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London Symphony OrchestraKonzertprogramm:

Edward Rushton
«I nearly went, there»
Uraufführung, Kompositionsauftrag Migros-Kulturprozent-Classics
Felix Mendelssohn Bartholdy
Konzert für Violine und Orchester e-Moll op. 64
Gustav Mahler
Sinfonie Nr. 5 cis-Moll

Interpreten:

London Symphony Orchestra

Daniel Harding (Leitung)
Janine Jansen (Violine)

Rezension:

Eine Fee mit Bodenhaftung und Stradivari

Das vierte Konzert von Migros-Kulturprozent-Classics in Bern brachte ein abwechslungsreiches Programm, das aber auch einen klaren Durchhaltewillen erforderte. Dies nicht nur wegen der musikalischen Komplexität, sondern auch wegen der beinahe unerträglichen Hitze im ausverkauften Kultur Casino Bern. Daniel Harding dirigierte das London Symphony Orchestra  auf der Reise durch 200 Jahre Musikgeschichte.

Daniel Harding, DirigentDas Konzert begann mit der Uraufführung von Edward Rushtons „I nearly went, there“, entstanden als Kompositionsauftrag von Migros-Kulturprozent-Classics. Das Stück referierte auf  Mahlers 5. Sinfonie, was erst nach der Pause wirklich bildhaft wurde. Der Ausgangspunkt für Rushton sei – dies das Programmheft – „die bekannte Anekdote, Mahler habe den überbordenden Schlagzeugpart der Sinfonie auf  Bitten seiner jungen Frau Alma zurückgestutzt“. Alma Mahler jedenfalls sass nicht im Berner Konzert, denn hier war gar nichts zurückgestutzt. Rushton beginnt mit massivem Einsatz musikalischer Gewalt, beschäftigt das ganze Orchester, fordert das Publikum. „Erfrischend“, nennt es mein fachkundiger Kollege.

Janine Jansen, Solistin ViolineDas Mittelstück des Konzerts bildet das „Konzert für Violine und Orchester, e-Moll op. 64“ von Felix Mendelssohn-Bartholdy, gespielt von Janine Jensen auf der Barrère, einer Stradivari aus dem Jahr 1727. Auch in der Klassik spielt ja die Optik eine immer grössere Rolle vor allem bei der Vermarktung junger Solist/innen. Dem begegnet man mit einer gewissen Zurückhaltung und der Angst vor einer braven, akademischen Interpretation. Nichts von alledem bei Janine Jensen. Ihr Spiel begeistert von den ersten Tönen an durch das facettenreiche und feinfühlige Beherrschen des Instruments. Immer mit beiden Beinen standfest auf dem Boden, entlockte sie ihrer Violine feenhafte Klänge, die im Dialog mit dem gut aufgelegten Orchester durch die Themen des Konzerts führten. Der begeisterte Applaus trug dem Publikum eine kurze Solozugabe von Janine Jansen ein.

Nach der Pause führte Daniel Harding das London Symphony Orchestra in eine 75minütige Langversion von Gustav Mahlers „Sinfonie Nr. 5 cis-Moll“, die dieser zwischen 1901 und 1903 komponierte. Wie erratische Blöcke stehen sich die fünf Sätze gegenüber, scheinbar zusammenhanglos. Der Chronist hingegen empfand diese Sinfonie als äusserst abwechslungsreich und stimulierend. Schwierig allerdings zu beurteilen, wie weit die Interpretation durch den Dirigenten ging. Der anfängliche Trauermarsch jedenfalls kam seltsam fragmentarisch daher, als ob man nicht gemessenen, sondern hüpfenden Schrittes unterwegs wäre. Das Adagietto im vierten Satz wiederum wurde derart behäbig intoniert, dass es beinahe den Herzschlag verlangsamte.

Zwischendrin hingegen begeisterte das knapp 20minütige Scherzo mit einer Fülle von Themen und Rhythmen, die auf volkstümliche Tänze zurückgreifen und mit ihnen spielen. Im fünften Satz, dem Rondo, befürchtet man eine Übertreibung wiederholter und vereinfachender Motive, insbesondere wenn mindestens drei Mal zum Finale angesetzt wird, bevor einen das Orchester mit Getöse in die Nacht verabschiedet. Andernorts wurde dies als übertriebene Lautstärke bemängelt, den Chronisten hat es euphorisiert und für die nächsten Stunden wach gehalten. Ein eindrückliches Klangerlebnis hallte noch lange nach.

Text: Paul Ott/Paul Lascaux:www.literatur.li

Fotos: http://www.migros-kulturprozent-classics.ch/de/Home

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