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Experten drängen auf Reform der Mietregulierung, um bezahlbares Wohnen für
alle zu ermöglichen

Die Maßnahmen im Bereich Bauen und Wohnen im gestern vorgelegten
Koalitionsvertrag sind kein großer Wurf. Dies ist das Urteil von drei
Experten der Universitäten Regensburg und Mannheim, Prof. Dr. Jürgen
Kühling, Prof. Dr. Siegloch und Prof. Dr. Steffen Sebastian, die zudem
auch für das Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung
(Siegloch und Sebastian) und die Monopolkommission der Bundesregierung
(Kühling) tätig sind.

Ihr Hauptkritikpunkt: Die bisherigen Werkzeuge der Marktregulierung –
ortsübliche Vergleichsmiete, Kappungsgrenze und Mietpreisbremse –, die
laut Koalitionsvertrag verschärft bzw. verlängert werden sollen, sind
sozial ungerecht, da sie nicht nur Bedürftige subventionieren, sondern
auch Bestandsmieter und Luxuswohnungen. Nicht ein Mangel an Wohnraum sei
das Problem, sondern die heterogene Entwicklung der Nachfrage: Stehen in
ländlichen Gebieten Häuser leer, ist bezahlbarer Wohnraum in den
Ballungsgebieten Mangelware. Und gerade für Wohnungssuchende ist es dort
schwierig, bezahlbare Wohnungen zu finden – nicht zuletzt deshalb, weil
Bestandsmieter keinen Anreiz haben, ihre womöglich überdimensionierten
doch durch Subventionen günstigen Wohnungen zu verlassen.

Um sicherstellen zu können, dass alle Bevölkerungsgruppen bezahlbaren
Wohnraum finden, schlagen Kühlung, Siegloch und Sebastian andere
Regulierungsmechanismen vor: Die Reform der ortsüblichen Vergleichsmiete,
die Anhebung von Bestandsmieten auf das Niveau der Marktmiete und die
stärkere Besteuerung der Vermieter; die höheren Steuereinnahmen können
dann für eine Förderung der tatsächlich Bedürftigen inklusive Haushalte
mit mittlerem Einkommen genutzt werden.

Eine Förderung, die sowohl schnell als auch bedarfsgerecht wirkt, ist nur
durch die individuelle finanzielle Unterstützung von betroffenen
Haushalten zu erreichen. Die derzeitige Unterstützung durch Wohngeld und
Kosten der Unterkunft reicht nicht aus und ist in der Umsetzung zu
kompliziert. Kühling, Sebastian und Siegloch schlagen vor, beide
Instrumente – Kosten der Unterkunft und das Wohngeld – zu einer
Transferleistung zusammenzulegen und Einkommensgrenze höher anzusetzen. So
könnten in Ballungsräumen auch Haushalte mit mittlerem Einkommen von der
Förderung profitieren.

*Finanzierung*
Die Finanzierung der neuen wohnungspolitischen Transferleistung soll nach
Ansicht der Experten ohne zusätzliche Belastung des Staatshaushaltes
erfolgen: durch eine stärkere Besteuerung der Vermieter. Diese soll sich
an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Vermieters orientieren,
also idealerweise als Zuschlag zur Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer.
Idealerweise ist diese wohnungspolitische Maßnahme haushaltsneutral.

Ungerechte Subventionen, die gleichermaßen Wohlhabende wie Bedürftige
begünstigen, sollten abgeschafft werden, empfehlen die Professoren. Die
Berechnung der ortsüblichen Vergleichsmiete sollte in den jeweiligen
Mietspiegeln so reformiert werden, dass diese näher an der Marktmiete
liegt. Zudem sieht der Reformvorschlag vor, die Kappungsgrenze
abzuschaffen, da diese nicht nur Bedürftige sondern auch Wohlhabende
begünstigt und damit sozial nicht gerecht ist. Auch nach dem Vorschlag der
Experten wird von Vermietern zu Mietern umverteilt, jedoch sozial
gerechter, da sich die Förderung an der tatsächlichen Bedürftigkeit und
die Besteuerung an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit orientiert. Die
Unterstützung Bedürftiger käme wesentlich schneller und zielgerichteter an
als eine rein marktwirtschaftliche Lösung. So kann bezahlbares Wohnen für
nahezu alle möglich werden – und zwar sofort.

Prof. Dr. Jürgen Kühling, LL. M., Universität Regensburg
Jürgen Kühling ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht,
Immobilienrecht, Infrastrukturrecht und Informationsrecht, Universität
Regensburg. Er ist zudem Vorsitzender der Monopolkommission und Mitglied
der gif-Mietspiegelkommission. Mit seiner Zugehörigkeit zur Fakultät für
Rechtswissenschaft sowie seiner Anbindung an das IREBS-Institut für
Immobilienwirtschaft ist sein Lehrstuhl interdisziplinär ausgerichtet.
Kühling forscht seit vielen Jahren zu Regulierungsfragen und besonders zu
den rechtlichen Rahmenbedingungen der Immobilienmärkte und insbesondere
den Anforderungen an eine sinnvolle Mietenregulierung. Er berät die
öffentliche Hand umfassend in seinen Forschungsgebieten.

Prof. Dr. Sebastian Siegloch, Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung
(ZEW) und Universität Mannheim
Sebastian Siegloch ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der
Universität Mannheim und Leiter des Forschungsbereich “Soziale Sicherung
und Verteilung” am benachbarten ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische
Wirtschaftsforschung. Sieglochs Forschungsschwerpunkt liegt auf der
Schnittstelle zwischen Finanzwissenschaften, Arbeitsmarkt- sowie
Regionalökonomik. In seinen aktuellen Arbeiten beschäftigt er sich etwa
mit den Effizienz- und Verteilungswirkungen regionaler Steuern und
Subventionen.

Prof. Dr. Steffen Sebastian, Universität Regensburg und Zentrum für
Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW)
Steffen Sebastian ist Inhaber des Lehrstuhls für Immobilienfinanzierung an
der IREBS International Real Estate Business School der Universität
Regensburg. Er ist zudem Research Associate des ZEW und dort in
immobilienbezogenen Forschungs- und Beratungsprojekten tätig. Professor
Sebastian ist Mitglied des Vorstands und Past President der European Real
Estate Society (ERES) sowie Mitglied des Vorstands der Gesellschaft für
Immobilienwirtschaftliche Forschung e.V. Seit 2017 ist er Vorsitzender der
Mietspiegelkommission der Gesellschaft für Immobilienwirtschaftliche
Forschung e.V. Er berät Verbände, Abgeordnete und Kommunen in Fragen der
Wohnungspolitik.