Zum Hauptinhalt springen

Ernährungszahnmedizin – wie sich ein neues Fach am Uniklinikum Dresden entwickelt

Pin It

Studien zeigen, dass die Ernährung einen zentralen Einfluss auf Karies und
Zahnfleischentzündungen hat. Wer sich vollwertig ernährt, sorgt für
Zahngesundheit sowie Allgemeingesundheit und ein besseres Befinden. Ein
Zahnmediziner plädiert zum Tag der Zahngesundheit (25.09.) für neue
Aspekte des Berufs sowie einen ganzheitlichen Ansatz bei der Prävention.

Falsche Ernährung hat einen Einfluss auf viele Aspekte der körperlichen
Gesundheit. Übergewicht, zu hohe Cholesterinwerte, Diabetes, Bluthochdruck
sowie Herz-Kreislauferkrankungen sind nur einige Folgen. Zudem werden
verschiedene Krebserkrankungen durch eine falsche Ernährung gefördert.
Zahnärztinnen und Zahnärzte sind dabei mitunter die ersten, die Vorzeichen
einer falschen Ernährung erkennen. Denn übermäßiger Zuckerkonsum schädigt
zuerst die Zähne. Allein in Deutschland leiden 98 Prozent der Menschen
unter Karies, 50 Prozent der Erwachsenen unter Parodontitis. „Und das
obwohl 95 Prozent der Menschen regelmäßig Zähneputzen“, sagt Prof. Johan
Wölber, Professor für Parodontologie am Universitätsklinikum Dresden und
Leiter des Bereichs Parodontologie an der Medizinischen Fakultät Carl
Gustav Carus an der TU Dresden. Seine Studien belegen, dass die Ernährung
einen erheblichen Einfluss auf die Zahngesundheit hat. Deshalb plädiert er
für eine neue Rolle der Zahnmedizin bezüglich Prävention und
Ernährungsberatung sowie einen ganzheitlichen Ansatz. „Wenn wir beginnen
unsere Ernährung anzupassen, verhindern wir nicht nur Zahnerkrankungen.
Wir erreichen positive Wirkungen auf den gesamten Körper. Die Zahnmedizin
kann dafür ein großartiger Türöffner sein“, sagt Prof. Wölber.

Haben Sie schon mal einen Affen mit einer Zahnbürste gesehen? Mit dieser
Frage bringt Prof. Johan Wölber sein Anliegen kurz und knapp auf den
Punkt. Denn Karies oder Probleme mit der Zahngesundheit kommen bei Tieren
in freier Wildbahn im Vergleich zu Menschen viel seltener vor, obwohl sie
diese nicht täglich mit einer Bürste pflegen. Nur der Mensch putzt seine
Zähne regelmäßig, hat dafür aber dennoch übermäßig oft Probleme mit
Karies, Parodontitis sowie Zahnfleischentzündungen. Das Zähneputzen mit
fluoridhaltiger Zahnpasta hat - richtig angewandt - schon einen guten
Effekt gegen Karies und Zahnfleischerkrankungen. Allerdings scheint die
Ernährung als grundlegender Einflussfaktor einen deutlich höheren Anteil
an der Zahngesundheit zu haben. Archäologische Funde aus der Zeit vor der
Sesshaftwerdung der Menschen (vor ca. 20.000 Jahren) belegen, dass es
trotz „fehlender“ Mundhygiene dennoch gesunde Zähne gegeben hat. „Seitdem
haben sich die Bedingungen für die Ernährung der Menschen grundlegend
geändert. Das war gesundheitlich sowohl für den Mund als auch den ganzen
Körper nicht förderlich“, sagt Prof. Johan Wölber, Professor für
Parodontologie am Universitätsklinikum Dresden. Zahnmedizinerinnen und
-mediziner sind oftmals die ersten, die von einer falschen Ernährung
erfahren. Bevor Menschen Diabetes mellitus Typ 2 entwickeln oder
Bluthochdruck bekommen, haben sie häufig Karies und
Zahnfleischerkrankungen. Diese Erkenntnis gibt der Zahnmedizin eine
komplett neue Aufgabe. Es geht nicht mehr nur darum, Zahngesundheit zu
erhalten, sondern Patientinnen und Patienten auch für eine vollwertige
Ernährung zu gewinnen.

Dabei spielt vor allem Zucker eine entscheidende Rolle. So kann der
Verzicht auf Zucker bakterielle Infektionen des Mund- und Rachenraumes
sowie viele weitere Entzündungen im Körper erheblich vermindern. Nach
Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung sollten Menschen
maximal 25 Gramm Zucker pro Tag zu sich nehmen. Die Realität sieht anders
aus: Im Schnitt essen Menschen in Deutschland 93 Gramm Zucker pro Tag.
Genau andersherum ist es bei den Ballaststoffen. Empfohlen sind 30 Gramm,
konsumiert werden im Schnitt nur 19 Gramm. Wild lebende Populationen
kommen Schätzungen zufolge auf 120 Gramm. „Letztendlich geht es um eine
Ernährung, wie sie ursprünglich, evolutionär für uns vorgesehen war –
keine industriell verarbeiteten Lebensmittel, saisonales Obst und Gemüse,
kein Zucker aus Zuckerrohr oder Zuckerrüben, sondern nur solcher, der in
Obst und Früchten natürlicherweise vorkommt, Vollkornprodukte, kaum
Fleisch, eine pflanzenbasierte Vollwertkost …“, sagt der Parodontologe.
Dabei sei es nicht das Ziel, dass bei vollwertiger Ernährung die
Zahnbürste aus dem Badezimmer verschwindet. Ziel ist es, durch angepasste
Ernährung die Gesundheit zu fördern und Krankheiten zu vermeiden. Die
Mundhygiene bietet dann einen weiteren Schutzfaktor.

Neue Ansätze für die Lehre
Seinen ganzheitlichen Ansatz zur Prävention von Erkrankungen durch eine
vollwertige Ernährung hat der Professor mit zahlreichen Studien belegt.
Probanden, die zum Beispiel vier Wochen auf Zucker verzichtet haben,
zeigten ein geringeres Risiko für Karies und deutlich weniger
Zahnfleischentzündungen. Im kommenden Jahr soll ein Positionspapier der
Bundeszahnärztekammer dazu erscheinen – Prof. Johan Wölber ist daran
maßgeblich beteiligt. Zudem hat er gerade die D-A-CH-Gesellschaft für
Ernährungszahnmedizin e.V. gegründet, zu dessen Gründungspräsident er
gewählt wurde. Ziel ist eine neue Ausrichtung des Berufs von
Zahnmedizinerinnen und -medizinern. Dies fängt schon in der Ausbildung an.
In Dresden sollen die Studierenden in der Zahnmedizin für das Thema
begeistert werden. Inhalt ist es, wie Patientinnen und Patienten die
Vorteile einer vollwertigen Ernährung vermittelt werden können. „Letztlich
haben wir es selbst in der Hand, unsere Gesundheit – nicht nur die der
Zähne und des Zahnfleisches – durch eine falsche Ernährung negativ zu
beeinflussen, oder aber durch Vermeidung von Zucker und eine gesamtgesunde
Ernährung positiv zu beeinflussen“, sagt Prof. Johan Wölber. „Gleichzeitig
müssen wir uns als Gesundheitsexpertinnen und -experten auch für gesündere
Lebenswelten einsetzen, die nicht nur von Werbung für
gesundheitsschädliche Produkte geprägt sind.“ Die aktuellen Empfehlungen
der Deutschen Gesellschaft für Ernährung und des jüngst einberufenen
Bürgerrates gehen schon sehr in die richtige Richtung, so der Experte.

„Die Thesen und Studien von Prof. Johan Wölber sind Beispiel dafür, dass
wir in der Medizin ganzheitlich denken und darüber hinaus die Forschung
einsetzen müssen, um neue Ansätze in Diagnostik, Therapie und bei der
Prävention zu erkennen. Die Hochschulmedizin Dresden hat sich dem
verpflichtet und dies vielfältig unter Beweis gestellt“, sagt Prof.
Michael Albrecht, Medizinischer Vorstand am Uniklinikum Dresden. „Die
Neuausrichtung der Zahnmedizin mit einem klaren Fokus auf Prävention nimmt
direkt Bezug auf die Herausforderungen der Menschen in einer modernen
Welt. Die Lehre spielt dabei eine entscheidende Rolle. Es ist unsere
Verantwortung, die neue Generation von Zahnmedizinerinnen und -medizinern
für die aktuellen Aufgaben zu sensibilisieren“, sagt Prof. Esther Troost,
Dekanin der Medizinischen Fakultät an der TU Dresden.