Ernährungspolitik neu denken: Bürger:innen fordern mehr Mitbestimmung und weniger Spaltung
Essen ist weit mehr als reine Nahrungsaufnahme: 84 Prozent der Deutschen
setzen sich bewusst mit ihrer Ernährung auseinander. Für die Mehrheit ist
Ernährung ein zentrales Thema, doch die öffentliche Debatte empfinden
viele als spaltend und bevormundend.
Laut der aktuellen Ernährungsstudie der Robert Bosch Stiftung und der Organisation More in Common wünschen sich die Bürger:innen eine Politik, die gesunde, regionale und bezahlbare Lebensmittel fördert – ohne Vorschriften oder Verbote. Gleichzeitig fordern sie mehr Mitsprache bei der Gestaltung des Ernährungssystems.
Für die Studie „Meine, deine, unsere? Was uns als Gesellschaft beim Thema
Ernährung wichtig ist” wurden im September und Oktober 2024 Menschen zu
ihren Gedanken und Wünschen rund um das Thema Ernährung befragt.
Zwischen Genuss, Gewissen und gesellschaftlichem Wandel
Die Mehrheit der Menschen in Deutschland (62 %) ist mit ihrer Ernährung
zufrieden. Geschmack (89 %), Preis (76 %) und gesundheitliche Aspekte (72
%) beeinflussen ihre Lebensmittelwahl am stärksten. Aber auch
gesellschaftliche Faktoren wie Regionalität und Tierwohl gewinnen an
Bedeutung. Viele Befragte geben an, sich eigentlich gesünder und
nachhaltiger ernähren zu wollen, sehen aber Alltagsstress, steigende
Preise und den „inneren Schweinehund“ als Hindernisse.
Gleichzeitig fühlen sich viele Menschen durch die öffentliche
Ernährungsdebatte unter Druck gesetzt: 70 Prozent empfinden sie als
polarisierend, 42 Prozent fühlen sich durch andere Ernährungsstile
angegriffen. Besonders deutlich wird dies an den Spannungen zwischen
Veganer:innen und Fleischesser:innen, die einander oft abwertend begegnen.
„Wir wollen dazu beitragen, den Diskurs rund um das Thema Ernährung zu
versachlichen“, sagt Dr. Tabea Lissner, Teamleiterin Klimawandel bei der
Robert Bosch Stiftung. „Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass viele
Menschen mitreden und mitgestalten wollen. Eine gesunde und nachhaltige
Ernährung ist eine gemeinsame Aufgabe – Politik, Wirtschaft und
Gesellschaft müssen die Rahmenbedingungen schaffen und die Menschen
einbeziehen.“
Politik soll Rahmen setzen – ohne zu bevormunden
Eine deutliche Mehrheit der Menschen in Deutschland sieht Handlungsbedarf
in der Ernährungspolitik: 62 Prozent der Befragten halten die aktuelle
Ernährungspolitik für wirkungslos. Fast zwei Drittel der Deutschen sehen
großen gesellschaftlichen Veränderungsbedarf in der Ernährungspolitik. Sie
wünschen sich klare politische Rahmenbedingungen – allerdings ohne Verbote
oder Bevormundung.
Gleichzeitig wollen drei Viertel der Befragten aktiv mitbestimmen – etwa
durch Volksentscheide. 55 Prozent möchten beratend, zum Beispiel in
Bürgerräten, an politischen Prozessen mitwirken.
„Ernährung ist ein hochpersönliches Thema für die Menschen“, sagt David
Melches, Autor der Studie und Research Associate bei More in Common.
„Daher ist es enorm wichtig, ergebnisoffen und auf Augenhöhe zu
kommunizieren. Es sollte allen interessierten Akteuren darum gehen, die
Bedürfnisse und Sorgen der Menschen zu verstehen – und nicht sie zu
belehren.“
Als politische Prioritäten sehen die Menschen den Umgang mit steigenden
Lebensmittelpreisen, Lebensmittelverschwendung sowie ungesunde Ernährung
und deren Folgen für Kinder und Jugendliche. Zudem werden das Aussterben
traditioneller Lebensmittelgeschäfte und die Massentierhaltung als
Herausforderung gesehen.