Mehr Lebensqualität bei chronischen Knieschmerzen
Schmerztherapien mittels direkter Nervenstimulation kommen in der
Neurochirurgie zum Einsatz. | Chronischer Knieschmerz wird mithilfe einer
dünnen Elektrode einfach ausgeschaltet. | Ein unkomplizierter Test
ermittelt die Erfolgsaussichten bei Patientinnen und Patienten.
In Deutschland bekommen jährlich rund 150.000 Patientinnen und Patienten
ein künstliches Kniegelenk. Häufig ist eine fortgeschrittene Arthrose oder
eine Knieverletzung der Grund für eine solche Operation. Doch trotz guter
Erfolge in der Chirurgie kann es passieren, dass die erhoffte
Schmerzlinderung ausbleibt. Am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus
Dresden kommt nun eine neuartige Therapie zum Einsatz, die chronische
Knieschmerzen mindert, wenn die erhoffte Linderung nach dem Eingriff
ausbleibt. In der Neurochirurgie des Uniklinikums werden Patientinnen und
Patienten mit einer dünnen Elektrode versorgt, die die Weiterleitung des
Schmerzes an das Gehirn ausschaltet. Ein Test gibt noch vor dem Eingriff
Aufschluss darüber, ob diese Methode erfolgreich ist. „Die periphere
Nervenstimulation hat sich als effektive Therapie bei Schmerzpatientinnen
und -patienten etabliert und sorgt für wesentlich mehr Lebensqualität bei
den Betroffenen“, sagt Prof. Ilker Eyüpoglu, Direktor der Klinik und
Poliklinik für Neurochirurgie. „Dass wir als Maximalversorger Vorreiter in
der Anwendung dieser neuartigen Methode sind, unterstreicht einmal mehr
die große Bandbreite unserer Therapiemöglichkeiten und Expertise“, sagt
Prof. Michael Albrecht, Medizinischer Vorstand am Uniklinikum.
Neben Verschleißerscheinungen im Alter, wie etwa Arthrose, können Unfälle
oder Sportverletzungen den Einsatz einer Knie-Endoprothese notwendig
machen, auch bei jüngeren Menschen. Doch nicht immer mindert dieser
Eingriff die Schmerzen. Für die Betroffenen beginnt meist eine Odyssee von
einem Behandlungsansatz zum nächsten. Die meisten unterziehen sich
weiteren Operationen am Kniegelenk, was aber selten zu einem
zufriedenstellenden Ergebnis führt. Sind alle operativen Möglichkeiten
ausgeschöpft, kommen oft starke Schmerzmedikamente zum Einsatz. Diese
können allerdings nicht gezielt am Knieschmerz eingesetzt werden, sondern
bereiten sich im ganzen Körper aus. Zudem wird im Schnitt nur bei einem
von fünf Betroffenen eine Verringerung der Schmerzen erreicht. Zusätzlich
überwiegen die oft heftigen Nebenwirkungen den eigentlichen Effekt.
Direkte Neurostimulation schaltet chronischen Knieschmerz aus
Hier bietet die sogenannte periphere Nervenstimulation (PNS) eine
Möglichkeit, den Schmerz direkt und einfach auszuschalten. Ein Vorreiter
der direkten Neurostimulation ist der Experte für periphere Nerven am
Uniklinikum Dresden, Oberarzt Dr. Daniel Martin. Er setzt die Methode bei
Fällen ein, wo Nervenschädigungen nach Verletzungen oder Operationen
aufgetreten und klar umschriebene Schmerzbereiche entstanden sind. Bei der
direkten Neurostimulation wird der betroffene Nerv kontinuierlich durch
elektrische Impulse stimuliert. Als besonders wirksam hat sich diese Art
der Neurostimulation bei Knieschmerzen erwiesen. Dafür wird in einer OP
eine dünne Elektrode direkt auf dem unter mikroskopischer Sicht
freigelegtem Nerv platziert.
Statt der Schmerzen spüren die Patientinnen und Patienten anschließend nur
noch ein minimales angenehmes Kribbeln. Die Stärke des Kribbelns können
die Betroffenen selbst regulieren. Der Großteil von ihnen berichtet von
einer Schmerzreduktion von über 50 Prozent, woraufhin die
Schmerzmedikation reduziert werden kann. In wenigen, einzelnen Fällen ist
sogar eine komplette Schmerzfreiheit möglich. Bei Gerald Jenert, der seit
2022 Patient in der Neurochirurgie des Uniklinikums ist, wurde die
Elektrode im Dezember 2023 implantiert. Dem ging ein langer Leidensweg
voraus. Schon seit 2010 leidet der heute 71-Jährige Dresdner unter starken
Knieschmerzen, war zunächst in ambulanter orthopädischer Behandlung. Dem
folgten mehrere Eingriffe wie Knorpelglättung, Arthroskopie,
Narkosemobilisation, 2016 schließlich ein Prothesenwechsel. Medikamente,
Physiotherapien, Reha, Schmerzarzt – all das begleitet Gerald Jenert seit
vielen Jahren ohne nennenswerte Besserung. Im vergangenen Jahr beginnt er
am Uniklinikum Dresden eine multimodale Schmerztherapie, Ende 2023 wird
die Elektrode für die periphere Nervenstimulation eingesetzt. Die
Handhabung sei einfach, der stechende Knieschmerz seitdem zu 80 Prozent
reduziert. Geblieben ist ein dumpfer Schmerz direkt im Knie. „Das Gehen
von längeren Strecken und allgemein eine größere Belastung sind wieder
möglich“, sagt Gerald Jenert. Obwohl sich an der eingeschränkten
Kniebeugung nichts geändert hat und Treppensteigen nach wie vor nicht im
Wechselschritt möglich ist, bringt die Reduktion des dauerhaften Schmerzes
viel Lebensqualität in den Alltag von Gerald Jenert zurück.
Einfacher Test ermittelt Erfolgsaussichten
Um eine unnötige Operation zu vermeiden, gibt es einen einfachen Test, um
die Erfolgsaussichten besser einschätzen zu können. Dabei betäubt Dr.
Daniel Martin den infrage kommenden Nerv mittels Lokalanästhetikum für
wenige Stunden. Hat diese sogenannte Nervenblockade funktioniert, sind die
Schmerzen unterdrückt – der „richtige“ Nerv ist gefunden und die
Weiterleitung der Knieschmerzen in das Gehirn wird ausgeschaltet. Genau
auf diesen Nerv wird die dünne Elektrode implantiert. Ein leichter
Stromimpuls kann nun wie ein „Störsignal“ die Knieschmerzen dauerhaft
unterbrechen. Ein weiterer Vorteil: Die Betroffenen entscheiden, wann die
Nervenstimulation startet. Grundsätzlich kommt diese Methode bei allen
chronischen Schmerzen nach Nervenverletzungen durch Unfälle oder
Operationen an Armen und Beinen in Frage.