Herzbericht: Sterbefälle wegen Koronarer Herzkrankheit und Herzschwäche leicht rückläufig
Auswirkung der Covid-Pandemie auf Krankenhausaufnahmen sowie auf
herzmedizinische Diagnostik und Therapien: Deutsche Herzstiftung mahnt
Verfügbarkeit von stationärer Versorgung in Krisenzeiten an
Durchblutungsstörungen durch Herzkranzgefäßverengungen, die sogenannte
Koronare Herzkrankheit (KHK), sind nach wie vor die häufigste Todesursache
in Deutschland. Nach den Zahlen des aktuellen Deutschen Herzberichts 2022
starben im Jahr 2021 insgesamt 121.172 Menschen an den Folgen der KHK
(davon 45.181 am akuten Herzinfarkt). Die Sterberate lag damit bei 129,7
an KHK Gestorbenen pro 100.000 Einwohner (EW) (Herzinfarkt: 48,1 pro
100.000 EW). „Damit ist die KHK-Sterblichkeit gegenüber dem Vorjahr leicht
gesunken. Dieser Trend setzt sich, ähnlich wie bei der Herzinsuffizienz,
seit 2011 fort“, berichtet Prof. Dr. med. Thomas Voigtländer,
Vorstandsvorsitzender der Deutschen Herzstiftung, bei der Vorstellung des
neuen Herzberichts 2022. Dieser kann unter
<https://herzstiftung.de/herzb
Printexemplar angefordert werden.
Dieser Trend entsteht, vom Rückgang der Zahl der Raucher einmal abgesehen,
insbesondere durch „Verbesserungen der präventiven, rehabilitativen und
therapeutischen Maßnahmen“, erklären die Autoren im Herzbericht. Dazu
zählen u.a. interventionelle Verfahren wie die Stent-Therapie bei akutem
Herzinfarkt (Notfall-PCI), verbesserte Medikamente und Abläufe in der
Rettungskette und ebenso eine bessere Kenntnis der Risikofaktoren für KHK
und Herzinfarkt.
Trotz Besserung: Sterblichkeit durch KHK und Herzschwäche „weiterhin hoch“
„Auch bei der Sterblichkeitsrate der Herzinsuffizienz, deren Hauptursachen
die KHK und der Herzinfarkt sind, sind vor allem die lebensverlängernden
Effekte von Therapien bedeutsam für den kontinuierlichen Rückgang dieser
schwerwiegenden Herzerkrankung seit 2011“, erklärt Prof. Voigtländer. Bei
den medikamentösen Therapien sind hierbei insbesondere die Cholesterin-
Senkung und die Diabetesbehandlung zu nennen, bei den Schrittmacher-
Therapien die kardiale Resynchronisationstherapie (CRT) und implantierbare
Kardioverter/Defibrillatoren (ICD) zur Verhütung des plötzlichen Herztods.
Im Berichtsjahr 2021 starben dennoch 35.131 Menschen an Herzinsuffizienz
(2020: 34.855). 2011 lag die Zahl der Gestorbenen allerdings noch bei
45.428 bei einer Sterberate von 60,7 pro 100.000 EW. Dies konnte im Jahr
2021 auf 35,8 gesenkt werden. „Insgesamt ist die Sterblichkeit der beiden
Erkrankungen KHK und Herzschwäche leider weiterhin hoch“, gibt Voigtländer
zu bedenken. Schließlich stellten beide Herzkrankheiten die
Haupttodesursachen für den plötzlichen Herztod mit jährlich über 65.000
Todesfällen in Deutschland. „Angesichts des hohen Leistungsniveaus in der
Herzmedizin zeigt das, dass wir weitere Hebel in der Prävention aktivieren
müssen. Diese sollten bereits im Kindesalter ansetzen, zum Beispiel
institutionalisiert in Kita und Schulen oder in Form von frühen Screenings
für kardiovaskuläre Risikokrankheiten von Herzinfarkt und Schlaganfall“,
betont der Kardiologe Prof. Voigtländer, Ärztlicher Direktor des
Agaplesion Bethanien-Krankenhauses in Frankfurt am Main.
Sterblichkeit von Rhythmusstörungen und Klappenerkrankungen: Plateau
erreicht?
Im Unterschied zu KHK und Herzinsuffizienz steigt die Sterblichkeit durch
Herzrhythmusstörungen und Herzklappenerkrankungen seit 2011 tendenziell
an. Allerdings sieht der Herzstiftungs-Vorsitzende mit dem Beginn der
Covid-19-Pandemie „ein Plateau erreicht“. So stieg die Zahl der Todesfälle
durch Rhythmusstörungen nur noch relativ gering von 27.369 (2020) auf
28.219 im Jahr 2021 (Sterberate 2020: 28,1 pro 100.000 EW; 2021: 28,5). An
Herzklappenerkrankungen starben 19.872 Menschen im Jahr 2020 verglichen
mit 20.453 im Jahr 2021 (Sterberate 2020: 20,2; 2021: 20,5). Als mögliche
Gründe für das Erreichen dieses Plateaus führt der Herzspezialist
insbesondere verbesserte Therapien der Aortenklappenstenose an – sowohl
chirurgisch als auch mit Hilfe katheterbasierter Verfahren wie TAVI
(Transkatheter-Aortenklappenim
sei das mit Hilfe der Vorhofflimmer-Ablation (katheterbasiert/chirurgisch)
und Schrittmachertherapien erreicht worden. (Sowohl die
Aortenklappenstenose als auch Vorhofflimmern erhöhen bei Nicht-Behandlung
die Gefahr für Herzinsuffizienz und Komplikationen wie Schlaganfall im
Fall des Vorhofflimmerns.)
Allerdings könnte die Covid-19-Pandemie als neu hinzugekommene
Todesursache (seit 2020) einen Einfluss auf die Sterblichkeitsangaben für
das Jahr 2021 insgesamt haben, denn insbesondere ältere Personen starben
an Covid-19. „Alle Personen mit dieser Todesursache hätten, wären sie im
Jahr vorher verstorben, eine andere Todesursache gehabt – und viele dieser
Personen hätten vermutlich eine kardiovaskuläre Todesursache“, so die
Einordnung durch die Autoren im neuen Herzbericht.
Rückgang von Klinikeinweisungen: Kliniken wegen Covid-Pandemie gemieden?
Nahezu alle Herzkrankheiten weisen in den Krankenhausaufnahmen
(vollstationäre Hospitalisationsrate) im Jahr 2021 eine deutliche Abnahme
gegenüber 2019 auf. Bei der KHK sank die Zahl der Krankenhausaufnahmen um
14,6 %, bei Herzklappenkrankheiten um 8,5 %, bei Herzrhythmusstörungen um
10,4 %, bei Herzschwäche um 12,8 % und bei den angeborenen Fehlbildungen
um 9,0 %. „Ein Auslöser für diese Abnahme stationärer Krankenhausaufnahmen
dürfte die wegen der Pandemie häufiger gemiedene Hospitalisierung gewesen
sein“, erklärt Voigtländer. „Denn es stellt sich wie bereits im Jahr 2020
erneut die Frage, in welchem Maß Patienten aus Sorge vor einer SARS-
CoV-2-Infektion auf eine Klinikaufnahme verzichtet und dadurch eine
Verschlechterung ihrer Herzerkrankung riskiert haben.“
„Stark unter Druck“: Patientenversorgung in Zeiten von Pandemie und Krisen
Kritsch bewertet die Deutsche Herzstiftung, dass auch im Jahr 2021
Kliniken aufgrund der Pandemie ihre Aufnahmen zeitweise auf Notfälle
beschränken mussten, um Kapazitäten für Intensivpatienten freizuhalten. So
wurden auch 2021 sogenannte „elektive“, d. h. planbare operative
Eingriffe, weniger häufig durchgeführt (Daten des IQTIG*): Am markantesten
war das von 2018 zu 2021 der Fall bei chirurgischen Eingriffen wie dem
isolierten Aortenklappenersatz (-27,1 %) und der Bypassoperation (-26,2
%). Zu deutlich weniger Eingriffen gegenüber 2018 kam es auch bei
katheterbasierten (interventionellen) Eingriffen wie der
Koronarangiographie (-4,3 %), bei Kathetereingriffen wie PCI
(Herzgefäßaufdehnung durch Stent/Ballon) (-3,3 %) oder Schrittmacher-/ICD-
Eingriffe (-4,4 %/-11,6 %). „Zwar verfügt Deutschland über medizinische
Versorgungsstrukturen, die auch während der Pandemie funktionierten. Aber
das Herunterfahren von Diagnostik und Therapie in der Pandemie setzte die
Versorgung in Kliniken und Ambulanzen stark unter Druck – auch die
herzmedizinische“, betont der Herzstiftungs-Vorsitzende Prof. Voigtländer.
„Wie sich diese reduzierte Versorgung bundesweit auf die Sterblichkeit
durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen auswirken wird, bleibt abzuwarten und
bedarf wissenschaftlicher Analysen.“ Pandemie-Lockdowns und die
medizinische Versorgung einschränkende Maßnahmen dürften jedenfalls „nicht
dazu führen, dass Patienten mit Herzbeschwerden sich bei der
Inanspruchnahme medizinischer Versorgung in den Kliniken zurückhalten“, so
der Kardiologe. Denn auf das Gesundheitswesen kämen längst weitere
Herausforderungen bei der Versorgung von Herz-Kreislauf-Patienten hinzu:
eine Bevölkerung mit einem zunehmenden Anteil an über 65- und über
80-Jährigen, Extremwetterlagen mit Hitzewellen oder etwa der
Fachkräftemangel im Krankenhauswesen. „Es muss der Politik gelingen,
besonders den vulnerablen Gruppen wie Kindern und schwer herzkranken
Menschen auch in Krisenzeiten weiterhin Zugang zur stationären Behandlung
zu gewährleisten.“
Ländervergleich: Höhere Herzinfarktsterblichkeit in ostdeutschen
Bundesländern
Regionale Unterschiede in der Sterblichkeit und bei den
Krankenhausaufnahmen wegen Herzkrankheiten bestehen fort, wie der Deutsche
Herzbericht 2022 erneut dokumentiert. Die höchste Sterbeziffer
(altersstandardisiert) eines Bundeslandes kann bei Herzinsuffizienz, KHK
oder Herzrhythmusstörungen nahezu doppelt so hoch sein wie die niedrigste
Sterbeziffer eines anderen Landes. Ein Blick auf die Todesrate durch KHK
und akuten Herzinfarkt zeigt, dass östliche Bundesländer weiterhin die
höchste Sterblichkeit aufweisen. So hat Sachsen-Anhalt wie im Vorjahr auch
2021 die höchste Sterbeziffer mit 179 an KHK Gestorbenen pro 100.000 EW
(Herzinfarkt: 65 Gestorbene), gefolgt von Mecklenburg-Vorpommern mit 175
an KHK Gestorbenen (Herzinfarkt: 68 Gestorbene) und Sachsen mit 163 KHK-
Verstorbenen pro 100.000 EW (Herzinfarkt: 61 Gestorbene). In den
ostdeutschen Bundesländern einschließlich Berlin ist die
Infarktsterblichkeit im Vergleich zu den restlichen Bundesländern damit
höher. Am niedrigsten ist die KHK-Sterblichkeit in Hamburg (KHK: 98;
Herzinfarkt: 37 Gestorbene pro 100.000 EW), Schleswig-Holstein (KHK: 106;
Herzinfarkt: 29) und Baden-Württemberg (KHK: 118; Herzinfarkt: 48). Für
diese Unterschiede kommen nach Einschätzung der Herzberichts-Autoren
insbesondere ein Einfluss sozioökonomischer Faktoren als Erklärung in
Betracht sowie ein unterschiedliches Risikoprofil der Bevölkerung,
möglicherweise aufgrund des höheren Anteils an über 65-Jährigen, die ein
höheres Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen aufweisen.
Auffällig ist, dass auch 2021 die geringste Versorgungsdichte mit
zugelassenen Kardiologen (vertragsärztliche Versorgung) in den östlichen
Bundesländern Thüringen mit 34.572 EW pro Kardiologe, Mecklenburg-
Vorpommern mit 31.591 EW und Sachsen-Anhalt mit 26.781 EW pro Kardiologe
liegt. „Inwiefern dieses Versorgungsgefälle ein Indikator für Lücken in
der ambulanten kardiologischen Versorgung ist und dies mit Ursache für
eine höhere Morbidität und Sterblichkeit sein könnte, ist zwar spekulativ,
sollte aber aufgearbeitet werden“, erklärt Voigtländer. Die höchste
Kardiologen-Versorgungsdichte lag 2021 in Bremen mit 15.732 Einwohnern
(EW) pro Kardiologe, im Saarland mit 15.844 EW, in Hamburg mit 21.557 EW
und in Rheinland-Pfalz mit 22.318 EW pro Kardiologe.
Krankenhausaufnahmen: Wo leben die meisten KHK- und Herzinfarktpatienten?
Ganz anders sind die Unterschiede bei den Krankenhausaufnahmen
(vollstationäre altersstandardisierte Hospitalisationsrate): Sachsen weist
hier die niedrigsten Hospitalisationsraten bei KHK mit 410 und bei
Herzinfarkt mit 170 vollstationären Aufnahmen pro 100.000 EW auf, während
die höchste Rate für KHK in Berlin mit 752 und für Herzinfarkt in Bremen
mit 275 vollstationären Aufnahmen pro 100.00 EW festzustellen ist. Für
eine Interpretation dieser Unterschiede zwischen den Ländern müssten auch
soziodemografische und andere Einflussfaktoren wie Beschäftigungsquote,
Erwerbs- und Bildungsstand sowie Risikoprofil aufgrund von Raucheranteil,
Übergewicht/BMI und Begleiterkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes und
Fettstoffwechselstörungen einbezogen werden. Die Autoren des Herzberichts
geben zu bedenken, dass eine Berücksichtigung dieser Faktoren „mangels
valider Daten“ jedoch nicht möglich ist. „Solche Daten müssten von Seiten
der Sozial- und Gesundheitsministerien der Länder erhoben werden, um den
teils ausgeprägten regionalen Gefällen noch genauer auf den Grund gehen zu
können“, fordert der Herzstiftungs-Vorsitzende.
Aktiv in Sachsen-Anhalt und im Rems-Murr-Kreis: Was bewirken
Aufklärungsaktionen?
Als weiterhin unverzichtbaren Baustein in der Eindämmung der
Herzinfarktsterblichkeit auf Landes- und Kommunalebene unterstützt die
Herzstiftung Register zur medizinischen Versorgung im kardiovaskulären
Bereich. Zudem werden regelmäßig landesweite Aufklärungskampagnen mit
Aktionsbündnissen aus Behörden, Ärztenetzwerken, Krankenkassen und
Gesundheitsorganisationen gefördert. Themen, über die sie informieren,
sind die Vorsorge, Ursachen und Symptome von Herz-Kreislauf-Erkrankungen
sowie richtiges Notfallverhalten. Dieses Ziel verfolgt seit Jahren
beispielsweise die als „Herzwoche“ angelegte Aufklärungskampagne in
Sachsen-Anhalt mit Fokus auf die Prävention von Herzinfarkt und anderen
Herzkrankheiten. Mit Erfolg: Sachsen-Anhalt konnte seine Herzinfarkt-
Mortalität kontinuierlich senken: von 69,3 Herzinfarkt-Verstorbenen pro
100.000 EW (2018) auf 66,3 (2020) und zuletzt 64,9 (2021) Gestorbene pro
100.000 EW.
Die mit Unterstützung der Deutschen Herzstiftung gestartete Herzinfarkt-
Kampagne „Rems-Murr-Kreis gegen den Herzinfarkt“ hat über die Jahre rund
100 Vorträge und Wiederbelebungsschulungen durchgeführt. Mit dem Ergebnis
könnte das Aufklärungsprojekt, initiiert von engagierten Kardiologen der
Region und Partnern wie DRK, AOK und Rems-Murr-Kliniken, Vorbild für
andere Landkreise sein. Denn die Überlebenschancen von
Herzinfarktpatienten im Rems-Murr-Kreis erhöhte sich merklich. Und die
Zeit, bis sich Betroffene mit Herzinfarkt bei der Rettungsleitstelle
meldeten, verkürzte sich. Auch die Quote der Wiederbelebung durch
Ersthelfer vor Ort konnte deutlich gesteigert werden. „Solche Aktionen und
landesweite Kampagnen ermöglichen Aufklärung über den Herzinfarkt in einem
regionalen Bündnis aus Ärztinnen und Ärzten, Rettungsdiensten, Kliniken,
Krankenkassen und weiteren Partnern. Sie können Modellcharakter für
Projekte in vielen Landkreisen und Städten haben“, betont der Frankfurter
Kardiologe Voigtländer.
(wi)
*IQTIG (Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im
Gesundheitswesen): Institut im Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschusses
(G-BA)
Der Deutsche Herzbericht wird von der Deutschen Herzstiftung zusammen mit
den ärztlichen Fachgesellschaften, den Deutschen Gesellschaften für
Kardiologie (DGK), für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (DGTHG), für
Pädiatrische Kardiologie und Angeborene Herzfehler (DGPK) sowie für
Prävention und Rehabilitation von Herz-Kreislauf-Erkrankungen (DGPR)
alljährlich herausgegeben.
Der Deutsche Herzbericht 2022 ist kostenfrei (PDF, E-Paper, Printexemplar)
erhältlich unter: <https://herzstiftung.de/herzb
Herzinfarkt-Risikotest und HerzFit-App: Die Herzstiftung bietet unter
<https://herzstiftung.de/risik
an und informiert über ihre HerzFit-App unter <https://herzstiftung.de
/herzfit-app>
Infos für Patienten zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen bietet die Herzstiftung
kostenfrei unter <https://herzstiftung.de> an.