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Teodor Currentzis Dirigent

 

 

 

 

 

 

 

 

Vorabinformationen:

Schon im Foyer wurde gemunkelt und weitergereicht, dass die vorgesehene Solistin für dieses Konzert, die weissrussische Sopranistin Nadine Koutcher relativ heftig erkrankt und mit fast 40 Grad Fieber bettlägerig war und so natürlich nicht auftreten könne. Dies wurde mir  beim Pressetreffpunkt von der Hausfotografin des Lucerne Festival, Priska Ketterer, definitiv bestätigt, ebenso, dass deshalb das Programm kurzfristig umgestellt werden musste und jetzt ausschliesslich Werke von Jean - Phillipe Rameau (1683 – 1764) zur Aufführung gelangen würden. Das neue Programmblatt werde in Bälde von der Medienveranwortlichen Nina Steinhart nachgereicht. Dies alles brachte auch meine Konzertvorbereitungen etwas durcheinander, schnappe ich mir doch jeweils das Programm und setze mich  bis zur Saaltüröffnung (30 Minuten vor Konzertbeginn) irgendwo hin und studiere das  ausführliche Konzertprogramm (Angaben zu Komponisten und deren zur Aufführung gelangenden Werke, Biografien der Protagonisten usw.) sehr genau. In diesem Fall aber, war dies  Makulatur, ausser, dass ich mich etwas näher mit Rameau beschäftigen konnte, einem von mir bisher relativ wenig, bis gar nicht beachteten Komponisten, wie ich reuevoll gestehe, erwiesen sich doch  dessen Werke als wahre Trouvaillen, vor allem, wenn sie so präsentiert werden wie von diesem magischen (ja, kann man nicht anders formulieren) Ensemble aus dem eher unbekannten Perm im Uralvorland am Fluss Kama (ca. 1 150 km von Moskau entfernt) gelegen.

Konzertrezension:

Festivalintendant Michael Häfliger persönlich erklärte die Programmänderungen und wies darauf hin, dass man für solche Fälle, gut vorbereitet sei. In Absprache mit dem musikalisch Verantwortlichen (in diesem Falle also Theodor Currentzis) spreche man sich ab und definiere allenfalls den Programmablauf neu. Dieses Mal wurde der ganze erste Programmteil, also: Johann Sebastian Bach (1685-1750) BrandenburgischesKonzert Nr. 3 G-Dur BWV 1048  KantateMein Herz schwimmt im Blut BWV 199,  gestrichen und durch ein reines Rameaukonzert ersetzt.

Häfliger gab sich überzeugt, dass das Publikum trotzdem ein aussergewöhnliches Konzert erleben werde. Wie recht er doch hatte, zeigte sich gleich zu Beginn. Die Ensemblemitglieder der „Musica Aeterna“ betraten die Bühne bei völlig abgedunkeltem Konzertsaal. Im Schein von zwei kleinen Lampen, befestigt am Dirigentenpult, gaben eine Querflöte, eine Violine und eine Laute erste Töne in den Raum. Erst dann betrat der Dirigent und Gründer des 2004 entstandenen Orchesters, der gebürtige Grieche Theodor Currentzis (*1972) die Szenerie. Ein fast schemenhafter und geheimnisvoller Moment. Der Saal blieb weiterhin meist abgedunkelt. Das hinderte aber die Protagonisten nicht, mit ihren Interpretationen der barocken Kompositionen Rameaus Licht ins Dunkel zu bringen. Äusserst bemerkenswert auch, dass alle Violinisten und Bratschen das gesamte Programm stehend absolvierten, mit vollem Körpereinsatz, musikalisch ebenso brillant wie in der Körpersprache. Dazu ein „Derwisch“ am Pult, mal wild gestikulierend, dann wieder elegant tänzelnd, seine „Schützlinge“ anspornend. Es knisterte und alle Anwesenden waren sich sehr wohl bewusst, dass sich Aussergewöhnliches abspielte an diesem Abend. Ein Glanzpunkt nach dem andern, den die „Ewigen“, die aeterne, setzten. Das Publikum verblüfft und hingerissen ob diesem auditorischen Orkan der Gefühlswelten, der durch den Nouvelssal fegte. Passend auch, dass die Musiker sich zur Pause, wieder im Dunkeln, einzeln hinausschlichen, das aufgeregt aufgewühlte Publikum sie aber umgehend auf die Bühne zurückapplaudierte. Nicht enden wollende Applauswogen, einzelne Bravorufe führten beinahe zu einer stehenden Ovation. Auch der sonst so selbstsichere, überall gefeierte Currentzis schien gar etwas verwirrt. (Vor der Pause schon Zugaben?)

Ein fast vergessenes Instrument, die LauteAllmählich begriffen auch die Zuhörer, dass es jetzt eine Unterbrechung geben müsse. So entliess man die Musiker doch noch in die wohlverdiente Pause. Begeisterte Konzertbesucher diskutierten an- und aufgeregt in den Wandelhallen des KKL das bis anhin Gebotene und kehrten gespannt zurück in den Saal. Ebenso motiviert präsentierten sich auch die „Ewigen“ wieder. Mit einer kurzen Introduktion durch Querflöte, zwei Violinen und Laute, bevor wieder das ganze Ensemble Glanzlicht um Glanzlicht setzte und die fast schon stilistisch rokokomässigen musischen Konstrukte des Jean-Philippe Rameau perfekt umsetzten. Den Glanz des Sonnenkönigs, auch des Château und der Jardins von Versailles erahnen lassend. Abwechselnd übernahm die Kleinformation das Diktat, dazu setzte sich Curretzis völlig locker und entspannt auf den Boden der Bühne, um dann resolut wieder das Zepter zu übernehmen. Er erinnerte mich stark an den Amadeus von Milos Forman, wie er so hemmungslos herumzappelte, die Haare fliegen liess, maliziös und graziös in den Bewegungen, jede Faser des Körpers in völligem Einklang mit der Musik. Eine fast schon ekstatische, perverse (wohl deshalb so schöne) Vereinigung mit der Musik und sich selbst vor Publikum. Man kam aus dem Staunen nicht heraus. Fasziniert, ja akustisch hypnotisiert und perplex, wollte man nur noch, dass es nie enden würde.

Aber wie alles Schöne kann es nicht aeterne dauern aber die, vornehmlich sehr jungen Akteure des Ensembles, setzen auch das nahende Ende trefflich in Szene. Was dann folgte überraschte selbst gestandene Konzertgänger, wie meinen chilenischen Sitznachbarn, der nur noch ungläubig den Kopf schüttelte. Das Publikum raste und applaudierte mit einer stehenden Ovation heftigst, eine Zugabe fordernd. Currentzis schnallte sich eine Pauke um und bewegte sich damit durch die Reihen seines Orchesters, locker scherzend mit den Musikern, flirtend mit dem Publikum. Es kam wie es kommen musste, man gab sich nicht zufrieden und beorderte die Protagonisten klatschend auf die Bühne zurück. Nach weiteren zwei Zugaben nochmals Standing Ovations. Es war spürbar: auch die Musiker gehörten zu den Geniessern!

Schlussendlich nach langer Zeit verliess man dann den Ort des Geschehens und tauchte wieder ein in die reale, banale eigene Welt.

Nachtrag: Ich dachte immer, dass „Derwische“ eher aus der Türkei stammen, offensichtlich gibt es die aber auch anderswo. Ebenso dürfte Theodor Currentzis wohl im Moment der einzige Grieche sein, dem auch die Deutschen alternativlos (wie die Angie M. sagen würde) huldigen. Eine Hommage an einen nicht so bekannten Komponisten, fast geneigt zu schreiben, dass der krankheitsbedingte Ausfall von Nadine Koutcher sich als glückliche Fügung erwies.