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Familie Hünnebeck um 1905Der Bochumer Bismarckturm, mit 33 Metern der höchste in NRW, bietet eine beeindruckende Rundumsicht auf Stadt und Region. Den historischen Aussichtpunkt kennt nahezu jeder Bochumer. Der Name seines Stifters – Otto Hünnebeck – ist den meisten dagegen unbekannt. So auch das Schicksal seiner Kinder. Die Hünnebecks waren vor dem Dritten Reich eine der großen Bürgerfamilien Bochums, die Alltag und Gesellschaft der Stadt prägten. Vor allem Sohn Wilhelm wurde das Nazi-Regime als „Mischling ersten Grades“ und verurteilter Homosexueller zum Verhängnis. Der einst geachtete Rechtsanwalt, Notar und Maischützenkönig starb vor 40 Jahren. „Heute zählen die Hünnebecks zu den vergessenen Familien Bochums“, sagt Stadtarchivarin Susanne Schmidt.

Geblieben ist der Bismarckturm, errichtet auf dem Höhenrücken des denkmalgeschützten Stadtparks. Eine Landmarke und ein Vermächtnis. Für seinen Bau machte sich Otto Hünnebeck ab 1908 als treibende Kraft stark. Der nationalliberale renommierte Justizrat und Stadtverordnete sammelte mit einem Ausschuss 100.000 Goldmark und spendete selbst eine größere Summe. Aus über 600 Entwürfen wurde der des Breslauer Architekten Albrecht Friebe realisiert. Arbeitstitel für die Gedenksäule aus Ruhrsandstein war „Der Riese“. Zwar erlebte Otto Hünnebeck die Einweihung des stattlichen Turms im Oktober 1910 noch, die abschließende Fertigstellung des Sockelgeschosses jedoch nicht mehr: Das Feuer in der Gedenkschale brannte erstmals zu seiner Beerdigung; 1911 starb der glühende Bismarckverehrer – hochgeachtet.

Die Gedenktafel am Bismarckturm, die an Otto Hünnebeck und sein Engagement für das Bauwerk erinnerte, wurde auf Veranlassung der Nationalsozialisten entfernt. Der Grund: Otto Hünnebeck war mit Agnes Sutro verheiratet, die ebenfalls aus einer nationalliberalen Bochumer Juristenfamilie stammte, aber zugleich die Enkelin des orthodoxen Landesrabbiners Abraham Sutro aus Münster war. Zwar konvertierte sie mit der Heirat zum Christentum und zog in diesem Glauben ihre insgesamt vier Kinder groß, doch blieb ihrer Tochter Agnes und ihrem Sohn Wilhelm, die den Ersten Weltkrieg überlebt hatten, das Stigma jüdischer Wurzeln. Für sie kam 1933 mit der Machtübertragung an die Nazis der große Bruch in ihrem bürgerlichen Leben.

„Der Druck war zunächst nicht so groß“, hat Dr. Hubert Schneider mit seinen Co-Autoren Susanne Schmidt und Jürgen Wenke für das Buch „Leben im Abseits“ recherchiert. So konnte Wilhelm Hünnebeck auch nach 1933 als promovierter Jurist weiterarbeiten, jedoch eingeschränkt. „Er durfte nur noch Juden vertreten“, so Dr. Hubert Schneider, „und geriet erst gesellschaftlich, dann finanziell immer weiter ins Abseits.“ Aufgewachsen in einer herrschaftlichen Villa an der heutigen Huestraße, musste Wilhelm Hünnebeck verschuldet mehrfach seinen Wohnsitz innerhalb Bochums wechseln. Seine Liebe zu Männern wurde ihm ebenfalls zum Verhängnis. „Er war doppelt stigmatisiert“, beschreibt Jürgen Wenke. 1940 wurde Wilhelm Hünnebeck erstmals nach Paragraf 175 als Sittlichkeitsverbrecher verurteilt, verlor so seine Zulassung und seinen Doktortitel als Jurist. 1942 verließ er mit seiner Schwester Agnes Bochum, um in Berlin zu leben.

Zwar erhielt er nach 1945 seinen akademischen Grad sowie seine Zulassung zurück und heiratete im selben Jahr. „Er lässt sich jedoch mit einem jüngeren Mann ein, der ihn mit dem gleichgeschlechtlichen Verhältnis erpresst“, schildert Jürgen Wenke. „Denn die Gesetzgebung der Nazis und damit der Paragraph 175 galten noch bis 1969. Das machte Wilhelm Hünnebeck angreifbar.“ Um den Erpresser bezahlen und seine homosexuelle Neigung geheim halten zu können, veruntreute der Rechtsanwalt und Notar ihm anvertraute Gelder. „In den 50er Jahren erhielt er dafür eine Bewährungsstrafe“, erzählt Jürgen Wenke. Dies besiegelte beruflich und finanziell Wilhelm Hünnnbecks weiteren Weg: Er starb 1976 „in einem anonymen 50er-Jahre-Haus“ in Hamburg.

Nach Bochum sind beide Geschwister zu Lebzeiten nicht mehr zurückgekehrt. Sie schrieben jedoch in den 60er Jahren an die Stadtverwaltung und setzen sich dafür ein, die Gedenktafel für ihren Vater wieder am Bismarckturm aufzuhängen. 1961 stimmte der Rat dem zu. „Sie hängt nun im Eingang innen“, berichtet Martin Buschmann vom Umwelt- und Grünflächenamt. „Auf einer der Textfahnen, die im Turm hängen, erfährt man als Besucher noch etwas mehr über Otto Hünnebeck.“ Agnes, die als Künstlerin und nach 1945 auch endlich als Lehrerin arbeiten konnte, und Wilhelm Hünnebeck sind erst als Tote wieder heimgekehrt: Sie ruhen neben Vater, Mutter und einem ihrer im Ersten Weltkrieg gefallenen Brüder auf dem Blumenfriedhof. Nachkommen gibt es keine. „Die Erbgruft ist heute verwaist“, weiß Martin Buschmann.

Bochumer Bismarckturm
Der Bochumer Bismarckturm lockt im Sommerhalbjahr etwa 30.000 Gäste, die von seiner obersten Plattform die Aussicht über Stadt und Region genießen. An guten Tagen reicht der Blick bis in die Haardt. Der Bismarckturm ist aus Ziegeln gemauert und hat eine Außenschale aus Ruhrsandstein. Den Zweiten Weltkrieg hat das Denkmal fast schadlos überstanden. 1948 war er für die Bevölkerung wieder zugänglich. 1961 wurde er saniert. Aufgrund von immer wiederkehrenden Feuchtigkeitsschäden schloss die Stadt den Bismarckturm 1983, stellte ihn 1989 unter Denkmalschutz. 2001 war er erstmals wieder begehbar. 2003 schloss die Stadt die aufwändige Sanierung ab. Jedoch sorgen nach wie vor baulich bedingte Feuchtigkeitsprobleme dafür, dass der Turm mit seinem Sockelgeschoss laufend in Stand gehalten werden muss. Die Feuerschale, die zu Ehren Bismarcks brennen sollte, steht heute aus statischen Gründen nicht mehr auf der Turmspitze, sondern neben dem Gebäude. Im Innern informieren Textfahnen über den Turm, Bismarck, Stadtpark und historische wie aktuelle Aussichtspunkte.