Spenderorganmangel: Deutsche Herzstiftung befürwortet Initiative zur Widerspruchslösung
Organspenden scheitern zu oft an fehlender Zustimmung. Einführung der
Widerspruchslösung dringend notwendig, um Lücke an Spenderherzen zu
verringern und Leben zu retten / Zum Tag der Organspende
Jedes Jahr fehlen in Deutschland mehrere Tausend Spenderorgane. Dieser
extreme Spenderorganmangel ist alarmierend. Denn er ist fatal für schwer
und teils sterbenskranke Kinder und Erwachsenen, die auf Intensivstationen
und auf den Wartelisten für eine Transplantation auf ein neues Organ
hoffen. Die Situation ist seit vielen Jahren angespannt. Und auch nach dem
Start des Organspende-Registers im März und trotz Einführung der
erweiterten Zustimmungslösung im Jahr 2020 findet Deutschland nicht aus
seinem eklatanten Missverhältnis zwischen gespendeten und dringend
benötigten Organspenden heraus: 2023 wurden 2.877 Organe (Herz, Lunge,
Niere, Leber, Pankreas) postmortal gespendet, während auf den Wartelisten
Menschen für 8.716 dringlich benötigte Organe (davon Herzen: 690) standen.
Versuche der Bundesregierung, diesen Missstand zu ändern und eine spürbare
Zunahme an Spenderorganen zu bewirken, schlugen bislang fehl. „Weder
Aufklärungskampagnen noch die gesetzlich verankerte Zustimmungslösung
konnten diesen dramatisch anhaltenden Engpass an Spenderorganen beenden.
Somit müssen weiterhin wegen eines fehlenden Spenderorgans wie Herz oder
Lunge Patienten vorzeitig sterben oder spürbar an Lebensqualität einbüßen,
weil sie dauerhaft an ein Herzunterstützungssystem gebunden sind“, warnt
der Herzchirurg und Transplantationsmediziner Prof. Dr. Jan Gummert,
Vorstandsmitglied der Deutschen Herzstiftung. „Wir sehen weiterhin die
Einführung der Widerspruchslösung – auch aufgrund der Erfolge anderer
europäischer Länder nach deren Einführung – als die entscheidende
Maßnahme, um endlich in Deutschland die Situation der Organspende
nachhaltig zu verbessern“, betont der Herzstiftungs-Vorstand und Direktor
der Klinik für Thorax- und Kardiovaskularchirurgie am Herz- und
Diabeteszentrum NRW, Universitätsklinik der Ruhr-Universität Bochum, Bad
Oeynhausen. „Wir befürworten ausdrücklich die Initiative des Bundesrats,
der die Bundesregierung durch einen Entschließungsantrag aufgefordert hat,
die Widerspruchslösung in das Transplantationsgesetz aufzunehmen.“
In über 20 europäischen Ländern gilt die Widerspruchslösung. Länder mit
Widerspruchslösung wie Spanien, Österreich und Kroatien weisen deutlich
mehr Organspenderinnen und Organspender auf als Deutschland. In Spanien
mehr als viermal so viele, in Österreich und Kroatien mehr als doppelt so
viele (1). Das Widerspruchs-Prinzip besagt: Wer eine Organspende nicht
ausdrücklich verweigert, steht als Spender grundsätzlich zur Verfügung,
wobei die Angehörigen ein Veto einlegen können. Die Herzstiftung bietet
einen kostenfreien Organspendeausweis unter
www.herzstiftung.de/organspend
Zahl der Spenderherzen gesunken
Die Deutsche Herzstiftung und Herzchirurgen wie Prof. Gummert, der das
größte Herztransplantationszentrum in Deutschland leitet, sehen die
geringe Zahl der Spenderherzen in Deutschland mit äußerster Besorgnis,
denn diese bewegt sich seit Jahren auf einem sehr niedrigen Niveau. Bei
den postmortal gespendeten Herzen sank sie laut Deutscher Stiftung
Organtransplantation (DSO) um 2,9 Prozent von 312 (2022) auf 303 im Jahr
2023. Entsprechend dramatisch ist die Kluft zwischen der Zahl verfügbarer
Organe für eine Transplantation und der Zahl herzkranker Menschen auf den
Wartelisten. Für ein Herz befanden sich 2023 insgesamt 1.094 Personen auf
der Warteliste (davon 2023 auf die Warteliste aufgenommen: 485 Menschen),
nur 330 Herztransplantationen wurden durchgeführt; ein Jahr zuvor waren es
noch 358 Herzverpflanzungen. Bei Kindern unter 16 Jahren wurden 32
Herztransplantationen (2023) durchgeführt. 27 Herztransplantationen der
insgesamt 330 kamen dank importierter Herzen aus Ländern des
Eurotransplant-Verbunds –alles Länder mit Widerspruchslösung – zustande.
„Schwer herzkranke Patienten mit einer Herzinsuffizienz auf den
Intensivstationen verbleiben daher ohne die dringlich benötigte
Herztransplantation auf der Warteliste“, erklärt Herzstiftungs-Vorstand
Prof. Gummert.
Organmangel auch wegen fehlender dokumentierter Zustimmungen
In Deutschland gilt die Zustimmungslösung. Organe oder Gewebe dürfen nur
entnommen werden, wenn die verstorbene Person dem zu Lebzeiten zugestimmt
hat. Nach dem Tod der Person können stellvertretend die nächsten
Angehörigen ihre Zustimmung geben, wenn der oder die Verstorbene zu
Lebzeiten keine Entscheidung getroffen oder dokumentiert hat. Ein Problem,
das die DSO für den Rückgang der Organspenden anführt: Es fehlt häufig an
eindeutigen Einwilligungen der Verstorbenen. Und nach dem Tod ist es
ethisch auch sehr schwer, direkt bei den Angehörigen nach der Organspende
zu fragen. Nach einer aktuellen Umfrage der Bundeszentrale für
gesundheitliche Aufklärung (BzgA) befürworten zwar rund 84 Prozent der
Bundesbürger zwischen 14 und 75 Jahren eine Organ- und Gewebespende und
immerhin rund 44 Prozent dokumentieren ihre Spendebereitschaft sogar
schriftlich (2). Untersuchungen zeigen allerdings, dass ihr Wille im
Krankenhaus dennoch vielfach unbekannt bleibt, „weil Ausweise oder andere
Dokumente nicht auffindbar sind“, berichtet die DSO. Eine Untersuchung in
sieben Unikliniken habe ergeben, dass der schriftliche Wille nur in zehn
Prozent der Fälle vorlag (3). „Wenn bei fehlender schriftlicher
Willensbekundung der verstorbenen Person die Angehörigen in einer seelisch
ohnehin sehr schwierigen Situation selbst über die Spende entscheiden
müssen, lehnen sie häufig ab“, berichtet Prof. Gummert. Laut DSO ist die
fehlende Zustimmung durch Angehörige einer der Hauptgründe, warum eine
Spende bei potenziellen Organspendern nicht stattgefunden hat.
Organspende-Register: „Kein nennenswerter Effekt, weil zu kompliziert“
Ob das im März gestartete Organspende-Register zu einer Trendumkehr
beitragen und für eine Zunahme der Spenderorgane sorgen kann, bleibt
abzuwarten. Ab dem 1. Juli 2024 sollen Entnahmekrankenhäuser online in der
Lage sein, im Register hinterlegte Erklärungen zu suchen und abzurufen.
Experten wie Klinikdirektor Gummert sind allerdings skeptisch. Seiner
Einschätzung nach wird das Register „keinen nennenswerten Effekt“ auf die
Spenderorganzahlen haben, „weil es auf freiwilliger Basis läuft und zu
kompliziert ist“, so Gummert. Letzteres betrifft besonders die technisch
wenig affinen Menschen, da für die Eingabe der Willensbekundung ein
Personalausweis mit Onlinefunktion und Pin benötigt wird. „Was nützt ein
Register mit nur 20-prozentiger Vollständigkeit bei der Entscheidung der
Bevölkerung für oder gegen eine Organspende?“, gibt der Herzchirurg zu
bedenken. „Jeder sollte auf alle Fälle weiterhin seinen Organspendeausweis
bei sich tragen und auch seine nächsten Angehörigen über seine
Entscheidung und deren Dokumentation informieren“, empfiehlt der
Herzstiftungs-Vorstand.
„Wir brauchen einen Kulturwandel bei der Organspende“
Deutschland, das seit Jahren mehr Organe importiert als exportiert,
profitiert von den verhältnismäßig höheren Spendezahlen der Nachbarländer.
Während 490 Organe aus Ländern des Eurotransplant-Verbundes im Jahr 2023
importiert wurden, erhielten diese nur 384 Organe aus Deutschland (DSO).
„Daran sehen wir, dass sich unter den derzeitigen Bedingungen nur mit
Hilfe von Spenderorganen aus dem Ausland – wohlgemerkt alles Länder mit
Widerspruchslösung – auch die Zahl der transplantierten Herzen erhöhen
lässt“, so Gummert. Dieser Organ-Import sei moralisch fragwürdig, solange
sich Deutschland gegen eine Widerspruchslösung entscheide, so der
Herzchirurg. Deutschland hat als einziges Mitgliedsland von Eurotransplant
keine Widerspruchslösung. „In vielen Teilen der Bevölkerung fehlt leider
das Selbstverständnis dafür, dass eine Organspende nach dem Tod eines
Menschen das Leben eines anderen Menschen rettet. Wir brauchen daher in
Deutschland einen Kulturwandel bei der Organspende. Die Widerspruchslösung
wäre ein möglicher Schritt dahin.“
(wi)
Literatur:
(1) Quelle: IRODaT 2023, zitiert nach BZgA, abgerufen am 23.05.24:
https://www.organspende-info.d
(2) Zimmering, R. et al. (2023). Bericht zur Repräsentativstudie 2022
„Wissen, Einstellung und Verhalten“, zitiert nach DSO-Jahresbericht 2023:
https://www.dso.de
(3) Englbrecht JS.: Advance directives and consent to organ donation in
seven university hospitals in North Rhine–Westphalia — a retrospective,
multicenter analysis. Dtsch. Arztebl. Int. 2023; 120: 133–4. DOI:
10.3238/arztebl.m2022.0367, zitiert nach DSO-Jahresbericht 2023:
https://www.dso.de
Service
Ein Organspendeausweis der Deutschen Herzstiftung kann kostenfrei unter
https://herzstiftung.de/organs
Podcast der imPULS-Reihe:
„Ein neues Herz - Warum es bei der Organspende hakt“:
https://herzstiftung.de/servic
organspende
"Herzinsuffizienz: Letzter Ausweg Herztransplantation?":
https://herzstiftung.de/servic
herztransplantation
Weitere Infos zur Organspende sind abrufbar unter www.herzstiftung.de und
https://herzstiftung.de/podcas
Infos zum Organspende-Register: https://www.organspende-info.d
/organspende-register/
BZgA: www.organspende-info.de
Daten & Fakten
Die häufigsten Ursachen und Indikationen für eine Herztransplantation
sind:
- schwerwiegende Herzmuskelerkrankungen (Kardiomyopathien)
- die koronare Herzkrankheit (KHK), die Grundkrankheit des
Herzinfarkts
- weitere chronische Krankheiten des Herz-Kreislauf-Systems wie
Herzmuskelentzündung (Myokarditis).
- Angeborene Fehlbildungen des Herzens
Hauptursachen für die Entwicklung einer schweren Herzinsuffizienz sind im
Kindes-, Jugend- und jungen Erwachsenenalter ein Versagen des Herzmuskels
im Endstadium (z. B. nach Herzmuskelentzündung, Kardiomyopathien) und
komplexe angeborene Herzfehler im terminalen Herzkreislaufversagen.
Für Patientinnen und Patienten mit schwerer Herzschwäche
(Herzinsuffizienz) im Endstadium ist die Herztransplantation eines
Spenderorgans Goldstandard.
Herztransplantation die bessere Option als Herzersatzverfahren
Erfreulicherweise leben ca. 60 Prozent der Patienten zehn Jahre und länger
nach einer Herztransplantation. Bis zu 30 Prozent leben auch nach 20
Jahren noch mit ihrem neuen Herzen. Dank stetig weiterentwickelter und
innovativer Medikamente, vor allem Immunsuppressiva, verbessert sich das
Langzeitüberleben der Herztransplantierten kontinuierlich. Für das
komplexe menschliche Herz gibt es aktuell keinen kompletten
Kunstherzersatz. Die sogenannten Kunstherzen (Total Artificial Hearts,
TAH) sind noch im Frühstadium ihres Einsatzes beim Menschen, daher sind
weder mittelfristige Erkenntnisse noch Langzeitergebnisse verfügbar.
Auch die Transplantation eines tierischen Herzens (Xenotransplantation)
ist zurzeit keine Alternative. Für Patienten auf der Warteliste für ein
Spenderherz gibt es zwar bis zur Erholung des Herzmuskels oder zur
Überbrückung bis zur Herztransplantation die Option eines
Herzunterstützungssystems für die rechte, linke oder beide Herzkammern
(RVAD, LVAD, BVAD). Die Lebenserwartung mit einem Spenderherz ist
allerdings deutlich höher als mit dem häufigsten Herzunterstützungssystem
LVAD.