Ausgrenzung entgegenwirken: Wie Demenzerkrankte in der Langzeitpflege besser sozial integriert werden
Das Leben in einer Langzeitpflegeeinrichtung kann demenzerkrankte ältere
Menschen vor große Herausforderungen stellen: Ihr Alltag wird
reglementiert und kontrolliert durch Fachpersonal. Oft können sie nicht
mehr an wichtigen Aktivitäten innerhalb und außerhalb ihrer Einrichtung
teilnehmen. Dadurch erfahren sie soziale Ausgrenzung auf vielfältige Weise
– in den vergangenen Jahren sogar verstärkt durch die Auswirkungen der
Corona-Pandemie. Der Psychologe Professor Feliciano Villar von der
Universität Barcelona setzt sich mit seiner Forschungsarbeit dafür ein,
die Teilhabe dieser Menschen am sozialen und gesellschaftlichen Leben zu
verbessern.
„Wir müssen unsere Erwartungen an die Art der Pflege, die wir hier für
akzeptabel halten, überdenken. Nur so können wir die Situation auch
positiv ändern“, sagt er. Mit welchen konkreten Maßnahmen auf
unterschiedlichen Ebenen das gelingen kann, präsentiert Villar in seiner
Keynote-Lecture beim gemeinsamen Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft
für Geriatrie (DGG) und der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie und
Geriatrie (DGGG), der vom 12. bis 15. September in Frankfurt am Main
stattfindet.
Villar unterscheidet drei Ebenen, in denen die Aktivitäten von
Demenzerkrankten in der Langzeitpflege verbessert, beziehungsweise
gefördert werden könnten: Selfcare, Teilhabe und Entscheidungsfindung bei
Aktivitäten innerhalb der Einrichtung sowie Bürgerbeteiligung in der
Gemeinschaft. „Demenzerkrankte sollen in die Lage versetzt werden können,
mehr Kontrolle über Aktivitäten zu haben, die ihre Selbstpflege
betreffen“, unterstreicht der Psychologe. Dafür wird er unter anderem ein
positives Beispiel aus seiner Forschung anführen, bei dem Menschen mit
Demenz bei ärztlichen Gesprächen über ihre weitere Behandlung mit
involviert wurden. „Das hat auch enorme Auswirkungen auf die Sichtweise
des Personals“, ergänzt er. Auch bei der Teilhabe an Aktivitäten in den
Pflegeeinrichtungen sieht Professor Villar Potenzial. So könnten
betroffene Bewohner oder Bewohnerinnen zum Beispiel mehr bei der
Gestaltung von Veranstaltungen wie Konzerten involviert werden, indem auch
ihre Präferenzen und Wünsche mitberücksichtigt werden.
Warum Demenzerkrankte auch mehr Bürgerrechte wahrnehmen sollten
„Pflegebedürftigen mit Demenz sollten die gleichen Bürgerrechte
zugestanden werden, zum Beispiel sollten sie ihr Recht zu wählen
wahrnehmen können“, sagt Villar. Auch die Mitgliedschaft in Organisationen
oder Verbänden außerhalb der Pflegeeinrichtung sollte gefördert werden, um
individuellen Interessen nachgehen zu können. „Diese dritte Ebene der
bürgerlichen Teilhabe ist sicherlich am schwierigsten umzusetzen. Ich
glaube aber, dass Verbesserungen auf den ersten beiden Ebenen der Teilhabe
auch den Weg dorthin vereinfachen, weil die Betroffenen dadurch
selbstständiger und selbstbewusster werden, um auch außerhalb ihrer
Einrichtung aktiv zu werden.“ Um diese Maßnahmen umzusetzen, bedarf es
natürlich auch struktureller Veränderungen: zum Beispiel kleinere
Langzeitpflegeeinrichtungen, die eine personenzentriertere Pflege
unterstützen.
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Zur Person:
Professor Feliciano Villar ist Psychologe an der Universität Barcelona.
Seine Forschungs- und Lehrtätigkeit konzentriert sich seit vielen Jahren
auf die Psychologie des Alterns. Insbesondere befasst er sich mit den
Themen Generativität, Teilhabe und soziale Eingliederung älterer Menschen
sowie mit den Bereichen personenzentrierte Pflege, Rechte und
Humanisierung der Pflege für ältere Menschen, insbesondere für diejenigen,
die von sozialer Ausgrenzung bedroht sind. Villar ist Generalkoordinator
des interuniversitären Masterstudiengangs Psychogerontologie, der
gleichzeitig an den Universitäten von Barcelona, Valencia, Santiago de
Compostela und Salamanca angeboten wird. Er ist Mitglied der Spanish
Society of Geriatrics and Gerontology.
Termin:
Prof. Feliciano Villar
Keynote-Lecture: Social inclusion and citizenship of people with dementia
living in institutions
Gerontologie- und Geriatrie-Kongress
Hörsaal 3, Westend-Campus, Goethe-Universität Frankfurt am Main
Mittwoch, 14. September 2022
14:45 bis 15:30 Uhr