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Royal Stockholm Philharmonic Orchestra

 

 

 

 

 

Die Teufelsgeigerin und der Dirigent

 

Samstag, 21. 3. 2015. Im Kultur Casino Bern wartet ein ausverkauftes Haus gespannt auf das dritte Saisonkonzert von Migros-Kulturprozent-Classics. Es beginnt mit Arthur Honeggers „Mouvement symphonique Nr. 2“, betitelt „Rugby“, ein kurzes Orchesterstück aus dem Jahr 1928, dynamisch, laut und expressiv, aber beim unbedarften Zuhören eher unzugänglich. Man spürt zwar die Spannung zwischen den Blechbläsern und den Streichinstrumenten, aber ohne Erläuterungen im Programmheft wäre man wohl nicht auf einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Musik und Sport aufmerksam geworden.

Solistin Violine  Patricia KopatchinskajaDann betritt die Solistin, die wohl das Publikum angezogen hat, die Bühne: die in Bern lebende Geigerin Patricia Kopatchinskaja. Barfuss steht sie auf den Brettern, als sie mit dem Royal Stockholm Philharmonic Orchestra unter der Leitung von Sakari Oramo Peter Tschaikowskis „Konzert für Violine und Orchester“ vorträgt. Das zurückhaltende, ja fast gedämpfte Orchester lässt der Solistin allen Raum, den sie benötigt, und Patricia Kopatchinskaja nutzt ihn zu einer brillanten, modernen Interpretation, stets mit einem Lächeln auf den Lippen. Natürlich ist es das „fingerbrechende Virtuosentum“, wie sie selber sagt, welches das Publikum begeistert. Ansteckend ist darüber hinaus aber die unbeschwerte Spielfreude. Vor dem inneren Auge sieht man die Violinistin über die russischen Steppenlandschaften reiten, hört sie jubilieren und innehalten –  ein echter Beitrag zur späten Romantik, den Peter Tschaikowski 1878 am Genfersee, wo er sich zur Erholung aufhielt, geschrieben hat.

Dirigent Sakari OramoIn der begeisternden Zugabe greift Sakari Oramo, selber ein begnadeter Violonist, zur Geige und duelliert sich mit seiner Solistin in einem fröhlichen musikalischen Zwiegespräch. Das Publikum ist entspannt, lacht, würde gerne mittun, wenn die Teufelsgeigerin zum Tanz aufspielt: Musik, wie man sie sich wünscht.

Nach der Pause interessiert, wie der finnische Dirigent mit seinem schwedischen Orchester die „Sinfonie Nr. 1“ seines Landsmanns Jean Sibelius interpretiert. Man hat in Bern einen gültigen Massstab, denn dieselbe Sinfonie wurde Ende Januar vom Berner Symphonieorchester unter der Leitung von Santtu-Matias Rouvali aufgeführt, der Dirigent ein wild fuchtelnder Irrwisch, das Orchester kompakt und präzise. Sakari Oramo selbst wirkt in seiner sonst ruhigen Art etwas heftiger, lockert die Zügel, so dass die Musiker wesentlich mehr Dynamik auf die Bühne bringen. Der Vergleich zwischen den beiden Interpretationen geht jedoch unentschieden aus.

Finnlands „Nationalkomponist“ schrieb die Sinfonie 1899, als seine Heimat noch zum Zarenreich gehörte. Daraus erwächst die Spannung zwischen Volksmelodiösem, nordischer Schwermut und Zitaten aus dem europäischen Musikschaffen. Aus diesem Erratischen, den hingeworfenen Blöcken, suche ich die Melancholie der finnischen Landschaft, die „Vier-Jahreszeiten“ von Turku, Sibelius’ Heimatstadt, die ich als Autor auf einer Lesreise im Herbst 2013 kennen lernen durfte, kurze Tage, lange Nächte, kalter Wind. „Ein schwieriges Stück“, sagt meine Begleiterin, und auch das Publikum applaudiert heftig, aber doch verhaltener als vor der Pause. Sakari Oramo schiebt, nachdem die Sinfonie mit leisen Tönen zu Ende geht, noch eine Romanze des schwedischen Komponisten Lars-Erik Larsson nach, die den Abend versöhnlich abrundet.

Text: Paul Ott:www.literatur.li 

Fotos: www.migros-kulturprozent.ch/

 

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