Pin It

Der Krieg in der Ukraine sowie die damit verbundenen Sanktionen des
Westens gegen Russland und vor allem gegen den russischen Präsidenten
Wladimit Putin wirbeln die Finanzmärkte weltweit durcheinander. Besonders
tiefgreifende Einschnitte bringt für Russland dessen Ausschluss aus dem
internationalen Zahlungssystem SWIFT mit sich. Aber auch die Deutschen
werden die Sanktionen zu spüren bekommen. Eine Einordnung der Situation
von Prof. Dr. Gunther Schnabl, dem Leiter des Instituts für
Wirtschaftspolitik an der Universität Leipzig.

Was bedeutet der Ausschluss Russlands aus dem internationalen
Zahlungssystem SWIFT für das Land selbst, aber auch für die westlichen
Länder, vor allem für Deutschland?

Unser Wohlstand basiert auf internationaler Arbeitsteilung und damit
internationalem Handel. Mit dem Zahlungssystem SWIFT können internationale
Zahlungen schnell, sicher und effizient abgewickelt werden. Ein Ausschluss
auf SWIFT erschwert den internationalen Handel. Bei einem kompletten
Ausschluss aus SWIFT könnte Russland zumindest kurzfristig keine Rohstoffe
mehr exportieren und keine Güter mehr beispielsweise aus Deutschland
importieren. Beide Seiten würden getroffen. Da Rohstoff- und
Energieimporte für die westlichen Industrieländer sehr wichtig sind, hat
man diese von die SWIFT-Boykott ausgenommen. Russland könnte die SWIFT-
Blockade für Importe über ein eigenes Zahlungssystem oder auch mit Hilfe
von Bitcoin umgehen.

Die Sanktionen sollten vor allem Wladimir Putin und seine
Unterstützer:innen treffen. Ist das mit diesem Schritt tatsächlich
gelungen?

Viele Länder einschließlich der Schweiz haben die Vermögen von
einflussreichen Russen eingefroren. Allerdings dürften sowohl Wladimir
Putin als auch die Oligarchen vorbereitet gewesen sein. Sie werden noch
ausreichend Rückzugsmöglichkeiten in Russland oder in Ländern haben, die
sich nicht an den Sanktionen beteiligen. Sanktionen haben in der
Vergangenheit meist nicht das gewünschte Ziel erreicht, weil der
Zusammenhalt in den sanktionierten Ländern gestärkt wurde und die
Sanktionen mit der Zeit umgangen wurden. Das weiß auch Wladimir Putin, der
China als potenziellen Partner in der Hinterhand hat. China ist seit
längerem Ziel von Handelsbeschränkungen durch die USA.

Kann es am Ende sein, dass uns die Sanktionen angesichts unserer
Abhängigkeit von russischen Energieimporten härter treffen als Russland?

Viele Länder haben Sanktionen gegen Russland eingeleitet, sodass das Land
besonders stark geschädigt wird. Für Deutschland dürften die Folgen
weniger stark sein. Russland rangiert auf der Liste der Handelspartner von
Deutschland mit ca. 60 Mrd. Euro Umsatz auf Platz 13, noch hinter der
Tschechischen Republik. Deutschland kann Energie und Rohstoffe über die
mittlere Frist auch von anderswo beziehen, wenn auch wohl zu höheren
Preisen. Die Auswirkungen der Ukraine-Krise auf die globalen Energie-,
Rohstoff- und Lebensmittelpreise sind jedoch nicht zu unterschätzen.
Nachdem die Inflation in Deutschland bereits deutlich gestiegen ist,
dürfte diese weiter steigen.

Welche Gegenmaßnahmen könnte Putin jetzt verhängen?

Der russische Präsident könnte den Import von Industriegütern aus
Deutschland stoppen oder mit Zöllen belegen. Doch das würde die Inflation
in Russland weiter nach oben treiben. Er könnte auch die Energieexporte
einschränken. Doch dadurch würde die wichtigste Einkommensquelle
wegbrechen. Derzeit profitiert Russland sogar noch von steigenden Energie-
Rohstoff- und Weizenpreisen. Wenn China statt Westeuropa die russischen
Rohstoffe kaufen würde, dann würde Chinas Nachfrage auf den Weltmärkten
sinken. Die freiwerdenden Kapazitäten könnten von Westeuropa nachgefragt
werden. Auch auf die internationalen Finanzmärkte, die zu einen
Hauptschauplatz des neuen kalten Kriegs geworden sind, hat Putin wenig
Einfluss. Sein wichtigstes Drohpotential sind die Atomwaffen.

Durch die wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland werden starke
Erschütterungen an den Finanzmärkten erwartet. Welche könnten das sein und
wie nachhaltig könnten diese ausfallen?

Die Finanzmärkte scheinen derzeit der Schwerpunkt der Sanktionen zu sein.
Man spricht von „Finanzmarktwaffen“, die überwiegend Russland treffen,
aber auch einige europäische Banken mit starkem Russlandgeschäft wie die
UniCredit. Die SWIFT-Sanktionen haben die russischen Banken getroffen, die
nicht mehr über ihre Anlagen im Ausland verfügen können. Es hat einen Run
auf deren Geldautomaten eingesetzt. Russland hält zwar große
internationale Devisen- und Goldreserven von etwa 630 Milliarden Euro
(davon 132 Mrd. in Gold), die jedoch im Zuge von Sanktionen gegen die
russische Zentralbank zu wichtigen Teilen eingefroren wurden. Die
russische Zentralbank kann deshalb nicht gegen eine Abwertung des Rubel
intervenieren, so dass der Rubel abgestürzt ist. Die Abwertung des Rubels
treibt die Inflation in Russland nach oben. Möglicherweise hat Wladimir
Putin die Finanzmarktaspekte des Krieges unterschätzt.

Wie ordnen Sie die Ukraine-Krise in das globale wirtschaftliche und
politische Umfeld ein?

Die westlichen Industrieländer können seit längerem hohe
Ausgabenverpflichtungen nur noch mit Hilfe umfangreicher
Staatsanleihekäufe der Notenbanken aufrechterhalten. Das hat zu anhaltend
lockeren Geldpolitiken geführt, die das Wachstum lähmen und negative
Verteilungseffekte haben. Der Westen ist wirtschaftlich und politisch
geschwächt, während Russland hohe Rücklagen gebildet und seine Armee
modernisiert hat. Anhaltend lockere Geldpolitiken können zu steigenden
Energie- und Rohstoffpreisen führen, da sie die Nachfrage hochhalten und
die Anleger in Sachwerte einschließlich Rohstoffen treiben. Zudem haben
die rohstoffexportierenden Länder hohe Devisenreserven, die bei hoher
Inflation in den USA und Europa real entwertet werden. Das schafft einen
Anreiz für die Rohstoffexporteure durch höhere Preise Wertverluste
auszugleichen. Eine ähnliche Konstellation ging in den 1970er Jahren mit
einem militärischen Konflikt im Nahen Osten einher. Gewinner der
derzeitigen Situation scheinen vor allem die Rüstungsunternehmen und die
Fracking-Industrie in den USA zu sein. Die meisten Menschen in aller Welt
verlieren durch Inflation.