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Regionen mit niedrigen Corona-Fallzahlen und einer hohen wirtschaftlichen
Bedeutung des Tourismus sollten das Übernachtungsgeschäft zeitnah wieder
öffnen dürfen. Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein würden von
Lockerungen überproportional profitieren und weisen nur
unterdurchschnittliche Infektionsraten auf. Eine bundeseinheitliche, nur
schrittweise Öffnung des Tourismus würde willkürlich Betriebe ausschließen
und hätte noch wochenlange Schließungen zur Folge.

„Das im Mai beginnende Sommerhalbjahr ist entscheidend für das
wirtschaftliche Fortbestehen vieler Tourismusbetriebe, die Unternehmen
benötigen dringend wieder nennenswerte Umsätze, um die Corona-Krise
überleben zu können“, sagt IfW-Ökonom Klaus Schrader. Gemeinsam mit Jürgen
Stehn und Claus-Friedrich Laaser plädiert er in einem Kiel Policy Brief
(https://www.ifw-kiel.de/de/publikationen/kiel-policy-briefs/2020/urlaub-
in-corona-zeiten-perspektiven-fuer-den-tourismus-in-deutschland-0/
) dafür,
Tourismusbetrieben, die durch die Anpassung betrieblicher Abläufe
bestimmte Abstands‐ und Hygieneregeln erfüllen können, jetzt eine Öffnung
zu erlauben. Zu große Menschenansammlungen im öffentlichen Raum sollten
Kreise und Kommunen durch entsprechende Zugangsbeschränkungen verhindern,
etwa zu touristischen Zentren oder durch die Teilsperrung von Parkplätzen.

„Die einzelnen Bundesländer sind wirtschaftlich höchst unterschiedlich von
den Schließungen im Tourismus betroffen und weisen stark differierende
Infektionszahlen auf, was wiederum höchst unterschiedliche Risiken im
Falle einer Öffnung bedeutet. Daher sollte es den einzelnen Bundesländern
möglich sein, hinsichtlich Umfang, Ausgestaltung und Geschwindigkeit
eigene Öffnungsstrategien für den Tourismus zu entwickeln. Aus
ökonomischer Sicht gibt es keine hinreichende Begründung für eine
bundeseinheitliche Exit-Strategie, im Gegenteil“, so Schrader.

Tourismus-Hochburgen im Norden für Lockerungen prädestiniert

Grafik "Tourismusintensität nach Bundesländern 2019"

Bezogen auf die Größe des Bundeslandes ist die Bedeutung des Tourismus für
die Wirtschaft in Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein in
Deutschland am höchsten. Je 1.000 Einwohner verzeichnete MV im letzten
Jahr 21.000 Übernachtungen, SH 12.400. Der bundesweite Durchschnitt lag
bei 6.000 Übernachtungen. Gleichzeitig weisen beide Länder nur äußerst
geringe Fallzahlen von mit Covid-19-Infizierten auf und liegen hier weit
unter dem Bundesdurchschnitt. „Wären die Infektionsraten in den
Reisegebieten vergleichsweise hoch, wären Lockerungen illusorisch. So aber
spricht hier wenig gegen einen Neustart des Tourismus. Die beiden Länder
sind dafür prädestiniert, bei den Lockerungen voranzuschreiten.“

In Schleswig-Holstein etwa sind infolge des „Lockdowns“ während der
Osterferien bis zu 8 Prozent der jährlichen Übernachtungen verloren
gegangen. Bei einer Fortsetzung dieser Beschränkungen bis zum Ende des
Sommerhalbjahrs im Oktober würde sich dieser Verlust auf etwa 80 Prozent
erhöhen. Besonders betroffen wären die Reisegebiete Nordsee und Ostsee,
deren Saisongeschäft noch größer als im Landesdurchschnitt ist.

Grafik "Potentielle Verluste bei den Übernachtungen in den Reisegebieten
Schleswig-Holsteins April bis Dezember 2020"

Vermeidung einer Post-Corona-Krise

In Schleswig-Holstein fallen zwei Drittel aller Übernachtungen auf den
Zeitraum Mai bis Oktober, alleine ein Drittel fällt in die Ferienmonate
Juli und August. Nachholeffekte sind daher nicht zu erwarten, so die
Autoren, ein Umsatzverlust im Sommerhalbjahr kann nicht in touristischen
Randzeiten im Herbst oder Frühling kompensiert werden. Aufgrund des
geringen Anteils ausländischer Gäste dürften die geschlossenen
Außengrenzen Schleswig-Holstein und die meisten anderen Bundesländer nur
wenig treffen. Allerdings würden durch das Fortbleiben ausländischer Gäste
vielerorts auch kaum Übernachtungskapazitäten in der Hauptsaison frei, so
dass die Länder nicht von einem Nachfrageboom nach Urlaub im eigenen Land
profitieren können.

„Eine Rückkehr zur Normalität ist für diesen Sommer auszuschließen,
Umsatzeinbußen werden wohl unvermeidlich sein. Zeitnahe Informationen von
der Politik über die Urlaubsbedingungen würden den Entscheidungsprozess
auch bei den Urlaubern erleichtern und damit auch der Branche mehr
Planungssicherheit geben. In dieser Situation müssen alle Beteiligten bei
ihren Entscheidungen Restrisiken unterschiedlichster Art akzeptieren. Der
Sommer 2020 wird von Ungewissheiten geprägt sein. Es geht jetzt um
Schadensbegrenzung und um die Vermeidung einer Post‐Corona‐Krise“, so
Schrader.