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Vermischtes

Wie der "Nerd" Frauen vom Informatik-Studium abhält - Expertise für die Bundesregierung zu Frauen in MINT

Dr. Yves Jeanrenaud  Elvira Eberhardt
Dr. Yves Jeanrenaud Elvira Eberhardt

Der Ulmer Gastprofessor für Geschlechterforschung, Dr. Yves Jeanrenaud,
hat eine Expertise für den Dritten Gleichstellungsbericht der
Bundesregierung verfasst. Er befasst sich darin mit der Frage, warum
Frauen im MINT-Bereich noch immer unterrepräsentiert sind. Im Fokus stehen
dabei kulturelle und strukturelle Barrieren wie MINT-bezogene
Geschlechter-Stereotype sowie Rollen- und Berufsbilder. Die Expertise
floss in das Gutachten der Sachverständigenkommission ein, das am 26.
Januar der Bundesgleichstellungsministerin Franziska Giffey übergeben
wird.

Das Klischee vom „Nerd“ ist weit verbreitet, nicht zuletzt aufgrund seiner
fortwährenden medialen Reproduktion. Was viele allerdings nicht wissen:
das Bild vom männlichen Computer-Freak hält Frauen vom Informatik-Studium
ab. Zu dieser Einschätzung kommt Dr. Yves Jeanrenaud. Der Gastprofessor
für Geschlechterforschung in MINT & Med. an der Universität Ulm hat in
einer rund fünfzigseitigen Studie herausgearbeitet, welche kulturellen und
strukturellen Faktoren Frauen davon abhalten können, ein MINT-Studium
aufzunehmen. In dieser allgemeinverständlichen Expertise zum Gutachten für
den Dritten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung präsentiert er
zudem einen Überblick über bestehende Fördermaßnahmen und gibt weitere
Handlungsempfehlungen, wie der Frauenanteil im MINT-Bereich (Mathematik,
Informatik, Naturwissenschaften und Technik) langfristig gesteigert werden
kann.

Denn noch immer ist der Frauenanteil unter den MINT-Studierenden in
Deutschland mit etwa einem Drittel im internationalen Vergleich recht
niedrig. Noch vielsagender ist der Anteil der weiblichen Beschäftigten in
MINT-Berufen: er beträgt gerade einmal ein Sechstel. Und das obwohl im
Zuge der Digitalisierung die Berufsaussichten und Karrierechancen
insbesondere im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnik (IKT)
besser sind denn je. Doch was haben Stereotypen, Rollen- und Berufsbilder
mit Studien- und Berufsentscheidungen zu tun? „Berufsbilder wie Ingenieur
oder Informatiker sind noch immer männlich konnotiert. Insbesondere
klischeehafte Rollenbilder wie die des Nerds werden so gut wie
ausschließlich für junge Männer gebraucht. Viele Frauen fürchten sich
davor, von ihrer `Weiblichkeit´ einzubüßen, wenn sie sich auf dieses
männlich besetzte Terrain vorwagen. Sie entscheiden sich dann nicht selten
gegen ein Informatik-Studium, obwohl sie ein gewisses Interesse dafür
durchaus mitbringen“, erklärt Dr. Yves Jeanrenaud.
Warum ist das so? Von Kindesbeinen an macht der Mensch
geschlechtsspezifische Sozialisationserfahrungen und internalisiert damit
bestimmte Erwartungen, die an sein Geschlecht gebunden sind. „Passt die
verinnerlichte Geschlechterrolle nicht zum geläufigen Berufsbild oder
einer bestimmten Fächerkultur, droht die Abkehr. Dies gilt für Männer in
Pflegeberufen genauso wie für Frauen in den Ingenieurwissenschaften oder
Informatik“, so der Soziologe. Einen weiteren Gender-Effekt sieht
Gastprofessor Yves Jeanrenaud im sogenannten MINT-Fähigkeitsselbstkonzept,
das dazu führt, dass Mädchen ihre Leistungen in Mathematik und
Naturwissenschaften ganz anders einschätzen als Jungen, selbst wenn diese
gleich ausgeprägt sind.

Außerdem orientierten sich Mädchen beziehungsweise Frauen bei der
Berufswahl oft noch an bestimmten sozialen Mustern und wünschen sich
berufliche Tätigkeiten, bei denen sie mit anderen Menschen zu tun haben
oder das Gefühl haben, etwas Sinnstiftendes zu tun. Vielen MINT-Berufen
hafte allerdings noch immer das Image der isolierten Beschäftigung mit
Dingen statt mit Menschen an. Dazu kommt, dass viele Schülerinnen und
Schüler nur vage oder gar keine Vorstellungen von vielen Technik-Berufen
haben. Der Ulmer Soziologe hält es dafür für ratsam, die gesellschaftliche
Bedeutung solcher Berufe stärker hervorzuheben und auch zu hinterfragen,
ob nicht vielleicht auch sehr männlich geprägte Fachkulturen oder ein
bestimmter Berufshabitus eine abschreckende Wirkung auf Frauen hat.

Der Gender-Forscher betont in diesem Zusammenhang die Rolle von
„Gatekeepern“ wie Eltern und Lehrkräften, die einen großen Einfluss darauf
haben, welchen Weg die Kinder später einmal beruflich einschlagen werden.
Wichtig sind auch positive Rollenmodellen, die Mädchen darin bestärken,
MINT-Interessen zu entwickeln und selbstbewusst nachzugehen. Immerhin
steigen die Frauenanteile in MINT-Studiengängen und -berufen dank
umfangreicher Fördermaßnahmen von Seiten der Politik, der Wirtschaft und
der Bildungsträger kontinuierlich an, doch bleiben die Zahlen teils noch
immer weit unter den Erwartungen. So gibt es zwar im Studien-Fach
Mathematik ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis, doch dies liegt
wahrscheinlich am hohen Anteil der Lehramtsstudentinnen in diesem Fach.
Ein ähnlicher Effekt lässt sich in den Naturwissenschaften beobachten, wo
ebenfalls dank entsprechender Lehramtsstudiengänge die Zahl weiblicher
Studierender so gut wie ausgeglichen ist. In den Technik-Fächern sieht
dies mit einem Frauenanteil von 26,3 Prozent schon wieder ganz anders aus.
Das Schlusslicht macht hier die Informatik mit einem Anteil an weiblichen
Studierenden von 22 Prozent.

„Wir brauchen hier auf jeden Fall mehr weibliche Vorbilder und positive
Rollenmodelle!“, fordert Jeanrenaud. Das müssen keine nerdy Superheldinnen
sein, wie die schwedische Hackerin Lisbeth Salander, und auch keine Mathe-
Genies. Nach Meinung des MINT-Experten wird Mathematik im Informatik-
Studium mitunter etwas überbetont. „Wir müssen gerade auch die normal
begabten Schülerinnen für ein Informatik- oder Technik-Studium
begeistern“, meint der Gender-Forscher.

Expertise „MINT. Warum nicht? Zur Unterrepräsentation von Frauen in MINT,
speziell IKT, deren Ursachen, Wirksamkeit bestehender Maßnahmen und
Handlungsempfehlungen“ – Kurzlink: https://t1p.de/5xp5

Weitere Informationen zum Dritten Gleichstellungsbericht der
Bundesregierung finden Sie unter im Internet unter:

https://www.dritter-gleichstellungsbericht.de/de/topic/60.dritter-
gleichstellungsbericht.html


Was sind Gleichstellungsberichte?
Hintergrundinformationen zum Verfahren, zu Bestandteilen und Abläufen der
Gleichstellungsberichte finden Sie hier:

https://www.dritter-gleichstellungsbericht.de/de/topic/69.die-
gleichstellungsberichte.html

Das Gutachten für den Dritten Gleichstellungsbericht wird
Bundesgleichstellungsministerin Franziska Giffey am 26. Januar 2021
übergeben und zeitgleich auf der Homepage veröffentlicht.

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Wie kommt die Tiefkühl-Pizza aus dem Online-Shop nach Hause – FHWS- Logistiker zeigen Lösungen

Die Grafik zeigt das Lieferlayout auf – von der Kundschaft am Tablet über den Online-Supermarkt, das Warenhaus bis hin zur Auslieferung.  Grafik FHWS
Die Grafik zeigt das Lieferlayout auf – von der Kundschaft am Tablet über den Online-Supermarkt, das Warenhaus bis hin zur Auslieferung. Grafik FHWS

Studierende lernen, mit exemplarischen Aufgaben Warenwege zu optimieren –
gerade auch in der Pandemie
Die Ware korrekt, pünktlich, am exakten Ort, kostengünstig sowie
nachhaltig zu liefern – dieses Ziel hat die Logistik. 60 Studierende der
Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt haben in
ihren Abschluss-Präsentationen sechs Einzelaspekte der Logistik
bearbeitet, um Unternehmen zu helfen, ihre Lieferprozesse noch weiter zu
optimieren.

Moderiert von Prof. Dr. Norbert Schmidt, präsentierten die Teams ihre
Aufgabenstellungen, den Einsatz wissenschaftlicher Methoden sowie die
Lösungsansätze und Handlungsempfehlungen in englischer Sprache. Da sie
sämtliche Arbeitsprozesse digital durchführten, waren keine persönlichen
Teamtreffen und nur teilweise Besuche in den jeweiligen Unternehmen
möglich. Studierende nutzten zahlreiche kreative Alternativen inklusive
Filmeinspielungen.

Warenströme und Lieferungen zu Zeiten der Pandemie

Wie kommt die Tiefkühl-Pizza aus dem Online-Shop nach Hause? Mit diesem
Thema beschäftigte sich das erste Team mit Prof. Dr. Jakob Beer. Die
Studierenden entwickelten Ideen zur Lieferung von Lebensmitteln nach Hause
mit dem Hintergrund einer „Ökonomie isolierter Boxen“ in Online-
Supermärkten. Es gibt bereits eine Vielzahl von Firmen für
Transportverpackungslösungen und Isolierboxen auf Basis von expandiertem
Polypropylen (EPP). Nach dem Wachstum der Online-Supermärkte haben
Unternehmen wiederverwendbare, isolierte Kartons entwickelt, die auf die
Lieferung von Lebensmitteln nach Hause ausgerichtet sind. Weitere
alternative Lösungen umfassen Pappkartons und herkömmliche Polyethylen
(PE)-Kartons mit zugesetztem Trockeneis. Jede Lösung hat Vor- und
Nachteile: Die jungen Logistiker:innen recherchierten, welche Transport-
Box die wirtschaftlichste ist. Überzeugt hat sie die EPP-Box, wenn es auch
hier jahreszeitliche Herausforderungen gäbe mit einer Sommer- und Winter-
Edition.

Der Kommissionierprozess, das Zusammenstellen der einzelnen Positionen
eines Kundenauftrags im Lager, ist der größte Kostenblock in einem
Distributionszentrum. Deshalb, so das Team, sei es wichtig, diesen Prozess
technisch so zu unterstützen, dass dieser schnell und ergonomisch ablaufen
könne. Je intuitiver und einfacher der Kommissisonierdialog auf dem
Endgerät gestaltet werde, desto effizienter könne kommissioniert werden.
Im Auftrag der EURO-FRIWA GmbH, einem der größten Serviceunternehmen der
Friseur- und Kosmetikbranche, hat ein weiteres studentisches Team mit
Prof. Dr.-Ing. Peik Bremer ein Kommissionier-Konzept entwickelt, das auf
einer Smart-Watch basiert. Die Smart Watch erhält einzelne
Auftragspositionen von der Lagerverwaltungssoftware SAP-EWM und führt den
Kommissionierer mit einem von den Studierenden entwickelten Benutzerdialog
durch den Prozess. Um die Qualität des Prozesses zu sichern – es wird vom
richtigen Lagerplatz kommissioniert und die Produkte dem richtigen Auftrag
zugeordnet – werden Lagerplätze und Auftragsbehälter durch die Smartwatch
mit NFC (Near Field Communication; kontaktloser Austausch von Daten per
elektromagnetischer Induktion über sehr kurze Distanzen) identifiziert.

Weitere Themen der jungen Logistik-Studierenden waren
•       die Indoor-Localization (Prof. Dr.-Ing. P. Bremer), bei der die
Studierenden Technologien für die präzise Lokalisierung von Personen,
Ladungsträgern und Fahrerlosen Transportsystemen im Logistik-Labor der
FHWS ausgewählt haben.
•       die Neuplanung eines Lagers bei KLT Hummel Plastic (Prof. Dr.
Birgit Gampl):  Für ein mittelständisches Familienunternehmen in
Schweinfurt planten die Studierenden die Nutzung der Lagerhallen neu. Sie
verschafften sich einen Überblick über die aktuelle Situation (welche
Produkte und Materialien werden wo gelagert und wie viele Lagerplätze gibt
es). Durch geschickte Umstrukturierung (Anschaffung weiterer Regale,
andere Anordnung der Regale, etc.) wurden die Anzahl der Lagerplätze
erhöht und Fahrwege reduziert.
•       die Flottenkonfiguration und Tourenplanung für zukünftige
Transportnetze der BÄKO UFT eG (Prof. Dr. Norbert Schmidt): Für die
Einkaufsgenossenschaft der Bäcker und Konditoren in Unterfranken – Main –
Thüringen  – kurz BÄKO UFT, sollten die jungen Logistiker:innen
untersuchen, welche Kosteneinsparungen durch eine geplante
Lagerkonsolidierung im Bereich der Fahrzeugflotte und Tourenplanung
bestehen. Dabei wurden mit der kostenlos der Hochschule zur Verfügung
gestellten, webbasierten Tourenplanungssoftware „MultiRoute Tour!“
alternative Touren berechnet und die Plausibilität der
Flottendimensionierung überprüft.
•       die Verkehrsflussanalyse (Prof. Dr. Jakob Beer): Einigen Szenarien
zufolge kann die Stadt Schweinfurt in den nächsten Jahren zu
Hauptverkehrszeiten an ohnehin stark belasteten Verkehrsknotenpunkten mit
stark erhöhtem Verkehrsaufkommen rechnen. Die Aufgabe der Studierenden war
es, Möglichkeiten zur Verbesserung des Verkehrsflusses an einem
ausgewählten, als kritisch bekannten Verkehrsknotenpunkt zu identifizieren
und mittels Simulation und Szenario-Analyse auf Wirksamkeit zu
analysieren.

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CÄSAR, ein Essay von Anna Rybinski

Niederwald Wallis Foto Christian Pfammatter
Niederwald Wallis Foto Christian Pfammatter

Er kam 1850 als dreizehntes Kind einer Schweizer Bauernfamilie auf die Welt. Was dachte die fromme Mutter wohl, als sie ihren Jüngsten auf den heidnischen Namen taufen ließ? Ahnte sie etwas von seinem zukünftigen Triumphzug? Wir werden es nie erfahren.

Kinderjahre im Wallis

Das ehemalige Voisin Paris
Das ehemalige Voisin Paris

Die Eheleute, Anton und Kreszentia, gehörten zu den alteingesessenen katholischen Familien in Niederwald, die nicht nur gute Bauern stellten, sondern auch in künstlerischen Berufen tätig waren. Ihre nahen Verwandten verschönerten die Gotteshäuser in der Gegend mit Altarbildern und Kruzifixen.

Die Familie von Cäsar war nicht bedürftig – es gab das ganze Jahr durch genug Nahrung und im Winter warme Kleider für alle. Das stattliche Bauernhaus mit den kleinen, niedrigen Zimmern erbten sie von den Vorfahren, man ass, was die Viehwirtschaft und der Garten hergaben, und in schwierigen Zeiten, wie im Kindbett oder bei Krankheiten, half die Verwandtschaft aus. So verlangten es die Sitten im oberen Rhone-Tal des Kantons Wallis, so konnte der Bauernstand auf dem kargen Boden überleben.

Die Schule dauerte für die Dorfkinder sechs Monate; vom Frühling an mussten sie hart arbeiten, die Älteren auf dem Feld und im Stall, die Jüngeren bei den Kleintieren. Eine andere Ausbildung für ihre Nachkommen kam den Eltern selten in den Sinn; einen Jungen in die Lehre zu schicken hätte die knappen Einnahmen geschmälert.

Cäsar sollte jedoch die Möglichkeit haben aufzusteigen; so hoffte es wenigstens die Mutter, die ihr jüngstes Kind von der harten Bauernarbeit verschonen wollte. Ein höherer Beruf, natürlich im Wirkungsfeld der Kirche, das war ihr Wunsch gewesen: Ein Holzschnitzer, Altarbildmaler oder sogar Priester, wenn er einen hellen Verstand besässe!

Zuallererst sollte der Junge eine gute Schule in der nächsten Stadt besuchen. Kost und Logis bei einem Meister, der eventuell sein handwerkliches Talent erwecken und fördern könnte, waren auch erforderlich. Sie redete ihrem Ehemann unentwegt zu, und ihre Argumente fruchteten – er gab nach. Ein Kunstschlosser in Sitten erklärte sich bereit, den zwölfjährigen Buben zu sich zu nehmen – so konnte Cäsar bald die Ausbildung antreten, die ihn aus dem bäuerlichen Stand hinausführen sollte.

Pleiten und Pannen

Hotel Rigi Kulm
Hotel Rigi Kulm

Nun, die Zeit verging und die Eltern hörten keine guten Nachrichten aus der Stadt. Nach drei Jahren waren die Träume der Mutter verflogen, dass Cäsar für die Wissenschaft, die Religion oder für irgendwelches Handwerk Veranlagung gehabt hätte. Auch der Vater verlor die Geduld und fand, dass ein Fünfzehnjähriger sein tägliches Brot schon selbst verdienen müsste – er holte den Jungen aus Sitten ab und brachte ihn kurzentschlossen nach Brig zu einem Wirt, mit der Bitte, seinen Sohn im Hotelgewerbe auszubilden. Das Lehrgeld, was er diesmal zahlte, sei das letzte finanzielle Opfer der Familie, teilte er dem Filius mit.

Cäsar wurde im Gasthof als Gehilfe überall eingesetzt, wo es Arbeit gab – er machte jedoch ebendiese Arbeiten so lustlos und ungeschickt, dass der Patron ihn bald auf die Strasse setzte. Nach Hause reisen wollte er nicht – die Vorwürfe des Vaters waren leicht vorstellbar. Er schaute sich lieber selbst nach einer Verdienstmöglichkeit in der Stadt um und wurde fündig: Das Briger Priesterkollegium suchte gerade einen Hilfsabwart für den Speisesaal. Er bekam die Stelle und strengte sich diesmal an, damit er nicht wieder auf der Strasse stehe. Nach kurzer Zeit jedoch wiederholte sich die leidige Geschichte! Die Entlassung war diesmal damit begründet, dass er die tägliche Messe nicht besuche und im Benehmen keine Frömmigkeit zeige.

Was nun? Cäsar hatte die Unverfrorenheit, sich beim besagten Kollegium gleich für eine andere offene Stelle zu bewerben, nämlich als Sakristan!

Die Herren wunderten sich und sträubten sich gewiss, eine gottlose Küchenhilfe als Messdiener in der Kirche arbeiten zu lassen. Wie das Schicksal jedoch so spielte, gab es zu der Zeit keinen anderen Kandidaten. Die Geistlichen mussten das Risiko eingehen und stellten Cäsar in der neuen Funktion wieder an – diesmal wurden sie nicht enttäuscht. Er läutete pflichtbewusst die Frühmessen ein, half vor der Liturgie den Professoren in das Messgewand und auch sonst benahm sich tadellos in jeder Lebenslage. Die guten Nachrichten aus Brig gaben der Mutter erneut Hoffnung, dass ihr Söhnchen doch noch für eine Ordenslaufbahn taugen würde. Cäsar entschied sich anders.

Der Aufbruch

Grand Hotel National Luzern
Grand Hotel National Luzern

Eines Tages packte er seine Holzkiste und reiste in die Stadt, die damals als der Mittelpunkt der Welt galt und eine magische Anziehungskraft auf alle jungen Menschen ausübte: Paris. Es gab mehr als genug Arbeitsmöglichkeiten am Seine-Ufer, wenn auch nur in den unteren Chargen für jemanden, der ohne richtige Ausbildung und mit geringen Sprachkenntnissen dastand. Aber in Cäsar war ein unglaublicher Ehrgeiz erwacht: Er wollte das Gastgewerbe von Grund auf erlernen. Er fing als Schuhputzer an und arbeitete sich in verschiedenen Lokalen hoch: als Schankbursche, Hilfskellner, Kellner und Oberkellner. Am Anfang hatte er in seinem Eifer viel Geschirr zerschlagen, aber er lernte, wie kein anderer: gierig und besessen, die Gäste und ihre Wünsche ständig beobachtend. Er, der Faule und Ratlose, hatte endlich sein Ziel erkannt und war zu jedem Opfer bereit, um es zu erreichen.

Schön und gut – aber wie wird daraus ein Triumphzug? Geduld. Wir sind nicht mehr weit entfernt davon.

Meine eigene Fantasie schmückt die folgende Szene aus, die unseren Helden zu ungeahnten Höhen führen wird. Man wäre gern dabei gewesen!

César Ritz, Max Pfyffer, Auguste Escoffier
César Ritz, Max Pfyffer, Auguste Escoffier

Cäsar wagte es endlich, im vornehmsten Restaurant der Stadt anzuklopfen. Das ›Voisin‹ war damals der Inbegriff der Restaurant-Hochkultur, in seinen Sälen verkehrten die höchsten Kreise von Paris, Politiker, Künstler und Aristokratie gleichermassen. Unter den Gästen befanden sich Sarah Bernhardt, Emile Zola und Théophile Gautier. Demzufolge musste der Chef den jungen Schweizer, der die vollendeten Weltstadtmanieren noch nicht ganz beherrschte, ein wenig skeptisch gemustert haben. Monsieur Bellanger fragte ihn über seine Erfahrung aus und machte von vornherein klar, dass er in den geweihten Hallen wieder als Hilfskellner antreten müsste. Der Neunzehnjährige war mit allem einverstanden. Der Chef war gnädig und wollte sich auf einen Versuch einlassen. Er nahm das Personalregister, um die persönlichen Angaben des Schweizer Landburschen einzutragen.

„Votre nom, Monsieur?“

„Cäsar … Cäsar Ritz“

Wahrscheinlich erlaubte sich Bellanger angesichts des pompösen Namens und der bescheidenen Perspektiven des Jungen ein Lächeln. Er notierte seinen Vornamen in französischer Rechtschreibung – wie es bis heute geblieben ist! – und schickte ihn gleich in die Küche, um den Boden zu wischen und Gemüse zu rüsten. So musste Cäsar/César wieder einmal ganz unten anfangen.

 

Ein Name wird Begriff

César Ritz 1897
César Ritz 1897

Ritz blieben nur 33 Jahre, seinen Lebenstraum zu erfüllen, und mehr noch: ein Imperium aufzubauen. Nach der Lehre im ›Voisin‹ ging es mit seiner Karriere steil nach oben, und an seiner ersten Stelle als Hoteldirektor setzte er noch nicht da gewesene Massstäbe für die Gastwirtschaft. Das Publikum – die europäische Aristokratie und der amerikanische Geldadel – reagierte euphorisch auf den perfekten Service und den ungewohnten Luxus. Die grösste Werbung für ihn machte Escoffier, der berühmteste Koch der Welt, der fortan nur mit Ritz zusammenarbeiten wollte. Die Anfragen flogen ihm zu, gleichzeitig war er in verschiedenen Häusern tätig als Manager, Ratgeber, bald auch als Teilhaber. Was er auch anfasste wurde zu Gold, die Presse verglich ihn sogar mit König Midas! Er prägte auch die Innerschweizer Hotellerie massgebend: die besagte erste Direktorstelle wurde ihm auf der Rigi angeboten, wo er das Hotel Rigi Kulm mit grossem Erfolg führte. Darauf kam das Angebot aus dem neu erbauten Grandhotel National in Luzern. Maximilian Pfyffer, seines Zeichens Hotelier, Architekt und Generalstabschef, übertrug ihm die Leitung des ersten Luxushauses in der Stadt. Die Zimmer waren u. a. mit privaten Badewannen, elektrischem Licht, Zimmertelefonen und schönen Möbeln ausgestattet. Zusammen mit Auguste Escoffier führte er das Hotel zwischen 1878 und 1890 so erfolgreich, dass zahlungskräftige Gäste aus ganz Europa in Scharen kamen. Unterdessen entstanden unter seiner Aufsicht Häuser in London, Rom, New York, Budapest und Kairo, nicht zu sprechen von seinem Lieblingskind, dem Hôtel Ritz in Paris. Sein Name ist bis heute ein Gütezeichen ersten Ranges und bürgt für höchste Qualität.

1986 wurde eine neue gegründete Hotelfachschule nach ihm benannt, das Hôtelier César Ritz in Le Bouveret, das spätere César Ritz Colleges Switzerland.

Mit 52 Jahren war er schon eine Legende – und ein gebrochener Mann. Die ungeheuerlichen Anspannungen und ständiges Reisen führten zu einem Nervenzusammenbruch. César Ritz, „le Roi des hôteliers, l`hôtelier des Rois“ konnte nicht mehr arbeiten – lebte aber noch 16 Jahre, immer tiefer in Depression und geistige Umnachtung versinkend. Seine Frau Marie-Louise Ritz verstarb erst am 8. Januar 1961 im Alter von 93 Jahren. Auf ihren Wunsch hin wurde sie zusammen mit ihrem Mann und dem gemeinsamen Sohn am 14. Januar 1961 an seinem Geburtsort in Niederwald beigesetzt.

César Ritz – sein Platz in der Hotelgeschichte ist gesichert.  Ganz, ganz oben.

Kleine Fotodiashow zum Essay von Anna Rybinski

fotodiashows.wordpress.com/2021/01/22/caesar-ein-essay-von-anna-rybinski/

Text: www.annarybinski.ch

Fotos. Homepage Ritz Paris https://www.ritzparis.com/

Homepages der andern Kolumnisten:

www.gabrielabucher.ch

www.leonardwuest.ch   www.herberthuber.ch

www.noemiefelber.ch/

http://paul-lascaux.ch/

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Grüne Stadt: Wasserstofftechnik für CO2-neutrale Stadt - FHWS-Studierende entwickeln zwei Modelle

Die Matlab-App ermöglicht individuelle Voreinstellungen und eine Ergebnisübersicht, die eine datenbasierte Grundlage für weitere Entscheidungen bereithält.  (Grafik FHWS)
Die Matlab-App ermöglicht individuelle Voreinstellungen und eine Ergebnisübersicht, die eine datenbasierte Grundlage für weitere Entscheidungen bereithält. (Grafik FHWS)

Simulation vor Investition: Grüne und graue Stromerzeugung im Rahmen eines
Industrie-Projektes an der Hochschule

Mit dem Attribut „grüne Stadt“ möchten sich künftig sicher alle Metropolen
auszeichnen. Die Schritte dorthin sind mit großen Veränderungen,
wirtschaftlichen und politischen Weichenstellungen sowie Kosten verbunden.
Durch vorab laufende Simulationen können technische, politische wie
wirtschaftliche Entscheidungen auf Basis einer nachvollziehbaren Grundlage
getroffen und Investitions- und Betriebskosten gesenkt werden.

Das Labor für Thermodynamik und Energietechnik der Fakultät Maschinenbau
an der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt
(FHWS) hat im Rahmen eines Forschungsprojektes mit Wasserstofftechnik
Simulationsprogramme am Beispiel der Stadt Schweinfurt entwickelt.

In einem statischen wie in einem dynamischen Modell haben zwei
studentische Teams unter Leitung von Frau Dr. Isabell Wirth und Prof. Dr.
Johannes Paulus auf Basis eines lokalen Datenpools Möglichkeiten
simuliert, wie über den Einsatz von Grünstrom (elektrische Energie aus
umweltfreundlichen erneuerbaren Energiequellen statt aus unbekannter
Herkunft) und die Nutzung von Wasserstoff die CO2-Emissionen gesenkt und
der Klimaschutz vorangebracht werden kann.

Decarbonisierung: CO2-reduziertes Energiekonzept: Optimierung des
Simulationsmodells

Die erste Gruppe beschäftigte sich mit der Aufgabe, das bereits an der
Fakultät Maschinenbau vorhandene dynamische Simulationsmodell zu
optimieren. Ihr zentrales Anliegen ist, schwankende (volatile) Energie aus
erneuerbaren Quellen zu speichern, zu übertragen, um sie in den Bereichen
Wärme und Verkehr nutzen zu können. Mit Hilfe eines Matlab-Simulink-
Modells - einer Software zur Lösung mathematischer und reglungstechnischer
Aufgabenstellungen sowie zur grafischen Darstellung der Ergebnisse –
bilanzierten die Studierenden die Energieströme auf Basis sogenannter
„Standart-Lastprofile“ unter verschiedenen Annahmen.

In einem Sektorenkopplungsmodell (Strom, Wärme, Verkehr) flossen
Verbraucherdaten, Energieerzeugung, CO2-Emissionen sowie Gesamtkosten ein.
Um ein Optimum in der Reduktion der Kosten sowie der CO2-Emissionen
erreichen zu können, nutzten die angehenden Maschinenbauer numerische
Optimierungsansätze und erzielten dabei deutliche Senkungen der
CO2-Emissionen um den Faktor 5 (ca. 200.000 t CO2 gegenüber ca. 1.000.000
t CO2 im Jahr 2014).

Über Wasserstoffspeicher lässt sich überschüssige regenerative Energie
kurzzeitig und saisonal speichern und bei Bedarf erneut in Netze
einspeisen, z.B. auch für eine Nutzung im öffentlichen Nahverkehr. Die
Speicher können in weiteren Schritten optimiert werden. Die nächsten
Verbesserungen der Modelle sehen die Studierenden u.a. in den Aspekten

Verbesserung und Validierung der Datenbasis für die CO2-Emissionen bei der
Herstellung sowie beim Betrieb von Anlagen
Analyse und Optimierung im Bereich der Stromnachfrage („Demand Side
Management“).

Klimaneutralität durch „grünen“ Wasserstoff

Das zweite studentische Team befasste sich mit dem Einsatz „grüner“
Wasserstofftechnologie und entwickelte eine Matlab-App. Mit deren Hilfe
können Analysen der Wasserstoff-Prozesskette durchgeführt werden;
angefangen mit der eingesetzten Primär- und Sekundärenergie über deren
Umwandlungsschritte bis hin zum Endenergieträger Wasserstoff. Es werden
die Kosten und CO2-Einsparpotentiale ermittelt. Klar wird dabei, dass
Klimaneutralität nur durch den Einsatz von „grünem Strom“ und der Nutzung
von „grünem Wasserstoff“ zu erreichen ist.

In ihrer Matlab-App stellten die Studierenden neben verschiedener
Wahlmöglichkeiten, Parametereinstellungen und Eingabefenster die
übergeordneten Positionen Ökologie, Ökonomie und Energieerzeugung
zusammen. Mittels einer Eingabemaske für den Strommix, das
Elektrolyseverfahren, die mögliche Dampfreformierung, die Speicherung, den
Transport sowie die Aggregate wird eine individuelle Berechnung
durchgeführt. Diese liefert eine Aussage über Energie, Leistung,
Gesamtemissionen, Kosten und vergleichbarer KM-Reichweite eines
Wasserstoffautos. In einem Testlauf am Beispiel eines Vier-Personen-
Haushaltes mit einer Photovoltaik-Anlage zeigen die Studierenden
abschließend die Funktion und Bedienung ihrer Software.

In einer abschließenden Bewertung trugen die Studierenden Vor- und
Nachteile des Einsatzes der Wasserstoff-Technologie zusammen. Die
Vorteile:

nachhaltige Gewinnung aus erneuerbaren Energien möglich, d.h. 100 %
CO2-frei
hohe Wirkungsgrade über die „kalte“ Verbrennung, d.h. Nutzung durch
Brennstoffzellen
flexibler Einsatz in allen Sektoren Strom, Wärme, Verkehr
Umwandlung in CxHy erlaubt die Nutzung bestehender „fossiler“
Infrastruktur

Die Nachteile:

Hohe Anlaufinvestitionen
Neuerrichtung von Infrastruktur notwendig
Umstellung von industriellen Prozessen wird notwendig
Knappheit von Fachkompetenz und Ingenieuren.

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