Krankenhausreform: 5-Punkte-Plan für die Diabetologie der Zukunft
Die Krankenhausstrukturreform: weg von Ökonomie und Fallpauschalen, hin zu
mehr Patientenwohl. Doch es zeichnet sich ab, dass das
Bundesgesundheitsministerium (BMG) die Versorgungsrealität noch an
wichtigen Stellen verkennt. Neben dem persönlichen Leid für die
Betroffenen habe dies auch hohe finanzielle Folgen für das
Gesundheitssystem, so die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG). Auf ihrer
Jahrespressekonferenz legen die Experten einen 5-Punkte-Plan vor, dessen
Berücksichtigung eine positive Wende für die Diabetologie in Deutschland
bringen kann.
„Ob die von Lauterbach sogenannte Revolution im Gesundheitssektor gelingt,
wird sich an den vulnerablen Patientengruppen zeigen – den chronisch
Kranken, Kindern und multimorbiden Älteren“, prognostiziert Professor Dr.
med. Andreas Fritsche, Vizepräsident der DDG. „Erst wenn die Reformpläne
auch diese Gruppen berücksichtigen und ihnen eine hohe
Versorgungssicherheit gewährleisten, kann eine Zeitenwende in unserem
Gesundheitssystem gelingen.“ Auf der Jahrespressekonferenz der DDG
diskutieren Expert*innen zu den Chancen und Risiken der Krankenhausreform
in Bezug auf die Diabetologie.
Dabei kommen sie überein, dass die verantwortliche Regierungskommission
dringend anerkennen muss, dass Diabetes mellitus im bisherigen System der
diagnosebezogenen Fallgruppen (DRG) viel zu wenig Berücksichtigung findet.
„Die Endokrinologie und Diabetologie sind mitunter die reformbedürftigsten
Sektoren hinsichtlich Finanzierung und Versorgungsstrukturen. Schon jetzt
ist die Versorgung der Betroffenen auf Krankenhausstationen akut
gefährdet“, betont Fritsche. Die stark steigenden Diabeteszahlen auf
erwartete 12 Millionen in den kommenden zehn Jahren, drohen den ambulanten
sowie den stationären Sektor zu überlasten, so der Diabetologe vom
Universitätsklinikum Tübingen. „Doch derzeit scheinen die politisch
Verantwortlichen diese Versorgungslage noch zu sehr zu unterschätzen.“
Fritsche weist darauf hin, dass in Krankenhäusern inzwischen jeder fünfte
Patient über 20 Jahren Diabetes hat, was jährlich etwa drei Millionen
Krankenhausbehandlungen mit und wegen Diabetes bedeutet.1 Hinzu kommt,
dass die Betroffenen bereits in jungen Jahren ins Krankenhaus müssen,
längere stationäre Aufenthalte und mehr Komplikationen haben als
stoffwechselgesunde Mitmenschen – das zeigt eine aktuelle Studie.2 „Im
Alter zwischen 40 und 50 Jahren sind sie darüber hinaus dreimal mehr von
Schlaganfall und Myokardinfarkt betroffen, was wiederum ihr Sterberisiko
erhöht“, führt Studienautor Alexander Eckert, Wissenschaftlicher
Mitarbeiter an der Universität Ulm, Institut für Epidemiologie und
medizinische Biometrie am ZIBMT, aus.
Das mangelnde Bewusstsein für Diabetes in Kliniken resultiert aus
fehlenden Diabeteskenntnissen. Nur 17 Prozent der Kliniken halten eine
ausreichend qualifizierte Diabetesexpertise gemäß DDG Zertifizierung vor,
mit sinkender Tendenz. Dies schlägt sich auch im Umgang mit den
Diabetespatient*innen nieder. Bisher wird bei stationärer Aufnahme nicht
flächendeckend und nach einheitlichen Standards auf Diabetes gescreent und
behandelt. Dabei zeigen Untersuchungen, dass bis zu 23 Prozent aller
Patient*innen in Notaufnahmen einen nicht bekannten Diabetes haben. Einer
Umfrage zufolge hat fast jeder dritte Mensch mit Diabetes Typ 1 schlechte
Erfahrungen in einer nicht-Diabetes-zertifizierten Klinik gemacht.
Insbesondere Insulinpumpenpatient*innen blieben in über 80 Prozent ohne
Ansprechpartner für ihre Technologie.3 „Der Aufenthalt in Krankenhäusern
könnte für Diabetespatient*innen zunehmend gefährlich und tödlich werden“,
mahnt Fritsche.
Die DDG fordert auf Grundlage dieser Erkenntnisse die Schaffung besserer
Versorgungsstrukturen an Kliniken und stellte dafür auf der
Jahrespressekonferenz folgenden 5-Punkte-Plan auf:
1. Einrichtung von DIABETES UNITS in Krankenhäusern
2. Im Rahmen der geplanten Krankenhausstrukturreform qualifizierte
zertifizierte und abgestufte Diabetesbehandlung auf allen Ebenen. Diabetes
droht, entweder ganz vergessen zu werden oder eine Verbannung auf den
untersten Level der Versorgung.
3. Versorgungsqualität muss sich lohnen! Krankenhäuser mit
Diabetesbehandlungsstrukturen sollten finanzielle Zuschläge erhalten,
Einrichtungen ohne diabetologische Expertise finanzielle Abschläge.
4. Vulnerable Gruppen schützen! Kinder oder multimorbide ältere
Patienten mit einem Diabetes brauchen besondere Pflege und zeitintensive
ärztliche Betreuung. Das muss kostendeckend abgebildet sein.
5. Ein obligates Diabetesscreening (HbA1c) und Management in den
Notaufnahmen und Stationen der Krankenhäuser
Literatur:
1Auzanneau M, Fritsche A, Icks A, Siegel E, Kilian R, Karges W, Lanzinger
S, Holl RW. Diabetes in the Hospital—A Nationwide Analysis of all
Hospitalized Cases in Germany With and Without Diabetes, 2015-2017. Dtsch
Arztebl Int. 2021 Jun 18;118(24):407-412. doi: 10.3238/arztebl.m2021.0151.
2Eckert AJ, Fritsche A, Icks A, Siegel E, Mueller-Stierlin AS, Karges W,
Rosenbauer J, Auzanneau M, Holl RW. Common procedures and conditions
leading to inpatient hospital admissions in adults with and without
diabetes from 2015 to 2019 in Germany : A comparison of frequency, length
of hospital stay and complications. Wien Klin Wochenschr. 2023 Feb
10:1-11. doi: 10.1007/s00508-023-02153-z. Online ahead of print.
3Hess G, Weber D, Kellerer M, Fritsche A, Kaltheuner M. Erfahrungen von
Diabetes Typ 1 Patienten bei stationären Behandlungen - eine
Patientenbefragung von winDiab. Diabetologie und Stoffwechsel 2023 in
press