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Mariinsky OrchestraBesetzung und Programm:

Valery Gergiev (Leitung)
Leonidas Kavakos (Violine)

Dieter Ammann
„Turn“ (2010)
Dmitri Schostakowitsch
Konzert für Violine und Orchester Nr. 1 a-Moll op. 77
Modest Mussorgski
„Bilder einer Ausstellung“

 

Rezension: Ein Maestro im Bein-Korsett

Das zweite Konzert von Migros-Kulturprozent-Classics in Bern bot mit dem Mariinsky Orchestra aus St. Petersburg nicht nur ein anderes Programm als dasjenige in Luzern, sondern begann mit Verspätung und der Ankündigung, dass der Maestro Valery Gergiev den Meniskus verletzt habe, aber das Konzert dennoch durchziehe. Ob als Dirigent auf einem nicht sehr stabil wirkenden Stuhl oder nach der Pause stehend, das linke Bein in einer Manschette: Das Publikum rechnete ihm seinen Durchhaltewillen hoch an!

Valery Gergiev (Leitung)Den Anfang machte Dieter Ammanns „Turn“ (2010), der Dreh- und Angelpunkt eines musikalischen Triptychons, über das der von der Aufführung sichtlich begeisterte Komponist im Programmheft sagt: „Ich habe ein formales Konzept entwickelt, das eine bewusste Überfrachtung des Orchestersatzes exponiert, um so eine musikalische Aura zu schaffen, die in der Folge dann einer grundlegenden Veränderung unterzogen bzw. völlig gebrochen wird.“ So gut das Orchester das Stück umsetzt, es bleibt ein Fremdkörper im Programm dieses Abends.

Es folgte Dmitri Schostakowitschs „Konzert für Violine und Orchester Nr. 1 a-Moll op. 77“ aus dem Jahr 1947/48, das jedoch erst nach Stalins Tod 1955 zum ersten Mal aufgeführt werden konnte. Über die kulturpolitische Bedeutung des Werkes in der Sowjetunion ist hinlänglich berichtet worden. In der heutigen Aufführung wirkt das Geigenspiel frisch, leicht und luftig, während man sich – vor allem im dritten Satz – fragt, wozu es da ein Orchester braucht oder ob es den Klang der Violine, die auch die zartesten Töne mit höchster Präzision betont, nicht eher behindert. Es mag an der Anlage des Konzerts liegen oder an der Interpretation des Orchesters. Egal. Denn Leonidas Kavakos gibt mit seinem unglaublichen Spiel Grund zur Begeisterung. Er ist kein Zeremonienmeister (wie etwa die Kopatchinskaja), sondern ein Liebhaber der Geige, was er auch in einer fein gespielten Zugabe mit Zitaten aus der Barockzeit zeigt, die wir jedoch nicht zuordnen konnten.

Leonidas Kavakos (Violine)Nach der Pause zeigt sich das Mariinsky Orchestra auf dem Höhepunkt seines Könnens, und es ist ein besonderer Genuss, von einem russischen Orchester Modest Mussorgskis „Bilder einer Ausstellung“ (1874)  zu hören, zwar ein oft gespielter Klassiker im Konzertbetrieb, aber selten mit so viel Leidenschaft aufgeführt. Dankenswerterweise sind die Titel der Bilder im Programmheft aufgelistet, so erkennt man den Gnom, den Ochsenkarren, das Heldentor an der bombastischen Wiedergabe, den Marktplatz von Limoges und die Tuilerien in ihrer luftigen Lebendigkeit und die allseits bekannte Promenade als Begleiter durch die Ausstellung. Man würde sich wünschen, zu den Klängen der Musik vor den Bildern von Viktor Hartmann zu stehen, die Mussorgski als Anregung dienten, zum Beispiel das reizend betitelte „Ballett der unausgeschlüpften Küken“. Die „Bilder“ wurden übrigens in der Orchesterfassung von Maurice Ravel präsentiert.

Es gab dann mit Claude Debussys „Prélude à l’Après-Midi d’un Faune“ (1894) noch eine grosszügige Zugabe, die zeigte, dass die russische und französische Kultur über lange Zeit eine große Affinität hatten, die heute noch auf der Bühne ihren Platz findet.

Ein toller Konzertabend!

Text: Paul Ott www.literatur.li

Konzert organisiert von: http://www.migros-kulturprozent-classics.ch/de/Home

Fotos: Homepage von Migros-Kulturprozent

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