Katheter-Eingriffe bei Kindern nur noch ambulant: „Das gefährdet klar das Kindeswohl!“
Neuer Vertrag für ambulantes Operieren (AOP): Vor Komplikationsgefahren
durch die Auslagerung stationärer Eingriffe in den ambulanten Bereich
warnen das Aktionsbündnis Angeborene Herzfehler (ABAHF) und die Deutsche
Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie und Angeborene Herzfehler (DGPK)
Alarmiert sind Kinderkardiologen und Patientenorganisationen im Bereich
der Angeborenen Herzfehler (AHF), weil im Zuge der Umsetzung des MDK-
Reformgesetzes bei Kindern ab Erreichen des ersten Lebensjahrs
Herzkatheter-Eingriffe, sogenannte Herzkatheteruntersuchungen, nicht mehr
stationär, sondern ambulant durchzuführen und abzurechnen sind. „Diese
Neuregelung für ambulant durchzuführende Eingriffe bei Kindern hat
gravierende Auswirkungen auf das Wohl und die Sicherheit von Kindern mit
angeborenem Herzfehler“, warnt der Kinderkardiologe Prof. Dr. med.
Matthias Gorenflo, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische
Kardiologie und Angeborene Herzfehler (DGPK) und Ärztlicher Direktor der
Klinik für Kinderkardiologie und Angeborene Herzfehler am
Universitätsklinikum Heidelberg in einer gemeinsamen Pressemeldung mit dem
Aktionsbündnis Angeborene Herzfehler (ABAHF). Bei Kindern mit angeborenem
Herzfehler bündeln sich Besonderheiten des Alters, der Herzerkrankung
sowie der Gefäßverhältnisse zu einer in mehrfacher Hinsicht schwierigen
Konstellation, die nicht mit der einer Herzkatheteruntersuchung von
erwachsenen Patienten mit erworbenen Herzerkrankungen vergleichbar ist.
„Aus medizinischen Gründen ist deshalb immer angezeigt, Kinder mit
angeborenem Herzfehler vor und nach der Herzkatheteruntersuchung stationär
zu überwachen. Auch die durch die altersbedingt eingeschränkte Kooperation
der Patienten verursachten unabsehbaren Risiken sprechen klar gegen eine
ambulante Durchführung“, betont der DGPK-Präsident Gorenflo.
Jährlich kommen 8.700 Kinder mit einem Herzfehler zur Welt, von denen dank
des herzmedizinischen Fortschritts heute über 90 Prozent das
Erwachsenenalter erreichen und mit ca. 330.000 Erwachsenen mit angeborenem
Herzfehler (EMAH) eine stetig wachsende Patientengruppe bilden. Pro Jahr
werden in Deutschland über 8.800 Herzkatheteruntersuchungen und
-Interventionen bei Patientinnen und Patienten mit AHF durchgeführt, davon
rund 23 Prozent im Erwachsenenalter, alle übrigen bei Neugeborenen und
Kindern (Deutscher Herzbericht 2021). „Eine Herzkatheteruntersuchung
stellt durch das Einbringen eines dünnen Kunststoffschlauchs in das
Gefäßsystem, die bei Kindern notwendige Sedierung/Narkose und die
Röntgenstrahlen einen invasiven Eingriff dar, der einer stationären
Überwachung vor und nach der Prozedur bedarf“, betont auch Prof. Dr. med.
Stefan Hofer, Elternvertreter herzkranker Kinder im Vorstand der Deutschen
Herzstiftung, die Mitgliedsorganisation des ABAHF ist. „Denn bei
arteriellen und venösen Zugängen im Zuge des Eingriffs, nach Sedierung
oder Narkose und Einbringung von Flüssigkeiten wie Kontrastmitteln ist mit
möglichen Komplikationen während und nach der Herzkatheteruntersuchung zu
rechnen“, erklärt Prof. Hofer, Chefarzt der Klinik für Anästhesie,
Intensiv- und Notfallmedizin am Westpfalz-Klinikum Kaiserslautern.
AOP-Katalog: Medizinische Gründe für stationäre Durchführung invasiver
Eingriffe unzureichend abgebildet
Die Neuregelung durch das MDK-Reformgesetz ändert für bestimmte
medizinische Prozeduren die bisherigen Modalitäten, ob sie weiterhin
stationär oder von nun an ambulant durchzuführen sind. Mit dem Ziel, im
Gesundheitswesen Kosten einzusparen, haben der GKV-Spitzenverband der
gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen, die Deutsche
Krankenhausgesellschaft (DKG) und die Kassenärztliche Bundesvereinigung
(KBV) eine Erweiterung des Katalogs ambulant durchführbarer Operationen
(AOP) und eine Neufassung des AOP-Vertrags umgesetzt (1). Diese Maßnahmen
erfolgten im Rahmen der Umsetzung des gesetzlichen Auftrags aus dem MDK-
Reformgesetz von 2020. Muss ein ambulant durchzuführender Eingriff dennoch
stationär erfolgen, muss die Klinik für die Finanzierung der Leistung
durch die Krankenkassen vorab begründen, warum die Patientin oder der
Patient nach dem Eingriff stationär versorgt werden muss. Dafür stehen den
Ärzten einheitliche fachlich-medizinische Kriterien, so genannte
Kontextfaktoren, zur Verfügung. Diese Kontextfaktoren, die eine stationäre
Durchführung invasiver Maßnahmen im Kindesalter erlauben, sind nach
Einschätzung des Kinderkardiologen Prof. Gorenflo jedoch „nur rudimentär“
und bildeten „nicht die eigentlichen medizinischen Gründe für die
stationäre Durchführung invasiver Maßnahmen ab“.
Ärztinnen und Ärzte müssen entscheiden, ob eine invasive Therapie auch
ambulant durchführbar ist
Vor allen Dingen müsse die Entscheidung, ob eine invasive Therapie auch
ambulant durchführbar ist, immer bei den Ärzten und Ärztinnen liegen und
aufgrund der individuellen Situation des Patienten oder der Patientin
erfolgen, so die Forderung der Vertreter von DGPK und ABAHF. „Wer
ernsthaft glaubt, dass ein dreijähriger Patient nach einer Punktion der
Leistenschlagader zur Durchführung einer Herzkatheteruntersuchung am
gleichen Tag aus der Klinik entlassen werden kann, nimmt hohe Risiken für
diese Kinder in Kauf“, warnt DGPK-Präsident Gorenflo, dessen Sorgen für
das Wohl der jungen Patientinnen und Patienten auch Vertreter anderer
Fachgesellschaften in der Kinder- und Jugendmedizin teilen. Es bleiben
zahlreiche offene Fragen: „Wer haftet für das Versterben im Rahmen einer
Nachblutung? Wer haftet für die nach der Prozedur auftretende Aspiration
nach Sedierung, wenn keine stationäre Überwachung gegeben ist?“, gibt der
Heidelberger Kinderkardiologe und Klinikdirektor zu bedenken.
Über-80-Jährige sind von der Neuregelung der Ambulantisierung stationärer
Eingriffe ausgenommen – warum nicht auch die Kinder?
Besonders alarmiert sind Kinderkardiologen von dem Hinweis des GKV-
Spitzenverbands im Kontext des AOP-Katalogs, dass bei Vorliegen
medizinischer oder sozialer Gründe, die von den Kontextfaktoren abweichen
und „die dazu führen, dass die Versorgung des Patienten in der
Häuslichkeit nicht sichergestellt werden kann und dadurch der medizinische
Behandlungserfolg gefährdet ist, […] diese Gründe bei einer stationären
Durchführung der Leistung fallindividuell darzustellen [sind]“ (GKV-
Spitzenverband) (1). „Konkret bedeutet das: Der Gesetzgeber geht davon
aus, dass die ambulante Durchführung von Herzkatheteruntersuchungen bei
Kindern medizinisch vertretbar und die Regel ist“, so DGPK-Präsident
Gorenflo. Er sieht dadurch die Sicherheit der Kinder gefährdet, für die
von nun an diese Regelung gelten soll. Hinzu kommt, dass Über-80-Jährige
von den neuen Regeln der Ambulantisierung von bisher stationären
Prozeduren ausgenommen sind, die Neuregelung aber für alle Kinder, sobald
sie das erste Lebensjahr erreicht haben, gilt. „Für jede stationäre
Überwachung nach einem invasiven Eingriff im Kindesalter muss faktisch
eine Begründung individuell erstellt werden“, erklärt Prof. Gorenflo. Dies
sei für Kinder medizinisch nicht zu rechtfertigen, „völlig realitätsfremd“
und „bürokratisch ein Alptraum“ für die behandelnden Ärzte und Ärztinnen
in den ohnehin überlasteten Kinderkliniken. Kinder müssten umgehend, so
die Forderung von DGPK und ABAHF, wie die Über-80-Jährigen automatisch vom
Zwang zur ambulanten Durchführung bisher stationärer Eingriffe ausgenommen
werden.
Die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie und Angeborene
Herzfehler (DGPK) und das Aktionsbündnis für Angeborene Herzfehler (ABAHF)
appellieren an die Politik, allen voran an das Bundesministerium für
Gesundheit, eine Korrektur des AOP-Vertragstextes und eine grundsätzliche
Herausnahme der Kinder aus dem AOP-Katalog analog der über 80-jährigen
Patientinnen und Patienten vorzunehmen. „Das Patientenalter und die
Einschätzung des behandelnden Arztes oder der Ärztin müssen genügen, um
eine stationäre Durchführung zu rechtfertigen“, so die Forderung der
Vertreter von ABAHF und DGPK.
(wi)
Literatur
(1) GKV-Spitzenverband, Ambulantes Operieren nach § 115b SGB V:
https://www.gkv-
spitzenverband.de/krankenversi
(zuletzt abgerufen am 01.05.2023)
- Bundesverband Herzkranke Kinder e. V. (Hg.), Leitfaden: Herzkatheter bei
Kindern zur Diagnostik oder Therapie, Aachen 2015, 2. Aufl.
- Deutsche Herzstiftung (Hg.), Deutscher Herzbericht 2021, Frankfurt a. M.
2022
Das Aktionsbündnis Angeborene Herzfehler (ABAHF)
Um in der Öffentlichkeit mit einer Stimme für eine bessere Versorgung von
Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit angeborenen Herzfehlern und
deren Familien einzutreten und ihnen noch effektiver zu helfen, haben sich
2014 auf Initiative der Deutschen Herzstiftung e. V. sechs bundesweit
tätige Patientenorganisationen zum „Aktionsbündnis Angeborene Herzfehler“
(ABAHF) zusammengeschlossen. Die Organisationen sind: Bundesverband
Herzkranke Kinder e.V., Bundesverein Jemah e.V., Fontanherzen e.V.,
Herzkind e.V., Interessengemeinschaft Das Herzkranke Kind e.V. und die
Kinderherzstiftung der Deutschen Herzstiftung e.V.
Etwa 8.700 Neugeborene mit angeborenem Herzfehler kommen in Deutschland
jährlich zur Welt. Heute erreichen rund 90 % dieser Kinder dank der
Fortschritte der Kinderherzchirurgie und Kinderkardiologie das
Erwachsenenalter. Die Zahl der Erwachsenen mit angeborenem Herzfehler
(EMAH) wird auf über 330.000 geschätzt. Zur Homepage:
https://www.abahf.de/
Die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie und Angeborene
Herzfehler (DGPK)
Die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie und Angeborene
Herzfehler e.V. ist eine gemeinnützige medizinische Fachgesellschaft mit
dem Ziel der Förderung von Wissenschaft, Diagnostik und Therapie sowie der
Prävention von angeborenen und erworbenen Herz- und Kreislauferkrankungen
im Kindes- und Jugendalter. Sie nimmt Belange der Lehre (Ausbildung, Fort-
und Weiterbildung) sowie die Erstellung von Leitlinien wahr. Zur Homepage:
https://www.dgpk.org