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Neuer Therapieerfolg bei Alzheimer – dennoch bleibt die Prävention wichtig

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Eine gestern in JAMA publizierte Studie zeigt: Donanemab kann die
Progression der Alzheimer-Erkrankung um 35 Prozent verlangsamen. Besonders
gut scheint die Therapie in den sehr frühen Krankheitsstadien zu wirken,
was die Frage nach einfach handhabbaren Alzheimer-Frühtests aufwirft. Doch
auch die neue Therapie ist nicht nebenwirkungsfrei und darüber hinaus
müsse eine gesamtgesellschaftliche Debatte über die Kosten geführt werden.
Nach Ansicht der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) bleibt die
Prävention eine wichtige Säule im Kampf gegen Alzheimer: 40 Prozent der
Erkrankungsfälle könnten dadurch verhindert werden.

Angesichts des demographischen Wandels ist die Demenz ein wachsendes
Gesundheitsproblem in unserer Gesellschaft. In Deutschland gibt es
jährlich ungefähr 244.000 Neuerkrankungen [1]. Die Demenz-Prävalenz nimmt
mit dem Lebensalter zu: Bis zu 10% der über 65-Jährigen und bis zu 40% der
über 80-Jährigen leiden an einer Demenz [2]. Demenzen sind chronisch-
neurodegenerative Erkrankungen, die zu kognitiven Störungen,
Verhaltensauffälligkeiten und anderen, beispielsweise neuropsychiatrischen
Symptomen, führen. Die Mehrzahl der Betroffenen, etwa 70-80%, hat eine
Alzheimer-Erkrankung (AD), die typischerweise durch spezielle
neuropathologische Merkmale nachweisbar ist. Dies sind eiweißhaltige
Ablagerungen (Proteinaggregate) im Gehirn, sogenannte Alzheimer-Plaques
aus Beta-Amyloid sowie Alzheimer-Fibrillen (Fasern) aus Tau-Protein. Diese
Ablagerungen bilden Angriffspunkte neuer Therapien, sei es mit Antikörpern
oder „small molecules“. Erste Antikörper sind bereits in USA auf dem Markt
und zugelassen. „Die Wirkstoffe sind wirksam, aber bisher hatten wir noch
nicht das Gefühl, dass sie echte ‚Gamechanger‘ im Bereich der
Alzheimertherapie sind. Der Nutzen war oft nicht so hoch wie erhofft und
die Nebenwirkungen mitunter beträchtlich“, erklärt Prof. Dr. Lars
Timmermann, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN).

Nun scheint sich das Blatt zu wenden. Gestern erschien eine Phase-III-
Studie zu Donanemab [3], die eine hohe Effizienz dieses Antikörpers
zeigte, der sich gegen Beta-Amyloid richtet. 1.736 Patientinnen und
Patienten im Alter von durchschnittlich 73 Jahren wurden randomisiert und
erhielten über einen Zeitraum von 72 Wochen verblindet alle vier Wochen
intravenös den Antikörper oder ein Placebo. Die Patientinnen und Patienten
waren im Frühstadium der Erkrankung, sie wiesen bei Einschluss in die
Studie nur leichte klinische Alzheimersymptome (milde kognitive
Einschränkungen) auf sowie bildgebend Beta-Amyloid-Ablagerungen und eine
Tau-Pathologie (unterteilt in Gruppen: mild/medium und hoch). Die Amyloid-
Pathologie wurde mittels 18F-Florbetapir13- oder 18F-
Florbetaben14-Positronenemissionstomographie (PET), die Tau-Pathologie
mittels 18F-Flortaucipir-PET erfasst.  Der primäre Endpunkt war der
Unterschied im Ergebnis auf der „integrated Alzheimer Disease Rating
Scale“ (iADRS), eine Skala, die sich besonders für die Erfassung der
Progression in frühen Demenzstadien eignet [4].

Im Ergebnis zeigte sich ein signifikanter Unterschied zwischen den
Gruppen: In der gesamten Studienpopulation hatte der Wert auf der iARDS in
der mit Donanemab behandelten Gruppe in Woche 76 um 10,2 abgenommen, in
der Placebogruppe um 13,1 (p < 0,001). Betrachtete man nur die
Patientinnen und Patienten mit geringer und mittlerer Tau-Pathologie, war
der Unterschied sogar noch etwas höher: Die Abnahme auf der Skala betrug
6,02 in der Verumgruppe und 9,27 unter Placebo. Somit konnte die
Progression der Erkrankung um 35,1% verlangsamt werden.

Auch verschiedene sekundäre Endpunkte bestätigten den Therapievorteil: Die
Amyloid-Plaques verringerten sich (87,0 Centiloide in der Donanemab-Gruppe
gegenüber 0,67 in der Placebogruppe). Betrachtete man nur die Patientinnen
und Patienten mit zum Studieneinschluss geringer und mittlerer Tau-
Pathologie, zeigte sich unter der Antikörper-Therapie ein deutlicher
Rückgang der Amyloid-Plaques, während diese in der Placebogruppe zunahmen.
Auf die Tau-Pathologie hatte die Therapie keinen Einfluss.

„Wir haben nun den Nachweis, dass die Amyloid-Plaques ein ‚driver‘ der
Erkrankung und damit ein klinisch effektives Therapietarget sind und nicht
nur ein ‚Begleitprodukt‘ der Alzheimer-Pathogenese. Die klinische
Befundung der Patientinnen und Patienten und die Biomarkerbefunde stimmen
überein“, erklärt Prof. Lars Timmermann. „Eine weitere wichtige Erkenntnis
ist, dass insbesondere Betroffene in frühen Erkrankungsstadien von der
Therapie profitieren.“ Wie der Experte weiter ausführt, mache das
deutlich, wie wichtig Biomarker für das frühe Erkennen der Erkrankung
seien. „Es ist nun wichtig, dass wir zeitnah einen Frühtest, vorzugsweise
einen einfachen Bluttest, auf Alzheimer bekommen.“ Erste Tests sind
bereits für die Anwendung in klinischen Studien zugelassen, ein Test wurde
von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität in Bochum
entwickelt: Er erkennt erste Fehlfaltungen den Beta-Amyloid bereits, bevor
es zu den krankheitsauslösenden Ablagerungen kommt und hat somit
prognostischen Wert, wie eine kleinere Studie zeigte [5]. Derzeit befindet
sich der Test in der Evaluierung anhand von größeren Kohorten. „Wenn wir
einen validen Frühtest haben, der sich auch für Massen-Screenings eignet,
und eine Therapie, die in den Frühstadien hocheffektiv ist, kann das die
Alzheimer-Therapie revolutionieren“, freut sich der DGN-Präsident.
Allerdings gibt er zu bedenken, dass auch andere Ursachen als Amyloid-
Ablagerungen zur Krankheitsprogression beitragen können. „Die Alzheimer-
Krankheit ist mit dieser Therapie noch nicht heilbar.“

Darüber hinaus gibt es auch noch Herausforderungen zu lösen: So ist die
Therapie nicht nebenwirkungsfrei. In der Behandlungsgruppe traten drei
Todesfälle auf, die im Zusammenhang mit der Therapie stehen (vs. einem
Todesfall in der Placebogruppe). Auffällig häufiger ließen sich bildgebend
kleine Hirnblutungen (sog. zerebrale Mikrohämorrhagien) nachweisen - mit
26,8 Prozent in der Verumgruppe und 12,5 Prozent in der Placebogruppe.

„Eine weitere Limitation im klinischen Alltag werden die hohen
Therapiekosten sein“, erklärt DGN-Generalsekretär Prof. Dr. Peter Berlit.
„Angesichts der hohen und aufgrund des demographischen Wandels noch weiter
ansteigenden Prävalenz stellt sich die Frage, wie und ob unser
Gesundheitssystem einen flächendeckenden Einsatz finanzieren kann und
will. Dazu brauchen wir einen gesamtgesellschaftlichen Diskurs auf
wissenschaftlicher Basis, den unsere Fachgesellschaft gern begleitet.“

Wie der Experte betont, dürfe die Aussicht auf eine erfolgreiche Therapie
auf keinen Fall das Bemühen um die Prävention behindern. Etwa 40 % aller
Demenzerkrankungen könnten vermieden oder ihr Fortschreiten verlangsamt
werden, wenn die entsprechenden Lebensstilfaktoren angegangen würden. Dazu
gehören vor allem eine ausgewogene, bevorzugt mediterrane Ernährung, die
Vermeidung von Übergewicht, die Gesunderhaltung der Darmflora, regelmäßige
geistige, körperliche und soziale Aktivität, Erhalt bzw. Korrektur des
Hörvermögens durch ein Hörgerät, ein erholsamer Schlaf, die Vermeidung von
übermäßigem Stress, ein Blutdruck im Normalbereich und der maßvolle Umgang
mit organ- und hirnschädigenden Substanzen wie Alkohol und Nikotin. „Die
DGN versucht gemeinsam mit der Deutschen Hirnstiftung, diese wichtige
Präventionsbotschaft in der Bevölkerung verankern. Am kommenden Samstag
ist ‚Brain Health Day‘ [6], und mit weltweiten Aktionen soll die
Gehirngesundheit stärker in den Mittelpunkt gerückt werden.“

Literatur
[1] Deuschl G, Maier W et al. S3-Leitlinie Demenzen. 2016. In: Deutsche
Gesellschaft für Neurologie, Hrsg. Leitlinien für Diagnostik und Therapie
in der Neurologie. Online: www.dgn.org/leitlinien (abgerufen am
18.07.2023)
[2] Hacke, Werner (Hrsg.) Neurologie. Springer-Verlag 2016. S. 648 ff.
[3] Sims JR, Zimmer JA, Evans CD, Lu M, Ardayfio P, Sparks J, Wessels AM,
Shcherbinin S, Wang H, Monkul Nery ES, Collins EC, Solomon P, Salloway S,
Apostolova LG, Hansson O, Ritchie C, Brooks DA, Mintun M, Skovronsky DM;
TRAILBLAZER-ALZ 2 Investigators. Donanemab in Early Symptomatic Alzheimer
Disease: The TRAILBLAZER-ALZ 2 Randomized Clinical Trial. JAMA. 2023 Jul
17. doi: 10.1001/jama.2023.13239. Epub ahead of print. PMID: 37459141.
[4] Wessels AM, Andersen SW, Dowsett SA, Siemers ER. The Integrated
Alzheimer's Disease Rating Scale (iADRS) Findings from the EXPEDITION3
Trial. J Prev Alzheimers Dis. 2018;5(2):134-136. doi:
10.14283/jpad.2018.10. PMID: 29616706.
[5] Stockmann J, Verberk IMW, Timmesfeld N, Denz R, Budde B, Lange-
Leifhelm J, Scheltens P, van der Flier WM, Nabers A, Teunissen CE, Gerwert
K. Amyloid-β misfolding as a plasma biomarker indicates risk for future
clinical Alzheimer's disease in individuals with subjective cognitive
decline. Alzheimers Res Ther. 2020 Dec 24;12(1):169. doi:
10.1186/s13195-020-00738-8. Erratum in: Alzheimers Res Ther. 2021 Jan
15;13(1):25. PMID: 33357241; PMCID: PMC7761044.
[6] https://hirnstiftung.org/2023/07/world-brain-day-2023-praevention-ist-
das-a-o-des-brain-health-konzepts/


Pressekontakt
Pressestelle der Deutschen Gesellschaft für Neurologie
c/o Dr. Bettina Albers, albersconcept, Jakobstraße 38, 99423 Weimar
Tel.: +49 (0)36 43 77 64 23
Pressesprecher: Prof. Dr. med. Peter Berlit
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Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN)
sieht sich als wissenschaftliche Fachgesellschaft in der
gesellschaftlichen Verantwortung, mit ihren über 11.500 Mitgliedern die
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Fort- und Weiterbildung in der Neurologie. Sie beteiligt sich an der
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