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Vor der Abfahrt nach Spiekeroog (v.l.): Prof. Dr. O. Zielinski, Universität Oldenburg, Wissenschaftsminister Björn Thümler, Prof. Dr.-Ing. T. Schlurmann, Leibniz Universität Hannover, Dr. T. Badewien, Uni Oldenburg u. Dr.-Ing. O. Lojek, TU Braunschweig
Vor der Abfahrt nach Spiekeroog (v.l.): Prof. Dr. O. Zielinski, Universität Oldenburg, Wissenschaftsminister Björn Thümler, Prof. Dr.-Ing. T. Schlurmann, Leibniz Universität Hannover, Dr. T. Badewien, Uni Oldenburg u. Dr.-Ing. O. Lojek, TU Braunschweig

Forschungsverbund von drei Universitäten zeigt „Reallabor“ für
ökosystemstärkenden Küstenschutz bei Spiekeroog
Was ist eine gute Küste, an der wir sicher vor Naturgefahren, im Einklang
mit der Natur und eingebettet in die gewachsene Kulturlandschaft
nachhaltig und verantwortungsbewusst leben und wirtschaften können? Dieses
ist die zentrale Frage, mit der sich das Projekt „Gute Küste
Niedersachsen“ beschäftigt, ein Forschungsverbund der Leibniz Universität
Hannover (Sprecherfunktion), der Universität Oldenburg und der Technischen
Universität Braunschweig. Derzeit läuft eine umfangreiche
Sommermesskampagne des Projekts an der Nordseeküste, über das sich jetzt
der niedersächsische Minister für Wissenschaft und Kultur, Björn Thümler,
informiert hat. Die Projektverantwortlichen haben Björn Thümler am
heutigen Donnerstag auf dem Forschungsboot Otzum die Messtätigkeiten in
der Harle, dem Seegatt zwischen Wangerooge und Spiekeroog, und der Otzumer
Balje, dem Seegatt zwischen Spiekeroog und Langeoog, erläutert. Die
aufwendigen Datenerhebungen dienen der Erfassung und Beschreibung
typischer Einwirkungen von Seegang und Tideströmungen und dadurch
ausgelösten Transportprozessen.

„Für Niedersachsen mit einer Küstenlinie von rund 750 km ist der
Küstenschutz eines der zentralen Themen“, so Niedersachsens
Wissenschaftsminister Björn Thümler. „Die jüngsten Hochwasserereignisse im
Süden und Westen Deutschlands haben uns erneut vor Augen geführt, wie
abhängig die Menschen von Schutzbauwerken sind. Die Auswirkungen der
Klimakrise sind mittlerweile überall zu spüren und stellen diese Bauwerke
vor besondere Herausforderungen. Ich freue mich deshalb, dass
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Verbundes ‚Gute Küste‘ diese
hochrelevanten Themenfelder im Rahmen transdisziplinärer Forschung und in
Kombination mit der Erforschung nachhaltiger Lösungen bereits aufgegriffen
haben. Effektiver Küstenschutz und intakte Natur müssen kein Widerspruch
sein. Deshalb fördert das Land das Projekt mit fünf Millionen Euro aus
Mitteln des Niedersächsischen Vorab.“

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der drei Universitäten
entwickeln vor dem Hintergrund des Klimawandels in bedarfsorientierter
Forschung gemeinsam mit den zuständigen Landesbetrieben und der
Bevölkerung umfangreiche Handlungs- und Managementmöglichkeiten im
Küstenschutz. Die Gegend um Spiekeroog ist eines der „Reallabore“
innerhalb des Projekts. Hintergrund der dortigen Messungen ist die
geplante Erneuerung eines großen Küstenschutzwerkes, einer Buhne, in der
Harle. Die Messkampagne dient dazu, die Strömungsverhältnisse im Nahfeld
der Buhne besser zu verstehen und zu untersuchen, ob sich beispielsweise
Schadstoffe an bestimmten Stellen ansammeln. Im direkten Vergleich mit den
Messungen im unverbauten Seegatt will sich das Projektteam einen Überblick
über den jetzigen Umweltzustand verschaffen, um daraus Schlussfolgerungen
der ausgelösten Veränderungen zu ziehen.

„Durch die enge Einbindung der relevanten Behörden, der Zivilgesellschaft
und führenden Forschungseinrichtungen sollen die Grundlagen dafür
geschaffen werden, dass unsere Forschungsfragen bereits während der
Konzeption und Umsetzung von ergänzenden, ökosystemfördernden Maßnahmen
nicht nur auf Akzeptanz treffen, sondern wechselseitig Wissen erzeugen und
nach Ablauf des Projekts gegebenenfalls sogar breite Nachahmung auch über
die Grenzen Niedersachsen hinaus finden“, erläutert Sprecher Prof.
Dr.-Ing. Torsten Schlurmann vom Ludwig-Franzius-Institut für Wasserbau,
Ästuar- und Küsteningenieurwesen (LuFi) der Leibniz Universität Hannover
(LUH).

„Mithilfe innovativer Technologien und Messstrategien, die wir im
Küstenobservatorium Spiekeroog einsetzen, liefern wir eine fundierte
Datengrundlage, um Maßnahmen für einen ökologisch nachhaltigen
Küstenschutz zu entwickeln und zu bewerten“, sagt Prof. Dr. Oliver
Zielinski, Leiter der Arbeitsgruppe Marine Sensorsysteme am Institut für
Chemie und Biologie des Meeres (ICBM) der Universität Oldenburg. „Die von
uns entwickelten Oberflächendrifter ermöglichen es uns beispielsweise, den
Einfluss von Küstenschutzbauten auf die komplexen Strömungsverhältnisse im
Wattenmeer zu untersuchen“, ergänzt ICBM-Wissenschaftler Dr. Thomas
Badewien.

Gemeinsam mit den Behörden vor Ort wie dem Wasserstraßen- und
Schifffahrtsamt Wilhelmshaven (WSA) und dem Niedersächsischen
Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN), der
Nationalparkverwaltung und verschiedenen Naturschutzverbänden sollen
anschließend Konzepte dafür entwickelt werden, wie die Buhne künftig so
gestaltet werden kann, dass sowohl der Küstenschutz als auch der Schutz
des Ökosystems gestärkt werden. „Die Wechselwirkungen zwischen unseren
Küstenschutzwerken und der umgebenden Natur, wie etwa Salzwiesen,
Dünenstrecken und Wattboden, müssen stärker noch als bisher ganzheitlich
gedacht werden. Das Ziel ist Einklang von Infrastruktur, Mensch und
Natur,“ sagt Prof. Dr.-Ing. Nils Goseberg vom Leichtweiß-Institut für
Wasserbau der Technischen Universität Braunschweig.

Die Sommermesskampagne 2021 ist Teil des Arbeitspaketes „Beobachtung und
Analyse“ innerhalb von „Gute Küste Niedersachsen“. Um die Wechselwirkungen
zwischen den Küstenschutzelementen, dem Watt und der Nordsee zu verstehen,
sind sowohl Dauermessungen als auch Einzelkampagnen zu verschiedenen
Jahreszeiten notwendig. An den Messungen vor Spiekeroog sind Institute der
LUH, der Universität Oldenburg und der TU Braunschweig beteiligt. Neben
den eigenen Messbooten Otzum und Seekatze ist außerdem der Forschungs-
Katamaran Egidora der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel dabei.

Das Verbundvorhaben „Gute Küste Niedersachsen“, das mit fünf Millionen
Euro aus dem Niedersächsischen Vorab der VolkswagenStiftung finanziert
wird, befasst sich mit dem Spannungsfeld, in dem sich die Menschen in
Küstenregionen seit jeher befinden, wie Dr. Jan Visscher, Oberingenieur am
Ludwig-Franzius-Institut in Hannover, erläutert: „Wie können wir uns vor
der Kraft des Meeres schützen und gleichzeitig seine Ressourcen nutzen und
die wertvollen ökologischen Funktionen erhalten?“ Der Erfahrungsschatz
spiegelt sich heute in der Disziplin des Küsteningenieurwesens wider und
ist in Generalplänen zum Küstenschutz gesetzlich verankert. Neben dem
Schutz von Lebens- und Wirtschaftsräumen stellt sich zunehmend die Frage
nach einem ökosystemstärkenden Küstenschutz. In den Reallaboren von „Gute
Küste Niedersachsen“ werden exponierte Deichabschnitte oder Deichvorländer
untersucht. Diese werden durch ökosystemfördernde Elemente und Systeme wie
Salz- oder Seegraswiesen ergänzt, um regulierende Ökosystemleistungen wie
Wellendämpfung oder Sedimentakkumulation zu etablieren und gleichzeitig
deren Wirkung zu untersuchen.