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Dr. Hendrik Träger
Dr. Hendrik Träger

Die Koalitionsverhandlungen zwischen SPD, Grünen und FDP haben begonnen.
Der Politikwissenschaftler Dr. Hendrik Träger von der Universität Leipzig
geht davon aus, dass die drei Parteien zügig auf eine
Koalitionsvereinbarung einigen werden, so dass die neue Regierung im
Dezember steht. Der neue Bundeskanzler und sein Kabinett müssen sich bei
der Umsetzung ihrer Reformpläne jedoch auf Gegenwind aus dem Bundesrat
gefasst machen, so Träger.

In den Verhandlungen zur Ampel-Koalition müssen sich drei Partner auf
gemeinsame Ziele einigen. Wie groß werden aus Ihrer Sicht die
Zugeständnisse sein, die SPD, Grüne und FDP machen müssen?

Bei einer Dreierkonstellation muss jede der Parteien Kompromisse eingehen
und kann nicht ihre Maximalforderungen durchsetzen. Schon bei zwei
Parteien ist es nicht immer einfach, sich auf einen Kompromiss zu
verständigen und bei drei Parteien wird es nicht leichter.
Am Ende wird vielleicht jede der drei Parteien bestimmte
Leuchtturmprojekte in den Koalitionsverhandlungen durchbringen und
versuchen, diese in der Legislaturperiode umzusetzen, beispielsweise durch
Gesetzgebungsprozesse oder das Entwickeln von Förderprogrammen. Bei den
Grünen könnte so ein Projekt im Bereich Klimaschutz liegen, bei der FDP im
Bereich Digitalisierung und bei der SPD im Bereich Sozialpolitik,
beispielsweise beim Thema bezahlbares Wohnen oder Mindestlohn. Die
Parteien haben bei den Verhandlungen auch zu berücksichtigen, dass sie der
eigenen Basis erklären müssen, warum es sich lohnt, in diese Koalition zu
gehen. Diskussionen könnte es auch über die Besetzung und den Zuschnitt
einiger Ministerien geben.
Die Parteien haben aus meiner Sicht die gleichen Chancen in diesem
Aushandlungsprozess, denn keine Partei kann es sich leisten, sich aus den
Koalitionsverhandlungen ergebnislos zurückzuziehen. Andere Optionen der
Regierungsbildung, zum Beispiel ein ‚Jamaika‘-Bündnis oder eine Große
Koalition, sind zwar rein rechnerisch möglich, aber praktisch nicht
umsetzbar, weil die Union in ihrer gegenwärtigen Situation kein
verhandlungsfähiger Gesprächspartner ist. Somit kann keine der drei
verhandelnden Parteien mit Alternativen jenseits der Ampel-Koalition
drohen.

Der Begriff „Reformregierung“ macht die Runde. Wird die Ampel-Koalition
tatsächlich so viele Neuerungen umsetzen?

Eine neue Regierung braucht eine politische Rahmenerzählung darüber, was
sie erreichen will. Wir haben in der Geschichte der Bundesrepublik oft
gesehen, dass sich neue Koalitionen als Reformprojekte präsentiert haben.
Ich denke zum Beispiel an die neue Ostpolitik der ersten sozial-liberalen
Koalition 1969, an die sogenannte „geistig-moralische Wende“ der
konservativ-liberalen Koalition Anfang der 80er Jahre oder an die rot-
grünen Reformen unter Kanzler Schröder.
Die künftigen Koalitionsparteien haben offenbar auch den Ehrgeiz, Reformen
durchzusetzen. In der Ampel-Koalition bieten sich dafür beispielsweise
gesellschaftspolitische Themen an, weil es in diesen Politikfeldern
größere Schnittmengen zwischen SPD, Grünen und FDP gibt als bei SPD und
Union in der bisherigen Großen Koalition.
Der Weg wird für künftige Bundesregierung allerdings nicht einfach sein,
weil die Koalition unter Umständen den Bundesrat zum Realisieren ihrer
Reformen braucht, wenn es sich um Zustimmungsgesetze handelt. Im Bundesrat
hat die Ampel-Koalition keine eigene Mehrheit und wird mit den
Bundesländern, in denen die Union mitregiert, Kompromisse finden müssen.

Wird die neue Regierung wirklich im Dezember stehen?

Die Sondierungsgespräche sind erstaunlich schnell verlaufen, schneller als
ich erwartet habe. Nach der Bundestagswahl sah es zunächst danach aus, als
ob sich die Sondierung ziemlich lange hinziehen würde, doch bereits knapp
drei Wochen nach der Bundestagswahl haben die drei Parteien ein
Sondierungspapier vorgelegt.
Die Verhandlungspartner sind offenbar kompromissbereit, arbeiten in einem
vertrauensvollen Verhältnis zusammen und sind willens, diese Regierung zu
bilden. Die Koalitionsverhandlungen werden zudem arbeitsteilig
vonstattengehen: 22 Arbeitsgruppen werden sich mit verschiedenen
Politikfeldern beschäftigen, in denen die jeweiligen Expert:innen aus den
Parteien parallel tagen.
Ich denke, die Koalitionsverhandlungen können durchaus in vier bis fünf
Wochen erfolgreich in eine Koalitionsvereinbarung münden. Wenn die
Koalition von der Basis der drei beteiligten Parteien Anfang Dezember
‚abgesegnet‘ wird, können bis Mitte Dezember der Bundeskanzler gewählt und
das Kabinett vereidigt werden.