Pin It
Fast die Hälfte der Aktiven, die den Olympischen Spielen in Tokio an den Start gehen, sind Frauen.  Foto: Colourbox
Fast die Hälfte der Aktiven, die den Olympischen Spielen in Tokio an den Start gehen, sind Frauen. Foto: Colourbox

Bei den ersten Olympischen Spielen der Neuzeit im Jahr 1896 waren Frauen
lediglich als Zuschauerinnen gern gesehen. Zu den Wettkämpfen antreten
durften sie nicht. Inzwischen hat sich in Sachen
Geschlechtergleichstellung auch in der olympischen Bewegung viel getan.
Seit den Spielen 2012 sind in allen olympischen Sportarten auch Frauen am
Start. Mittlerweile stellen sie nahezu die Hälfte der Aktiven bei den
Olympischen Sommerspielen. Doch auch bei den Olympischen Sommerspielen in
Tokio, die am kommenden Freitag eröffnet werden, liegt diesbezüglich noch
einiges im Argen, findet Dr. Petra Tzschoppe.

Sie ist Sportsoziologin an der Universität Leipzig und Vizepräsidentin
Frauen und Gleichstellung des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB).

Frau Dr. Tzschoppe, die Olympischen Spiele in Japan bringen mit Blick auf
das Thema Geschlechtergerechtigkeit einige Neuerungen. Welche sind das?

Das Etikett „geschlechterausgewogene Spiele“ ist mit Blick auf die Aktiven
durchaus verdient. Der Anteil der Sportlerinnen wird bei 49 Prozent
liegen. Mit neuen Disziplinen wurde die Zahl der Wettbewerbe für Frauen
erhöht, etwa im Kanurennsport oder mit der 1.500-Meter-Distanz im
Schwimmen. Einen guten Impuls geben auch neue Mixed-Wettkämpfe, z.B. im
Schwimmen, Triathlon und Judo. Sehr gespannt bin ich auch auf die
gemischte 4 x 400-Meter-Staffel in der Leichtathletik. Neu könnte auch
sein, dass Turnerinnen mit langem Wettkampfanzug antreten und nicht wie
bisher im ultraknappen Dress. Sie entscheiden selbst, wie sie ihren Körper
präsentieren. Das sind Signale, die auch vom gewachsenen Selbstbewusstsein
der Athletinnen zeugen.

Gibt es etwas, das mit Blick auf die Geschlechterparität bei Olympia noch
schief läuft?

Da gibt es einiges. Schauen wir uns nur an, wie die Geschlechterverteilung
beim Betreuungspersonal ist. Bei den letzten vier Olympischen Spielen seit
2010 lag der Anteil der Trainerinnen jeweils bei 10 oder 11 Prozent. Das
wird auch in Tokio noch nicht gravierend anders sein. Im Speziellen stört
mich, dass das deutsche Team keinen Beitrag leistet, dieses Missverhältnis
zu verringern, wenn der Anteil akkreditierter Trainerinnen für Tokio
gerade mal acht Prozent beträgt. Bei den Olympischen Winterspielen 2018 in
Pyeongchang waren von den 80 Trainerinnen und Trainern des deutschen Teams
sogar nur zwei weiblich. Da bleibt also noch viel zu tun. Das gilt in
ähnlicher Weise für Kampf- und Schiedsrichterinnen. Auch ihr Anteil lag
bei den vergangenen Spielen unter 30 Prozent. Ebenso sind
Sportjournalistinnen noch immer deutlich in der Unterzahl. Das spiegelt
sich dann auch in einer unausgewogenen Sportberichterstattung wider. Mit
Ausnahme Olympischer Spiele erhalten Athletinnen in der
Sportberichterstattung durchschnittlich nur zehn Prozent der medialen
Aufmerksamkeit. Und nicht zuletzt läuft noch nicht alles in zeitgemäßen
Bahnen, wenn wir fragen, wo Frauen in den Führungspositionen im Sport
sind. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hat bis 1981 gebraucht,
um die erste Frau in dieses Gremium zu kooptieren. 85 Jahre waren die
Herren der Ringe unter sich geblieben. Allerdings hat es in den letzten
Jahren erkennbare Bereitschaft und Aktivitäten für Veränderungen gegeben,
so das dem IOC mittlerweile 37,5 Prozent Frauen angehören. Soweit sind
viele Nationale Olympische Komitees noch nicht, und erst recht nicht die
meisten Internationalen Sportverbände.

Woran liegt es, dass so wenig Trainerinnen mit nach Japan fliegen?

Die Entscheidung, wer die Aktiven bei den Spielen betreut, treffen die
jeweiligen Verbände für ihre Sportarten. Der Anteil von Trainerinnen auf
der Bundesebene ist ohnehin schon sehr niedrig und wenn es um die
Teilnahme an den Spielen geht, wird noch einmal selektiert. Es gibt
verschiedene Gründe für den generell so geringen Anteil von Trainerinnen,
die meisten haben mit überholten Rollenbildern zu tun. Das Argument etwa,
dass dieser Beruf nicht familienfreundlich ist, betrifft ja alle. Auch
Männer haben Familie und wollen zunehmend Zeit für ihre Kinder haben. Oft
fängt es schon damit an, dass Sportler bereits während ihrer
Leistungssportkarriere von ihrem Verband angesprochen werden, ob sie
aktiven Zeit als Trainer arbeiten möchten, Sportlerinnen hingegen nicht.
Das ist einfach nicht klug, denn so geht den Verbänden sehr viel Expertise
und Kompetenz verloren.

Was würden Sie sich als DOSB-Vizepräsidentin Frauen und Gleichstellung
angesichts dieses noch immer herrschenden Ungleichgewichts für die nahe
Zukunft wünschen?

Ich wünsche mir zum Beispiel, dass über die sportliche Leistung der
Athletinnen in gleicher Weise berichtet wird wie über die der Männer. Das
gilt für den Umfang der Berichterstattung, aber auch für den Inhalt. Hier
geht es häufig um das Aussehen der Sportlerinnen, es dominieren
herkömmliche weibliche Geschlechterklischees. Es sollte stattdessen um
eine faire Darstellung und Wertschätzung ihrer sportlichen Leistungen
gehen. Der DOSB verfolgt dieses Anliegen seit Jahren und hat vor wenigen
Tagen eigens eine Kampagne für geschlechtergerechte Darstellung von Frauen
in den (Sport)Medien initiiert. Und mit Blick auf Tokio wünsche ich mir,
dass Olympische und Paralympische Spiele rundum geschlechterparitätisch
werden. Von Null Olympiateilnehmerinnen vor 125 Jahren in Athen auf fast
50 Prozent heute ist eine Botschaft, die zeigt, was auch auf anderen
Feldern möglich ist. Mit ihrer starken weltweiten Ausstrahlung können sie
so Impulse für Geschlechtergerechtigkeit nicht nur im Sport, sondern
darüber hinaus in die gesamte Gesellschaft senden.

Hinweis:
Dr. Petra Tzschoppe ist eine von rund 200 Expertinnen und Experten der
Universität Leipzig, auf deren Fachwissen Sie mithilfe unseres
Expertendienstes zurückgreifen können.