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v.r.n.l.  Michael Fehr, Dominik Busch und Ariane Koch

Ein Theaterabend von Dominik Busch, Michael Fehr und Ariane Koch

In Zusammenarbeit mit dem Stück Labor Basel und der Zürcher Hochschule der Künste

Produktionsteam
Franz-Xaver Mayr Inszenierung
Johanna Zielinski Inszenierung
Dominik Busch Text
Michael Fehr Text
Ariane Koch Text
Anna Wohlgemuth Bühne
Susanne Ruhstorfer Kostüme
Erik Altorfer Dramaturgie
Besetzung: Judith Cuénod, Michael Fehr, Wiebke Kayser, Lilli Lorenz, Ingo Ospelt, David Michael Werner

Rezension:

Ein äusserst komplexer, spannender aber auch sehr fordernder Theaterabend, wie er wohl nur möglich und machbar ist in der Intimität der Spielstätte im UG. Ein monologisierender Michael Fehr spinnt in «Wie glücklich ich bin» die Geschichte des unauffälligen, grauen blinden Brüderpaares Frederic und Paul, die eine graue Maus adoptiert hatten, die sich aber im Nachhinein, als erwachsene junge Dame dagegen auflehnt, zwei Väter, aber keine Mutter zu haben, was absolut nicht der gängigen Norm entspreche. Die Brüder können sich mit dem „Abnabeln“ ihres Schützlings nicht abfinden und hetzen schlussendlich eine Horde aggressiver Hunde auf die Abtrünnige, was zu einer surrealen Verfolgungsjagd durch den Wald führt, die im Nirgendwo endet. Sich wiederholend übermittelt der Autor diese grau – düstere Parabel der Verlorenen, die gefangen in ihrer Welt, ihren vermeintlichen Besitzstand zu retten trachten, die Rechte und den Freiheitsdrang ihrer Schutzbefohlenen dabei über alle Massen beschränken, gar negieren, was zwangsläufig in einer Apokalypse enden muss, die Fehr denn auch detailversessen zwar grau, aber grellweiss ausgeleuchtet, schildert. Dies alles passiert inmitten der Requisiten, die für das nachfolgende Stück, «Die Beflissenen» von Dominik Busch benötigt werden und zwar etwa hälftig vor dem zweiten Stück und nach der darauffolgenden Pause, was zwangsläufig irritiert und etwas verwirrend ist. Nachdem Michael Fehr die Bühne verlassen hatte, versetzten sich die Schwingtüren an der Seite der Bühne der alten Schiesshalle im UG vom Luzerner Theater in stürmisches Pendeln, das Schauspiel Ensemble betritt den Raum, nimmt ihn furios für sich ein, schleudert Stakkato mässig Fragen über Fragen in die Runde, beantwortet sie teils selbst, lässt den Zuhörer aber meistens verstört ratlos sich selbst überlassen. Wie viele Firmen passen in einen Raum, sagen wir, so zwei mal drei mal drei Meter? Es kollabiert, um die Stummen zum Reden zu bringen. «Sag es!» Dann korrigieren und: «Nochmals von vorne sagen!» Bis sich die Rede verselbständigt und aus den Anstifterinnen Zuhörer werden, die, als wollten sie das Publikum verschaukeln, provokativ eine Pose des interessierten Mitverfolgens nach der anderen vorgaukeln. Doch es verwirrt sich immer mehr: wer steuert hier wen in diesem fünfköpfigen Ensemble? Legt das Wort wem in den Mund und fällt in wessen hinein? Wo endet das Dirigieren und beginnt der Dialog? Es erhält eine Eigendynamik, über die man leicht die Geschichte vergessen kann, die da eigentlich erzählt wird. Und dann kommen sie wieder mit ihren Fragen: alles Gold auf der Welt hat in einem Kubus 20mal20mal20 Platz, was wären die Masse des dafür vergossenen Blutes?

Hintergründiger Humor und Seitenhiebe auf Sterneköche und ihre Klientel und Entourage, verbal und mimisch hervorragend umgesetzt von den Schauspieler/innen, bot Buschs Satire «Die Beflissenen». Wiebke Kayser, einmal mehr in einer Glanzrolle, gab die Herrscherin über Hummermousse, Pastinaken, Wasabi Variationen, Zitronengassüppchen mit Jakobsmuscheln, orchestrierte und dirigierte die imaginäre Küchenbrigade. Ob Poissonier, Entremetier, Rotisseur oder Patissier, jedem wurde klargemacht, was wie wo zu passieren hatte, welche Raffinesse für welche Köstlichkeit vonnöten sei, wie und mit was man dieses oder jenes Gericht zu veredeln habe, damit ihr Auftraggeber zufrieden ist.  Dies alles, während ihr Mann, Chauffeur und Diener desselben Auftraggebers, auf absurd – abenteuerliche Weise bemüht war, die extravaganten, ausgefallenen Cigarrenwünsche seines Chefs zu befriedigen, dafür auch schon mal mit gefährlich überhöhtem Tempo über die Autobahnen brauste, um rechtzeitig im richtigen Cigarren – Spezialgeschäft anzukommen. Abgetaucht und gefangen in ihren jeweiligen Welten, waren sie aber nicht in der Lage ihren Babysitter dazu anzuhalten, etwas länger zum Kind zu schauen, da man etwas später nach Hause kommen werde. So werden eigentliche Banalitäten zum grossen Problem, komplexe berufliche Aufgaben werden dagegen mit vollem Engagement und Vehemenz gemeistert.

Da ja bekanntlich aller guten Dinge drei sein sollen, folgte nach der Pause noch «ALL YOU CAN EAT» von Ariane Koch. Ein gebündelt Feuerwerk an Wortkaskaden, sich jagende Pointen, Synchrondialogen, intellektuellen Fragespielen, Textfragmenten, hinausposaunten Lebensphilosophien, skurrilen Weltanschauungen. Die Dekadenz unserer unersättlichen Konsumgesellschaft, die auch nicht davor zurückschreckt, dem Kannibalismus zu verfallen und schlussendlich sich selber einzuverleiben, so wie die Revolution ihre eigenen Kinder frisst. Kannibalismus symbolisch für die heutige Heuschreckenmentalität des Neoliberalismus, der ohne jegliche Rücksicht über alles hinwegfegt. Dies alles in atemberaubenden Tempo, mit viel Spielwitz, hintergründiger Weisheit und Ironie von den Protagonisten verbal, mimisch und mit Gesten brillant umgesetzt, inklusive kurzer Chorgesangseinlage. Das Experiment mit Werken der drei Hausautoren ist sehr fordernd und sicherlich nicht mehrheitsfähig, d.h. kaum Theater für den Durchschnittstheatergänger, also ist das UG  die geeignete Spielstätte für weitere Inszenierungen ähnlicher Art. Fazit: Die drei Stücke waren ein starkes Stück, vielschichtig, unter die Haut gehend, den Intellekt erfrischend kitzelnd. Ein Abtauchen in die Unterwelt (sprich ins UG, Untergeschoss, des Luzerner Theaters) ist unbedingt zu empfehlen.

Essen Zahlen Sterben | Luzerner Theater (Official Trailer)

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Kleine Fotodiashow der Produktion von Ingo Höhn, Luzerner Theater:fotogalerien.wordpress.com/2016/04/10/luzerner-theater-spielstaette-ug-essen-zahlen-sterben-ein-theaterabend-von-dominik-busch-michael-fehr-und-ariane-koch/

Text: leonardwuest.ch

Fotos: www.luzernertheater.ch Ingo Höhn und kulturteil.ch

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