Tag der Organspende: Neue minimalinvasive Zelltherapie nutzt eine Hornhaut für viele Patient*innen
Noch immer warten Menschen in Deutschland bis zu einem Jahr auf eine
Hornhautspende, um wieder sehen zu können. Jetzt gibt es Hoffnung: Bietet
eine neue Zelltherapie aus Japan einen Ausweg aus dem Spendermangel?
Professor Dr. med. Claus Cursiefen, Generalsekretär der Deutschen
Ophthalmologischen Gesellschaft e.V. (DOG), ordnet die Innovation ein und
ruft anlässlich des Tags der Organspende auf, über die eigene
Spendenbereitschaft nachzudenken.
In Japan ist seit kurzem die erste allogene Zelltherapie für Erkrankungen
der Hornhaut auf dem Markt. Sie richtet sich an Patientinnen und Patienten
mit bullöser Keratopathie oder Fuchs-Hornhautdystrophie, bei denen die
innerste Zellschicht der Hornhaut zugrunde geht und das Sehvermögen
dramatisch abnimmt. Für die Therapie werden gesunde Endothelzellen aus
einer gespendeten Hornhaut entnommen und im Labor vermehrt. Das Besondere
daran: Dank eines speziellen Herstellungsverfahrens können aus einer
einzigen Spenderhornhaut genug Zellen für mehr als 100 Behandlungen
gewonnen werden.
Studien belegen langfristige Wirksamkeit
Nachdem die gewonnenen Zellen ins Auge injiziert worden sind, ersetzen sie
gezielt die geschädigte Endothelschicht. Innerhalb relativ kurzer Zeit
sorgen die transplantierten Zellen dafür, dass sich die trübe Hornhaut
wieder aufklart – die Sehkraft kehrt zurück. „Die Methode funktioniert
gut, wie erste Studien belegen“, sagt Cursiefen, der auch als Direktor des
Zentrums für Augenheilkunde an der Universität Köln tätig ist. „Das
Verfahren könnte das Spendermangel-Problem lösen – ein Meilenstein in der
regenerativen Augenheilkunde“, fügt der Hornhautexperte hinzu. Bisher
wurde die bullöse Keratopathie durch eine Hornhauttransplantation mit
einem Spendergewebe pro Patient oder Patientin behandelt.
Warum die Methode in Asien entstand
Der Mangel an Spenderhornhäuten, unter dem auch Japan leidet, hat die
Entwicklung der Zelltherapie dort vorangetrieben. Ein weiterer Grund, der
den Innovationsschub erklärt, liegt in den anatomischen Besonderheiten
asiatischer Augen – sie haben im Durchschnitt eine kleinere Vorderkammer
und eine steilere Hornhautkrümmung als europäische Augen. Das erschwert
die Durchführung der in Europa und in den USA etablierten minimalinvasiven
DMEK-Transplantation (Descemet Membrane Endothelial Keratoplasty). „Die
Zelltherapie ähnelt der DMEK, ist aber weniger abhängig von der Anatomie
des Auges, was sie für asiatische Augen besonders attraktiv macht“, sagt
Cursiefen. Auch die US-amerikanische Zulassungsbehörde FDA hat der
Zelltherapie bereits den Status einer „Breakthrough Therapy“ verliehen,
eine Art Schnellticket, das den Prozess für vielversprechende medizinische
Innovationen beschleunigt.
DMEK bleibt Goldstandard in Europa – vorerst
In Europa hingegen wird die Methode bislang noch mit Zurückhaltung
betrachtet. „Das Verfahren kann prinzipiell auch bei uns funktionieren“,
sagt Cursiefen. „Allerdings fehlt uns in Deutschland noch die klinische
Erfahrung damit.“ Darüber hinaus gilt hierzulande die DMEK als
Goldstandard. „Die DMEK ist in Deutschland etabliert, sicher und äußerst
erfolgreich, was die Ergebnisse angeht“, so Cursiefen. In Japan gibt es
nur wenige Augenchirurgen und -chirurginnen, die eine DMEK durchführen.
Deshalb übernehmen die Krankenkassen dort für ausgewiesene Zentren die
hohen Behandlungskosten der Zelltherapie.
Entwicklung mit großem Potenzial
Aber auch wenn die japanische Zelltherapie bislang nicht in Deutschland
angewendet wird, sieht die DOG in dem neuen Ansatz großes Potenzial. „Die
Methode ist hochgradig innovativ,“ resümiert der DOG-Generalsekretär. „Sie
wäre im Prinzip ein noch schonenderes Verfahren – eine Art DMEK light, bei
der kein Gewebestück, sondern nur noch Zellen transplantiert werden. Wir
beobachten die Entwicklung mit großem Interesse.“
Spendenbereitschaft überdenken
Unterdessen ruft der Augenexperte dazu auf, sich mit dem Bedarf an
Spenderhornhäuten in Deutschland auseinanderzusetzen. „Jeder und jede ist
aufgerufen, über eine Spende nachzudenken und die Entscheidung – wie auch
immer sie ausfällt – in das neue digitale Organspende-Register oder einen
klassischen Spenderausweis einzutragen“, betont Cursiefen. Jährlich werden
in Deutschland etwa 10.000 Hornhauttransplantationen durchgeführt.
Hornhautentnahme sieht man äußerlich nicht
Eine Hornhautspende ist ein unauffälliger Eingriff. „Die Gewebeentnahme
ist für den Laien optisch nicht erkenntlich“, betont Cursiefen. Sie ist
bis zu 72 Stunden nach dem Tod möglich, trotz hohem Alter und
Vorerkrankungen wie Grauer Star, Hornhautverkrümmung, Weit- oder
Kurzsichtigkeit. Ein Transplantat hält heute durchschnittlich zwanzig
Jahre.