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Rheuma mit Nervenstimulation behandeln – braucht ein gezielt trainiertes Immunsystem weniger Medikamente?

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Klinische Untersuchungen zeigen, dass die Stimulation des Vagusnervs, also
die Reizung eines wichtigen Gehirnnervs, Rheumatoide Arthritis (RA)
lindern kann. Dies gilt insbesondere dann, wenn Menschen mit Rheuma auf
die üblichen Medikamente vermindert ansprechen. Welche Mechanismen dabei
wirken, ob sich diese gezielt aktivieren oder deaktivieren lassen und
welches Potenzial in der Neurostimulation für die Therapie entzündlich
rheumatischer Erkrankungen liegt – diese Fragen diskutieren Expert:innen
auf der hybriden Kongresspressekonferenz anlässlich des Deutschen
Rheumatologiekongress am Donnerstag, den 31. August 2023 online und vor
Ort in Leipzig.

Immunsystem und Nervensystem galten lange Zeit als voneinander unabhängige
Akteure im menschlichen Körper. Mittlerweile weiß man jedoch, dass es
zwischen diesen beiden wichtigen Systemen vielfältige und in beide
Richtungen wirksame Verflechtungen gibt. Die Zahl von Zellen und
Botenstoffen, die sich wechselseitig beeinflussen, ist bereits innerhalb
des Immunsystems enorm – ein komplexes Gefüge, von dem längst noch nicht
jedes Detail verstanden ist. „Vielleicht auch deshalb wurden zusätzliche
Einflussfaktoren lange Zeit nicht berücksichtigt“, sagt Professor Dr. med.
Christoph Baerwald, Kongresspräsident der DGRh und emeritierter Leiter der
Abteilung Rheumatologie am Universitätsklinikum Leipzig. Hinzu komme, dass
das Immunsystem so individuell sei wie die Menschen selbst, so dass
kontrollierte Studien mit standardisierten Bedingungen nur sehr schwer zu
realisieren seien. Ein wichtiger Schritt für die neuroimmunologische
Forschung war es daher, biochemische Mechanismen zu identifizieren, die
einen direkten neuronalen Einfluss auf das Immungeschehen überhaupt
plausibel erscheinen lassen. „Dies ist in den vergangenen zwanzig Jahren
immer besser gelungen“, sagt Baerwald, der das Thema auf der
Pressekonferenz vorstellen wird. Mittlerweile gebe es überzeugende
wissenschaftliche Daten dazu, wie eng besonders das so genannte autonome
Nervensystem (ANS) mit verschiedenen Immunzellen im Austausch steht.

Neuroimmunologische Stimulation kann entzündungshemmend wirken

In einer Vielzahl von Studien wurde mittlerweile nachgewiesen, dass
Immunzellen auf ihrer Oberfläche über Rezeptoren verfügen, die sie für die
Signale von neuronalen Botenstoffen empfänglich machen. „Es gibt zudem
etliche – auch klinische – Hinweise darauf, dass der Parasympathikus das
immunologische Gleichgewicht in Richtung einer Entzündungshemmung
verschiebt, und dass chronisch entzündliche Erkrankungen wie Rheuma mit
einer verringerten parasympathischen und einer verstärkten sympathischen
Aktivität einhergehen“, so Baerwald. Wie komplex diese Interaktionen sind,
wird bei einer genaueren Betrachtung der Sympathikus-Wirkung deutlich, die
neueren Untersuchungen zufolge in der Frühphase der Immunaktivierung
entzündungsfördernd wirkt, in der chronischen Phase jedoch auch
entzündungshemmend wirken kann.

Das Immunsystem trainieren – und auf Medikamente verzichten

Neben dem ANS steht auch das Gehirn in Kontakt mit dem Immunsystem, und
auch hier werden über bislang noch wenig charakterisierte Kanäle
Informationen ausgetauscht. „Darauf basiert ein weiteres faszinierendes
Konzept der Neuromodulation“, erklärt Baerwald und verweist auf Studien,
nach denen Immunfunktionen auch über Lern- und Konditionierungsvorgänge
steuerbar sind. In Tierversuchen und auch bei ersten Studien an gesunden
Proband:innen sei es gelungen, die Wirkung eines immunmodulierenden
Medikaments, das zunächst mit einem Geruchs- oder Geschmacksreiz gekoppelt
gegeben wurde, auch dann hervorzurufen, wenn nur der gekoppelte Reiz
zugegen war. Daraus könnte sich die Möglichkeit ergeben,
Medikamentendosierungen und damit Nebenwirkungen zu reduzieren.

In ersten klinischen Untersuchungen zeichnet sich ab, dass all diese
Ansätze – von der Konditionierung über eine medikamentöse Beeinflussung
von Sympathikus-Rezeptoren bis hin zur elektrischen Stimulation des zum
Parasympathikus zählenden Vagusnervs – auch bei menschlichen Proband:innen
funktionieren. „Bisherige Ergebnisse sind vielversprechend, das Potenzial
der Neuromodulation ist sicherlich hoch“, resümiert Baerwald. Es seien
jedoch noch weiterführende Forschungen notwendig, um sichere
Behandlungsregime auch für eine breite Anwendung in der Klinik zu
entwickeln. Bei der Kongresspressekonferenz anlässlich des Deutschen
Rheumatologiekongresses stellt er die Ergebnisse vor und diskutiert
mögliche Perspektiven.

Quelle:

O. Seifert; C. Baerwald: Stimulation des Nervus vagus als therapeutisches
Prinzip
Zeitschrift für Rheumatologie volume 82, pages462–471 (2023)

G. Pongratz; R. H. Straub: Rolle des sympathischen Nervensystems bei
chronischen Entzündungen
Zeitschrift für Rheumatologie volume 82, pages451–461 (2023)

M. Jakobs et al.: Konditionierung des Immunsystems – Schon klinisch
nutzbar?
Zeitschrift für Rheumatologie volume 82, pages472–478 (2023)

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