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Mahler Chamber Orchestra
Mahler Chamber Orchestra
 

Mahler Chamber Orchestra Konzertbild von Priska Ketterer

Besetzung und Programm:
Mahler Chamber Orchestra
Daniel Harding Dirigent
Daniil Trifonov Klavier
Robert Schumann (1810–1856) Ouvertüre zum Dramatischen Gedicht Manfred op. 115
Robert Schumann (1810–1856) Klavierkonzert a-Moll op. 54
Johannes Brahms (1833–1897) Sinfonie Nr. 3 F-Dur op. 90

Auftakt ins Konzert mit Manfred op. 115, Ouvertüre von Robert Schumann zu Lord Byrons gleichnamigem Schauspiel. Etwas „ganz Neues und Unerhörtes“ werde das Publikum geboten bekommen, schrieb Robert Schumann Ende 1851 an Franz Liszt und bezog sich auf die Uraufführung seines „Dramatischen Gedichts“ Manfred.

Schumanns «Manfred» op. 115, Ouvertüre zu Lord Byrons gleichnamigen Schauspiel

Mahler Chamber Orchestra Konzertbild von Priska Ketterer
Mahler Chamber Orchestra Konzertbild von Priska Ketterer

Nach dem wuchtigen Auftakt, den filigranen Klängen der Holzbläser, ergänzt von den behutsamen Streichern, führte der Maestro im Kammermusik Stil durch die Partitur, lässt den ausgezeichneten Solostimmen ausreichend Raum zu deren Entfaltung, führt diese immer wieder sensibel, gar zärtlich, ins Ganze zurück. Die  fühlen sich sichtlich wohl und geniessen scheinbar genauso wie die Zuhörer. Aus einem Guss, in der gleichen musikalischen Sprache, als hätten sie schon immer zusammen musiziert, zelebrierten Orchester und Leiter diesen „Manfred“, sehr gefühlsbetont, aber nie larmoyant, energisch, aber keinesfalls wuchtig, sondern ausgewogen, mit fein herausgearbeiteten Nuancen, immer spannend und teilweise gar überraschend.

Robert Schumann  Konzert für Klavier und Orchester a-Moll op. 54

Solist am Piano Daniil Olegowitsch Trifonow am Bösendorfer Flügel Foto Priska Ketterer
Solist am Piano Daniil Olegowitsch Trifonow am Bösendorfer Flügel Foto Priska Ketterer

Der Bösendorfer Konzertflügel wird ins Zentrum geschoben und hergerichtet für den heutigen Solisten, den vielfach preisgekrönten, 1991  geborenen russischen Tastenzauberer Daniil Olegowitsch Trifonov, der, mit seiner etwas strähnigen, ausgedünnten Haarpracht an den jungen Rasputin erinnert. Er setzt sich hin, tauscht ein paar Blicke mit Dirigent und Konzertmeister und baut dann seine Konzentration und Spannung auf und schon gehts los.Da scheint sich, beim Intro, auch Consuelo Velázquez die Komponistin von «Besame mucho» bedient zu haben. Dann, ganz zu Beginn unvermittelt eine Kaskade von Akkorden, die nur hier in dieser Form erscheint, es folgt eine unvergessliche Melodie, die gleich vorherrschend wird und aus der sich fast alles Folgende entwickeln wird: Der Beginn von Schumanns einzigem Klavierkonzert ist spektakulär. Darf man vielleicht die feurigen Akkorde zu Anfang dem lebhaften Florestan in Schumann zuordnen, das beherrschende Hauptthema aber Clara? Oder kann man den langsamen Teil (andante espressivo) des Kopfsatzes als Liebesduett deuten? Wird der unstete Florestan endlich von der sanften Clara sozusagen gezähmt? Vielleicht, vielleicht auch nicht, reizvoll sind solche Spekulationen allemal. Die Entstehung dieses erzromantischen Konzerts ist jedenfalls einigermaßen unromantisch verlaufen, es wurde keineswegs in einer einzigen kurzen, intensiven und inspirierten Arbeitsphase geschaffen. Begonnen wurde es 1841 etwa ein halbes Jahr nach der Hochzeit der Schumanns und zwar als einsätzige Fantasie mit jenem eigenen langsamen Mittelteil, dem “Liebesduett”, und einem eigenen Finale. In dieser Form konnte das Stück weder aufgeführt noch verlegt werden, der Markt verlangte unerbittlich dreisätzige Konzerte. 1845 fügte Schumann nahtlos zwei weitere Sätze an: das traumhaft schöne Intermezzo und das ohne Pause folgende optimistische, vorwärtsdrängende Finale (allegro vivace). Insgesamt war das Werk jetzt etwa doppelt so lang geworden. Die Uraufführung war im Dezember 1845 in Leipzig, natürlich mit Clara am Flügel.

Keine Komposition für eitle Egomanen

Mahler Chamber Orchestra Konzertbild von Priska Ketterer
Mahler Chamber Orchestra Konzertbild von Priska Ketterer

Das Konzert ist von Schumann sehr bewusst nicht für mehr oder weniger eitle Virtuosen geschrieben worden und Franz Liszt z.B. hat es anfangs deswegen auch nicht spielen wollen. Vielleicht noch mehr als Beethovens Violinkonzert, dem es in diesem Punkte ähnelt, setzt dieses Klavierkonzert auf den Dialog zwischen dem Solisten und dem Orchester. Beide Seiten müssen sehr aufmerksam und flexibel sein. Zeitweise vertauschen sich die Rollen, wenn das Klavier das Orchester begleitet. Anderswo wird es richtiggehend kammermusikalisch, wenn das Klavier mit einzelnen Instrumenten aus dem Orchester Zwiegespräche hält. Die Zeitgenossen nahmen sehr wohl wahr, dass Schumann neue Wege ging, auch wenn sein Konzert wiederum in einer Tradition steht und er Anregungen von Beethoven (3.Klavierkonzert), Mendelssohn, Schubert und Bach bezog.

Mahler Chamber Orchestra Konzertbild von Priska Ketterer
Mahler Chamber Orchestra Konzertbild von Priska Ketterer

Auch im Zusammenhang mit diesem Konzert sind Schumann Schwächen bei der Orchestrierung vorgeworfen worden. Ganz unberechtigt sind sie nicht, viel Erfahrung hatte er nicht, als er mit der ursprünglichen Fantasie begann. Vielleicht macht es sogar den besonderen Charme dieses Meisterwerks aus, dass es eben nicht ganz perfekt ist, sondern ein wenig grün und jugendlich geblieben ist. Und im Ganzen jugendlich frisch sollte es meiner Meinung nach gespielt werden und eben nicht schmalzig-schmachtend bis hin zur völligen Gedankenverlorenheit und Lethargie. Bruno Walter (“Von der Musik und vom Musizieren”) hat z.B. auf eine unselige Aufführungstradition hingewiesen, die bis zum heutigen Tage nicht ausgerottet ist: Nach den fallenden Akkorden ganz zu Anfang wird das Tempo für das “Clara-Thema” gewöhnlich sofort gedrosselt, obwohl das in der Partitur überhaupt nicht so notiert ist. Erst sehr viel später wird das Thema langsamer verlangt, ein Kontrast geht also dann entweder verloren oder es muss wiederum noch langsamer, noch schmachtender gespielt werden … Ein wenig Schmachten, ein wenig Sehnsucht muss sein, aber nicht im Übermaß. Auch unbändige Lebenslust und Drama haben hier ihren Platz, und wie sich zeigt, sind diese verschiedenen Elemente in diesem Konzert nicht einfach im Gleichgewicht zu halten. Der Solist bewegte sich mit schlafwandlerischer Sicherheit und Grandezza durch die Partitur und es wirkte alles jung und frisch. Grossartig vor allem die Sequenzen, wo die ebenso brillanten Solist*innen (Klarinette, Oboe usw.) des Orchesters mit Daniil Olegowitsch Trifonov in Dialog traten.

Nie zu viel Schmelz oder gar penetrant süss

Solist am Piano Daniil Olegowitsch Trifonow Foto Priska Ketterer
Solist am Piano Daniil Olegowitsch Trifonow Foto Priska Ketterer

So macht Trifonov, technisch ungemein brillant in seiner unprätentiösen Art, trotz allen romantischen Schwungs und Überschwangs, nie eine überkandidelte Diva aus dem Stück (was man sonst leider verhältnismäßig oft erleben kann). Der Mann aus Nischni Nowgorod gehört nicht zu den Interpreten, für die ‚Romantik‘ eine Art permanente Ekstase bedeutet. Zwar werden die unterschiedlichen Affektlagen von ihm mit aller Deutlichkeit aufgezeigt (auch ihre Brüche und plötzlichen Wechsel). Er begeht allerdings nie den Fehler, es zu ‚überschminken‘ und dadurch Gefahr zu laufen, Schumann in seinem Gefühlsüberschwang der Lächerlichkeit preiszugeben. Insgesamt ist das eine sehr starke, sehr emotionale Interpretation, aber vollständig frei von ‚künstlicher Aufregung‘ und gerade deshalb in ihrer Empfindsamkeit glaubwürdig. Das hat überhaupt nichts ‚Ranschmeißerisches‘ an sich, übertrieben Heroisches oder gar Martialisches, wie man das öfter hören kann. Gleichzeitig wirkt die Interpretation trotz aller Brüche im Stück sehr organisch. Es gibt also nicht lediglich einen Wechsel von Affekten, sondern einen durchdachten Aufbau, der am Ende klar macht, dass es sich trotz aller Überraschungen im Stück um ein ‚Großes Ganzes‘ handelt.

Perfekte Tempovariierung durch den Pianisten

Mahler Chamber Orchestra Konzertbild von Priska Ketterer
Mahler Chamber Orchestra Konzertbild von Priska Ketterer

Der russische Grossmeister der Tasten weiß immer sehr genau, wo man bremsen und wo man ein bisschen Gas geben muss, um das Ganze zum Strömen zu bringen. So passiert es ihm beispielsweise nie, dass er erst mit großer Agogik Spannung aufbaut, um dann im entscheidenden Moment durch eine unbedachte Verzögerung (oder – je nachdem – eine fehlende Verzögerung) die ganze Dramatik sinnlos verpuffen zu lassen. Der Mann am Klavier ist vollkommen frei von dieser ‚Verlegenheits-Agogik‘, die man manchmal bei Pianisten beobachten kann, die sich über die Konstruktion eines Stückes nicht übermäßig intensiv den Kopf zerbrochen haben, aber ‚gefühlsmäßig‘ etwas unternehmen wollen – und es dann ausgerechnet an den ‚falschen‘ Stellen tun, und der ganze Aufbau dann kollabiert. Diese perfekte Umsetzung gelingt natürlich auch dank der Unterstützung von Dirigent Harding und des ausgezeichneten Orchesters, welche auf Augen- respektive Ohrenhöhe mit  dem introvertierten Tastenakrobat agieren. Besonders erwähnenswert auch der Dialog der Oboen mit dem Piano.

Der stürmische, langanhaltende Applaus wurde sichtlich genossen von den Protagonist*innen auf der Bühne. Der Solist und der Dirigent wurden mittels vehementen Applauses einige Male zurück auf die Bühne geklatscht bis uns von Trifonov eine kurze  Zugabe gewährt wurde, aufgrund des nicht enden wollenden Applauses. Dirigent Harding konnte sich ein Lachen nicht verkneifen, als die Akklamation einfach nicht enden wollte.

2. Konzertteil Johannes Brahms (1833 – 1897) Sinfonie Nr. 3 F-Dur op. 90

Mahler Chamber Orchestra Konzertbild von Priska Ketterer
Mahler Chamber Orchestra Konzertbild von Priska Ketterer

Zwei einleitende Bläserakkorde genügen, um alles in Hochstimmung zu versetzen. Der erste ist ein einfacher F-Dur Akkord, der zweite kann nur von seiner Wirkung her beschrieben werden: er wirkt, als ginge man kurz in die Knie, um sich in die Höhe (hier: die höhere Oktave) zu katapultieren. Oben kommt uns das Hauptthema entgegen, von den Violinen „passionato“ (leidenschaftlich) vorgetragen. Hauptmotiv (die sich hochreckende Geste) und Hauptthema steigern sich gegenseitig …was für ein kraftvoller Anfang!Das Hauptmotiv erweist sich als Zaubermotiv: es lässt Zeit vergehen, lässt Herbst werden – das Seitenthema taucht auf wie eine Erinnerung: ein liebliches Gesicht, vielleicht auch ein Kindergesicht, eine Enkelin…etwas, dem man lächelnd ein Ach ja nachseufzt.In der Mitte des Satzes (man sollte nicht von Durchführung sprechen) wird das Zaubermotiv – vorgetragen vom Horn – zu einer edlen Melodie. Sie spiegelt einen Charakter, der immer in die Höhe strebt und doch eine weiche Seele hat. Der Satz klingt ruhig aus.Der ruhige zweite Satz beginnt wie ein Volkslied mit verwehendem Echo. Doch dann wird es still, und aus der Ferne, aus der Tiefe der Seele vernehmen wir ein musikalisches Bekenntnis von verletztem Zartgefühl und abgrundtiefer Traurigkeit. Der Satz klingt fragend aus.Das fragende, lange Thema des dritten Satzes – ein Intermezzo – wandert durch eine flüsternde Begleitung wie durch raschelndes Laub. Die Instrumentierung ist meisterhaft und abwechslungsreich, aber alle Farben sind welk. Der Satz klingt besinnlich aus.Düster beginnt das Finale, leise und erregt. Da stockt der Atem: das zarte und traurige Thema aus dem zweiten Satz ist wieder da, aber es ist zu einem bitteren, fast zynischen Choral geworden. Und dann platzt Brahms der Kragen: wenn Musik zornig sein kann – dieser Satz ist es. Der Choral fährt unter die Themen: nichts ist ihm heilig, die Fetzen fliegen – eine herrliche Abrechnung! Mit wem? Mit was – das bleibt Geheimnis des Meisters.Das Zaubermotiv erscheint und hellt die Stimmung auf. Der Choral entspannt sich; die Anfangsbegegnung des Hauptmotivs mit dem Hauptthema wölbt sich wie ein hoher Regenbogen: wenn Musik versöhnlich sein kann – der Schluss dieser, Brahms persönlichster Symphonie ist es.

Das Orchester in bestechender Form, massgeschneiderte Qualität

Dirigent Daniel Harding führt feinfühlig durch die Partitur Foto Priska Ketterer
Dirigent Daniel Harding führt feinfühlig durch die Partitur Foto Priska Ketterer

Warum sich der Komponist im Entstehungsprozess so schmallippig gab, scheint die Musik zu verraten: Erstmals in einer Sinfonie erprobt Brahms in der Dritten ein zyklisches Prinzip. Das wuchtig dionysische Hauptthema vom Anfang beispielsweise lässt er gezähmt, regelrecht geläutert noch einmal ganz zum Schluss erklingen, als Kaskade aus apollinischen Höhen.Das Mahler Chamber Orchestra konzertierte, engagiert geleitet von seinem Ehrendirigenten auf Lebenszeit Daniel Harding überragend, überzeugte mit grossinfonischen Qualitäten und sattem, überzeugenden und im letzten Satz auch magistral nach oben akzelerierendem Ausdruck.Das Mahler Chamber Orchestra, geleitet von Daniel Harding, zeigte hier seine sinfonische Meisterschaft in voller Pracht. Die Sinfonie entfaltete sich als ein episches Werk, das die sinfonische Form mit melodischer Eleganz und klanglicher Raffinesse verband. Harding führte das Orchester mit Sicherheit durch die unterschiedlichen Stimmungen der Sinfonie – von der Intimität des ersten Satzes bis zur lebhaften Energie des dritten Satzes und der ergreifenden Tiefe des vierten Satzes.

Ein Abend der musikalischen Größe

Insgesamt war das Konzert des Mahler Chamber Orchestra unter Daniel Harding ein Abend der musikalischen Größe und Intensität. Die Darbietungen von Schumanns Ouvertüre, Trifonovs brillantem Klavierspiel und Brahms’ Sinfonie wurden von Orchester, Solisten und Dirigent in einer Weise präsentiert, die die Tiefe und die Feinheiten der Musik betonte. Die Verbindung zwischen den verschiedenen Elementen – den Kompositionen, den Interpreten und dem Publikum – schuf eine eindrucksvolle musikalische Erfahrung. Daniel Harding und das Mahler Chamber Orchestra boten einen Abend, der die Zuhörer in die fesselnde Welt der Musik entführte und noch lange in Erinnerung bleiben wird.

Auch eine Notiz am Rande wert. Dirigent Daniel Harding fliegt im Zweitberuf Passagiermaschinen für Air France.

Text: www.leonardwuest.ch

Fotos: Priska Ketterer  www.lucernefestival.ch

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Mahler Chamber Orchestra Konzertbild von Priska Ketterer

Daniel Harding Dirigent

Mahler Chamber Orchestra Konzertbild von Priska Ketterer

 

Dirigent Daniel Harding führt feinfühlig durch die Partitur Foto Priska Ketterer

Solist am Piano Daniil Olegowitsch Trifonov am Bösendorfer Flügel Foto Priska Ketterer

Mahler Chamber Orchestra Konzertbild von Priska Ketterer