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Cavalleria rusticana / La voix humaine, LAC Lugano, besucht von Marinella Polli

Cavalleria rusticana Szenefoto von Andrea Ranzi, Studio Casaluci

La voix humaine Szenefoto von Andrea Ranzi, Studio Casaluci

Cavalleria rusticana Szenefoto von Andrea Ranzi, Studio Casaluci


La voix humaine Tragédie lyrique in einem Akt
Libretto Jean Cocteau Musik Francis Poulenc
Interpretin Anna Caterina Antonacci, Elle
Darsteller (in alphabetischer Reihenfolge) Viola Carinci
Silvia Giuffrè, Yannick Lomboto
Samuel Salamone, Sabrina Vicari, Marta Zollet
Cavalleria rusticana
Melodram in einem Akt Libretto Giovanni Targioni-Tozzetti und Guido Menascinach dem gleichnamigen Drama von GiovanniVerga Musik Pietro Mascagni
Interpreten

Stefano La Colla,
Turiddu, Veronica Simeoni, Santuzza
Dalibor Jenis,
Alfio, Lucrezia Drei, Lola
Agostina Smimmero,
Mamma Lucia
Darsteller
(in alphabetischer Reihenfolge)
Viola Carinci, Roberto Galbo
Silvia Giuffrè, Yannick Lomboto
Samuel Salamone, Sabrina Vicari,Marta Zollet
Dirigent
Francesco Cilluffo Regie Emma Dante
Wiederaufnahme von Federico Gagliardi
Bühnenbild Carmine Maringola Kostüme Vanessa Sannino
Licht Cristian Zucaro Choreografie Manuela Lo Sicco
Bühnenassistent Roberto Tusa Kostümassistentin Annamaria Ruocco
Orchestra della Svizzera italiana
Chor der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft
Chorleiter Donato Sivo Inszenierung Fondazione Teatro Comunale di Bologna Produktion LAC Lugano Arte e Cultura In Zusammenarbeit mit Orchestra della Svizzera italiana

Am LAC hat man in dieser neuen Saison das grosse Vergnügen, sogar zwei Opern am gleichen Abend zu erleben: Francis Poulencs ‘La Voix Humaine’ und Pietro Mascagnis ‘Cavalleria Rusticana‘; eine sehr interessante Kombination. Francesco Cilluffo leitet die Orchestra della Svizzera italiana, Donato Sivo den Coro della Radiotelevisione svizzera; die Inszenierung ist von Emma Dante (Wiederaufnahme von Federico Gagliardi).

Ein atypisches Doppelprogramm

La voix humaine Szenefoto von Andrea Ranzi, Studio Casaluci
La voix humaine Szenefoto von Andrea Ranzi, Studio Casaluci

Die Aneinanderreihung von zwei Opern am gleichen Abend findet oft eine dramaturgische Erklärung in der Tatsache, dass diese Werke zu kurz sind, um einzeln inszeniert zu werden. Obwohl es Bemühungen immer wieder gibt, auch neue Kombinationen zu wagen, wird ‘Cavalleria rusticana’ meistens mit Ruggero Leoncavallos ‚Pagliacci’ aufgeführt; ‚La Voix humaine’ wird hingegen fast immer am gleichen Abend vor oder nach Béla Bartóks ‚Herzogs Blaubart Burg’ inszeniert. Hier am LAC versucht man dieses Jahr mit einer eigentlich atypischen jedoch sehr eindrucksvollen Verbindung: was die Bühnenwirkung betrifft, eine erfolgreiche Lösung.

Das Scheitern von Liebesbeziehungen 

La voix humaine Szenefoto von Andrea Ranzi, Studio Casaluci
La voix humaine Szenefoto von Andrea Ranzi, Studio Casaluci

Um das Scheitern von einer Beziehung geht es in Francis Poulencs ‘La Voix Humaine’ (‘Die menschliche Stimme’), einem Einakter von 1959, der auf Jean Cocteaus gleich betitelten Monolog (1930) basiert. Eine Frau wird von ihrer grossen Liebe verlassen; aus diesem Grund hat sie schon einmal erfolglos versucht, sich umzubringen. Ganz allein in ihrem Zimmer wartet sie jetzt auf den Anruf des Geliebten. Und das Telefon läutet……Um das Scheitern von Liebesbeziehungen geht es ebenfalls in der 1890 uraufgeführten ‘Cavalleria rusticana‘ (Libretto von Giovanni Targioni-Tozzetti/Guido Menasci nach dem Schauspiel und der Novelle von Giovanni Verga). Santuzza liebt den jungen Bauern Turiddu, der aber seine ehemalige Verlobte Lola wieder begehrt. Diese hat inzwischen den reichen Fuhrmann Alfio geheiratet, obwohl sie Turiddu immer noch liebt. Die unglückliche, eifersüchtige Santuzza, die ein Kind von Turiddu erwartet, erzählt Alfio von Lolas Beziehung zu ihrem alten Verlobten….

Ein musikalisch faszinierender Abend

La voix humaine Szenefoto von Andrea Ranzi, Studio Casaluci 1
La voix humaine Szenefoto von Andrea Ranzi, Studio Casaluci

In ‚La Voix humaine‘ drückt Poulenc die Komplexität menschlicher Kommunikation musikalisch aus, indem er, wie auch Cocteau perfekt tut, mit der realen oder mentalen An- und Abwesenheit spielt. Dazu benutzt er Pausen, die sowohl auf technische Störungen als auch auf zwischenmenschliche Sprachlosigkeit hinweisen. Francesco Cilluffos Dirigat ist diesbezüglich sehr präzis. Der italienische Maestro und Komponist ist auch sehr differenziert und bewegt sich mühelos zwischen leichteren kammermusikalischen  Passagen und anderen, die durchaus symphonisch tönen. Auch im zweiten Teil des Abends gelingt es Cilluffo und dem Orchester, dem Publikum alle wunderschönen, zarten, melodischen und sehr populären Momente von ‚Cavalleria rusticana‘ mühelos zu bieten. 

Grossartige Leistung der SängerInnen

Cavalleria rusticana Szenefoto von Andrea Ranzi, Studio Casaluci
Cavalleria rusticana Szenefoto von Andrea Ranzi, Studio Casaluci

Anna Caterina Antonacci als Protagonistin in Poulencs ‚La Voix humaine‘ ist einfach grandios. Das Repertoire der italienischen Sängerin hat die französischen Opern als Schwerpunkt, aber es deckt auch ein breites Spektrum an Mezzosopran- und Sopranrollen vom Frühbarock bis hin zu Musik des 20. Jahrhunderts ab. Mit ihrer flexiblen, runden, mal dramatischen mal lyrischen Stimme gelingt es der italienischen Sängerin am LAC immer, sich gegen das Orchester zu behaupten; besonders, gelingt es ihr, sowohl Verzweiflung und Verletzlichkeit als auch Grösse und Würde der unglücklichen, verlassenen Frau zu zeigen. Auch in ‚Cavalleria Rusticana’ bieten die SängerInnen eine fantastische Leistung. Stimmlich grandios ist Stefano La Colla als Turiddu; der italienische Tenor zeichnet mit Feuer die Auseinandersetzungen mit Santuzza und mit den anderen Figuren der Oper, aber mit grosser Sensibilität und Schmerz diejenige mit Mamma Lucia; diese wird mit grossartiger Altstimme von Agostina Smimmero verkörpert. Ebenfalls immer gut sowohl die Mezzosopranistin Lucrezia Drei als hübsche, kokette Lola als auch der charismatische Dalibor Jenis in der Rolle von Alfio, der stimmlich schon mit ’Il Cavallo scalpita’ das Publikum begeistert. Die schauspielerisch überzeugende Veronica Simeoni als Santuzza neigt hingegen oft zu Schärfen im hohen Register. Grossartig die Leistung des von Donato Sivo perfekt vorbereiteten Coro della Radiotelevisione Svizzera.

Eine sehr interessante Inszenierung

Cavalleria rusticana Szenefoto von Andrea Ranzi, Studio Casaluci
Cavalleria rusticana Szenefoto von Andrea Ranzi, Studio Casaluci

Für Emma Dante befindet sich die Protagonistin der ‚Voix humaine‘ in einem Krankenhaus oder in einer psychiatrischen Klinik. Sie stellt sich nur vor, (in der Inszenierung von Emma Dante) am Telefon mit ihrem Liebhaber zu reden, und das Telefonkabel ist tatsächlich nicht eingesteckt. Es ist, als ob die Regisseurin glauben würde, eine verlassene Frau kann verzweifelt und ausser sich sein, nur wenn sie krank oder verrückt ist. Was die Inszenierung von ‚Cavalleria rusticana‘ betrifft, wählt die Regisseurin eine sehr genaue und differenzierte Personenführung, und dies von der ersten Szene bis zum berühmten Schrei ‚Hanno ammazzato Compare Turiddu‘. Ihr Konzept wird aber vor allem durch Carmine Maringolas eloquentes Bühnenbild, Cristian Zucaros pünktliches Light Design, Vanessa Sanninos bunte Kostüme und die (manchmal überflüssigen) Manuela Lo Siccos Choreographien.

Cavalleria rusticana Szenefoto von Andrea Ranzi, Studio Casaluci
Cavalleria rusticana Szenefoto von Andrea Ranzi, Studio Casaluci

Das total begeisterte Publikum am LAC honorierte die Sänger besonders, aber auch Francesco Cilluffo, die Orchestra della Svizzera Italiana und das Regieteam mit einem langen, starken, verdienten Applaus.

Text: https://marinellapolli.ch/

Fotos   Andrea Ranzi, Studio Casaluci  https://www.luganolac.ch/it/lac/home

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Cavalleria rusticana Szenefoto von Andrea Ranzi, Studio Casaluci

La voix humaine Szenefoto von Andrea Ranzi, Studio Casaluci

Cavalleria rusticana Szenefoto von Andrea Ranzi, Studio Casaluci

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Münchner Philharmoniker | Lahav Shani | Lisa Batiashvili, KKL Luzern, 11.9.2025, besucht von Léonard Wuest

Lisa Batiashvili Foto Manuela Jans Lucerne Festival

Münchner Philharmoniker Foto Lucerne Festival

Die Münchner Philharmoniker mit Solistin Lisa Batiashvili Foto Patrick Hürlimann

Dirigent Lahav Shani Foto Lucerne Festival

Besetzung und Programm:
Münchner Philharmoniker
Lahav Shani Dirigent
Lisa Batiashvili Solistin Violine
Ludwig van Beethoven (1770–1827)
Violinkonzert D-Dur op. 61
Franz Schubert (1797–1828)
Sinfonie Nr. 7 h-Moll D 759 Die Unvollendete
Richard Wagner (1813–1883)
Vorspiel zum Ersten Aufzug und Isoldens Liebestod aus Tristan und Isolde

Ludwig van Beethoven Violinkonzert D-Dur op. 61

Klassische Größe mit frischem Atem

Ludwig van Beethovens Violinkonzert in D-Dur op. 61 gehört zu den Monumenten des Repertoires – eine Verbindung von edler Form, lyrischer Tiefe und technischer Brillanz. In der Aufführung mit den Münchner Philharmonikern unter Lahav Shani und der Solistin Lisa Batiashvili erklingt das Werk mit einer Mischung aus nobler Klarheit, innerer Spannung und moderner Frische. Es ist kein historisierender Beethoven – sondern ein lebendiger, atmender, dialogischer.

Ein erster Satz voller Weite und Eleganz

Münchner Philharmoniker Konzertfoto von Patrick Hürlimann
Münchner Philharmoniker Konzertfoto von Patrick Hürlimann

Der weit gespannte Kopfsatz wird von Shani mit großem Atem und kluger Dramaturgie aufgebaut. Die Münchner Philharmoniker spielen mit klarer Struktur, dabei stets warm im Ton und mit feinen dynamischen Abstufungen. Lisa Batiashvili gestaltet ihren Part mit eleganter Ruhe und technischer Souveränität, ohne sich je in virtuosem Glanz zu verlieren. Ihre Kantilenen singen, ihre Läufe fließen – alles klingt natürlich, frei und dabei doch hoch konzentriert.

Feinsinniges Zwiegespräch im Larghetto

Im Larghetto zeigt sich die ganze Stärke dieser Interpretation: Reduktion, Ausdruck und Klangbewusstsein. Batiashvilis Ton ist warm, fast kammermusikalisch intim. Die Zurückhaltung wird nie zur Schwäche, sondern zur Stärke – das Orchester begleitet mit atmender Präsenz, nie bloß begleitend, sondern in empfindsamer Partnerschaft. Shani versteht es, dem Satz Ruhe zu lassen, ohne ihn ins Statische kippen zu lassen.

Finale mit tänzerischer Leichtigkeit

Der dritte Satz, das Rondo, bringt rhythmische Energie und Eleganz in Einklang. Batiashvili verleiht ihm eine tänzerische Beweglichkeit, frei von Kraftmeierei, immer mit stilistischer Sicherheit und einem Augenzwinkern. Shani und das Orchester halten die Balance zwischen Antrieb und Transparenz – die Musik bewegt sich geschmeidig, wirkt stets durchhörbar und lebendig.

Ein Beethoven voller Leben und Charakter

Münchner Philharmoniker Konzertfoto von Patrick Hürlimann
Lisa Batiashvili und die Münchner Philharmoniker Konzertfoto von Patrick Hürlimann

Diese Interpretation des Violinkonzerts lebt von musikalischer Reife, partnerschaftlichem Musizieren und tiefer Werkkenntnis. Lisa Batiashvili überzeugt nicht nur als Virtuosin, sondern als Geschichtenerzählerin auf der Geige. Lahav Shani und die Münchner Philharmoniker sind ihr dabei ein sensibler, klangsinnlicher Partner. Ein Beethoven fern jeder Routine – klar, menschlich, und voll zeitloser Schönheit.

Das sachkundige Publikum würdigte die Ausführenden mit einem stürmischen, langanhaltendem Applaus.

Die gebürtige Georgierin (*1979) Lisa Batiashvili, die Ehrendoktorin der Sibelius-Akademie in Helsinki ist, spielt auf einer Guarneri del Gesù aus dem Jahr 1739.

Franz Schubert Sinfonie Nr. 7 h-Moll D 759 Die Unvollendete

Schuberts Fragment mit voller Ausdruckskraft

Münchner Philharmoniker Konzertfoto von Patrick Hürlimann
Münchner Philharmoniker Konzertfoto von Patrick Hürlimann
Münchner Philharmoniker Konzertfoto von Patrick Hürlimann
Münchner Philharmoniker Konzertfoto von Patrick Hürlimann

Franz Schuberts Sinfonie Nr. 7 h-Moll D 759, bekannt als Die Unvollendete, zählt zu den rätselhaftesten und zugleich eindrucksvollsten Werken der Romantik. In der Interpretation durch die Münchner Philharmoniker unter Lahav Shani entfaltet sich das nur aus zwei Sätzen bestehende Werk als emotional tiefes, klanglich fein ausbalanciertes Musikdrama. Shani nähert sich dem Werk nicht als unvollendetes Fragment, sondern als geschlossene Aussage von großer innerer Geschlossenheit.

Ein erster Satz voll innerer Spannung

Der Allegro moderato beginnt bei Shani mit zarter Zurückhaltung, fast tastend – und entwickelt sich nach und nach zu einer dramatisch aufgeladenen Klanglandschaft. Die Münchner Philharmoniker zeigen hier eine hervorragende Klangbalance: warme, tragende Streicher, präzise Holzbläser und ein sonor eingebettetes Blech. Der israelische Dirigent versteht es, die Gegensätze von Licht und Schatten, Drängen und Innehalten subtil auszubalancieren, ohne in Sentimentalität zu verfallen.

Lyrische Tiefe im Andante

Münchner Philharmoniker Konzertfoto von Patrick Hürlimann
Münchner Philharmoniker Konzertfoto von Patrick Hürlimann

Der zweite Satz, Andante con moto, wird zu einem melancholisch schimmernden Ruhepol. Die kantablen Melodien entwickeln sich unter Shanis Leitung mit natürlichem Atem. Er formt Phrasen mit großer Aufmerksamkeit für Dynamik und Farbnuancen. Die innere Spannung bleibt dabei stets spürbar – als Ahnung einer Geschichte, die nicht zu Ende erzählt wird. Besonders eindrucksvoll: die feine Abstimmung zwischen den Instrumentengruppen, die das Seelenleben dieser Musik hörbar macht.

Ein bewusster Umgang mit dem Fragment

Shani nimmt Schuberts „Unvollendete“ nicht als Torso, sondern als vollendeten Ausdruck eines musikalischen Gedankens. Ohne den Wunsch nach Ergänzung oder Deutung schafft er eine Interpretation, die den poetischen Gehalt des Werks in den Mittelpunkt stellt. Ein Schubert, der sich nicht erklären will – sondern mit stiller Kraft wirkt.

Richard Wagner Vorspiel zum Ersten Aufzug und Isoldens Liebestod aus Tristan und Isolde

Ekstatische Klangwelten

Münchner Philharmoniker Konzertfoto von Patrick Hürlimann
Münchner Philharmoniker Konzertfoto von Patrick Hürlimann

Richard Wagners Vorspiel und Isoldens Liebestod aus Tristan und Isolde gehören zu den emotional dichtesten und harmonisch kühnsten Orchesterstücken der Romantik. In der Interpretation der Münchner Philharmoniker unter Lahav Shani entfaltet sich dieser musikalische Kosmos mit beeindruckender Intensität. Der Dirigent wählt einen zupackenden, aber atmenden Zugang, der Wagners radikale Harmonik nicht nur analytisch freilegt, sondern in sinnlicher Spannung auflädt.

Vorspiel: Sehnsucht ohne Erlösung

Der berühmte Beginn mit dem legendären, mystifizierten „Tristan-Akkord erklingt bei Shani nicht als bloßer Meilenstein der Musikgeschichte, sondern als offener, schwebender Ausdruck reiner Sehnsucht. Die Münchner Philharmoniker spielen mit feinem Gespür für Spannung und klangliche Transparenz. Der Dirigent gestaltet die Steigerungen mit großer Geduld, lässt Pausen atmen, Spannungsbögen wachsen – ein ständiges Streben nach Auflösung, das sich nie erfüllt. So entsteht eine mitreißende Darstellung der psychologischen Dramatik.

Liebestod: Verklärung im Klang

Im Liebestod gelingt es Shani, Wagners Musik zwischen Klangfülle und Innerlichkeit auszubalancieren. Die Streicher leuchten in warmem, sehnsuchtsvollem Klang, die Holzbläser setzen glühende Farbakzente. Besonders eindrucksvoll ist der langsame, kontrollierte Aufbau der finalen Steigerung: Kein bloßer Klangrausch, sondern ein gezielt geführtes Aufblühen bis zur letzten, erlösenden Kadenz.

Wagner mit klarem Blick und Gefühl

Münchner Philharmoniker Konzertfoto von Patrick Hürlimann
Münchner Philharmoniker Konzertfoto von Patrick Hürlimann

Der Münchner Interpretation vermeidet jede Übertreibung oder Sentimentalität – sie ist klar strukturiert, dabei voller Ausdruckskraft. Die Münchner Philharmoniker folgen ihm mit großer Klangdisziplin und feiner Emotionalität. So wird Wagners Musik nicht zum Selbstzweck, sondern zu einem tiefen, fast meditativen Erlebnis: zwischen Spannung, Hingabe und Verklärung. Ein Wagner voller Licht und Tiefe, dessen Ende irgendwie auch dem diesjährigen Festivalmotto „open end“ entspricht, da nicht als kontinuierlich Spannung aufbauendes, mächtiger werdendes Finale von Wagner komponiert , sondern quasi als „fade out“, was auch die atemlose Stille des Auditoriums erklärt, die sich erst nach ein paar, endlos scheinenden Sekunden in stürmischem Applaus Bahn bricht.

Text: www.leonardwuest.ch

Fotos: Priska Ketterer, Peter Fischli und Patrick Hürlimann  www.lucernefestival.ch

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Solistin und Dirigent geniessen den Applaus Foto Patrick Hürlimann

Münchner Philharmoniker Konzertfoto von Patrick Hürlimann

Münchner Philharmoniker Konzertfoto von Patrick Hürlimann

Solistin Violine Lisa Batiashvili Foto Lucerne Festival

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Wiener Philharmoniker | Franz Welser-Möst, KKL Luzern, 5. 9. 2025, besucht von Léonard Wuest

Wiener Philharmoniker Foto Julia Wesely

Wiener Philharmoniker Konzertfoto von Patrick Hürlimann

KKL Luzern, der Konzertsaal mit 1898 Sitzplätzen

Franz Welser Möst Foto Lucerne Festival

 

Besetzung und Programm:
Wiener Philharmoniker
Franz Welser-Möst Dirigent
Alban Berg (1885–1935)
Sinfonische Stücke aus der Oper Lulu
Anton Bruckner (1824–1896)
Sinfonie Nr. 9 d-Moll WAB 109

Alban Berg Sinfonische Stücke aus der Oper Lulu

Ein Meisterwerk zwischen Oper und Konzertsaal


Alban Bergs „Lulu-Suite“ beziehungsweise die Sinfonischen Stücke aus der Oper „Lulu“ gelten als Brücke zwischen Bühne und Konzertpodium. Geschrieben aus Fragmenten seiner unvollendeten Oper, verdichten sie das dramatische Geschehen in eine konzertante Form. Die Wiener Philharmoniker präsentierten im KKL Luzern unter der Leitung von Franz Welser-Möst eine Aufführung, die die innere Spannung dieses Werks eindrucksvoll spürbar machte.

Franz Welser-Möst – kontrollierte Intensität

 

Alban Berg beim komponieren
Alban Berg beim komponieren

Der Dirigent Franz Welser-Möst entschied sich für eine Lesart, die Klarheit und Struktur in den Vordergrund stellte. Anstelle überbordender Dramatik setzte er auf sorgfältig modellierte Klangarchitektur. Seine Gestik blieb sparsam, aber präzise, und führte das Orchester sicher durch die komplexen Passagen. Die Musik wirkte nie zerfasert, sondern konsequent gebaut, selbst in den eruptiven Ausbrüchen, die Bergs Partitur immer wieder bereithält.

Die Wiener Philharmoniker – klangliche Souveränität

 

Wiener Philharmoniker Konzertfoto von Patrick Hürlimann
Wiener Philharmoniker Konzertfoto von Patrick Hürlimann

Die Wiener Philharmoniker zeigten einmal mehr, warum sie als eines der führenden Orchester der Welt gelten. Ihr unverwechselbarer Klang, warm in den Streichern, charaktervoll in den Holzbläsern und majestätisch in den Blechbläsern, verlieh den Sinfonischen Stücken eine fast opernhafte Fülle. Besonders die heiklen Übergänge zwischen lyrischen und expressionistischen Episoden gelangen mit erstklassiger Eleganz und Präzision.

Klangfarben zwischen Erotik und Abgrund


Bergs Musik oszilliert zwischen gläserner Zerbrechlichkeit und expressiver Wucht. Die Wiener Philharmoniker zeichneten diese Spannungsfelder mit größter Differenziertheit nach. Die schimmernden Streicherflächen ließen die zerbrechliche Psyche der Titelfigur aufleuchten, während scharfe Blechattacken und schroffe Schlagwerkakzente den drohenden Abgrund signalisierten. Dieses Wechselspiel erzeugte eine Atmosphäre, die den Zuhörer förmlich in den Bann schlug.

Strenge Form und emotionale Freiheit

 

Wiener Philharmoniker Konzertfoto von Patrick Hürlimann
Wiener Philharmoniker Konzertfoto von Patrick Hürlimann

Welser-Möst gelang es, die enorme strukturelle Dichte der Partitur herauszuarbeiten, ohne die emotionale Unmittelbarkeit zu verlieren. Er balancierte die Zwölftontechnik, die Berg meisterhaft mit spätromantischen Klangfarben verbindet, zu einer packenden Synthese. Der Fluss des Werkes wirkte stringent, zugleich aber offen für eruptive Momente, die wie Blitzeinschläge durch die Partitur fuhren. Diese Mischung aus Rationalität und Emotion prägte den Gesamteindruck nachhaltig.

Ein Orchester in Hochform


Die Wiener Philharmoniker präsentierten sich in absoluter Topform. Besonders die Streicher überzeugten durch ihre Fähigkeit, zugleich lyrisch zu singen und mit Schärfe zu attackieren. Die Holzbläser zeichneten mit ihren Soli feinste psychologische Porträts, während das Blech heroische wie auch bedrohliche Klangmassen aufbaute. Das Schlagwerk schließlich setzte präzise Schocks, die den Ausdruck ins Extrem trieben. Zusammen entstand eine musikalische Darstellung von packender Intensität.

Resonanz im Saal

Das Publikum im KKL Luzern reagierte mit großer Aufmerksamkeit und gespannter Stille. Die Aufführung entfaltete eine Sogwirkung, die kaum jemand unberührt ließ. Das Auditorium belohnte die Musiker*innen mit begeistertem Applaus und würdigten damit nicht nur die technische Perfektion, sondern auch die emotionale Wucht dieser Darbietung.

Eine Interpretation von nachhaltiger Wirkung

 

Alban-Berg
Alban-Berg

Bergs „Sinfonische Stücke aus Lulu“ bleiben eine Herausforderung für Orchester wie Publikum – intellektuell, emotional, atmosphärisch. Die Wiener Philharmoniker unter Franz Welser-Möst meisterten diese Aufgabe mit einer Mischung aus Präzision und Leidenschaft. Sie legten Schichten frei, die den Reichtum dieser Musik in all ihren Facetten zeigten: zwischen Erotik und Tragik, zwischen Schönheit und Zerstörung. Ein erster Konzertteil, der sich tief ins Gedächtnis einprägt.

Anton Bruckner Sinfonie Nr. 9 d-Moll WAB 109

Ein unvollendetes Vermächtnis

Anton Bruckner beim komponieren
Anton Bruckner beim komponieren

Anton Bruckners Neunte Sinfonie in d-Moll, sein letztes und unvollendet gebliebenes Werk, gilt als musikalisches Testament eines tiefgläubigen Komponisten. Die Wiener Philharmoniker, die Bruckners Klangsprache seit Generationen in ihrer DNA tragen, präsentierten das monumentale Werk im zweiten Konzertteil. Es wurde eine Interpretation, die eindringlich zeigte, wie stark diese Musik zwischen Diesseits und Jenseits vermittelt und wie nah Erhabenheit und Verletzlichkeit beieinander liegen.

Welser-Möst und die Klarheit der Architektur

 

Wiener Philharmoniker Konzertfoto von Patrick Hürlimann
Wiener Philharmoniker Konzertfoto von Patrick Hürlimann

Franz Welser-Möst ist kein Dirigent, der Bruckner mit Pathos überfrachtet. Vielmehr legt er Schicht für Schicht frei und vertraut auf die innere Logik der Architektur. Sein Dirigat zeichnete sich durch Zurückhaltung aus, doch gerade diese Selbstverständlichkeit verlieh der Aufführung Größe. Er baute die gewaltigen Steigerungen organisch auf, hielt die Tempi flüssig und erlaubte den musikalischen Linien, sich natürlich zu entfalten. Nichts wirkte aufgesetzt – alles schien Teil eines großen, atmenden Ganzen.

Der erste Satz – düsterer Aufbruch

 

Wiener Philharmoniker Konzertfoto von Patrick Hürlimann
Wiener Philharmoniker Konzertfoto von Patrick Hürlimann

Schon im „Feierlich. Misterioso“ öffnete sich eine Welt voller Geheimnisse. Die Wiener Philharmoniker entfalteten eine Tiefe, die zugleich erdverbunden und metaphysisch wirkte. Die Streicher zeichneten dunkle Bögen, das Blech setzte markante Akzente, und die Holzbläser sorgten für farbige Durchlichtungen. Welser-Möst hielt die Spannung in den langen Steigerungen meisterhaft. Die dramatischen Ausbrüche wirkten erschütternd, ohne jemals grob zu werden – vielmehr durchzogen sie den Satz mit einer unausweichlichen Dringlichkeit.

Das Scherzo – Urkraft und Präzision

 

Wiener Philharmoniker Konzertfoto von Patrick Hürlimann
Wiener Philharmoniker Konzertfoto von Patrick Hürlimann

Im zweiten Satz, dem „Scherzo. Bewegt, lebhaft“, zeigten die Philharmoniker ihre unvergleichliche Fähigkeit, rohe Energie mit Eleganz zu verbinden. Die rhythmische Prägnanz verlieh der Musik eine fast tänzerische Urkraft, während die Trio-Passage in ihrer überraschenden Leichtigkeit einen scharfen Kontrast bot. Welser-Möst formte klare Konturen, ließ die Musik vorwärtsdrängen und hielt doch stets die Balance. Besonders beeindruckend war die Wucht des Orchesters, die nie in Lautstärke erstickte, was bei Bruckner schon mal passieren könnte, sondern von innerer Glut getragen war.

Das Adagio – Bruckners Abschied

 

Wiener Philharmoniker Konzertfoto von Patrick Hürlimann
Wiener Philharmoniker Konzertfoto von Patrick Hürlimann

Der dritte Satz, das „Adagio. Feierlich, langsam“, ist Bruckners ergreifendes Abschiedswort. Hier erreichte die Aufführung ihre größte Intensität. Das Wiener Renommierorchester spielte mit einer Ausdruckstiefe, die den ganzen Saal in ergriffene Stille versetzte. Die weiten Kantilenen der Streicher wirkten wie Gebete, das Blech intonierte mächtige, fast apokalyptische Choralgesten, während die Holzbläser eine fragile, menschliche Wärme einbrachten. Welser-Möst ließ den Satz mit äußerster Geduld wachsen, bis er in jenen erschütternden Höhepunkt mündete, der wie ein Blick ins Jenseits anmutete.

Die Stille danach

 

Anton Bruckner
Anton Bruckner

Nach dem Verklingen des Adagios herrschte eine Stille, die länger dauerte als gewöhnlich. Niemand wagte zu applaudieren, als wolle das Publikum den Raum für das Nachhallen der Musik bewahren, unsicher ob das wirklich des Ende war, ob das Werk auch diesmal unvollendet blieb, also getreu dem diesjährigen Festivalmotto „open end“. Diese Stille war vielleicht der eindrücklichste Moment des Abends: ein gemeinsames Innehalten, das zeigte, wie sehr Bruckners Musik Herz und Geist zugleich berührt. Erst nach einigen Sekunden, als sich Festivalintendant Michael Häfliger und seine Frau Andrea Lötscher, wie immer in Reihe 17 platziert, zu einer „Standing Ovation“ erhoben, setzte der Applaus ein – zögerlich, dann immer stärker, schließlich überwältigend und in eine stehende Ovation aller mündend.

Die Wiener Philharmoniker, einfach Weltklasse

 

Wiener Philharmoniker  Foto  Julia Wesely
Wiener Philharmoniker Foto Julia Wesely

Das Orchester spielte mit einer Homogenität und Intensität, die Bruckners Musik ideal zum Ausdruck brachte. Die legendäre Wärme der Streicher, die majestätische Strahlkraft der Hörner, die Farbpalette der Holzbläser und die wuchtige Präzision des Blechs verschmolzen zu einem Gesamteindruck von seltener Geschlossenheit. Die Musiker waren nicht bloß Interpreten, sondern Mittler einer spirituellen Erfahrung. Man spürte: Dies ist Musik, die zum innersten Selbst spricht.

Welser-Möst als Diener der Musik

Dirigent Franz Welser-Möst
Dirigent Franz Welser-Möst

Franz Welser-Möst verzichtete bewusst auf äußere Effekte. Sein Dirigat war nie auf Selbstdarstellung angelegt, sondern ganz dem Werk verpflichtet. Er vertraute auf die Kraft der Musik und die Kompetenz seines Orchesters. Diese Haltung verlieh der Aufführung Glaubwürdigkeit und Tiefe. Gerade durch die Abwesenheit von theatralischen Gesten konnte die Größe der Neunten unverfälscht wirken. Der Dirigent bewies, dass wahre Autorität in Demut liegt – und in der Fähigkeit, loszulassen.

Diese Interpretation, ein Vermächtnis

 

Bruckners Neunte ist ein Werk, das schwer zu fassen bleibt: unvollendet, geheimnisvoll, monumental und doch zutiefst menschlich. Die Aufführung der Wiener Philharmoniker unter Franz Welser-Möst zeigte all diese Facetten in exemplarischer Weise. Sie offenbarte das Werk als spirituelles Vermächtnis, das die Zuhörer nicht nur im Moment ergriff, sondern auch lange nachhallte. Es war ein Abend, der eindrücklich zeigte, warum Bruckners Musik gerade heute so notwendig ist – weil sie uns Demut, Größe und Hoffnung zugleich vermittelt.

Text: www.leonardwuest.ch

Fotos: Priska Ketterer, Peter Fischli und Patrick Hürlimann  www.lucernefestival.ch

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Wiener Philharmoniker Konzertfoto von Patrick Hürlimann

Wiener Philharmoniker Konzertfoto von Patrick Hürlimann


Wiener Philharmoniker unter dem Dirigat von Franz Welser Möst Konzertfoto von Patrick Hürlimann

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