim Stiftung
den Preis.