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Wie veränderten sich in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland das
Selbstverständnis von Vätern und Großvätern sowie ihre Rolle in der
Kindererziehung – und warum? Diese Fragen stehen im Mittelpunkt des von
der Gerda Henkel Stiftung geförderten Forschungsprojekts „Zeit mit
(Groß-)Vätern“, das am Historischen Seminar der Universität Heidelberg
angesiedelt ist. Es untersucht den Zeitraum von 1960 bis 1990, der durch
wirtschaftliche Krisen und neue gesellschaftliche Bewegungen geprägt war.
Ein parallel dazu eingerichteter Blog hat das Ziel, den thematischen
Schwerpunkt des Projekts um interdisziplinäre Perspektiven und verwandte
Forschungsthemen zu ergänzen.

Traditionelle Lebensformen wie die Kleinfamilie und die damit verbundene
Rollenverteilung Ernährer-Hausfrau oder Ernährer-Zuverdienerin wurden in
Westdeutschland von den 1960er Jahren an besonders in der Frauenbewegung
kritisch hinterfragt. In diesem Zusammenhang entwickelte sich das Ideal
des „Neuen Vaters“, der sich in die Kinderbetreuung einbringt. Auch die
Einschränkung väterlicher Erwerbstätigkeit zugunsten von Familienzeit
wurde erstmals gesellschaftlich diskutiert. „Wir richten den Blick sowohl
auf die Normen und Formen von Männlichkeit in dieser Zeit als auch auf die
elterlichen Beziehungen von Männern zu ihren Kindern und Enkeln“, betont
Projektleiterin Prof. Dr. Katja Patzel-Mattern vom Historischen Seminar.

„Prüfen möchten wir die These, ob der Abbau wohlfahrtsstaatlicher
Leistungen in den 1970er und 1980er Jahren zu einer Aufwertung familialer
Solidarität führte, die im Zuge einer soziokulturellen Neubestimmung von
Männlichkeit veränderte Formen der Großeltern-Enkel- und der Vater-Kind-
Beziehung zur Folge hatte“, ergänzt Dr. Gina Fuhrich, die als
Postdoktorandin an dem Forschungsprojekt beteiligt ist. Anhand von
Zeitzeugeninterviews, Elterntagebüchern und zeitgenössischen
sozialwissenschaftlichen Studien sollen Rollenbilder, Praktiken sowie der
zeitliche Umfang männlicher Elternschaft und Großelternschaft untersucht
werden. Damit wollen Dr. Fuhrich und Doktorandin Hannah Schultes die
Veränderungen im Selbstverständnis und im Alltagshandeln von Vätern sowie
Großvätern in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nachvollziehen.

Der zum Forschungsprojekt eingerichtete Blog wendet sich insbesondere auch
an eine interessierte Öffentlichkeit. Vertreterinnen und Vertreter
unterschiedlicher Fachrichtungen werden sich in kurzen Beiträgen mit
Themen wie Reproduktion, Kinderbetreuung oder dem Einfluss von
Wissenschaft, Geschlecht, Staat und Arbeitsmarkt auf Elternschaft
befassen. Darüber hinaus ist im September eine digitale Vortragsreihe zum
Wandel von Elternschaft geplant. Das Projekt „Zeit mit (Groß-)Vätern“, das
von der Gerda Henkel Stiftung über einen Zeitraum von drei Jahren mit
knapp 145.000 Euro gefördert wird, verfolgt damit auch das Ziel, geistes-
und sozialwissenschaftliche Erkenntnisse zu Elternschaft öffentlich
zugänglich zu machen und zugleich dazu ermutigen, die Expertendiskurse
kritisch zu hinterfragen.