Wie schädigen Operationen mit Herz-Lungen-Maschine die Darmflora?
Forschungen zum Mikrobiom mit renommierter Dr. Rusche-Projektförderung der
Deutschen Stiftung für Herzforschung ausgezeichnet
Rund 90.000 Herzoperationen mit und ohne Herz-Lungen-Maschine (HLM) werden
pro Jahr in Deutschland durchgeführt. Die Anwendung der HLM ist nach wie
vor bei vielen Operationen am Herzen unentbehrlich. Allerdings hat ein
solcher invasiver Eingriff, bei dem das Herz „stillgelegt“ wird und die
HLM die Funktion von Herz und Lunge übernehmen muss, mitunter auch
unerwünschte Folgen. Gefürchtet ist nach herzchirurgischen Eingriffen mit
HLM zum Beispiel das system-inflammatorische Antwortsyndrom (SIRS). Dabei
kommt es zu heftigen Immunreaktionen, die in eine kaum zu kontrollierende
Kreislaufinstabilität und Störungen der Organfunktion münden können – mit
zum Teil tödlichem Ausgang für die betroffenen Herzpatienten. Gleichzeitig
ist inzwischen bekannt, dass die natürliche und intakte Keimbesiedelung
des Darms, das Mikrobiom (ehemals auch als Darmflora bezeichnet), eine
grundlegende, stabilisierende Rolle bei der Regulierung des Immunsystems
hat. Diese sogenannte Eubiose kann durch verschiedene Einflüsse gestört
werden und in den gesundheitlich ungünstigen Zustand der Dysbiose
übergehen.
Forschung zum Mikrobiom und SIRS für mehr Patientensicherheit bei Herz-OPs
Bei einer Dysbiose sind Anzahl und Vielfalt der normalen Mikrobiom-
Organismen reduziert. Dies begünstigt, dass sich potenzielle
Krankheitserreger ansiedeln bzw. vermehren können, was durch Ausschüttung
verschiedener Metaboliten und Toxinproduktion wiederum entzündliche
Prozesse aktivieren und erhalten kann. Einer der Schlüsselfaktoren für das
Gleichgewicht des Mikrobiom-Milieus ist eine physiologische
Darmdurchblutung – und eine Operation mit HLM beeinträchtigt diese
nachweislich. „Unverzichtbar für mehr Patientensicherheit sind neue
Erkenntnisse zu den Entstehungsmechanismen des SIRS im Zusammenhang mit
herzchirurgischen Eingriffen mit HLM. Die Rolle des durch Operation mit
HLM veränderten Mikrobioms rückt dabei zunehmend in den Fokus der
Forschung“, betont Herzchirurg Prof. Dr. Armin Welz, Vorsitzender des
wissenschaftlichen Beirats der Deutschen Stiftung für Herzforschung
(DSHF). Deshalb fördere die DSHF mit der diesjährigen Dr. Rusche-
Projektförderung eben zu dieser Problematik ein innovatives
Forschungsvorhaben.
Dr. med. Hristian Hinkov von der Klinik für Herz-, Thorax- und
Gefäßchirurgie am Deutschen Herzzentrum der Charité - Universitätsmedizin
Berlin, will daher nun zusammen mit Kollegen den Einfluss einer
Herzoperation mit HLM auf das Mikrobiom genauer untersuchen. Das mit der
Dr. Rusche-Projektförderung ausgezeichnete Projekt möchte unter anderem
klären, wie sich das Mikrobiom, seine Stoffwechselprodukte und Botenstoffe
(Metabolom) nach Operationen mit HLM verändern. Diese Erkenntnisse sollen
dann mit der Aktivierung verschiedener Entzündungsmechanismen und mit dem
Heilungsverlauf nach OP in Zusammenhang gesetzt werden, um so wichtige
Hinweise zum Entstehen eines SIRS zu erhalten.
„Denn lässt sich tatsächlich eine Verbindung zwischen spezifischer
Mikrobiom-Veränderung und SIRS-Mechanismen nachweisen, könnten sich daraus
auch neue Therapieansätze bei SIRS ergeben, zum Beispiel durch eine
gezielte Mikrobiom- bzw. Metabolom-Modulation“, hofft Dr. Hinkov.
Entsprechende Maßnahmen könnten entweder vor dem Eingriff erfolgen, um das
Mikrobiom zu stabilisieren oder nach dem Eingriff, um die Mikrobiom-
Zusammensetzung zu regenerieren und wieder herzustellen. Darüber hinaus
soll erforscht werden, ob sich bereits vor einer Operation anhand von
bestimmten Mikrobiom-Profilen ein erhöhtes Risiko für das Auftreten von
SIRS erkennen lässt. „Damit könnte potenziell betroffenen Patienten eine
angepasste Therapie angeboten und der Einsatz einer HLM ein Stück sicherer
gemacht werden“, so Hinkov.
Mikrobiom von 80 Patientinnen und Patienten nach Bypass-OP untersucht
Das Projekt sieht konkret vor, bei 80 herzchirurgisch behandelten
Patienten das Mikrobiom zu untersuchen: davon 40 Patienten mit aorto-
koronarer Bypass-Operation und HLM sowie 40 Patienten mit Bypass-
Operation, bei der keine HLM-Unterstützung nötig ist. „Vor der Operation,
unmittelbar nach dem Eingriff, während des Krankenhausaufenthaltes sowie
sechs Monate nach Entlassung werden Blut- und Stuhlproben entnommen und
hinsichtlich Mikrobiom-Zusammensetzung, Entzündungszeichen und
Immunzellaktivierung ausgewertet. Die Befunde werden dann mit dem
jeweiligen Verlauf von OP und Heilungsprozess abgeglichen, um mögliche
Zusammenhänge zu erkennen“, erläutert Hinkov.
Das Projekt von Dr. Hinkov „Die Effekte der Herz-Lungen-Maschine auf das
intestinale Mikrobiom und die Relation zum postoperativen SIRS“ erhält
aufgrund seines innovativen Forschungsansatzes daher auch die Dr. Rusche-
Projektförderung der Deutschen Stiftung für Herzforschung (DSHF) 2023 in
Höhe von 58.800 Euro, die jährlich von der DSHF zusammen mit der Deutschen
Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (DGTHG) für ein
Forschungsvorhaben auf dem Gebiet der Herzchirurgie vergeben wird. Die
DSHF wurde von der Deutschen Herzstiftung 1988 gegründet. Der Antrag der
Berliner Nachwuchsforscher wurde im Februar auf der 52. Jahrestagung der
DGTHG ausgezeichnet.
(ne)
Forschung nah am Patienten
Dank der finanziellen Unterstützung durch Stifterinnen und Stifter,
Spender und Erblasser kann die Deutsche Herzstiftung gemeinsam mit der von
ihr 1988 gegründeten Deutschen Stiftung für Herzforschung (DSHF)
Forschungsprojekte in einer für die Herz-Kreislauf-Forschung
unverzichtbaren Größenordnung finanzieren. Infos zur Forschungsförderung
der Deutschen Herzstiftung: www.herzstiftung.de/forschung-
Die 2008 eingerichtete „Dr. Rusche-Projektförderung“ ist mit 60.000 Euro
dotiert und wird jährlich von der DSHF zusammen mit der Deutschen
Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (DGTHG) vergeben.
Benannt ist der Stiftungsfond nach dem Internisten Dr. Ortwin Rusche (1938
bis 2007) aus Bad Soden, der die DSHF in seinem Testament bedachte, um
Forschungsprojekte auf dem Gebiet der Herzchirurgie zu fördern. Bewerben
können sich junge Wissenschaftlerinnern und Wissenschaftler, die in
Deutschland auf dem Gebiet der Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie tätig
sind (www.dshf.de).