Die Schweizer Küche auf der Suche nach Identität und Herbert Huber’s Gedanken dazu

Hochverehrte Genussmenschen, liebe Mitesserinnen und Mitesser (nicht etwa die «Biibeli» gemeint)
Während Wirte klagen, Gäste würden weniger Zeit und Geld in Genuss investieren, wird öffentlich mehr übers Kochen gesprochen und geschrieben denn je. Über Beizen geurteilt – im Wartezimmer des Zahnarztes, in den Wirtschaften während des Essens und beim Picknick im Freien.

Täglich flimmern im Fernsehen Food-Trends, bis man sich wünscht, diese alle in den Mund zu stopfen und brav zu kauen. Eine Kochsendung löst die Andere ab. Heimatliche Gefühle werden mit «Mini Chuchi – Dini Chuchi» geweckt. Aber auch den Ärger auf die manchmal laienhaften ja geradezu blöden Kommentare der geladenen Gäste. Fazit: So ist im pulsierenden Feld voller kulinarischer Widersprüche die heimatliche Gastronomie auf Identitätssuche.
Die «alte» Schule und die «neue» Zukunft

Als Koch der «alten» Schule hinterfrage ich zwar, ob Köche überhaupt noch (traditionell) kochen können? Wo sich doch eine (fast) ganze Generation zu Küchendekorateuren entwickelt hat – und dabei das echte fundamentale Kochen verlernte. Eine weitere Frage: Gibt es überhaupt noch eine ehrlich zelebrierte «Schweizer Küche»? Wo doch das Angebot der Lebensmittelindustrie mit Fertig-Rösti bis Fixfertig-Gratin und Geschnetzeltem im Vakuumbeutel, Suppen aus der Büchse und Saucen in Pulverform nur so überquillt? Von Echtheit keine Spur.
Gegensteuer mit Kampagnen

Kampagnen wie «Schweizer Fleisch» oder Labels wie «Suisse Garantie» und das sehr erfolgreiche neue Label «Fait Maison» versuchen, ein nationales Lebensmittelbewusstsein zu schaffen. Doch bleibt die Schweizer Küche nicht im Schatten populärer Kulinarik der Nachbarländer, Schnellimbissbuden, Strassenfooderei und Ethnien-Küchen stecken – also im Spannungsfeld zwischen Tradition, Moderne, Regionalität und Globalisierung?
Die Schweizer Küche

So ist die Identität der Schweizer Küche nicht statisch, sondern in Bewegung – ein Prozess, der das Selbstverständnis der Schweiz als multikulturelles, mehrsprachiges und weltoffenes Land auch kulinarisch widerspiegelt.

Eigentlich wäre es so einfach, unsere Schweizer Küche ehrlich und kompromisslos zu pflegen. Auch in den Restaurants. Mit original hausgebrutzelter Rösti, Zürcher oder Nidwaldner Geschnetzeltem. Mit raffinierter hauseigener Fondue-Mischung, mit Original-Raclette oder Papet Vaudois. Mit Tessiner Polenta oder dem Risotto aus dem Valle Maggia. Haben Sie je eine Kalberwurst mit Zigerhörnli geschlemmt? Oder mit Maluns, Capuns, Pizokel, Bündner Gerstensuppe und Beinwurst die Gaumen erfreut? Oder wie wäre es mit einer kulinarischen «Tour de Suisse» mit Zwischenhalt bei der Appenzellerin mit ihrem charmantesten Käse?
Kulinarischer Föderalismus

So ist in einem Land mit starker föderalistischer Struktur die Küche ein möglicher Baustein für nationale Identifikation. Diese haben wir bitter nötig.

Anstatt sich auf ein einziges nationales Gericht oder eine uniforme Küche festlegen zu wollen, könnte die Schweiz ihre kulinarische Identität bewusst aus deren Vielfalt schöpfen. In einer Welt, die zunehmend nach Einheitlichkeit strebt, ist diese ein kultureller Schatz – ein Geschmack von Heimat in Varianten. Auf denn zur nächsten Lagerfeuer-Party mit der Nationalwurst Cervelat. Ein Hoch auf die kulinarische Schweiz. Ihre kulinarische Identität ist nicht in Stein gemeisselt – sie wird immer wieder neu entdeckt. Solange es noch Genussmenschen geben wird.
Text www.herberthuber.ch
Fotos Von Shutterstock generierte KI Bilder
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