Professor Detlev Ganten zum 80. Geburtstag: „Es gibt kein schöneres Leben“
Prof. Dr. Detlev Ganten, der international bekannte Herz-Kreislauf-
Forscher, hochdekorierte Wissenschaftsmanager und ehemalige Präsident der
Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte (GDNÄ), feiert am 28. März
seinen 80. Geburtstag. Im Gespräch mit der GDNÄ berichtet er von seinen
Jahren als Wessi in einem Ost-Institut, dem Aufschwung der Wissenschaft
und seinen Plänen für die dritte Lebenshälfte.
Professor Ganten ist auch mit 80 Jahren ein vielbeschäftigter Mann. Die
Leitung des World Health Summit hat er gerade abgegeben, in Kürze
erscheint ein neues Sachbuch und zwischendurch engagiert er sich für das
Wissenschaftsjahr Berlin 2021. Auf die Frage, ob er Zeit zum Feiern hat,
antwortet er: „Zeit hat man immer für alles, was man für wichtig hält. Und
mit Freunden gemeinsam zu feiern, aus welchem Anlass auch immer, hat in
meinem Leben immer einen hohen Stellenwert gehabt.“
Gantens Engagement für die Wissenschaft bleibt auch im Alter groß. Die
Freude an der Aufgabe treibe ihn weiter an, sagt er. „Wissenschaftler
haben ja das unschätzbar große Privileg, sich ihre Aufgabe selber
auszuwählen,“ sagt er. „Es gibt kein schöneres Leben. Dazu kommt die
Hoffnung, man könnte ja vielleicht etwas Bedeutsames erforschen und
realisieren.“
Detlev Ganten hat in seinem langen Berufsleben viele Facetten des
deutschen Wissenschaftssystems aus ganz unterschiedlichen Perspektiven
kennengelernt: als Pharmakologie-Professor in Heidelberg und als
Gründungsdirektor des Max-Delbrück- Centrums für Molekulare Medizin im
Osten Berlins, als Vorstandsvorsitzender der Helmholtz-Gemeinschaft und
als Chef der Charité. Rückblickend erkennt er, dass erfreulicherweise
vieles besser geworden ist. Er stellt fest, dass Deutschland in den
letzten fünfzig Jahren wieder an seine große Wissenschaftstradition
anknüpfen konnte. In den Nachkriegsjahren hatte der wirtschaftliche
Wiederaufbau zunächst Vorrang. Mit Forschung und Wissenschaft ging es erst
wieder in den 1970er-Jahren richtig los und die Wiedervereinigung brachte
nochmal einen erheblichen Schub. Die finanzielle Förderung war gut und
zuverlässig. Inzwischen sei auch die „Versäulung“ der Wissenschaft, also
die Trennung von Hochschulen und außeruniversitären
Forschungseinrichtungen, nicht mehr so ausgeprägt wie früher, das System
sei durchlässiger geworden, sagt Ganten. Wenn es um die wissenschaftliche
Produktivität gehe, rangiere Deutschland heute im internationalen
Vergleich auf Platz vier. Das Land habe sich insgesamt wieder zu einem
sehr guten, attraktiven Wissenschaftsstandort entwickelt.
Ein großer Schritt für Detlev Ganten war es, 1991 aus dem beschaulichen
Heidelberg wegzugehen, um im Ostteil Berlins das Max-Delbrück-Centrum für
Molekulare Medizin aufzubauen. Er sei nach seiner Ernennung zum
Gründungsdirektor sofort nach Berlin-Buch gefahren, um sich persönlich
vorzustellen. „Es herrschte eine angespannte Stimmung, die circa 2500
Mitarbeiter waren damals stark verunsichert. In ihren Augen war ich der
unbekannte Wessi mit dem Auftrag, aus den drei Zentralinstituten der
Akademie der Wissenschaften der DDR vor Ort etwas Neues zu formen,“
berichtet er. Das habe natürlich Misstrauen erregt, aber gleichzeitig
spürte er eine große Bereitschaft, die Chance der friedlichen
Wiedervereinigung, die im Osten Deutschlands ihren Ursprung hatte, zu
ergreifen und einen neuen Weg gemeinsam zu gehen.
1992 wurde das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) Berlin-
Buch feierlich gegründet. Professor Ganten ist zwölf Jahre am MDC
geblieben. Beruflich und menschlich war es für ihn eine der
herausforderndsten und prägendsten Zeiten seines Lebens. Wichtig seien
gegenseitiger Respekt und Zuhören gewesen – nur so habe man einen
gemeinsamen Weg finden können, sagt er. Die einmalige Geschichte des
Standorts mit seinen weltberühmten Kaiser-Wilhelm-Instituten und später
dann mit dem biomedizinischen Komplex rund um die Akademie-Institute der
DDR sei ein Kraftquell gewesen.
In seiner Zeit als MDC-Chef hat Detlev Ganten viele zusätzliche Aufgaben
übernommen: Mehr oder weniger parallel war er Mitglied des
Wissenschaftsrats, Präsident der Helmholtz- Gemeinschaft und, von 1996 bis
1998, auch Präsident der GDNÄ. Diese zusätzlichen Aufgaben habe er
angenommen, sagt Ganten, weil dadurch neue Synergien für die Entwicklung
des MDC möglich wurden. Die Erneuerung der Arbeitsgemeinschaft der
Großforschungseinrichtungen zur Helmholtz-Gemeinschaft sei ein Segen für
die gesamte deutsche Gesundheitsforschung gewesen. Und die Präsidentschaft
der hochangesehenen GDNÄ empfand er als Anerkennung für das neue MDC. In
seine Amtszeit fiel der 175. Geburtstag der GDNÄ. Bei der von Professor
Dietrich von Engelhardt organisierten Feier genoss Detlev Ganten die
wunderbare, gesellige, kollegiale Atmosphäre, die großartigen Gäste und
die ausgewählten Vorträge auf höchstem Niveau, was, wie er betont, bis
heute sein Bild von der GDNÄ prägt. Er war Präsident der 120. Versammlung
der GDNÄ in Berlin mit dem Titel „Informationswelt – Unsere Welten der
Information“, wo ein Schwerpunkt die Genomforschung war. Neue Methoden der
Gensequenzierung bei Modellorganismen und des Menschen ergaben eine bis
dahin unbekannte Datenmenge mit neuen Möglichkeiten in der molekularen
Medizin. Über deren Chancen und Risiken wurde Ende der 1990er-Jahre
weltweit sehr intensiv diskutiert.
Der fachübergreifende Austausch unter Wissenschaftlern und mit der
Öffentlichkeit ist nach Ansicht Gantens der GDNÄ-Markenkern und heute
wichtiger denn je. Er freut sich bereits auf die 200-Jahr-Feier der GDNÄ
im September 2022 in Leipzig. Die Zukunft der Gesellschaft sieht er in der
Mitgliedschaft aus Lehrern, Schülern und interessierten Bürgern. Er
schlägt vor, künftig mit hochwertigen Angeboten für die Mitglieder und
starken Impulsen in die Gesellschaft noch mehr nach außen zu gehen: „Da
sehe ich einen großen Bedarf und zu solchen Initiativen leiste ich sehr
gerne meinen Beitrag.“
Das vollständige Interview finden Sie auf der GDNÄ Homepage www.gdnae.de
Zur Person Detlev Ganten
Prof. Dr. Ganten kam im März 1941 in Lüneburg zur Welt. Er studierte
Medizin in Würzburg, Montpellier und Tübingen und erwarb den Titel
„Philosophical Doctor, PhD“ an der McGill Universität in Montreal/Kanada.
1973 kehrte er nach Deutschland zurück, um eine Professur am
Pharmakologischen Institut der Universität Heidelberg anzutreten. Nach dem
Fall der Mauer wurde er 1991 als Gründungsdirektor an das Max- Delbrück-
Centrum für Molekulare Medizin (MDC) nach Berlin-Buch berufen. Von 2004
bis 2008 war Ganten Vorstandsvorsitzender der Charité –
Universitätsmedizin Berlin. Von 1993 bis 1998 wirkte er als Mitglied des
Wissenschaftsrats und von 1997 bis 2001 als Vorsitzender der Helmholtz-
Gemeinschaft. Von 2002 bis 2007 war Detlev Ganten Mitglied im Nationalen
Ethikrat, von 1992 bis 1998 Präsident der World Hypertension League und
von 1996 bis 1998 Präsident der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und
Ärzte. Von 2009 bis 2020 leitete er als Gründungspräsident den World
Health Summit.
Die Bluthochdruckforschung ist der wissenschaftliche Schwerpunkt Gantens.
Für seine Verdienste erhielt er zahlreiche Ehrungen im In- und Ausland,
darunter 1990 den Max- Planck-Forschungspreis, den japanischen Okamoto-
Preis sowie den CIBA-Preis des Council für High Blood Pressure Research
der American Heart Association (1992). Ihm wurde die Ehrendoktorwürde
mehrerer Universitäten im In- und Ausland zuerkannt. Im Jahre 1997 erhielt
er den Verdienstorden des Landes Berlin, 2000 das Bundesverdienstkreuz und
2003 die Ernennung zum Ritter der französischen Ehrenlegion. Detlev Ganten
ist Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina, der
Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und weiterer
Akademien.
Neben seinen wissenschaftlichen Veröffentlichungen hat Detlev Ganten
mehrere populärwissenschaftliche Bücher (mit-)verfasst: „Leben, Natur,
Wissenschaft: Alles, was man wissen muss“ (2005), „Die Steinzeit steckt
uns in den Knochen“ (2009) und „Die Gesundheitsformel“ (2014). Sein neues
Buch, eine zusammen mit Ernst Fischer erstellte Doppelbiografie über
Hermann von Helmholtz und Rudolf Virchow, erscheint 2021 unter dem Titel
„Die Idee des Humanen“.
Über die GDNÄ
Die Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte e. V. (GDNÄ) ist die
einzige wissenschaftliche Gesellschaft in Deutschland, die breit über
die naturwissenschaftlichen, technischen und medizinischen Fachdisziplinen
hinweg allen an ihrer Zielsetzung Interessierten, auch Schülern, Studenten
und naturwissenschaftlichen Laien für eine Mitgliedschaft offensteht.
Insofern ergänzt und bereichert die GDNÄ die von Akademien und
Fachgesellschaften geprägte Landschaft wissenschaftlicher Gesellschaften
in Deutschland.
Wichtige Ziele der GDNÄ sind:
Förderung des wissenschaftlichen Austauschs über die Grenzen der
naturwissenschaftlichen, technischen und medizinischen Fachdisziplinen
hinweg.
Vermittlung von Faszination und Bedeutung wissenschaftlicher Erkenntnis
gegenüber einer informierten Öffentlichkeit und besonders auch jungen
Menschen.
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