Ein Motor für den zellfreien Stoffwechsel
Forschende entwickeln ein zellfreies System, in dem erstmals genetische
Informationen und Stoffwechsel zusammenarbeiten
Stoffwechselprozesse außerhalb lebender Zellen funktionieren nur so lange,
wie sie von außen mit Bausteinen versorgt werden. Max-Planck-Forscher um
Tobias Erb haben nun erstmals ein synthetisches In-vitro-System
entwickelt, das nach dem Vorbild der Natur Genetik und Stoffwechsel
miteinander koppelt und sich selbst antreiben kann. Es funktioniert
außerhalb von Zellen und nutzt CO2 als Rohstoff, wie das Team in der
aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Science berichtet.
Die Fähigkeit alles Lebendigen, sich selbst zu bilden, zu organisieren und
zu erhalten, beruht auf einem Kreislauf, in dem Gene und Stoffwechsel
ständig parallel miteinander wechselwirken. Während Gene für die
Komponenten des Stoffwechsels kodieren, liefert der Stoffwechsel Energie
und Bausteine für Erhalt und Verarbeitung der genetischen Informationen.
In der Synthetischen Biologie erforschen Forschende die Prinzipien des
Lebens, indem sie seine Systeme von Grund auf - bottom up - aus den dafür
minimal notwenigen Teilen neu zusammenbauen. Mit diesem Ansatz gelang es
in den letzten Jahren, sowohl komplexe Stoffwechselnetzwerke als auch
zellfreie molekulargenetische Systeme außerhalb der Zellumgebung - in
vitro - zu entwickeln, zum Beispiel in so genannten Mikrofluidik-Kammern.
Diese Ansätze haben gemeinsam, dass alle Biokatalysatoren, die die Arbeit
verrichten, von außen zugegeben werden, und der ganze Prozess nur so lange
abläuft, wie er mit einem kontinuierlichen Strom von neuen Bausteine,
Information und Energie versorgt wird.
Durch Kopplung von Stoffwechsel- und genetischer Ebene möchten Forschende
selbsterhaltende Systeme entwickeln, die ihre Bausteine selbst erzeugen
und Prozesse wechselseitig antreiben – genau so, wie es in lebenden Zellen
passiert. Diesem Ziel sind Forschende um Prof. Dr. Tobias Erb vom Max-
Planck-Institut in Marburg nun einen wesentlichen Schritt nähergekommen:
sie haben das erste zellfreie System entwickelt, in dem sich ein
genetisches und ein Stoffwechsel-Netzwerk gegenseitig am Laufen halten.
Dabei werden auch Enzyme des Stoffwechsels vom System selbst erzeugt. Das
komplexe in vitro-System funktioniert sowohl im Reagenzglas als auch in
künstlichen Zellhüllen. Es beruht auf dem CETCH-Zyklus, ein synthetisches
Stoffwechselnetzwerk, das CO2 als Rohstoff nutzt, um organische Moleküle
herzustellen.
Der Trick: gegenseitige Abhängigkeit
„Wir haben den CETCH-Zyklus mit einem bereits bestehenden genetischen
System namens PURE gekoppelt. PURE ist eine synthetische Transkriptions-
und Translationsmaschine, die mit einem Mix aus Ribosomen, DNA, RNA und
Proteinen auch außerhalb lebender Zellen funktioniert. Wir haben beide
Netzwerke so angepasst, dass sie zusammen wie ein Motor funktionieren.
Einmal angeworfen, läuft er immer weiter, weil sich die Netzwerke
gegenseitig fördern“, erklärt Dr. Simone Giaveri, Erstautor der
Publikation.
Damit das funktioniert, haben die Forschenden die Komponenten voneinander
abhängig gemacht. Sie programmierten PURE so, dass es zwei der CETCH-
Enzyme produziert. Dieser PURE-Variante fehlt jedoch die essentielle
Aminosäure Glycin, die für den Aufbau von Proteinen benötigt wird. CETCH
wiederum wurde so verändert, dass Glycin direkt aus CO2 entsteht. Indem
PURE das Glycin von CETCH erhält, schließt sich der Kreis.
Um nachzuweisen, dass ihr Ansatz funktioniert, gaben die Forschenden
zunächst Glycin zu PURE, das den Bauplan für ein fluoreszierendes Protein
enthielt. Sein Leuchten zeigte die erhoffte Aktivität des genetischen
Netzwerks an. Im nächsten Schritt wurde der CETCH-Zyklus eingebracht. Nach
Einbringen des künstlichen Stoffwechselwegs produzierte das gekoppelte
System das Glycin selbst – und konnte umgekehrt die zwei essentiellen
Komponenten des CETCH-Zyklus sowie das fluoreszierende Protein
produzieren.
Nur zwei der insgesamt über 50 Proteine des gekoppelten Systems werden
selbst erzeugt. Doch mehr ist auch gar nicht nötig, um den künstlichen
Kreislauf anzutreiben. „Ohne die genetische Komponente und die
wechselseitige Rückkopplung liefe der Zyklus weniger als eine Stunde.
Dadurch, dass es hier eine interne Regeneration gibt, werden es immerhin
12 Stunden, bis das System aus verschiedenen Gründen zum Erliegen kommt,
zum Beispiel, weil Bestandteile ausfallen oder sich zu sehr anreichern “,
erklärt Simone Giaveri. "Man muss es einmal mit einer minimalen Menge
Glycin in Gang setzen, dann treibt es sich selbst immer wieder an.“
Ein Betriebssystem für zukünftige nachhaltige Systeme
Noch werden die meisten Elemente des künstlichen Stoffwechsels von außen
zugeführt. Von einem System, das alle seine Bestandteile selbst
regenerieren kann, sei man noch weit entfernt, sagt Tobias Erb. Dazu
müssten komplette Stoffwechselnetzwerke kodiert, Selbstreparaturen
programmiert werden, um die Lebensdauer der in vitro-Systeme zu
verlängern, und biochemische Recyclingkreisläufe integriert werden.
"Bisher ist es uns nur gelungen, einen Baustein herzustellen, und wir sind
noch weit davon entfernt, alle Bausteine aus CO2 herstellen zu können.
Aber wir haben ein grundlegendes Betriebssystem entwickelt, das von
zukünftigen Entwicklungen in diesem schnelllebigen Forschungsgebiet
profitieren wird. Wenn man noch weiter in die Zukunft denkt, kann man sich
vorstellen, dass wir in Zukunft ein solches System mit Licht oder sogar
mit nachhaltigem Strom betreiben können.
Alleine die Orchestrierung der über 50 Proteine, Energieträger, Baupläne
und Bausteine ist das Ergebnis zahlloser Experimente, in denen Simone
Giaveri die Kombinationen parallel prüfte und optimierte. Jedes Element in
Simone Giaveris hochkomplexen System ist genau für seinen Zweck bestimmt.
„Man kann unser System als Betriebseinheit, sozusagen als Basis-Motor für
synthetische Stoffwechsel nutzen“, sagt Tobias Erb. „Und da es auf CO2
beruht, wäre das Ganze vollständig nachhaltig, denn dieser Rohstoff steht
praktisch unbegrenzt zur Verfügung.“