Lucerne Festival Orchestra | Riccardo Chailly | Beatrice Rana, KKL Konzertsaal, 19.8.2025, besucht von Léonard Wuest

Besetzung und Programm:
Lucerne Festival Orchestra
Riccardo Chailly Dirigent
Beatrice Rana Solistin am Klavier
Sergej Rachmaninow (1873–1943)
Der Fels op. 7
Rhapsodie über ein Thema von Paganini op. 43
Sinfonie Nr. 1 d-Moll op. 13
Sergej Rachmaninow Der Fels op. 7
Dramatische Klanglandschaften
Mit „Der Fels“ op. 7 präsentiert sich der junge Sergej Rachmaninow bereits als Meister der orchestralen Farbgebung. In der Interpretation durch das Lucerne Festival Orchestra unter der Leitung von Riccardo Chailly wird diese sinfonische Dichtung zu einem eindrucksvollen Erlebnis. Die düstere, von russischer Romantik geprägte Atmosphäre des Werks entfaltet sich von Beginn an mit satter Klangfülle, ohne an Transparenz zu verlieren. Chailly lässt das Naturbild lebendig werden – stürmisch, geheimnisvoll, voller innerer Spannung.
Fein abgestimmte Dynamik

Das Lucerne Festival Orchestra überzeugt mit makellosem Zusammenspiel und bemerkenswerter Klangkultur. Chailly modelliert die dynamischen Kontraste mit sicherer Hand: vom bedrohlich schwelenden Beginn bis zum orchestralen Aufbäumen gegen Ende. Dabei gelingt ihm der Spagat zwischen dramatischer Geste und kammermusikalischer Feinzeichnung. Besonders die Holzbläser verleihen der Partitur eine geheimnisvolle Tiefe, während die Streicher Rachmaninows typische Wehmut voll auskosten.
Ein früher Rachmaninow in voller Blüte
Obwohl ein Jugendwerk, zeigt „Der Fels“ bereits viele typische Elemente des späteren Rachmaninow: lyrische Melodiebögen, spätromantische Harmonik, emotionale Dichte. Der Dirgent betont diese Qualitäten, ohne das Werk zu überhöhen. Seine Interpretation bleibt narrativ und klar geführt, mit Gespür für innere Entwicklung und musikalischen Spannungsaufbau. Das Orchester setzt diese Linie mit technischer Brillanz und stilistischer Feinheit um.
Poetisch, kraftvoll, visionär

Diese Darbietung von „Der Fels“ beeindruckt durch musikalische Reife und interpretatorische Tiefe. Chailly und sein Orchester lassen die sinfonische Dichtung nicht nur wie ein Naturbild, sondern wie ein Seelenbild erscheinen – eindringlich, dramatisch und poetisch zugleich. Ein eindrucksvolles Porträt des jungen Rachmaninow.
Sergej Rachmaninow Rhapsodie über ein Thema von Paganini op. 43
Virtuose Leidenschaft trifft orchestrale Raffinesse

In der Interpretation von Sergej Rachmaninows „Rhapsodie über ein Thema von Paganini“ op. 43 vereinen sich pianistisches Feuer und orchestrale Feinzeichnung zu einem mitreißenden Klangereignis. Die junge italienische Pianistin Beatrice Rana brilliert mit technischer Brillanz, gepaart mit tiefem musikalischem Ausdruck. Unter der Leitung von Riccardo Chailly entfaltet das Lucerne Festival Orchestra eine klangliche Vielfalt, die Rachmaninows vielschichtiges Werk in all seinen Facetten leuchten lässt.
Beatrice Rana: Glanz und Tiefe

Rana gestaltet die 24 Variationen mit stilistischer Klarheit und interpretatorischer Reife. Ihre Anschlagskultur reicht von glitzernder Virtuosität bis zu lyrischer Innigkeit, besonders eindrucksvoll im berühmten 18. Variationsthema, das sie mit warmem Ton und emotionaler Tiefe spielt, ohne in Sentimentalität zu verfallen. Dabei bleibt sie stets im Dialog mit dem Orchester – nie solistisch abgehoben, sondern als Teil eines musikalischen Ganzen.
Ein Orchester auf Augenhöhe
Das Lucerne Festival Orchestra agiert auf gewohnt höchstem Niveau: präzise, farbenreich und mit großer stilistischer Bandbreite. Chailly formt jede Variation mit dramaturgischem Gespür, hält Spannung und Fluss mühelos aufrecht. Die Balance zwischen Solistin und Ensemble ist ideal austariert – besonders in den rhythmisch pointierten Variationen entsteht ein lebendiger, fast kammermusikalischer Austausch.
Rachmaninow voller Leben und Charakter

Eine Rachmaninow-Interpretation voller Leben, Eleganz und Tiefe. Beatrice Rana überzeugt als expressive Erzählerin, Chailly und das Lucerne Festival Orchestra als sensibler wie kraftvoller Partner. Gemeinsam machen sie die „Rhapsodie über ein Thema von Paganini“ zu einem Erlebnis, das weit über virtuose Brillanz hinausgeht – hin zu echter musikalischer Erzählkunst. Dies sah auch das Publikum so und feierte Solistin, Dirigent und Orchester mit stürmischem, langanhaltendem Applaus, klatschte so Solistin und Dirigent etliche Male auf die Bühne zurück, zu einer Standing Ovation reichte es nicht ganz.
Sergej Rachmaninow Sinfonie Nr. 1 d-Moll op. 13
Ein Werk der Jugend mit tragischer Tiefe

Sergej Rachmaninows Sinfonie Nr. 1 d-Moll gilt als frühes, leidenschaftliches Werk eines Komponisten, der noch auf der Suche nach seiner musikalischen Identität war – und doch bereits Großes ankündigte. In der Interpretation durch das Lucerne Festival Orchestra unter Riccardo Chailly erhält diese lange unterschätzte Sinfonie eine packende, dramatisch ausgeleuchtete Lesart. Chailly lässt die düsteren Farben und harschen Kontraste der Partitur klar hervortreten, ohne sie zu überzeichnen.
Dramatik und Klarheit im ersten Satz
Der Kopfsatz wird mit klarem dramaturgischen Gespür aufgebaut. Die rhythmisch markante Einleitung entwickelt sich in stetig wachsender Spannung – Chailly hält das Orchester dabei unter Kontrolle und verhindert jegliches Pathos. Das Lucerne Festival Orchestra überzeugt mit klanglicher Präzision, dynamischer Bandbreite und plastischer Artikulation. Die dunkle Grundstimmung bleibt stets spürbar, ohne zu erdrücken.
Feinsinn und Melancholie im Larghetto

Im zweiten Satz bringt das Orchester eine tief emotionale Klanglichkeit zum Ausdruck. Die melancholischen Melodien werden von den Streichern getragen, fein ausbalanciert durch die Holzbläser. Hier zeigt sich Rachmaninows Fähigkeit, orchestrale Dichte mit melodischer Innigkeit zu verbinden. Chailly lässt dem Fluss Raum, ohne Tempo oder Spannung zu verlieren. Die Interpretation wirkt reflektiert, doch nie distanziert.
Rhythmischer Biss und orchestrale Wucht
Der dritte Satz, ein Scherzo mit fast tänzerischem Einschlag, erhält unter Chaillys Leitung eine rasante, aber kontrollierte Energie. Die rhythmische Prägnanz ist beeindruckend, die orchestralen Farbwechsel werden scharf konturiert herausgearbeitet. Das Lucerne Festival Orchestra zeigt hier seine ganze Flexibilität – mal ungestüm, mal geheimnisvoll, stets auf den Punkt.
Finale: Zwischen Aufbäumen und Verlöschen

Der letzte Satz wird zum emotionalen Höhepunkt: Dramatik, Klangfülle und Tragik vereinen sich zu einem packenden Finale, in dem Rachmaninow das grosse Besteck auspackt, Chailly keine Effekte scheut, aber die musikalische Linie nie aus den Augen verliert. Das tragische Verlöschen am Ende wirkt nicht inszeniert, sondern wie ein zwingender Schlusspunkt.
Eine Wiederentdeckung mit Nachhall

Mit dieser Interpretation gelingt Riccardo Chailly und dem Lucerne Festival Orchestra eine glänzende Wiederentdeckung von Rachmaninows erster Sinfonie – vielschichtig, dramatisch und mit emotionaler Tiefe. Eine Aufführung, die zeigt, wie kraftvoll und modern dieses Jugendwerk klingen kann. Ein Werk, das wie auch der „Fels“, erstaunlicherweise zum ersten Mal anlässlich des Lucerne Festivals erklang.
Das begeisterte Auditorium feierte die Ausführenden mit einer stehenden, langanhaltenden Ovation.
Text: www.leonardwuest.ch
Fotos: Priska Ketterer, Peter Fischli und Patrick Hürlimann www.lucernefestival.ch
Homepages der andern Kolumnisten: www.gabrielabucher.ch www.herberthuber.ch www.maxthuerig.ch www.marinellapolli.ch