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Long- und Post-COVID sind komplexe Krankheitsbilder, bei denen noch viele
Fragen offen sind. Klar ist, dass es teils erhebliche Symptome gibt, die
sich allerdings oft nach einigen Wochen oder Monaten deutlich abschwächen
oder sogar wieder ganz abklingen. Hausärztinnen und Hausärzte sind die
wichtigsten Ansprechpartner für die Therapie und die Koordination weiterer
möglicher Behandlungsschritte. Für diese und weitere Positionen setzt sich
die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM)
ein.

Heute findet im Bundesministerium für Gesundheit (BMG) der zweite Runde
Tisch im Rahmen der BMG-Initiative „Long COVID“ statt. Die DEGAM ist
erneut eingeladen und vertreten, die Perspektive der evidenzbasierten
Allgemeinmedizin in den Dialog einzubringen. An weiteren Experten-
Anhörungen, so zum Beispiel im November beim Gemeinsamen Bundeausschuss,
hat die DEGAM ebenfalls teilgenommen.

Ziel dieser Expertenrunden ist es, Fragen zur Versorgung bei Long- und
Post-COVID zu bearbeiten. „Wir haben Long- und Post-COVID als ein
komplexes Krankheitsbild kennengelernt. Die Symptome und der Verlauf
können sehr unterschiedlich sein. Wir als DEGAM stehen für eine
evidenzbasierte Versorgung und für den Wissenstransfer in die
Hausarztpraxis. Deshalb bringen wir unsere Erfahrungen und Positionen in
entsprechende Expertenrunden ein und beteiligen uns auch an der
Entwicklung von Leitlinien zu Long- und Post-COVID“, erläutert Prof. Dr.
Martin Scherer, Präsident der DEGAM.

Symptombasiert ansetzen: Die vielfältigen Symptome können gut in der
Hausarztpraxis behandelt werden. Eine strukturierte und spezifische
Diagnostik und Behandlung gemäß den vorliegenden Leitlinien sollte aber
erst nach 12 Wochen beginnen, wenn man offiziell von Post-COVID spricht.

Hausarztpraxis als wichtigste Anlaufstelle stärken: Die Hausarztpraxis ist
die wichtigste Anlaufstelle für die Betroffenen. Hausärztinnen und
Hausärzte kennen ihre Patienten oft seit vielen Jahren und können bei den
teils diffusen Symptomen am besten einschätzen, ob auch Spezialisten sowie
andere Gesundheitsberufe – wie Physio-, Ergo- oder Logopädie – einbezogen
werden sollten.

Zeit geben: Aufgrund der hohen Zahl der spontanen Besserungen schadet
Aktionismus eher, als dass er nutzt. „Was wir stattdessen brauchen, ist
Zeit und Empathie. Bei Post-COVID gibt es keine schnellen Lösungen. Wie
bei manch anderen Krankheitsbildern auch, braucht es viel Geduld,
Verständnis und partizipative Entscheidungsfindung“, sagt Dr. Thomas
Maibaum, stellvertretender Sprecher der Sektion Prävention der DEGAM und
auch als Experte an der interdisziplinären Long- und Post-COVID-Leitlinie
beteiligt.

Krankheitsbilder differenziert betrachten: Bei den meisten Patientinnen
und Patienten verbessern sich die Symptome nach einigen Wochen oder
Monaten wieder, ein Großteil genest sogar vollständig. Durch diese Phase
müssen sie in der Hausarztpraxis gut begleitet werden. Einige erkranken
allerdings so stark, dass sie Monate oder sogar dauerhaft eingeschränkt
sind – sie müssen entsprechend intensiv betreut werden. Wieder einige der
schwer Betroffenen erfüllen die speziellen Kriterien der schweren
chronischen Erkrankung ME/CFS. Trotzdem kann Post-COVID nicht von
vornherein mit ME/CFS gleichgesetzt werden.

Debatte um Spezial-Ambulanzen: Immer wieder wird ein enges Netz von
Spezial-Ambulanzen gefordert – obwohl diese den Post COVID-Betroffenen zum
jetzigen Zeitpunkt wenig anbieten können, das nachweislich wirksam ist.
Die DEGAM warnt deshalb vor falschen Erwartungen und ineffizientem
Ressourcenverbrauch.

Auf hochwertige Forschung setzen: Für die DEGAM ist von zentraler
Bedeutung, Diagnostik und Therapie von Long- und Post-COVID nach den
Kriterien der Evidenzbasierten Medizin anzulegen. Dabei sollten nur
methodisch hochwertige Publikationen berücksichtigt werden (Peer-Review-
Verfahren etc.), die insbesondere auch ausreichend viele Patienten
einschließen (Power der Studie). Außerdem setzt sich die DEGAM dafür ein,
die primärärztliche Perspektive in den Forschungsvorhaben zu stärken: „Zu
Long- und Post-COVID liegt inzwischen eine unüberschaubare Anzahl an
wissenschaftlichen Publikationen vor – allerdings kaum mit Beteiligung der
primärärztlichen Ebene. Diese Perspektive muss aber unbedingt einfließen,
damit Studien zu Long- und Post-COVID eine größere Aussagekraft für die
Hausarztmedizin haben, wo nun mal die meisten Patientinnen und Patienten
betreut werden“, so Martin Scherer weiter.

Nicht zuletzt weist die DEGAM darauf hin, dass überzogene bürokratische
Vorgaben, die momentan speziell für Long / Post-COVID diskutiert werden,
wertvolle Zeit kosten, die in der Praxis stattdessen den Patientinnen und
Patienten zugutekommen sollte.