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Tourismus-Experte Professor Christian Buer lehrt an der Hochschule Heilbronn an der Fakultät International Business (IB).
Tourismus-Experte Professor Christian Buer lehrt an der Hochschule Heilbronn an der Fakultät International Business (IB).

Corona hat auch die Reise-Branche ausgeknockt. Professor Christian Buer
erzählt, wie hart COVID-19 tatsächlich zugeschlagen hat und welche
Veränderungen er fürs Reisen erwartet.

Professor Buer, was passiert derzeit in der Tourismus-Branche?

Die gesamte touristische Wertschöpfungskette erlebt den noch nie
dagewesenen Shutdown. Dies betrifft den Reiseveranstalter genauso, wie es
das Reisebüro, den Hotelier oder das Luftfahrtunternehmen. Schauen wir
weiter, so ist auch der Taxifahrer, der Event-Veranstalter, die
Messegesellschaften, die Restaurants und auch der Souvenirladen betroffen.

Wie sieht es für eine TUI aus, gilt: groß, stark und unberührt?

Für die TUI-Gruppe, die in über 16 Ländern mit über 21 Millionen Gästen
und über 400 Hotels und einem Volumen von über 5 Milliarden Euro das Jahr
2020 geplant hat, wird dieser Shutdown der Stillstand aller Pläne sein.
2020 hat sie das Ziel formuliert, mehr als 30 Millionen Gäste zu zählen
und den Umsatz um 17 Prozent zu steigern – diese avisierten Ziele werden
nicht erreicht. Hinzu kommt, dass sie mit der eigenen Airline und dem
Grounding der Boing 737 Max bereits im letzten Jahr über 1,2 Millionen
Euro Sonderkosten hatte und diese auch in diesem Jahr berücksichtigt hat.

Können Sie Zahlen nennen, was den Umsatz betrifft?

Wenn TUI durchschnittlich pro Quartal zwischen 3 bis 4 Milliarden Umsatz
gemacht hat, so ist am Ende des Quartals 1 2020 sicherlich ein Corona-
Einbruch erkennbar. Dennoch muss TUI und damit jeder andere
Reiseveranstalter damit rechnen, dass das Quartal 2, insbesondere aber der
April, einen Umsatz von 0 Euro bringen wird. Dies ist eine fatale
Situation, die Kostenuhr läuft nämlich weiter.

Welche Hilfen gibt es, seitens der Regierung?

Die gleichen Soforthilfen, wie es sie für jedes Unternehmen gibt. Es gibt
für die Reiseunternehmen also keine expliziten Sonderzahlungen.

Wie stehen Sie zu diesen Maßnahmen?

Die Unterstützung der Betriebe durch Sofortzahlungen ist zur Stärkung der
Liquidität hilfreich und wird insbesondere kleine und mittlere Unternehmen
unterstützen, sofern dies für die avisierten 2 Monate reicht und damit die
Krise überwunden wird. Kredite sind geliehenes Geld. Wenn dieses zum
Ausgleich von operativen Ausfällen genutzt wird und nicht für eine
Investition zur Verbesserung des Produktes, dann wird die Rückzahlung
ungewiss. Dies kann nur auf eine Stundung hinauslaufen.

Stichwort Kurzarbeit als weitere Spar-Maßnahme. Wie stehen Sie dazu?

Sie hilft sofort und reduziert Kosten. Mitarbeiter*innen müssen damit auch
verzichten und dürfen dafür mehr Freizeit haben, die im eigen Haushalt
verwendet werden kann. Ironischerweise werden seitens der Politprominenz
Vorschläge für Aufräumaktionen gemacht. Ich denke aber, dass
Bundesminister Peter Altmaier sein Versprechen einhalten muss, dass wegen
Corona keiner den Arbeitsplatz verlieren wird. Dies ist leider schon heute
nicht der Fall. Es gibt bereits die ersten Kündigungen und die nächsten
werden kommen.

Welche Maßnahme würden Sie durchboxen, wären Sie Fadenzieher?

Für Hotellerie und Gastronomie die sofortige Einführung der 7-Prozent-
Umsatzsteuer über alles. Dies würde heute und in Zukunft eine höhere
Liquidität bringen. Des Weiteren würde ich mit den Finanzinstituten ein
Aussetzen aller finanziellen Verpflichtungen verhandeln, so dass die
Mieten ausfallen können. Dies gilt für die Luftfahrtindustrie, für
Leasing-Gebühren und für das einzelne Taxi-Unternehmen ebenso.

Ganz allgemein: Wie geht’s weiter?

Die Branche wird sich davon erholen. Ich gehe davon aus, dass es 2 Modelle
nach der Krise geben wird: Entweder die Gäste fahren in Destinationen die
wenig bis kein Corona hatten oder die Gäste fahren dorthin, wo gerade die
Betriebe geschädigt wurden; sprich Deutschland z.B. an Nord- und Ostsee,
Österreich, Südtirol und Italien. Ich gehe davon aus, dass der
Ferntourismus weniger werden wird.

Prognostizieren Sie eine totale Insolvenz?

Eine vollständige Insolvenz einer Branche: NEIN. Hotelbetriebe, die
bereits vorher schon in einer wirtschaftlichen Instabilität waren, werden
dies als Gelegenheit nehmen und darauf abgeleitet das eigene Unvermögen
auf die Corona-Krise schieben. Ich gehe davon aus, dass in Deutschland von
den über 225.000 Betrieben, darunter 15.000 Hotels bzw. 46.000
Beherbergungsbetriebe, 166.000 Gaststätten und Bars sowie 13.000 Caterer,
rund 20 Prozent die Fortführung kritisch hinterfragen. Das Wachstum der
letzten 10 Jahre war überproportional, so dass eine Reduktion der Betriebe
eine marktbereinigende Wirkung hat.

Was wünschen Sie sich, in Zeiten der Corona-Krise?

Eine Kehrtwende zu den 3 Erfolgsfaktoren unserer Gesellschaft: Respekt,
Solidarität und Willenskraft wünsche ich mir und mehr Vernunft. Denn mehr
Vernunft heißt weniger Hektik und das wiederum weniger Egoismus.

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Hochschule Heilbronn – Kompetenz in Technik, Wirtschaft und Informatik
Mit ca. 8.400 Studierenden ist die Hochschule Heilbronn eine der größten
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Kompetenz-Schwerpunkt liegt auf den Bereichen Technik, Wirtschaft und
Informatik. An vier Standorten in Heilbronn, Heilbronn-Sontheim, Künzelsau
und Schwäbisch Hall bietet die Hochschule mehr als 50 Bachelor- und
Masterstudiengänge an. Die Hochschule pflegt enge Kooperationen mit
Unternehmen aus der Region und ist dadurch in Lehre, Forschung und Praxis
sehr stark vernetzt.