Bessere Prognose fürs Diabetesrisiko – entscheidend sind Blutzucker, Alter, Geschlecht und Gewicht
Eine aktuelle Studie in JAMA Network Open zeigt: Das Risiko, in den
nächsten zehn Jahren an Diabetes zu erkranken, lässt sich mit wenigen
Routineparametern – Nüchternblutzucker, Alter, Geschlecht und Body-Mass-
Index (BMI) – zuverlässig vorhersagen. (1) Die Deutsche Diabetes
Gesellschaft (DDG) betont, dass Risikofaktoren stets im Zusammenspiel
betrachtet werden sollten. Die Ergebnisse stützen ihre Forderung nach
besserer Früherkennung und mehr Präventionsangeboten, um Risiken gezielt
zu steuern und deren Wirksamkeit zu prüfen.
Die Rochester Epidemiology Project-Studie untersuchte fast 45.000 US-
amerikanischen Erwachsene im Alter zwischen 18 und 65 Jahren. Innerhalb
von rund 7 Jahren erkrankten 8,6 Prozent von ihnen an Diabetes. Im Zehn-
Jahres-Verlauf lag das Risiko insgesamt bei 12,8 Prozent. Auffällig war:
Bereits Nüchternblutzuckerwerte im oberen Normalbereich (95–99 mg/dl,
entsprechend 5,3-5,5 mmol/l) erhöhten das Risiko, an Diabetes zu
erkranken. Kombinierte sich dieser Befund mit Übergewicht, verdoppelte
sich die Wahrscheinlichkeit für Diabetes. Stiegen die Werte noch weiter
an, vervierfachte sich das Risiko sogar. „Die Ergebnisse zeigen
eindrucksvoll, wie wichtig der Nüchternblutzucker für die
Risikoabschätzung ist“, sagt DDG Präsidentin Professorin Dr. Julia
Szendrödi aus Heidelberg. „Auch Werte im Bereich des Prädiabetes müssen
ernst genommen werden. Durch die Kombination mit Alter, Geschlecht und BMI
wird das individuelle Risiko noch klarer sichtbar – so können wir Menschen
gezielt identifizieren, die besonders gefährdet sind.“
Früherkennung erleichtert gezielte Prävention
Die Forschungsgruppe entwickelte eine Tabelle (Nomogramm – siehe unten die
Zusammenfassung), mit der sich das individuelle Risiko für die kommenden
zehn Jahre berechnen lässt. Damit haben Ärztinnen und Ärzte ein einfaches
Werkzeug, um in der Praxis Hochrisikopatientinnen und -patienten zu
erkennen – auch dann, wenn Nüchternblutzuckerwerte noch im Normalbereich
liegen. „Das eröffnet Chancen für eine wirksame Prävention“, betont DDG
Vizepräsident Dr. med. Tobias Wiesner. „Wir können betroffene Menschen
früher identifizieren und mit ihnen über Veränderungen im Lebensstil
sprechen – etwa zu Ernährung, Bewegung und Gewichtskontrolle“, so der
niedergelassene Diabetologe aus Leipzig.
Die beiden DDG Mediziner weisen jedoch darauf hin, dass die
Studienergebnisse Einschränkungen unterliegen. So wurde der
Nüchternblutzucker jeweils nur einmal bestimmt. Zudem basiert diese
retrospektive Analyse auf einer regionalen Kohorte in den USA, deren
Übertragbarkeit auf andere Bevölkerungen weiter überprüft werden muss.
Zusammenfassung des Nomogramms: Vier Risikokategorien im 10-Jahres-
Vergleich
• Referenzgruppe (niedrigstes Risiko, ca. 5 %): Frauen unter 30
Jahren, BMI 18,5–24,9 kg/m2 und Nüchternblutzucker 80–94 mg/dl (4,4-5,2
mmol/l)
• Leicht erhöhtes Risiko (ca. 12 %): Nüchternblutzucker 95–99 mg/dl
(5,3-5,5 mmol/l) oder BMI 25–29,9 kg/m2
• Mittleres Risiko (ca. 26 %): Kombination aus BMI 30–34,9 kg/m2 und
Nüchternblutzucker 100–104 mg/dl (5,6-5,8 mmol/l)
• Hohes Risiko (bis 56 %): BMI ≥40 kg/m2 und Nüchternblutzucker
120–125 mg/dl (6,7-6,9 mmol/l), besonders bei Männern ab 60 Jahren
Beratung und Prävention sind wichtig, um Diabetesrisiko zu reduzieren
Die Ergebnisse machen deutlich, dass die erstbetreuenden Hausarztpraxen
ein einfaches Instrument haben, um Risikopatientinnen und -patienten zu
testen und hinsichtlich des Diabetes zu identifizieren. Bei Bedarf stehen
die diabetologischen Schwerpunktpraxen im Therapieprozess – beispielsweise
mit Schulungen – zur Verfügung. Es zeigt auch, dass eine qualifizierte
diabetologische Beratung an Bedeutung gewinnt – gerade angesichts stetig
steigender Erkrankungszahlen. Je mehr in eine strukturierte Versorgung
investiert wird, desto besser lassen sich individuelle Risiken senken,
weil Aufklärung, Begleitung und konkrete Maßnahmen möglich werden. Doch
das alleine reicht nicht aus. „Wir brauchen auch politische
Rahmenbedingungen, die die gesunde Wahl zur einfachen Wahl machen“, gibt
DDG Geschäftsführerin Barbara Bitzer zu Bedenken. Dazu gehören eine
dauerhafte Mehrwertsteuerbefreiung für Obst und Gemüse, eine
Herstellerabgabe auf zuckergesüßte Getränke nach britischem Vorbild sowie
strengere Regeln für Werbung ungesunder Lebensmittel gegenüber Kindern.
Außerdem fordert die DDG eine verpflichtende und klare Nutri-Score-
Kennzeichnung, die Verankerung des gesundheitlichen Verbraucherschutzes im
Bundesministerium für Gesundheit (BMG) sowie den Ausbau der „Prävention
auf Rezept“ mit individualisierten Programmen für Hochrisikogruppen. (2)
Originalpublikation:
Literatur:
1 Aoife M. et al., Baseline Fasting Glucose Level, Age, Sex, and Body Mass
Index and the Development of Diabetes in US Adults, JAMA Network Open.
2025;8(1):e2456067. doi:10.1001/jamanetworkopen.20
2
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