Eine Frage der Gene. Wie sich das Krankheitsrisiko von Mensch zu Mensch unterscheidet
Die Schering Stiftung zeichnet Sarah Kim-Hellmuth für ihre herausragenden
Arbeiten zur Erforschung des genetischen Einflusses auf die Variabilität
der Genaktivität im Menschen mit dem Friedmund Neumann Preis 2022 aus. Der
Forschungspreis ist mit 10.000 Euro dotiert.
Vielen von uns mag der Gedanke bekannt sein: „Warum werde ich krank,
andere aber nicht – obwohl ich doch viel gesünder lebe?“ Eine Antwort auf
diese Frage ermöglicht die Forschung von Dr. Sarah Kim-Hellmuth. Sie
untersucht in ihren groß angelegten funktionellen Genanalysen das Erbgut
vieler hunderter Menschen gleichzeitig. Die Unterschiede im Erbgut
verknüpft sie mit der Genaktivität in verschiedenen Körpergeweben und dem
Risiko einer möglichen Erkrankung. Dabei wurde auch deutlich, dass ganz
unterschiedliche Bereiche im Erbgut einen Einfluss auf die Aktivität der
krankheitsassoziierten Gene haben. Mit diesem Wissen können nun
verbesserte und personalisierte Therapien für die Behandlung und
Prävention von Diabetes, Herzkreislauf-erkrankungen, Autoimmunerkrankungen
Schizophrenie und anderen Krankheiten entwickelt werden.
Sarah Kim-Hellmuth wird insbesondere für die Studienergebnisse, die sie
als Hauptanalystin im Verbund mit dem Genotype-Tissue Expression
(GTEx)-Konsortium erbrachte, ausgezeichnet. Ihr gelang es zu zeigen, dass
die genetische Regulation der Genaktivität stark kontextabhängig ist und
sich beispielsweise zwischen Zelltypen oder auch zwischen Frauen und
Männern unterscheiden kann. Ihre Arbeit zeichnet sich dadurch aus, dass
sie eine Vielzahl unterschiedlicher Gewebetypen im Körper hunderter
Spender*innen untersucht. So entsteht ein immenser Datensatz, der es
ermöglicht, gesunde und pathologische Genaktivität bei komplexen
Erkrankungen zu vergleichen. Zukünftig wird mit dem so gewonnenen Wissen
eine gezieltere krankheitsspezifische Forschung und die Identifizierung
von Targets für die Arzneimittelentwicklung möglich sein.
Die Fachärztin für Humangenetik und Forschungsgruppenleiterin Dr. Sarah
Kim-Hellmuth erhält am 29. September den Friedmund Neumann Preis 2022 für
ihre bahnbrechenden Arbeiten zur Erforschung des genetischen Einflusses
auf die Variabilität der Genaktivität im Menschen. „Mit ihren Arbeiten hat
Frau Dr. Sarah Kim-Hellmuth unser Verständnis von krankheitsassoziierten
Genvarianten deutlich erweitert. Je besser wir verstehen, welchen Einfluss
unser Erbgut auf das Risiko einer Erkrankung hat, desto besser können wir
die persönliche Erbanlage bei Prävention und Behandlung berücksichtigen
und personalisierte Therapien entwickeln“, begründet Prof. Dr. Dr. h.c.
Stefan H. E. Kaufmann, Vorsitzender des Stiftungsrates der Schering
Stiftung, die Wahl der Jury.
Die Schering Stiftung vergibt den mit 10.000 € dotierten Preis seit 2011
an Nachwuchswissenschaftler*innen
humanbiologischen, organisch-chemischen oder humanmedizinischen
Grundlagenforschung erbracht haben. Der Preis will exzellente
wissenschaftliche Leistung sichtbar machen, die frühe Entwicklung eines
eigenständigen Forschungsprofils honorieren und die wissenschaftliche
Etablierung der Preisträger*innen unterstützen.
Sarah Kim-Hellmuth wurde für den Friedmund Neumann Preis 2022 von Prof.
Dr. Eleftheria Zeggini, Direktorin des Instituts für Translationale
Genomik am Helmholtz Zentrum München, vorgeschlagen. Prof. Dr. Dr.
Christoph Klein, Direktor der Kinderklinik und Kinderpoliklinik im Dr. von
Haunerschen Kinderspital des Universitätsklinikum München, sagt über die
Preisträgerin: „Aus wissenschaftlicher und klinischer Sicht hat Sarah Kim-
Hellmuth und das Forscherteam des GTEx-Konsortiums zu einem Meilenstein
beigetragen, der eine schnellere und bessere Entdeckung von
Krankheitsmechanismen ermöglicht und den Weg zur personalisierten Medizin
ebnet.“
PREISVERLEIHUNG
29. September 2022, ab 17:00 Uhr
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften | Markgrafenstr. 38 |
10117 Berlin | Leibniz-Saal
17:00 Uhr Ernst Schering Prize Lecture
Prof. Dr. Gisbert Schneider:
Wie Künstliche Intelligenz die Arzneistoffentwicklung revolutionierte
18:00 Uhr Preisverleihung Friedmund Neumann Preis und Ernst Schering Preis
Preisübergabe: Ulrike Gote, Senatorin für Wissenschaft, Gesundheit und
Gleichstellung
Teilnahme nur mit Anmeldung möglich. Bitte akkreditieren Sie sich bei
Maren Isabel Fritz,
VORTRÄGE VON DR. SARAH KIM-HELLMUTH
30. September 2022
Schüler*innen-Vortrag: Die faszinierende Welt der genetischen Vielfalt und
ihr Einfluss auf den menschlichen Körper
Oberstufenzentrum Lise Meitner – School of Science, Berlin-Neukölln (nicht
öffentlich)
4. Oktober 2022, 14:00 Uhr
Öffentlicher wissenschaftlicher Vortrag (online): Understanding the
diversity of genetic effects on gene expression in health and disease
Berliner Institut für Gesundheitsforschung in der Charité (BIH)
In englischer Sprache. | Eine Registrierung wird rechtzeitig auf
www.bihealth.org freigeschaltet.
HINTERGRUNDINFORMATIONEN
Das GTEx-Konsortium hat den umfassendsten genetischen Atlas erstellt, der
15.201 RNA-Sequenzierungsproben aus 49 Geweben von 838 postmortalen
Spender*innen und Daten zur Sequenzierung des gesamten Genoms der
einzelnen Spender*innen enthält. Mit diesen immensen Daten haben Dr. Sarah
Kim-Hellmuth und andere Mitglieder des Konsortiums kartiert, wie
genetische Varianten die Genregulation beeinflussen und wie diese
zellulären Veränderungen zum genetischen Risiko für häufige und seltene
Krankheiten beitragen. Dr. Kim-Hellmuth leitete zusammen mit weiteren
Wissenschaftler*innen des GTEx-Projektes zwei Arbeiten zur
Zelltypspezifität und zu Geschlechtsunterschieden in der genetischen
Regulation der Genaktivität in bis zu 49 verschiedenen Körpergeweben von
838 Spender*innen. Darin zeigt die Preisträgerin z.B. auf, wie mittels
neuartiger, bioinformatischer Analysen die Untersuchung genetisch
modifizierter Krankheitsmechanismen auf Zelltypebene nicht nur in
aufwendigen Zellexperimenten, sondern auch in klinisch leichter
zugänglichen Mischgewebsproben möglich ist. In seiner Arbeit zu
Geschlechtsunterschieden fand das Forscherteam, dass bis zu einem Drittel
aller im Körper exprimierten Gene bei Frauen und Männern eine
unterschiedliche Aktivität aufweisen. Diese Gene sind an vielen
verschiedenen biologischen Prozessen beteiligt, darunter bei der Reaktion
auf Medikamente, der Kontrolle des Blutzuckerspiegels in der
Schwangerschaft und bei Krebserkrankungen. Beide Arbeiten trugen somit zum
bisher größten Ansatz des GTEx-Projektes bei, einen Atlas der Auswirkungen
genetischer Regulatoren zu erstellen. Kim-Hellmuth sagt über ihre Arbeit
im GTEx-Projekt: „Weltweit werden die Daten des GTEx-Projektes bereits von
zahlreichen Wissenschaftler*innen für ihre eigene Forschung genutzt: um
gesunde und pathologische Genaktivität bei komplexen Erkrankungen zu
vergleichen, krankheitsassoziierte Varianten und ihre Gene im passenden
Gewebe zu identifizieren und dieses Wissen konkret in die Entwicklung von
Medikamenten zu integrieren.
Sarah Kim-Hellmuth studierte Medizin an der LMU und TU München, war
Assistenzärztin am Institut für Humangenetik des Universitätsklinikums
Bonn, gefolgt von einem mehrjährigen Postdoc-Aufenthalt am New York Genome
Center und der Columbia-Universität in New York, wo sie als Hauptanalystin
des Genotype-Tissue Expression (GTEx)-Konsortiums tätig war. Seit 2021 ist
sie Fachärztin für Humangenetik und leitet seit Anfang 2022 eine Emmy-
Noether-Nachwuchsgruppe am Institut für Translationale Genomik des
Helmholtz Zentrums München und am Dr. von Haunerschen Kinderspital der
LMU.