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Symphonieorchester und Chor des Bayerischen RundfunksBesetzung und Programm:

Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks   Mariss Jansons, Dirigent

Dmitri Schostakowitsch (1906–1975) Sinfonie Nr. 7 C-Dur op. 60 Leningrader

Am 22. Juni 1941 überfiel Hitler-Deutschland die Sowjetunion. Nur zehn Wochen später hatte die Wehrmacht die Millionen-Metropole Leningrad eingekreist, um sie für zweieinhalb Jahre zu belagern. Die Bevölkerung wurde während dieser unvorstellbar langen 872 Tage buchstäblich ausgehungert – mehr als 900.000 Menschen fielen der Blockade zum Opfer. In dieser Stadt, in dieser Situation komponierte Dmitri Schostakowitsch seine Siebte Sinfonie, die Leningrader Sinfonie. Sie spiegelt die katastrophalen Ereignisse und feiert am Ende doch den Triumph der Menschlichkeit über die Tyrannei. Besonders markant ist das Portrait der einmarschierenden Nazi-Truppen, das Schostakowitsch im Kopfsatz zeichnet, wenn er den Beginn von Lehárs Operettenschlager «Heut geh’ ich ins Maxim» zu einer militanten Version verzerrt und als Thema von elf immer schriller anmutenden Variationen verwendet. Mariss Jansons dirigiert zum Festival-Finale dieses erschütternde musikalische Monument: «Einen berufeneren Schostakowitsch-Interpreten wird man derzeit nicht finden», urteilte DIE ZEIT über seine Einspielung des Werks.

 

Die bewegte und bewegende Geschichte der Leningrader Sinfonie und Näheres zum Dirigenten

.Im Oktober 1941 wurde Schostakowitsch mit seiner Familie aus Leningrad ausgeflogen und konnte das Werk in Kuibyschew fertigstellen, wo es am 5. März 1942 vom dorthin ausgelagerten Orchester des Bolschoi-Theaters unter Leitung von Samuil Samossud uraufgeführt wurde. Die Moskauer Erstaufführung am 27. März fand ebenfalls unter lebensgefährlichen Umständen statt, doch selbst ein Luftalarm konnte angesichts der fesselnden Musik die Zuhörer nicht dazu bewegen, die Schutzräume aufzusuchen. Stalin war daran interessiert, die Sinfonie auch außerhalb der Sowjetunion bekannt zu machen. Am 22. Juni dirigierte sie Sir Henry Wood in London, und Arturo Toscanini leitete die erste Aufführung der Sinfonie in den Vereinigten Staaten, die am 19. Juli 1942 in New York mit dem NBC Symphony Orchestra stattfand. Schostakowitschs Wunsch nach einer Aufführung in Leningrad ging erst kurze Zeit später in Erfüllung: Ein Sonderflugzeug durchbrach die Luftblockade, um die Orchesterpartitur nach Leningrad zu fliegen. Die Leningrader Erstaufführung fand am 9. August 1942, während der Leningrader Blockade, mit dem Radioorchester Leningrad (Dirigent: Karl Eliasberg) statt und wurde von allen sowjetischen Rundfunksendern übertragen.

Ursprünglich hatte Schostakowitsch seine vier Sätze mit den Titeln „Krieg“, „Erinnerungen“, „Heimatliche Weiten“ und „Sieg“ versehen, dies aber wieder zurückgezogen – sie kamen den Wünschen der Stalin-Bürokratie nach einer heroischen Kriegssymphonie zu sehr entgegen. Geplant war, dass die Sinfonie nur aus einem Satz besteht, dann entschloss der Komponist sich zum klassischen Aufbau mit 4 Sätzen.

„Ich widme meine Siebente Sinfonie unserem Kampf gegen den Faschismus unserem unabwendbaren Sieg über den Feind, und Leningrad, meiner Heimatstadt …“Zitat Schostakowitsch vom 29. März 1942 in der Prawda.

Seit 2003 hat Mariss Jansons die Leitungsposition beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks inne; seinen dortigen Vertrag hat er mittlerweile bis zum Jahr 2021 verlängert. Er debütierte am Lucerne Festival am 20. April 1992 mit dem London Symphony Orchestra.

Rezension:

Der erste, 27 Minuten lange Satz – mit dem plötzlichen Einbruch des Marschthemas und ihren elf Variationen, erst leise mit Geigen und Bratschen vorgetragen, begleitet von einer kleinen Militärtrommel, danach variiert durch Flöte, Oboe und Fagott, sich steigernd durch immer mehr Instrumente und schließlich kulminierend in einem Orkan von Bläsern und Trommeln auf dem „prasselnden Hintergrund der Violinen, die mit dem Bogenschaft auf die Saiten geschlagen werden – eine instrumentale Technik, die das Bild tanzender Skelette suggeriert“  – dies lässt niemanden kalt!

Mariss Jansons, Dirigent

 

Etwas erstaunt war ich schon, dass ausschliesslich die „Leningrader Sinfonie“ programmiert war, also kein erster Programmteil so quasi zum „Aufwärmen“, denn  der direkte Einstieg in die „Leningrader“ ist schon relativ starker Tobak. Die Bayern liessen die Muskeln spielen, intonierten opulent, voluminös generös, trotzdem kompakt und streng hierarchisch, besonders kriegerisch  Oboen, Flöten und Klarinetten, versöhnlich der wunderbare Ton des Fagotts. Jansons führte diskret, jedoch bestimmt und gradlinig, liess den Registern Raum für individuelle Interpretationen innerhalb der gegebenen strukturellen Rahmenbedingungen der Partitur, wovon  vor allem die „Kleinbläser“ regen Gebrauch machten, aber nie überbordend ausufernd. Immer wenn das Gefühl aufkam, es münde nun ins Desaströse, fing der geborene Lette seine Mitmusiker auf und lenkte sie wieder in den Verbund zurück. Es war eine Demonstration der individuellen Klasse der einzelnen Orchestermitglieder im Dienste des Ganzen, was das sachkundige Publikum angespannt genoss. Mariss Jansons (1943*) interpretiert die „Leningrader“ transparenter und weniger düster als etwa sein deutlich jüngerer Landsmann  und Kollege Andris Nelsons (1978*). Obwohl das Konzert nur etwa 75 Minuten dauerte, wirkten die Protagonisten erschöpft, aber auch glücklich. Das Auditorium feierte die Musiker denn auch mit frenetischem Applaus, mündend in eine stehende Ovation, die von Orchester und Dirigenten sichtlich erfreut genossen, aber nicht mit einer Zugabe belohnt wurde. Ein würdiger Abschluss dieses, auch zuschauermässig, äusserst erfolgreichen Lucerne Festival an Ostern 2016.

Kleine Fotodiashow von Priska Ketterer Lucerne Festival

fotogalerien.wordpress.com/2016/03/21/sinfoniekonzert-2-symphonieorchester-des-bayerischen-rundfunks-mariss-jansons/

Trailer Dmitri Shostakovich: Symphony No.7  Arturo Toscanini Original Erstaufnahme vom 19. Juli 1942

www.youtube.com/watch?v=SG_KJI6sOwc

Text: www.leonardwuest.ch Fotos: www.lucernefestival.ch

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