Angesagte aktive Fahrwerkssysteme: Fraunhofer LBF adaptiert Betriebsfestigkeitsprüfungen


Aktive Fahrwerkssysteme stellen zusätzliche Anforderung an den
Betriebsfestigkeitsnachweis und die Bewertung der Zuverlässigkeit. Als
Reaktion auf diese Herausforderungen hat das Fraunhofer-Institut für
Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit LBF seine Prüfumgebung im
Labor erweitert und angepasst. Dadurch ist die hohe Aussagegüte der
Betriebsfestigkeitsprüfungen sichergestellt. Fahrzeughersteller und ihre
Zulieferer profitieren von diesen Werkzeugen und können ihre aktiven
Fahrwerkssysteme dort im Hinblick auf deren Zuverlässigkeit absichern
lassen. Weitere Information gibt das Forschungsinstitut auf der Messe
Automotive Testing, Stuttgart, 21.-23. Mai 2019 (Stand 8052).
Mehr Komfort im Auto geht immer. Diesen Trend befördern insbesondere
Premiumhersteller und statten ihre Modelle zunehmend mit aktiver
Hinterradlenkung, aktiven Stabilisatoren oder aktiven Federungen aus. Mit
diesen Fahrwerkssystemen gelingt es, den Zielkonflikt zwischen Komfort und
Fahrsicherheit zu entschärfen. Speziell bei den SUV und anderen Fahrzeugen
mit hohem Gewicht und einem erhöhten Schwerpunkt lassen sich die Nachteile
in der Fahrdynamik durch situative Abstimmung des Fahrzeugverhaltens
deutlich mindern.
»Aktive Fahrwerkssysteme erfordern ein Umdenken in der traditionellen
Betriebsfestigkeitsprüfung im Labor«, betont Marc Wallmichrath,
Abteilungsleiter Baugruppen und Systeme im Fraunhofer LBF. Bereits mit dem
Aufkommen adaptiver Dämpfersysteme stellte sich die Frage, welchen
Einfluss die mögliche Änderung in den Dämpferkennlinien auf die
Belastungen im Fahrwerk hat und daraus resultierend, wie dieser Einfluss
beim Betriebsfestigkeitsnachweis des Fahrwerks oder gar des Ganzfahrzeugs
auf dem Prüfstand zu berücksichtigen ist.
Zwei grundlegende Fragestellungen geklärt
»Aktuelle und zukünftige aktive Fahrwerkssysteme bieten eine so hohe
Anpassungsvarianz, dass ihre Kennlinieneinstellungen/Einste
einen signifikanten Einfluss auf die im Fahrwerk entstehenden Belastungen
haben. Das bisherige Vorgehen ist für diese Systeme nicht mehr
zielführend«, erläutert Wallmichrath. Gefragt sind Lösungen zu zwei
grundlegenden Fragestellungen: Zum einen müssen zukünftig auch im Versuch
die jeweils zu den Fahrzeugbelastungen passenden Einstellungen und
Ansteuersignale für die adaptiven beziehungsweise aktiven Fahrwerkssysteme
aufgebracht werden, um die Bauteilbelastungen korrekt zu simulieren. Zum
anderen müssen zeitgeraffte Prüfungen für die neuen aktiven Systeme
entwickelt werden, wobei im Kontext der Elektromobilität gegebenenfalls
auch Hochvoltkomponenten einzubeziehen sind.
Ansteuersignale aus Fahrbetriebsmessungen oder Rechenmodellen
Zur Lösung der ersten Fragestellung nutzen Wissenschaftler im Fraunhofer
LBF zwei alternative Verfahren: Zum einen ist es möglich, die aktiven
Fahrwerkssysteme mit gemessenen Signalen aus Fahrbetriebsmessungen
anzusteuern, die mit den ebenfalls aus Messungen stammenden
Gesamtsystembelastungen korreliert sind (CAN-/Restbussimulation).
Alternativ dazu bietet ein zweites Verfahren die Möglichkeit, die
Ansteuersignale für die aktiven Fahrwerkssysteme mit einem Fahrzeugmodell,
gegebenenfalls erweitert um ein Modell des Reglers, auf einer
Echtzeithardware zu berechnen. Auch hierbei werden die Kräfte, Wege oder
Momente der aktiven Systeme angepasst an die sonstigen Systembelastungen
wie Fahrsituation, Fahrzeug- und Beladungszustand. Neben einer rein
modellbasierten Berechnung aller Systemgrößen lassen sich zusätzlich
gemessene Signale von Sensoren einbeziehen, die sich im zu prüfenden
System befinden.
Durch das belastungsabhängige Verhalten der aktiven Systeme ergeben sich
am Prüfstand Herausforderungen bei der Generierung der finalen
Ansteuersignale im Iterationsprozess. Daher nutzt das Fraunhofer LBF
virtuelle Abbilder beziehungsweise digitale Zwillinge der Prüfstände und
Fahrwerkssysteme, um bereits im Vorfeld effizient und zielgerichtet
konvergierende Iterationsstrategien für die finalen Systemprüfungen zu
entwickeln.
Methodenentwicklung für zeitgeraffte Prüfungen
Im Kontext der zweiten Fragestellung entwickeln die Experten im Fraunhofer
LBF derzeit Methoden, um aktive/mechatronische Systeme im Hinblick auf
ihre Systemzuverlässigkeit hin zu bewerten und zu prüfen. Mit diesen
Methoden lassen sich im Darmstädter Institut aktive oder über einen weiten
Bereich adaptierbare Fahrwerkssysteme einem zuverlässigen
Betriebsfestigkeitsnachweis unterziehen sowie mit aktiven
Fahrwerkssystemen ausgerüstete Ganzfahrzeuge prüfen. Die
Prüfstandsteuerung übernimmt dabei in allen Fällen weiterhin
vollumfänglich die Versuchssteuerung mit allen Überwachungs- und
Sicherheitsfunktionen.
»Die flexibel einsetzbaren Technologien ›Restbussimulation‹ und
›echtzeitfähige Fahrzeugmodelle‹ lassen sich in die etablierten
Prüfumgebungen einbinden. Mit diesen Werkzeugen können im Fraunhofer LBF
aktive Fahrwerkssysteme im Hinblick auf ihre Zuverlässigkeit abgesichert
werden«, so das Resümee von Abteilungsleiter Wallmichrath.