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Operationen bei älteren Menschen: „Innovative Ansätze der perioperativen Versorgung erfordern ein radikales Umdenken“

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Immer mehr ältere Menschen werden notfallmäßig oder elektiv operiert.
Gründe dafür sind unter anderem der demographische Wandel, Fortschritte in
der chirurgischen und anästhesiologischen Technik und sich verändernde
Erwartungen der Patientinnen und Patienten. Diese Entwicklung bringt neue
Herausforderungen mit sich – ganz besonders in der perioperativen
Versorgung der Betroffenen, also die Medizin rund um einen operativen
Eingriff. Dazu forscht Professorin Jugdeep Dhesi, Fachärztin für Geriatrie
und Innere Medizin am Guy's and St Thomas' Hospital in London.

So treten bei älteren Patientinnen und Patienten in allen chirurgischen
Bereichen hohe Komplikationsraten auf, die sich auf die kurz- und
langfristige Sterblichkeit auswirken. Im Kurzinterview erläutert Dhesi,
wie sich mit innovativen Ansätzen eine altersgerechte perioperative
medizinische Versorgung umsetzen lässt. Den aktuellen Stand ihrer
Forschungsarbeit präsentiert sie zudem beim Jahreskongress der Deutschen
Gesellschaft für Geriatrie (DGG) und der Deutschen Gesellschaft für
Gerontologie und Geriatrie (DGGG), der vom 12. bis 15. September in
Frankfurt am Main stattfindet.

Frau Professorin Dhesi, worin liegen aktuell die Herausforderungen der
Versorgung älterer Menschen rund um eine Operation?

Ältere Menschen, die sich einer perioperativen Behandlung unterziehen
müssen, weisen häufig gleichzeitig physiologische Beeinträchtigungen,
Multimorbidität und geriatrische Syndrome wie Gebrechlichkeit und
kognitive Einschränkungen auf. Die sich daraus ergebende Komplexität kann
die Beurteilung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses einer Operation
erschweren. Ein Grund dafür ist, dass nicht nur die chirurgischen und
anästhesiologischen Aspekte, sondern auch die Lebenserwartung mit und ohne
Operation, alternative Behandlungsmöglichkeiten und veränderbare
Risikofaktoren berücksichtigt werden müssen. Davon abhängig ist dann
jeweils auch die perioperative Versorgung.

Wie haben sich die Erwartungen älterer Menschen an Operationen in den
vergangenen Jahren verändert?

Mit dem Aufkommen von Gesetzen gegen die Altersdiskriminierung könnten
sowohl Ärztinnen und Ärzte als auch Patientinnen und Patienten glauben,
dass das Alter an sich keine entscheidende Rolle bei
Behandlungsentscheidungen spielen sollte. Es gibt jedoch wichtige
Wechselwirkungen zwischen Alter, physiologischen Veränderungen und
Multimorbidität. Und diese Wechselwirkungen sollten berücksichtigt werden,
wenn es darum geht, den Patientinnen und Patienten zu helfen, die für sie
richtigen Behandlungsentscheidungen zu treffen.

Können Sie anhand eines konkreten Beispiels erläutern, warum es heute so
schwierig geworden ist, Risiken und Nutzen für oder gegen eine Operation
abzuwägen?

Patientinnen und Patienten kommen nicht nur mit ihrer chirurgischen
Pathologie in die Chirurgie, sondern auch mit physiologischen
Veränderungen, Komorbiditäten – oft Multimorbidität – und geriatrischen
Syndromen wie Gebrechlichkeit und kognitiven Einschränkungen. All diese
Faktoren müssen bei der Abwägung von Risiken und Nutzen berücksichtigt
werden, und dies erfordert ein multidisziplinäres Team, das über die
entsprechenden Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt, um den gemeinsamen
Entscheidungsprozess zu unterstützen. Solche multidisziplinären Teams sind
in der perioperativen Versorgung noch nicht in allen Ländern üblich.

Welche anderen Disziplinen neben der Geriatrie müssten einbezogen werden,
um ein besseres ganzheitliches Bild als Grundlage für die
Entscheidungsfindung zu erhalten?

Wenn wir von Geriatrie sprechen, meinen wir natürlich das
multidisziplinäre Team, also Ärztinnen und Ärzte, Pflegepersonal und
Therapeuten sowie Apotheker. Es versteht sich von selbst, dass auch
Anästhesisten und Chirurgen beteiligt sind. Zusätzliche Disziplinen müssen
von Patient zu Patient unterschiedlich berücksichtigt werden.

Gibt es Belege dafür, dass ein solcher Ansatz auch für das
Gesundheitssystem wirtschaftlicher ist?

Ja, es gibt eindeutige Belege, die sowohl die klinische als auch die
Kostenwirksamkeit dieses Ansatzes belegen. Ich werde mich in meinem
Vortrag beim Gerontologie- und Geriatrie-Kongress auf diese Untersuchungen
beziehen.

Was können verschiedene Länder wie das Vereinigte Königreich und
Deutschland voneinander lernen – gibt es eine internationale
Zusammenarbeit zu diesem Thema?

Ich habe noch nicht viel von der Arbeit in diesem Bereich in Deutschland
gehört, aber im Vereinigten Königreich wird viel unternommen. Wir würden
gerne mehr zusammenarbeiten, um den Einsatz von Modellen für die
perioperative Versorgung älterer Patienten – kurz POPS – in Deutschland zu
untersuchen. Sowohl aus der Sicht der Gesundheitsdienste als auch aus der
Sicht der Forschung.

Ihr Wunsch für die Zukunft: Wie soll die perioperative Versorgung von
älteren Menschen in zehn Jahren aussehen? Was ist realistisch?

Ich wünsche mir, dass alle Patientinnen und Patienten unabhängig von ihrer
geografischen Lage oder ihrem sozioökonomischen Status gleichberechtigten
Zugang zu POPS-ähnlichen Diensten haben, die auf der Grundlage gesicherter
Erkenntnisse und auf kosteneffiziente Weise erbracht werden. Ich halte
dies für realistisch. Aber innovative Ansätze der perioperativen
Versorgung erfordern ein langfristiges und radikales Umdenken bei
Klinikern, Managern, Forschungsförderern und politischen
Entscheidungsträgern.

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Zur Person:
Professorin Jugdeep Dhesi wurde in Leicester und London in Allgemeiner
Innerer Medizin und Geriatrie ausgebildet. Im Jahr 2005 wurde sie zur
Fachärztin in der Abteilung für Gesundheit und Altern am Guy's and St
Thomas' Hospital ernannt. Sie ist die klinische Leiterin des innovativen
Dienstes für perioperative Medizin für ältere Menschen, die sich einer
Operation unterziehen (POPS), der sich sowohl auf lokaler als auch auf
nationaler Ebene schnell als klinisch effektiver, qualitativ hochwertiger
und preisgekrönter Dienst etabliert hat. Professorin Dhesi ist President
Elect der British Geriatrics Society und stellvertretende Direktorin des
Centre for Perioperative Care.

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