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Lifestyle

SUTTER THE SWISS Eine historische Geschichte 1. Teil von Anna Rybinski

United States 1834-1836
United States 1834-1836

Nach vielen Abenteuern und Lebensstürmen bin ich nun in der alten Heimat angekommen. Das Kleinliche, Begrenzte dieser Welt ärgert mich nicht mehr, hier möchte ich fortan leben und in Ruhe sterben.Bevor das Alter jedoch die Erinnerungen aus meinem Gedächtnis tilgt, will ich diese eine Geschichte erzählen – für meine Kinder und Kindeskinder, für alle, die sie lesen wollen. Mein schreibkundiger Sohn wird sie geordnet aufs Papier bringen.

Johann August Sutter  Schweizerisches Nationalmuseum
Johann August Sutter Schweizerisches Nationalmuseum
Joseph Nieriker Burgdorf  19.  Jahrhundert
Joseph Nieriker Burgdorf 19. Jahrhundert

Seit meiner Rückkehr aus der Neuen Welt bin ich ja ein gefragter Mann: Nachbarn und Bekannte klopfen immer wieder an meiner Tür, sie fragen, staunen, sehen sich die vergilbten Dokumente, Landkarten und die sonderbaren Schmuckstücke der Indianer an. Sie möchten aber vor allem über unseren berühmten Landsmann – seinen märchenhaften Aufstieg und traurigen Niedergang – alles hören. Wie unsere Wege sich auf wunderbare Weise kreuzten und wie ich Augenzeuge der Weltgeschichte wurde. Der Mann, dem der junge amerikanische Staat so viel zu verdanken hatte und dessen Entdeckung die Welt in eine Raserei versetzte, war der König von Sacramento und der Gründer von Neu-Helvetien gewesen:

Sutter der Schweizer Auf nach Amerika

Auswandererschiff 19.  Jahrhundert
Auswandererschiff 19. Jahrhundert

Ich heisse Jakob Wittmer und komme aus dem Solothurnischen. Alle meine Vorfahren waren Bauern und Fuhrleute in diesem Kanton, stark an die Heimat gebunden; ich war der Einzige, der wegwollte. Andere Länder kennenlernen, das Meer sehen: Das waren meine Wünsche von Kindesbeinen an, obwohl ich über die Auswanderer viel Schlechtes hörte. Die Leute sagten:

»Nur jemand, der Bankrott macht oder auf andere Weise Mist baut, sucht sein Glück am Ende der Welt. Hier müsste er ins Schuldengefängnis. Wer will das schon?

Sutter wollte es auch nicht; darüber später mehr.

Ich dagegen, unbescholten und von gutem Leumund, reiste mit meinem Ersparten aus freien Stücken durch Europa, schiffte mich in Le Havre ein und landete einen Monat später in Neu-York! Das geschah im Jahre 1834.

Einwanderer in New York 19.  Jahrhundert
Einwanderer in New York 19. Jahrhundert

Die hässliche Stadt, ständig im Wachsen, stets in Bewegung, konnte mich nicht fesseln. Ich wollte mit unerschrockenen Männern ins unbekannte Indianerland ziehen, mit den Einheimischen Handel treiben oder sogar eine neue Kolonie gründen. Ich nahm auch die erste Gelegenheit wahr, mit einer Gruppe von Abenteurern gegen Abend aufzubrechen und bis zu den deutschen Siedlungen in Missouri zu reisen. Das war damals die Grenze von Amerika. Dahinter lag feindliches Indianergebiet, und noch weiter, hinter den Prärien, Wüsten und unbegehbaren Bergen, lockte in unermesslicher Ferne Kalifornien, die mexikanische Provinz.

Die Deutschsprachigen sammelten sich in St. Louis – Verfolgte, Enttäuschte, oder neugierige Burschen wie ich – und hielten unentwegt Besprechungen, wie sie sich für die Weiterreise vorbereiten würden. Mein Erspartes war inzwischen aufgezehrt und ich nahm jede Arbeit an, die sich bot, meistens in den Lagerhäusern. Der Handel mit Biberfellen war das übliche Geschäft damals, aber einsteigen konnte man nur mit Kapital. Ich hatte schnell erfahren, dass ich auch in Amerika bei dem gemeinen Fussvolk bleibe.

Im Jahre 1834 kam allerdings Einer, der ohne Geld und Empfehlungen gleich oben beginnen konnte.

Johann August Sutter, Bürger von Rünenberg

New York, Manhattan     Getty  Images
New York, Manhattan Getty Images

Ich hatte den Neuankömmling kennengelernt, als ich im Hotel Schwyzerland seine vornehmen Reisetruhen ablieferte. Meine Mundart zu hören hatte ihm viel Freude bereitet. Er war elegant, gepflegt, voller Höflichkeit und Güte; kurzum ein nobler Herr. Sofort erzählte er den Deutschsprachigen, dass er mit Handelsreisen Gewinne erzielen will, um mit dem Geld eine neue Kolonie zu gründen. Ich war auch herzlich eingeladen, mitzumachen. So viel Entschlossenheit machte einen grossen Eindruck auf mich und ich dachte mit Bewunderung:

Er wird seine Pläne verwirklichen! Auf solche Menschen wartet die neue Welt, nicht auf Tagediebe, Schwätzer und ewige Zögerer wie wir alle.

Der übliche Handelsweg ging damals nach Santa Fé. Die Stadt gehörte zwar zu Mexico, aber war vom üblichen Staatsgebiet so weit entfernt, dass man ihre Bewohner leichter aus Amerika mit Waren versorgen konnte. Leichter, aber immer noch sehr beschwerlich! Ein Weg dauerte circa zwei Monate und man musste durch eine endlose Prärie ziehen, wo bloss Karrenspuren die Richtung zeigten. Keine Ortschaften, keine Werkstätten, keine Stützpunkte. Nichts.

Sutter machte mit seiner gewinnenden Art schnell Bekanntschaften und konnte für den nächsten Handelszug wohlhabende Männer begeistern. So was sprach sich schnell herum und zog die Leute magisch an. Während langen Besprechungen wurden Informationen ausgetauscht und Massnahmen besprochen, wie man sich für die Begegnungen mit feindlichen Indianern, gegen wilde Tiere und fürchterliche Tornados vorbereiten sollte. Bald wurden die Listen der Handelskarawane zusammengestellt sowie Waren, Werkzeuge und Tiere eingekauft.

Als Knecht wollte ich nicht mitgehen und zum Investieren hatte ich kein Geld. Aber ein Deutscher aus Westfalen, Laufkötter geheissen, erzählte mir Interessantes über das Unternehmen: »Sutter hat genau so viel Geld wie du … nämlich gar keins!«

Das Leben im Hotel, die Abendgesellschaften, die Werbetouren für seine Handelsreise: alles wurde mit Kredit finanziert. Sein liebenswürdiges Wesen, mit viel Selbstbewusstsein gepaart, öffneten ihm scheinbar alle Türen. Die Herren, die mit Geld gekommen waren, wollten ja noch mehr Geld machen, was ohne Investitionen nicht ging. Sie warteten nur auf einen, der sie überzeugen und begeistern konnte; und weiss der Teufel wie, aber Sutter war Meister darin!

Ein junger Mann aus dem Aargau, Samuel Kyburz sein Name, wusste gar Peinliches aus seiner Vergangenheit zu berichten:

Zuletzt hatte Sutter in Burgdorf eine Tuch- und Kurzwarenhandlung, die ihm 50.000 Franken Schulden einbrachte – eine zu grosse Summe für einen kleinen Laden. Er besorgte sich auf dunklen Wegen einen Reisepass und flüchtete nach Amerika. Seine arme Frau blieb mit fünf Kindern  und einem Schuldenberg zurück. Kurz darauf machte sie eine Erbschaft, die wurde aber als Pfand für Sutters Schulden mit Beschlag belegt. Die Familie musste demzufolge in einem «Asyl der Schande» ausserhalb der Stadtmauern leben.

Mein helvetischer Kamerad versicherte: Er war ein Arbeitersohn wie wir beide, mit ein wenig Ausbildung in Handelsgeschäften.

Ich konnte es kaum glauben. Ein richtig nobler Herr, belesen, sprachgewandt – kann man so etwas vortäuschen? Ich, armer Teufel, hätte mich niemals für einen Herren ausgeben können, nicht einmal mit reicher Garderobe. Dazu muss man geboren sein!

Laufkötter, der Bursche aus Westfalen war nichtsdestotrotz voller Begeisterung und wollte sich am Unternehmen beteiligen. Kurzerhand verkaufte er seine Anteile in einem bescheidenen Laden und bestellte Waren: Tuch, Schuhe, Baumwollstoffe und Galanterieware, wofür die Mexikaner gern hohe Preise zahlten. Er hoffte natürlich, mit grossem Gewinn zurückzukehren.

Die Vorbereitungen für die Reise dauerten lange und wir Eidgenossen schwiegen über die Gerüchte, die uns aus der Heimat erreichten. Wie hätten wir es gewagt, vor den Herren solche Verleumdungen auszusprechen? Wer hätte überhaupt auf uns gehört? Vielleicht war ja alles erlogen.

LLandkarte Amerika  1834-1836
LLandkarte Amerika 1834-1836

Laufkötter zeigte uns einmal stolz die Namen der Expeditions-Teilnehmer: Wahrhaft eine vornehme Gesellschaft!. Der wichtigste Mann der Truppe setzte seine Unterschrift zuletzt: Captain John A. Sutter »Was heisst Captain auf Deutsch?« fragte ich; damals verstand ich kaum Englisch. Laufkötter wusste es: »Hauptmann«. »Dann … dann war er ein Offizier!« rief ich überrascht. »Wo denn?« »Natürlich in der schweizerischen Armee, wo sonst?« rügte mich der Deutsche für meine Dummheit und fügte hinzu: »Sutter genoss die Ausbildung in der Militärakademie von Bern und war auch Offizier in der Königlichen-Französischen Schweizergarde von Karl X.!« Ich stammelte etwas und liess es dabei bewenden. Aber als ich später mit dem Aargauer zusammen war, hatten wir die Geschichten von Sutter lauthals und aufgeregt als Lügen entlarvt: »Schweizer Armee? Die gibt es nicht. Nur die kantonale Miliztruppen, wo wir auch dienen mussten!« »Eine Militärakademie in Bern gab es noch nie!« »Die Offiziersposten sind für die Herren vorbehalten, nicht für die Untertanen!« Die Basel-Landschaft, woher Sutter kam, war nämlich nur Untertanenland von Basel-Stadt; ohne Rechte, nur mit vielen Abgaben belastet. Wir schüttelten die Köpfe ob solcher Verwegenheit. »Wie geht es weiter, wohin wird es noch führen?« Insgeheim bewunderten wir aber den kleinen eleganten Herrn, der so viel wagte. Letztendlich startete die Expedition, alle waren begeistert und guten Mutes. Einige Dutzend Kaufleute, Soldaten, Handwerker und Ärzte machten sich auf den Weg, mit 80 von Ochsen und Maultieren gezogenen Wagen.

Die Handelsreise wurde ein Fiasko!

Ursachen gab es viele: beschwerliche Wege, Überflutungen, verendete Ochsen, zerbrochene Wagen, kaputtgegangene Werkzeuge. Sie konnten zwar die Waren für einen guten Preis absetzen, die Mexikaner aber zahlten mit Wildpferden; diese Tiere waren lebensgefährlich in Umgang, schon unterwegs liefen viele davon. Sutter hatte von seinen 80 Pferden kaum einige nach Hause gebracht. Auch waren sie für nichts gut, weder für die Arbeit noch fürs Reiten.

Die meisten hatten fast alles verloren, Laufkötter war auf einen Schlag so arm wie ich. Aber niemand hatte Sutter beschuldigt; die Umstände waren einfach schlecht, sagten alle. Er verschwand gleich aus der Stadt, wahrscheinlich schämte er sich ob des Misserfolges, und seine Schulden zurückzahlen konnte er auch nicht. Westport wurde sein neues Domizil; dort lebte er, wie wir hörten, wieder auf grossem Fuss und wollte sogar ein Hotel bauen!

Aber woher hatte er wieder Geld?

Wie es sich später herausstellte, war alles wie gewohnt auf Kredit. Und als die Zurückzahlung fällig wurde, erreichte uns ein neues Gerücht: Sutter will nach Kalifornien auswandern.

Naja. Wir alle hörten, dass man dort so viel Land geschenkt bekommt wie man will und dass im paradiesischen Klima fast alles von selbst wächst.

Aber wie erreicht man dieses gelobte Land? Santa Fé war schon eine mühsame Reise, aber im Vergleich zu Kalifornien eine Spazierfahrt. Die unüberwindbaren Berge, die Rocky Mountains schreckten bisher jeden Abenteurer zurück und auf dem Seeweg hätte man fast die halbe Welt umsegeln müssen. Wir zuckten mit den Schultern und hatten uns von Sutter in Gedanken auf Nimmerwiedersehen verabschiedet.

Das alles geschah im Jahre 1838.

Text: www.annarybinski.ch

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Fortsetzung folgt:

    Sutter gründet ein Reich

Link auf den zweiten Teil der Geschichte:

SUTTER THE SWISS Eine historische Geschichte von Anna Rybinski 2. Teil Sutter gründet ein Reich

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Hoffnung auf bessere Zeiten hat Herbert Huber

Mahlzeitenkarte
Mahlzeitenkarte

Es ist schlimm, was wir momentan alles „durchstehen“ müssen. Auf Gewohntes verzichten und uns staatlich verordnet einschränken. Und es ist das plagende Ungewisse, wann dieser Virus Spuk je ein Ende haben wird. Durchaus nachvollziehbar, wenn vielen Jungen die Decke auf den Kopf zu fallen droht. Für uns ältere Menschen mag das Verzichten (vielleicht) etwas einfacher sein. Eigentlich die Gelegenheit, das Rad der Zeit um 80 Jahre zurück zu drehen.

Das war einmal

Aufruf zur Anbauschlacht Schweiz
Aufruf zur Anbauschlacht Schweiz

Was uns die Eltern berichteten über Ängste, Sorgen und Nöten, damals, als der zweite Weltkrieg tobte und die Schweiz auf sich alleine angewiesen war. Die Männer im Militär, die Frauen zu Hause – alleine. Ich, als Kind 1941 geboren, habe eigentlich  erst gegen Ende dieses Wahnsinns so richtig realisiert, wie unsere Eltern gefordert waren. Mit sparen und verzichten, mit teilen und verteilen. Denn die Lebensmittel waren knapp. Und es war die ständige Angst der kleinen Schweiz, von den Nazis „einverleibt“ zu werden. Diese Angst hing wie das Schwert des Damokles über dem Schweizervolk.

Notrecht der Landesregierung – Plan Wahlen 

Feldanbau auf dem Sechseläutenplatz
Feldanbau auf dem Sechseläutenplatz

So war auch unsere Landesregierung mehr als nur gefordert. Mit der geschichtsträchtigen „Kartoffelanbauschlacht“ (Kartoffeln konnten ja nicht importiert werden), wurden in Blumenbeeten, auf Fussballfeldern, auf der Sechseläutenwiese und sogar direkt neben dem Bundeshaus Kartoffeln angepflanzt. Die Produktion dieses Grundnahrungsmittel wurde damit verdreifacht. Und das Fleisch? Und die anderen notwendigen Lebensmittel? Im Notrecht verordnete unsere Obrigkeit drastische Massnahmen.

Bereits ein Jahr vor der Einführung der Fleischrationierung, im Frühjahr 1941 wurde die Einschränkung des Fleischkonsums vor allem im Gastgewerbe, durch fleischlose Tage angestrebt. Anfänglich waren Mittwoch und Freitag fleischlose Tage; später kam noch der Montag hinzu. Für die Privaten dann im Frühjahr 1942 mit der Einführung der Fleischrationierung – Mittwoch und Freitag. In Nidwalden gab  es gemäss Regierungsratsprotokollen keine Schliessungen der Restaurants.

Interessant ist ein Hinweis zur Polizeistunde: Nach Kriegsausbruch 1939 beschloss der Regierungsrat, dass die Polizeistunde nicht vorverschoben werde, sondern weiterhin um 23.30h sei.

Durchhaltewillen

Anbauschlacht im Berner Oberland 1939 bis 1945
Anbauschlacht im Berner Oberland 1939 bis 1945

Im April 1941 wurde in der Schweiz zusätzlich das Mahlzeitencoupon-System eingeführt. In Restaurants und Hotels war nichts mehr gegen Geld zu kriegen, nur  gegen die Abgabe von Coupons. Für jede Hauptmahlzeit mussten davon zwei bezahlt werden. Die Konsumenten konnten sich diese Coupons durch Umtausch von ganzen oder von Teilen der Lebensmittelkarten beschaffen. So fand ein lebhafter Handel mit Karten und Coupons statt. Eines weiss ich noch: Auswärts gegessen wurde bei Hubers erst ab 1947!

Einkaufen mit den Lebensmittelkarten

Lebensmitteökarte 1943
Lebensmitteökarte 1943

Und wie funktionierte das mit den Lebensmittelkarten? Ein Beispiel: Lebensmittelkarten zum Bezug von rationierten Nahrungsmitteln gültig vom 1. Juni bis 5. Juli 1943. Solche Karten wurden während des Zweiten Weltkriegs in der ganzen Schweiz an die Bevölkerung verteilt – auf der Rückseite fand sich der identische Text in französischer Sprache. Die einzelnen Rationierungs-Coupons waren perforiert und mussten beim Bezahlen der Waren in den Lebensmittelgeschäften abgegeben werden. So wurde verhindert, dass besser gestellte Familien die Geschäfte mit Hamsterkäufen leer räumten, während für Menschen in einfachen Verhältnissen nichts übrig blieb. Die Karte war als „Monatsration“ für eine erwachsene Person gedacht. Vorgesehen waren unter anderem 4 Eier, ein Pfund Käse, etwa 850 g Fleisch (je nach Sorte) und 100 g Schokolade.

Ein eindrückliches Bild von den Einschränkungen geben auch die Durchhalte Slogans und die guten Ratschläge, die zwischen den Coupons aufgedruckt waren: “I der Not gits kei härts Brot!” –  “Verteilt die Einkäufe auf den ganzen Monat!”, –  „1/4-fetter Käse ist nahrhaft, billiger als Vollfettkäse und braucht weniger Coupons!” Überdies fanden sich auch Tipps zur Eigenproduktion von Konfitüre, Erbsenmus und Quark-Käse-Mischung als günstigen Brotaufstrich.

Bei uns zu Hause

Anbauschlacht auf dem Gebiet des Flughafens Zürich
Anbauschlacht auf dem Gebiet des Flughafens Zürich

Ich erinnere mich, wie meine Mutter ein vom Rabattsparverein Luzern zur Verfügung gestelltes Haushaltbuch führte. Der Gasmann monatlich den Gasverbrauch ablas. In der Wohnung ein Öfeli stand, wo mit Holz geheizt wurde. Drauf ein „Caldor“ zum wärmen des Wassers. Und es gab nur das dunkle Brot, welches nicht jünger als 48 Stunden sein durfte (ein 2 kg. Laib kostete 72 Rappen). Wenn ich mit meiner Mutter beim „Allgemeinen Konsumverein“ oder im Quartierlädeli einkaufen ging, wurde alles in mitgebrachte Säckli abgefüllt oder in Zeitungspapier gewickelt. Plastigg Säcke und Tupperware gab es noch nicht.

Ab 1947 ging’s wieder aufwärts mit der Wirtschaft. Mein Vater machte sich selbständig und es gab fleissiger Fleisch auf dem Teller. Kutteln, Kalbskopf, Voressen. Luxusfleischstücke erst in den 50iger Jahren. Und wer dann in diesem Jahrzehnt geboren durfte sich glücklich schätzen.

Auch unsere Nachbarländer erholten sich zusehends und profitierten vom aufkommenden „Wirtschaftswunder“.

Epilog

Trutz der Not durch Schweizer Brot
Trutz der Not durch Schweizer Brot

Mit diesem Rückblick in die Vergangenheit möchte ich vergleichen, dass das, was wir heute erleben, wohl schlimm ist. Sehr sogar. Was jedoch von 1939 bis in die 50iger Jahre  die Menschen ausstehen mussten, war um einiges heftiger. Angst und Verzicht gehörten zur Tagesordnung. In eine gute Zeit „hineingeboren zu werden“ kann auch zum Nachteil sein. Weil alles zur Selbstverständlichkeit wird. Verzichten muss offensichtlich wieder gelernt werden. Und wir tun gut daran, uns bewusst wieder Zeit zu nehmen. Wir müssen wieder lernen, sein zu können – statt tun zu müssen!

Kleine Fotodiashow:

http://fotodiashows.wordpress.com/2021/02/06/hoffnung-auf-bessere-zeiten-hat-herbert-huber/

Text: www.herberthuber.ch

Fotos: www.-pixelio.de

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Feschi-Fandand-Boschole-Dool, degustiert und kommentiert von Herbert Huber

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CÄSAR, ein Essay von Anna Rybinski

Niederwald Wallis Foto Christian Pfammatter
Niederwald Wallis Foto Christian Pfammatter

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Er kam 1850 als dreizehntes Kind einer Schweizer Bauernfamilie auf die Welt. Was dachte die fromme Mutter wohl, als sie ihren Jüngsten auf den heidnischen Namen taufen ließ? Ahnte sie etwas von seinem zukünftigen Triumphzug? Wir werden es nie erfahren.

Kinderjahre im Wallis

Das ehemalige Voisin Paris
Das ehemalige Voisin Paris

Die Eheleute, Anton und Kreszentia, gehörten zu den alteingesessenen katholischen Familien in Niederwald, die nicht nur gute Bauern stellten, sondern auch in künstlerischen Berufen tätig waren. Ihre nahen Verwandten verschönerten die Gotteshäuser in der Gegend mit Altarbildern und Kruzifixen.

Die Familie von Cäsar war nicht bedürftig – es gab das ganze Jahr durch genug Nahrung und im Winter warme Kleider für alle. Das stattliche Bauernhaus mit den kleinen, niedrigen Zimmern erbten sie von den Vorfahren, man ass, was die Viehwirtschaft und der Garten hergaben, und in schwierigen Zeiten, wie im Kindbett oder bei Krankheiten, half die Verwandtschaft aus. So verlangten es die Sitten im oberen Rhone-Tal des Kantons Wallis, so konnte der Bauernstand auf dem kargen Boden überleben.

Die Schule dauerte für die Dorfkinder sechs Monate; vom Frühling an mussten sie hart arbeiten, die Älteren auf dem Feld und im Stall, die Jüngeren bei den Kleintieren. Eine andere Ausbildung für ihre Nachkommen kam den Eltern selten in den Sinn; einen Jungen in die Lehre zu schicken hätte die knappen Einnahmen geschmälert.

Cäsar sollte jedoch die Möglichkeit haben aufzusteigen; so hoffte es wenigstens die Mutter, die ihr jüngstes Kind von der harten Bauernarbeit verschonen wollte. Ein höherer Beruf, natürlich im Wirkungsfeld der Kirche, das war ihr Wunsch gewesen: Ein Holzschnitzer, Altarbildmaler oder sogar Priester, wenn er einen hellen Verstand besässe!

Zuallererst sollte der Junge eine gute Schule in der nächsten Stadt besuchen. Kost und Logis bei einem Meister, der eventuell sein handwerkliches Talent erwecken und fördern könnte, waren auch erforderlich. Sie redete ihrem Ehemann unentwegt zu, und ihre Argumente fruchteten – er gab nach. Ein Kunstschlosser in Sitten erklärte sich bereit, den zwölfjährigen Buben zu sich zu nehmen – so konnte Cäsar bald die Ausbildung antreten, die ihn aus dem bäuerlichen Stand hinausführen sollte.

Pleiten und Pannen

Hotel Rigi Kulm
Hotel Rigi Kulm

Nun, die Zeit verging und die Eltern hörten keine guten Nachrichten aus der Stadt. Nach drei Jahren waren die Träume der Mutter verflogen, dass Cäsar für die Wissenschaft, die Religion oder für irgendwelches Handwerk Veranlagung gehabt hätte. Auch der Vater verlor die Geduld und fand, dass ein Fünfzehnjähriger sein tägliches Brot schon selbst verdienen müsste – er holte den Jungen aus Sitten ab und brachte ihn kurzentschlossen nach Brig zu einem Wirt, mit der Bitte, seinen Sohn im Hotelgewerbe auszubilden. Das Lehrgeld, was er diesmal zahlte, sei das letzte finanzielle Opfer der Familie, teilte er dem Filius mit.

Cäsar wurde im Gasthof als Gehilfe überall eingesetzt, wo es Arbeit gab – er machte jedoch ebendiese Arbeiten so lustlos und ungeschickt, dass der Patron ihn bald auf die Strasse setzte. Nach Hause reisen wollte er nicht – die Vorwürfe des Vaters waren leicht vorstellbar. Er schaute sich lieber selbst nach einer Verdienstmöglichkeit in der Stadt um und wurde fündig: Das Briger Priesterkollegium suchte gerade einen Hilfsabwart für den Speisesaal. Er bekam die Stelle und strengte sich diesmal an, damit er nicht wieder auf der Strasse stehe. Nach kurzer Zeit jedoch wiederholte sich die leidige Geschichte! Die Entlassung war diesmal damit begründet, dass er die tägliche Messe nicht besuche und im Benehmen keine Frömmigkeit zeige.

Was nun? Cäsar hatte die Unverfrorenheit, sich beim besagten Kollegium gleich für eine andere offene Stelle zu bewerben, nämlich als Sakristan!

Die Herren wunderten sich und sträubten sich gewiss, eine gottlose Küchenhilfe als Messdiener in der Kirche arbeiten zu lassen. Wie das Schicksal jedoch so spielte, gab es zu der Zeit keinen anderen Kandidaten. Die Geistlichen mussten das Risiko eingehen und stellten Cäsar in der neuen Funktion wieder an – diesmal wurden sie nicht enttäuscht. Er läutete pflichtbewusst die Frühmessen ein, half vor der Liturgie den Professoren in das Messgewand und auch sonst benahm sich tadellos in jeder Lebenslage. Die guten Nachrichten aus Brig gaben der Mutter erneut Hoffnung, dass ihr Söhnchen doch noch für eine Ordenslaufbahn taugen würde. Cäsar entschied sich anders.

Der Aufbruch

Grand Hotel National Luzern
Grand Hotel National Luzern

Eines Tages packte er seine Holzkiste und reiste in die Stadt, die damals als der Mittelpunkt der Welt galt und eine magische Anziehungskraft auf alle jungen Menschen ausübte: Paris. Es gab mehr als genug Arbeitsmöglichkeiten am Seine-Ufer, wenn auch nur in den unteren Chargen für jemanden, der ohne richtige Ausbildung und mit geringen Sprachkenntnissen dastand. Aber in Cäsar war ein unglaublicher Ehrgeiz erwacht: Er wollte das Gastgewerbe von Grund auf erlernen. Er fing als Schuhputzer an und arbeitete sich in verschiedenen Lokalen hoch: als Schankbursche, Hilfskellner, Kellner und Oberkellner. Am Anfang hatte er in seinem Eifer viel Geschirr zerschlagen, aber er lernte, wie kein anderer: gierig und besessen, die Gäste und ihre Wünsche ständig beobachtend. Er, der Faule und Ratlose, hatte endlich sein Ziel erkannt und war zu jedem Opfer bereit, um es zu erreichen.

Schön und gut – aber wie wird daraus ein Triumphzug? Geduld. Wir sind nicht mehr weit entfernt davon.

Meine eigene Fantasie schmückt die folgende Szene aus, die unseren Helden zu ungeahnten Höhen führen wird. Man wäre gern dabei gewesen!

César Ritz, Max Pfyffer, Auguste Escoffier
César Ritz, Max Pfyffer, Auguste Escoffier

Cäsar wagte es endlich, im vornehmsten Restaurant der Stadt anzuklopfen. Das ›Voisin‹ war damals der Inbegriff der Restaurant-Hochkultur, in seinen Sälen verkehrten die höchsten Kreise von Paris, Politiker, Künstler und Aristokratie gleichermassen. Unter den Gästen befanden sich Sarah Bernhardt, Emile Zola und Théophile Gautier. Demzufolge musste der Chef den jungen Schweizer, der die vollendeten Weltstadtmanieren noch nicht ganz beherrschte, ein wenig skeptisch gemustert haben. Monsieur Bellanger fragte ihn über seine Erfahrung aus und machte von vornherein klar, dass er in den geweihten Hallen wieder als Hilfskellner antreten müsste. Der Neunzehnjährige war mit allem einverstanden. Der Chef war gnädig und wollte sich auf einen Versuch einlassen. Er nahm das Personalregister, um die persönlichen Angaben des Schweizer Landburschen einzutragen.

„Votre nom, Monsieur?“

„Cäsar … Cäsar Ritz“

Wahrscheinlich erlaubte sich Bellanger angesichts des pompösen Namens und der bescheidenen Perspektiven des Jungen ein Lächeln. Er notierte seinen Vornamen in französischer Rechtschreibung – wie es bis heute geblieben ist! – und schickte ihn gleich in die Küche, um den Boden zu wischen und Gemüse zu rüsten. So musste Cäsar/César wieder einmal ganz unten anfangen.

 

Ein Name wird Begriff

César Ritz 1897
César Ritz 1897

Ritz blieben nur 33 Jahre, seinen Lebenstraum zu erfüllen, und mehr noch: ein Imperium aufzubauen. Nach der Lehre im ›Voisin‹ ging es mit seiner Karriere steil nach oben, und an seiner ersten Stelle als Hoteldirektor setzte er noch nicht da gewesene Massstäbe für die Gastwirtschaft. Das Publikum – die europäische Aristokratie und der amerikanische Geldadel – reagierte euphorisch auf den perfekten Service und den ungewohnten Luxus. Die grösste Werbung für ihn machte Escoffier, der berühmteste Koch der Welt, der fortan nur mit Ritz zusammenarbeiten wollte. Die Anfragen flogen ihm zu, gleichzeitig war er in verschiedenen Häusern tätig als Manager, Ratgeber, bald auch als Teilhaber. Was er auch anfasste wurde zu Gold, die Presse verglich ihn sogar mit König Midas! Er prägte auch die Innerschweizer Hotellerie massgebend: die besagte erste Direktorstelle wurde ihm auf der Rigi angeboten, wo er das Hotel Rigi Kulm mit grossem Erfolg führte. Darauf kam das Angebot aus dem neu erbauten Grandhotel National in Luzern. Maximilian Pfyffer, seines Zeichens Hotelier, Architekt und Generalstabschef, übertrug ihm die Leitung des ersten Luxushauses in der Stadt. Die Zimmer waren u. a. mit privaten Badewannen, elektrischem Licht, Zimmertelefonen und schönen Möbeln ausgestattet. Zusammen mit Auguste Escoffier führte er das Hotel zwischen 1878 und 1890 so erfolgreich, dass zahlungskräftige Gäste aus ganz Europa in Scharen kamen. Unterdessen entstanden unter seiner Aufsicht Häuser in London, Rom, New York, Budapest und Kairo, nicht zu sprechen von seinem Lieblingskind, dem Hôtel Ritz in Paris. Sein Name ist bis heute ein Gütezeichen ersten Ranges und bürgt für höchste Qualität.

1986 wurde eine neue gegründete Hotelfachschule nach ihm benannt, das Hôtelier César Ritz in Le Bouveret, das spätere César Ritz Colleges Switzerland.

Mit 52 Jahren war er schon eine Legende – und ein gebrochener Mann. Die ungeheuerlichen Anspannungen und ständiges Reisen führten zu einem Nervenzusammenbruch. César Ritz, „le Roi des hôteliers, l`hôtelier des Rois“ konnte nicht mehr arbeiten – lebte aber noch 16 Jahre, immer tiefer in Depression und geistige Umnachtung versinkend. Seine Frau Marie-Louise Ritz verstarb erst am 8. Januar 1961 im Alter von 93 Jahren. Auf ihren Wunsch hin wurde sie zusammen mit ihrem Mann und dem gemeinsamen Sohn am 14. Januar 1961 an seinem Geburtsort in Niederwald beigesetzt.

César Ritz – sein Platz in der Hotelgeschichte ist gesichert.  Ganz, ganz oben.

Kleine Fotodiashow zum Essay von Anna Rybinski

fotodiashows.wordpress.com/2021/01/22/caesar-ein-essay-von-anna-rybinski/

Text: www.annarybinski.ch

Fotos. Homepage Ritz Paris https://www.ritzparis.com/

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