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Mit Forschung psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen reduzieren: DZPG hat Risikofaktoren im Visier

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Bis zu 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland haben eine
psychische Störung. Aber nicht alle Kinder sind gleichermaßen gefährdet.
Am Deutschen Zentrum für Psychische Gesundheit (DZPG) wird in vielen
Projekten speziell für Gruppen geforscht, die von Risikofaktoren betroffen
sind. Ziel ist es, früher Diagnosen zu stellen und in Deutschland ein
breites Netz an Präventions- und Hilfsangeboten für jede Altersstufe zu
schaffen.

„Psychische Erkrankungen sind eines der relevanten Gesundheitsprobleme in
Deutschland. Mit Präventionsangeboten kann ein Teil der Kinder und
Jugendlichen geschützt werden. Dafür setzt das DZPG sich mit
translationaler Forschung ein“, betont Prof. Dr. Peter Falkai,
Klinikdirektor der Psychiatrie und Psychotherapie an der LMU Klinik und
Standortsprecher des DZPG in München.

Angststörungen, hyperkinetisches Syndrom, Lernstörungen, Depressionen,
Suchterkrankungen und Essstörungen: Der Katalog der psychischen Störungen,
die Kinder und Jugendliche treffen, ist gewichtig. Werden psychische
Probleme im Kindes- und Jugendalter nicht behandelt, wirken sie oft bis
ins Erwachsenenalter. „Bei Kindern und Jugendlichen ist schon jeder fünfte
von psychischen Störungen betroffen“, so Falkai. „Bei Erwachsenen wächst
der Anteil auf jeden vierten. Damit sind seelische Erkrankungen eine der
großen Herausforderungen im Medizinbereich.“

Risikofaktor Erwachsenwerden: Mit dem Alter steigt das Risiko für
psychische Erkrankungen

Mit steigendem Alter sind Heranwachsende Stress ausgesetzt durch
Schulabschluss, Ausbildung, die Gründung eigener sozialer Verbünde und das
Finden sozialer Rollen. Aber eine Gefährdung für seelische Erkrankungen
ergibt sich nicht allein aus dem Reifeprozess. Forschungen am DZPG haben
spezielle Risikofaktoren im Blick. Falkai erklärt: „Während der Corona-
Pandemie mit Kontaktbeschränkungen, Einsamkeit und mehr häuslicher Gewalt
sind die Zahlen psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen
deutlich angestiegen.“ Den Zuwachs belegt eine Untersuchung des BKK
Dachverbands im Auftrag der Stiftung Kindergesundheit. Aus ihr geht
hervor, dass in den Pandemiejahren 2020 und 2021 besonders die 15- bis
19-jährigen weiblichen Versicherten unter psychischen Symptomen gelitten
haben. Überdurchschnittlich häufig waren demnach Angst- und
Anpassungsstörungen zu beobachten.¹ Und die nächste Krise ist längst da:
„Wir beobachten auch einen Anstieg von Posttraumatischen
Belastungsstörungen und Depressionen bei externen Stressoren wie
kriegerischen Konflikten.“

Vor der Behandlung steht die Prävention

„Zahlreiche Forschungen innerhalb des DZPG zielen hier auf Prävention“, so
Prof. Falkai. „Schon vor dem Auftreten vieler psychischer Störungen
entwickeln Betroffene erste Symptome.“ In der Praxis sehen diese ersten
Anzeichen von außen oft unspezifisch aus: „Dazu gehören Schlafstörungen,
innere Unruhe und körperliche Beschwerden wie Bauch-, Kopf- und
Rückenschmerzen. Schließlich kann diese Entwicklung fließend übergehen in
Angststörungen. Auch eine Verschlechterung der Konzentration und damit der
schulischen Leistungen ist häufig zu beobachten.“ Auch hier registrieren
Fachleute wachsende Fallzahlen: Bei Schulkindern haben potenziell
psychosomatische Beschwerden wie Kopf-, Bauch- und Rückenschmerzen, aber
auch Einschlafprobleme und Niedergeschlagenheit über die Jahre stark
zugenommen. Das ist ein Ergebnis der Studie Health Behaviour in School-
aged Children (HBSC) der WHO.²

Psychische Erkrankungen bei jungen Menschen verhindern

Auf diese Vor-Phase zielen die Forschungen zur Primärprävention des DZPG:
Ziel ist, die Wahrscheinlichkeit dafür, dass Kinder und Jugendliche an
psychischen Störungen erkranken, zu verkleinern. Prof. Dr. Andreas Meyer-
Lindenberg, Direktor des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in
Mannheim und DZPG-Sprecher, erklärt: „Dazu gehört im ersten Schritt,
psychische Gesundheit überhaupt zu messen. Eine solche Messung wird am
Standort Bochum vom DZPG gerade mit dem Deutschen Gesundheitsbarometer
implementiert. Dafür wird regelmäßig eine repräsentative
Bevölkerungsstichprobe zu ihrem seelischen Befinden befragt. So kann man
Veränderungen – etwa während einer Wirtschaftskrise oder Pandemie – bei
der psychischen Gesundheit der Bevölkerung messen, um gegebenenfalls
Maßnahmen zu ergreifen, damit sie nicht kippt.“

Forschung für Kinder mit erhöhtem Risiko

Dabei ist das Risiko einer psychischen Erkrankung längst nicht bei allen
Kindern und Jugendlichen in Deutschland gleich hoch: „Wir kennen
Risikofaktoren, die psychische Krankheiten auslösen oder verschlechtern
können. Dazu gehört auch eine Frühgeburt“, so Falkai. Dieser Umstand wird
am DZPG-Standort Tübingen in den Fokus genommen. Dort werden die Familien
von Frühgeborenen im Rahmen eines Früherkennungsprogramms engmaschig
betreut, um mögliche Frühsymptome psychischer Erkrankungen zu erkennen und
den durch die Frühgeburt ausgelösten Stress in der Familie zu reduzieren.
Parallel wird eine große Zwillingskohorte nachverfolgt, um auch hier
Risiko- und Resilienzfaktoren zu verstehen, um Frühsymptome zu erkennen
und Interventionsmöglichkeiten anzubieten.

Aber auch im weiteren Verlauf ergeben sich Risiken. Prof. Dr. Dr. Andreas
Heinz, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie CCM an der
Charité – Universitätsmedizin Berlin und Sprecher des DZPG: „Ein Faktor
ist der sozioökonomische Status, vor allem in Hinblick auf
Zugangsbarrieren zu gesundheitlicher Versorgung, aber auch die Mental
Health Literacy: Wie viel weiß ich über seelische Gesundheit?“ Ein
besonderer Risikofaktor für psychische Störungen ist zudem das Aufwachsen
in städtischen Ballungsräumen und Arbeitslosigkeit eines oder beider
Elternteile. Auch ein Minderheitenstatus zählt zu den Risikofaktoren.
Deshalb startete ein Projekt des DZPG im Bochumer Stadtteil Wattenscheid.
Dort leben überdurchschnittlich viele Menschen in prekären Verhältnissen,
mit Migrationshintergrund oder von Arbeitslosigkeit betroffen. Das
Forschungs- und Behandlungszentrum für psychische Gesundheit (FBZ) der
Ruhr-Universität Bochum entwickelt ein neuartiges Präventionskonzept unter
dem Motto „Urban Mental Health“ (UMH). Es bringt erstmals Wissenschaft,
Politik und Praxis zusammen, um die psychische Gesundheit von Kindern und
Jugendlichen nachhaltig zu verbessern. Das Projekt zielt auf die seelische
Gesundheit von Lehrerinnen und Lehrern, die mit gesteigerter Resilienz und
einem Curriculum für die Schülerinnen und Schüler deren „Mental Health
Literacy“, das Wissen über seelische Gesundheit, steigern sollen. Bei
Erfolg könnte es zur Blaupause für ganz Deutschland werden.

Risikofaktor psychische Probleme der Eltern

An der FU Berlin haben die Forschenden Kinder von Eltern im Fokus, die
aufgrund ihrer eigenen psychischen Belastung Schwierigkeiten im Umgang mit
ihren Kindern erleben. Das kann beispielsweise bedeuten, dass ein oder
mehrere Elternteile eine psychische Erkrankung (z.B. Depressionen oder
Angststörungen) haben oder nur eingeschränkte soziale oder finanzielle
Ressourcen vorhanden sind. Die Forschung zeigt, dass solche Belastungen
mit einem erhöhten elterlichen Stresserleben einhergehen können, was
wiederum die Kommunikation und den Umgang mit den eigenen Kindern
erschweren kann. Hier wird gerade eine App als niederschwelliges Angebot
entwickelt, das Eltern dazu befähigt, ihre eigene psychische Gesundheit zu
stärken und ein positives Erziehungsverhalten zu fördern.

Frühere Diagnosen für einen leichteren Start ins Erwachsenenleben

Aber auch an der Sekundärprävention, der Verbesserung von Therapiechancen
durch frühe Erkennung von Erkrankungen, forscht das DZPG. Falkai: „Das
DZPG evaluiert gerade Zentren für Früherkennung und Erstbehandlung von
Psychischen Erkrankungen und will hier das Informationsangebot für die
Bevölkerung verbessern.“ Das Ziel: Kinder, Jugendliche und ihre Familien
sollen als Anlaufpunkte kompetente Früherkennungszentren zur Verfügung
haben, die auf psychische Störungen spezialisiert sind. „Nur Fachleute
können Symptome, die auf eine psychische Erkrankung hinweisen, von solchen
unterscheiden, die sich im Rahmen von normalen Reifungs- und
Entwicklungsprozessen zeigen.“

Über das DZPG

Seit Mai 2023 arbeiten im Deutschen Zentrum für Psychische Gesundheit
(DZPG) Expertinnen und Experten daran, durch gemeinsame Forschung die
psychische Gesundheit der Bevölkerung zu verbessern und psychische
Erkrankungen zu entstigmatisieren. An sechs Standorten in Deutschland
wirken hierfür Forscherinnen und Kliniker gemeinsam mit Expertinnen aus
Erfahrung, also Betroffenen und ihnen Nahestehenden, sowie internationalen
Wissenschaftlern zusammen. Unter www.dzpg.org finden Interessierte
Informationen zur Organisation, zu Forschungsprojekten und Zielen sowie
informative Texte und hilfreiche Links rund um das Thema psychische
Gesundheit.

Quellen

Kindergesundheitsbericht 2023 der Stiftung Kindergesundheit:
https://www.kindergesundheit.de/Die-
Stiftung/Kindergesundheitsberichte/Kindergesundheitsbericht_digital.pdf

Health Behaviour in School-aged Children (HBSC) study, WHO:
https://www.who.int/europe/initiatives/health-behaviour-in-school-aged-
children-(hbsc)-study/highlights

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