Stichwort „menschlich“: Intensive Patientenbetreuung und Teamarbeit auf Augenhöhe: in der Radioonkologie fest verankert
Als Technikfach kämpft die Strahlentherapie gegen das Vorurteil der
„Maschinenmedizin“. Dabei ist das Gegenteil der Fall: Technologische
Innovationen schaffen den Radiokonkologinnen und -onkologen Freiräume für
die individuelle Beratung und Betreuung der Krebspatientinnen und
-patienten, ebenso wie neue Konzepte zur interprofessionellen
Aufgabenverteilung. Wichtig ist darüber hinaus, dass genügend Nachwuchs in
das Fach kommt – die AG Junge DEGRO liefert hier wichtigen Input für die
Verbesserung der Weiterbildung.
Patientenpartizipation bedeutet, dass die Patientinnen und Patienten
befähigt werden, zusammen mit den Behandlern eine informierte
Therapieentscheidung zu treffen. Dabei geht es sogar um mehr als „nur“ um
die Entscheidung für den individuell besten Therapieweg, der sich optimal
in die persönliche Lebenssituation der/des Betroffenen einfügt und
Kriterien wie Therapieziel, Nebenwirkungsprofil, wahrscheinliches
Therapieergebnis und Outcome berücksichtigt. „Aus Studien wissen wir, dass
Patientinnen und Patienten, die informiert sind, ein besseres Outcome
haben, das gilt insbesondere für Krebspatientinnen und -patienten“,
erläutert Professor Dirk Vordermark, Halle, Präsident des 29. Kongresses
der Deutschen Gesellschaft für Radioonkologie.
Wie der Experte herausstellt, ist es daher wichtig, die Betroffenen in die
Lage zu versetzen, selbst-bestimmt Therapieentscheidungen treffen zu
können. „Gerade in der Radioonkologie hat das Gespräch mit Patientinnen
und Patienten einen hohen Stellenwert – und das, obwohl wir als technik-
affines Fach immer wieder mit dem Vorurteil der ‚entmenschlichten
Maschinenmedizin‘ kämpfen müssen.“ Dabei seien es gerade technische
Innovationen, die mehr Freiräume für umfassende Beratungsgespräche
schaffen.
Eine Patientenumfrage aus München, deren Ergebnisse auf dem DEGRO-Kongress
präsentiert werden, untersuchte den Status quo des „Aufklärungsgrads“ und
die Zufriedenheit der Patientinnen und Patienten mit der Beratung [1].
Insgesamt wurden 22 Fragen zur Bewertung der Auswirkungen einer
Krebsdiagnose auf die Gesundheitskompetenz, die gemeinsame
Entscheidungsfindung, die Kontrolle der Patientinnen und Patienten über
ihre Behandlung und die Kommunikation mit dem Fachpersonal gestellt.
Erfreulich war: Insgesamt fühlen sich die meisten Patientinnen und
Patienten ausreichend über ihre Krankheit und den Behandlungsverlauf
informiert. Allerdings gab es auch einen signifikanten Anteil der
Befragten, die sich nicht gut über ihre Erkrankung (18,1 %) und/oder die
Behandlung (14,0 %) informiert fühlen, darunter waren insbesondere
Betroffene mit Hochrisikotumoren. „Das ist eine wichtige Umfrage, denn sie
illustriert, dass wir Krebsmedizinerinnen und -mediziner noch intensiver
beraten und aufklären und im klinischen Alltag mehr Zeit dafür aufwenden
müssen“, so das Fazit von Prof. Vordermark.
Doch wie schafft man dafür Freiräume? „In der Radioonkologie bewahrheitet
sich gewissermaßen der alte Slogan der Autoindustrie ‚Vorsprung durch
Technik‘“, so der Kongresspräsident. Berechnungen des Zielvolumens und die
Strahlendosisverteilung mussten früher zeitaufwendig „per Hand“ berechnet
werden, heute wird dafür moderne Software eingesetzt. Selbst die
Bildauswertung erfolge heute KI-gestützt. „Darüber hinaus werden auch
Konzepte durchgespielt, wie eine verbesserte interprofessionelle
Aufgabenverteilung zum Wohle der Patientinnen und Patienten eingesetzt
werden kann, um mehr Zeitressourcen für die wichtigen Beratungsgespräche
zu schaffen “, so Vordermark.
Eine Arbeitsgruppe aus Hamburg und Osnabrück [2] thematisiert auf dem
Kongress die Frage, in-wieweit die sog. adaptive Strahlentherapie, die KI-
gestützt funktioniert, von Medizinischen Technologinnen/Technologen für
Radiologie (MTR) durchgeführt werden kann, und startete ein Pilotprojekt.
Fazit der Autorinnen und Autoren: „Kernaufgabe der Strahlentherapeutinnen
und -therapeuten ist die Festlegung des individuellen Behandlungskonzepts
sowie die Überwachung von Therapieerfolg und Nebenwirkungen. Die
Entkopplung von Absicht und Umsetzung bedeutet, dass adaptive
Planänderungen keine Änderung der ärztlichen Behandlungsabsicht
darstellen, sondern deren optimaler Umsetzung dienen.“
Wie der Kongresspräsident ausführt, ist die Teamarbeit auf Augenhöhe seit
Langem fest in der Radioonkologie verankert. Eine weitere wesentliche
Voraussetzung für die umfassende Beratung und Betreuung von Patientinnen
und Patienten ist aber natürlich auch, dass sich ausreichend viele junge
Ärztinnen und Ärzte für das Fach Radioonkologie entscheiden. Die AG Junge
DEGRO liefert hier wichtigen Input, um zur Verbesserung der Weiterbildung
beizutragen und somit die Attraktivität des Fachs weiter zu erhöhen.
Aufschlussreich ist eine aktuelle Umfrage der Sektion Weiterbildung der AG
Junge DEGRO [3] zur aktuellen Situation der Weiterbildung von Ärztinnen
und Ärzten in der Radioonkologie, deren Ergebnisse auf dem Kongress in
Kassel vorgestellt werden. Interessant war: Neben strukturierten
Weiterbildungsgesprächen mit den Weiterbildungsbeauftragten wünschten sich
die Befragten auch die Teilnahme an Tumorboards, Evaluationsgespräche mit
Vorgesetzten und klinikinterne Leitlinien. Bemängelt wurde insgesamt eine
Heterogenität der angewandten Lehrmethoden und 89 Prozent der Befragten
wünschten sich daher ein bundesweit einheitliches sowie verpflichtendes
Curriculum für die Weiterbildung. „Die DEGRO wird hier ihre Hausaufgaben
machen, um den radioonkologischen Nachwuchs noch besser zu fördern“,
versprechen Prof. Vordermark und die Pressesprecherin der DEGRO, Prof.
Stephanie Combs.
Literatur
[1] Marco M.E. Vogel, Carmen Kessel, Stephanie E. Combs. [VS05-1-jD]
Patient Empowerment – der nächste Schritt zur personalisierten
Krebstherapie? Umfrage in einem deutschen Onkologischen Zentrum.
[2] Matthias Kretschmer, Klaus Brinkmann, Thomas Schneider et al. [P17-4]
Adaptive RT nur durch Ärzte? – Gestaltung von MTR-Weiterbildung für die
Adaptivtherapie mit dem ETHOS System.
[3] Daniel Fleischmann, Marcel Büttner, Michael Oertel et al. [P21-7-jD]
Aktuelle Situation der Weiterbildung von Ärztinnen und Ärzten in der
Radioonkologie – eine Umfrage der Sektion Weiterbildung der AG Junge
DEGRO.