Das Luzerner Chanson-Duo «Canaille Du Jour» mit Theatermusiker und Komponist Christov Rolla und Autor Max Christian Graeff er überarbeitete zusammen mit den Damen des Chors des Luzerner Theater die Geschichte des Frauenmörders Herzog Blaubart und versetzt sie in die Gegenwart – also in Zeiten von Corona.
Blaubarts Frauen Szenenfoto von Ingo Hoehn
Schon mal so viel: An der Premiere von «Blaubarts Frauen» letzten Sonntag durfte wieder angestossen werden, nur im kleinem Rahmen zwar, dafür im Theatersaal: Im Foyer kann man sich sein Getränk holen und begibt sich damit direkt in den Theatersaal. Dort gibt es kleine Tischchen neben den Sitzen, welche auch gleich als «Abstandshalter» dienen. Eine clevere Idee, die gut ankam bei den Besuchern und ein ganz klein wenig «Premierenfeeling» verbreitete.
Strass und Rüschen
Blaubarts Frauen Szenenfoto von Ingo Hoehn
So konnte man, Prosecco-schlürfend, die Szenerie studieren, in welche «Canaille du Jour» ihre Produktion setzt. Ein leicht chaotisch anmutender Proberaum, rechts und links Tische mit altmodischen Lämpchen, alles am Bühnenrand und vor dem eisernen Vorhang, mit leicht verstaubtem, brockenstubenhaften Touch. Acht Frauen, aus dem Fundus des Theaters ausgegrabene Chordamen, werden in einer Art Gepäckwagen auf die Bühne gekarrt. Sie setzen sich – selbstverständlich mit Masken – an die Tische. Ihnen folgen Béla (Bartok) alias Max Christian Graeff und Jacques (Offenbach), alias Christov Rolla, beide in schwarzen Fräcken, Béla mit dicken Strassringen an den Fingern à la Harald Glööckler, Jacques mit rosa Rüschenhemd.
Zwei Männer gegen acht Frauen
Blaubarts Frauen Szenenfoto von Ingo Hoehn
Die beiden haben vom Luzerner Theater den Auftrag erhalten, «etwas mit acht Frauen zu machen» im Stil der Operette «Barbe-Bleue» von Offenbach. Und es wird «gemacht» mit den Frauen. Während sie auf ihre Auftritte warten, sollen sie schon mal Masken nähen, sich bei Bedarf aufstellen und singen, husch husch, dazwischen werden sie ruhig gestellt mit Magazinen wie «Meine Wahrheit», «Meine Sehnsucht», «Wahre Gefühle». Auch sonst herrscht ein ziemlich frauenverachtender Ton: «Seit wann haben die Frauen eigentlich das Impfrecht» und «gelten eigentlich jene Frauen, welche man haben wollte, auch als gehabt?» sind Fragen, die sich die beiden Machos unter vielen anderen stellen.
Philosophische Exkurse
Blaubarts Frauen Szenenfoto von Ingo Hoehn
Es wird viel diskutiert, debattiert und deklamiert (Texte Max Christian Graeff), aktuellste Themen werden kurz angeschnitten, Greta gehört genau so dazu wie Epstein, der Bachelor, Loredana, das Dschungelcamp und Bizet, der gerade die «Carmen» für die Corona-Zeit umschreibt. Mal spielt Béla den blutrünstigen Blaubart, mal versteigt er sich in hochphilosophische Exkurse und verdreht Sprichwörter. Christov Rolla als Offenbach zeichnet für die Musik und spielt sie auch gleich an Klavier und Gitarre, begleitet von Igor (Marc Unternährer) an der Tuba. Einige Melodien Offenbachs wurden beibehalten und umgeschrieben, dazu kommen die Beatles, Eugen Egner, «Volare», Bizets Habanera, Kurt Weill sowie eigene Kompositionen. Während Béla immer wieder ins Philosophieren gerät, versucht Jacques, die Dinge voranzutreiben, denn viel Zeit bleibt nicht mehr bis zur Première.
Grossartiger Frauenchor
Blaubarts Frauen Szenenfoto von Ingo Hoehn
Die acht Frauen, jede mit einem eigenen Kostüm (Zoé Brandenberg) – vom Retro-Kleidchen über Lederhose bis zum rosa Abendkleid mit Pelzstola – machen lange mit, proben dann aber doch den Aufstand. Der 8-köpfige Frauenchor überzeugt restlos, jede einzelne der Sängerinnen könnte als Solistin bestehen, das sind ganz grosse Momente des Stücks. Daneben kann viel gelacht werden ob den utopisch-skurrilen Aussagen von Béla und Jacques und den verschnittenen, neu interpretierten Musikstücken.
Nachdem das Licht ausgegangen ist, räumen Béla und Christoph die Bühne auf, desinfizieren alles und beschliessen, noch um die Ecke auf ein Kölsch zu gehen. «Ob das was wird?» fragt der eine den anderen. Nun, das Publikum hat sich amüsiert, er war ein vergnüglicher Abend mit einer Fülle von in den Raum gestellten Themen und Fragen, mit denen sich jede und jeder nach der Aufführung selber auseinandersetzen kann.
Alles wie vor Corona war es dann doch nicht. Zwar dürften jetzt wieder alle 1898 Plätze des Konzertsaales im KKL Luzern wieder belegt werden, aber Maske tragen ist im ganzen Haus, auch im Konzertsaal, obligatorisch und die Konzerte werden ohne Pause durchgespielt. Doch, so der Projektverantwortliche Mirko Vaiz: Die Migros Classics beschränken die Besucherzahl weiterhin auf 1000. Wir sind der Meinung, dass es besser ist, beim Start in die Saison noch etwas Vorsicht walten zu lassen. Das Schutzkonzept im KKL ist äusserst effizient, dennoch relativ einfach in der Anwendung. Man registriert sich mittels einer App beim Einlass, so werden alle Besucher Sitzplatz genau erfasst. Die Daten werden nach 14 Tagen wieder gelöscht.
Der Intendant des Migros-Kulturprozent-Classics, Mischa Damev, hiess die Besucher persönlich willkommen und zeigte sich erleichtert, dass alle Musiker einreisen durften und so auch vollzählig anwesend waren. Man wolle, den Widerwärtigkeiten der aktuellen Situation trotzend, dem eigenen Anspruch, hochwertige Klassik zu bieten, treu bleiben und keine Abstriche machen. Er zeigte sich erleichtert, dass die Saison 2020/21 endlich starte und erfreut, dass doch so viele Interessierte, den Weg ins KKL trotz den erschwerten Umständen, auf sich genommen hätten. Damev erwähnte noch, dass das ursprüngliche Programm mit Alban Bergs Violinkonzert ersetzt werden musste, weil dessen Grossbesetzung in München nicht erlaubt war und dass dies der erste Auftritt des Bayerischen Staatsorchesters ausserhalb Münchens unter dem künftigen Chefdirigenten sei.
Ludwig van Beethoven – Sinfonie Nr. 2 D-Dur op. 36
Diese Sinfonie macht gute Laune und zeigt Beethoven als entschlossenen Modernisierer. Optimismus klingt aus dem ersten Sinfoniesatz mit seinem strahlenden Motiv in D-Dur heraus, der zweite Satz lädt mit seiner volksliedhaften Melodie zum Träumen ein, und im Scherzo poltert das etwas grobe Thema lustig vor sich hin.
Doch staunt man etwas, wenn man das Entstehungsjahr liest: 1802, das gleiche Jahr, in dem Beethoven das Heiligenstädter Testament verfasst und seine Verzweiflung angesichts seiner Ertaubung und der damit einhergehenden Isolation schildert.
Zitat Ludwig van Beethoven: „Oh ihr Menschen dir ihr mich für feindselig störrisch und misanthropisch haltet oder erkläret, wie unrecht thut ihr mir (….) musste ich früh mich absondern, einsam mein Leben zubringen (…) wie ein Verbannter muß ich leben (…) es fehlte wenig, und ich endigte selbst mein Leben (…).“
Die zeitliche Nähe zwischen dem düsteren Selbstzeugnis und der zweiten Sinfonie macht neugierig: Verbirgt sich hinter dem freundlichen Gesicht dieser Sinfonie eine dunkle Seite? Beethovens Zeitgenossen nehmen das Werk jedenfalls keinesfalls als heiter, sondern als dramatisch wahr.
Die Leipziger „Allgemeine Musikalische Zeitung“ erkennt in der Komposition „viel Originalität, Reichtum (…) mitunter aber auch Bizarrerie“ und spricht vom „gewaltigen Feuergeist, der in diesem kolossalen Produkt wehet“. Vollkommen fassungslos beschreibt ein Rezensent 1804 seinen Höreindruck von der Sinfonie:
„Sie glich einem Ungeheuer, das sich beinahe eine volle Stunde in Verrenkungen abquälte und mit dem Schweif um sich schlägt, man weiß nicht warum? (…) Was will die Bestie?“ Zitat Johann Gottlieb Spazier in „Zeitung für die elegante Welt“
Erhaben und extrem
Die Modulationen zu grell, das Finale zu wild: Das Publikum zu Beethovens Zeit sieht in dieser Sinfonie ein Werk der Extreme, dabei neuartig und ungewöhnlich. Und damit entspricht sie auch den damaligen Erwartungen an die Sinfonie als erhabene Gattung, die gar nicht freundlich und angenehm daherkommen soll.
Und so ist es wohl eine Frage der Perspektive, was man heute aus dem Werk heraushört: Die Drastik, mit der Beethoven auch sein Heilgenstädter Testament formulierte, oder eine positive schöpferische Kraft? Der Musik wohnt gewiss beides inne.
Die herrlichen Bläsersoli in den ersten Takten von Beethovens 2. Sinfonie waren gleichsam ein Versprechen, welches die Protagonisten auch einhielten.
Das bayerische Renommierorchester unter souveräner, Leitung seines designierten neuen Chefdirigenten Vladimir Jurowski schöpfte aus dem vollen, überzeugte mit satten Klängen ebenso wie mit sanften Tönen, der gebürtige Moskowiter führte straff, wo geboten, liess auch mal die Zügel etwas lockerer wenn notwendig, aber immer mit der ihm eigenen, wenn auch nicht sturen Ernsthaftigkeit mit eleganten Bewegungen.
Nach vier Minuten Aufbruch in eine neue Ära der Klassik
Vladimir Jurowski Dirigent
Knapp vier Minuten braucht Beethoven, um das vorher übliche höfische Menuett mit seinem Scherzo in die Rumpelkammer der Musikgeschichte zu befördern. In übermütiger Stimmung – allegro vivace! – kommt der dritte Satz mit seinen Paukenschlägen und Flötentupfern daher (obwohl Beethoven bereits um seine Ertaubung wusste), und wenn Schluss ist, ist – wie immer bei Beethoven – auch richtig Schluss. Schön!
Stürmischer, langanhaltender Applaus war der verdiente Lohn für die gut aufgelegten Musiker.
Eine Liebe fürs Leben Frank Peter Zimmermann und die „Lady Inchiquin“
Launische Diva und bester Freund – der Musiker und sein Instrument (Quelle: Deutschlandfunk)
Frank Peter Zimmermann über sein Instrument: Die Liebe meines Lebens ist aus Holz und über 300 Jahre alt: Die Stradivari „Lady Inchiquin“ ist die Stimme des Star-Geigers. Doch zwei Jahre musste er auf das 6-Millionen-Instrument durch die Insolvenz der Eigentümerin, der West-LB, verzichten.
Frank Peter Zimmermann: „Ich habe auf dieser Geige, die mal Fritz Kreisler gehört hat, eine Stradivari von 1711, die Möglichkeit, wirklich ausdrucksmäßig unglaubliche Dinge herauszuholen. Das erfordert wahnsinnig viel Aufwand, weil diese Geige eigentlich nicht gefordert werden will, sondern weil sie eher verlangt, dass der Spieler so spielt, wie sie das gerne möchte.“
Jahre hat Zimmermann gebraucht, um die Geheimnisse der „Lady“ zu ergründen und all ihr Nuancen auszuloten, ihre Farben, ihre Süße, ihre Wärme. Eine Liebe fürs Leben nennt Zimmermann gern seine Beziehung zu dieser Geige.
Frank Peter Zimmermann: „Die Geige ist, wie alle „Strads“, eine ziemliche Primadonna, sie ist nicht einfach zu spielen. Und man will doch irgendwie das Allerbeste aus ihr herausholen, und sie wirklich spüren lassen, dass sie sich wohl fühlt, dass ich möchte, dass sie sich wohl fühlt.“
Doch im Februar 2015 droht der Liebesbeziehung das Aus: Die Bank soll wegen eigener finanzieller Engpässe das Instrument zu Geld machen, sogar Zimmermann selbst bietet mit. Doch die Preis-Forderungen sind illusorisch hoch. Niemand will die geforderte Summe auf den Tisch legen. Trotzdem muss die Geige ihre Heimat verlassen – drei Tage vor Zimmermanns 50. Geburtstag – und landet schließlich in einem dunklen Tresor. Der Geiger steht plötzlich ohne Instrument da, und das kurz vor einer Aufnahme mit Konzerten von Mozart. Er leiht sich kurzfristig eine andere Stradivari – ein Instrument, das früher, um die Wende zum 19. Jahrhundert, dem berühmten Virtuosen Giovanni Battista Viotti gehört hat. Frank Peter Zimmermann: „Die hatte einen Bodenstimmriss, und sie klang vor dem Mikrophon wunderbar. Also sie hatte auch diese Süße, sie war von 1712, also auch beste Zeit. Fürs Mikrophon eine gute Geige – aber fürs Konzert, für die großen Säle, ist ihr Klang zu schwach. Zimmermann sucht also weiter, doch vergeblich.
Eine unerwartete Wendung
Frank Peter Zimmermann mit seiner Neuen. Die Stradivari wurde ihm von der Tochter des Eigentümers übergeben. (picture alliance dpa Anja Rauschardt)
Ein Dreivierteljahr später, Dezember 2015: Während einer China-Tournee stellt sich, eine Stunde vor einem Konzert in Shanghai, ein Mann mit einem Geigenkoffer vor und fragt, ob Zimmermann einmal sein neu erworbenes Instrument anspielen wolle. Zimmermann erkennt sofort, wem es zuvor einmal gehört hat: dem großen belgischen Geiger Arthur Grumiaux. Seit 2016 also spielt Zimmermann auf der „Général Dupont“. Das Instrument im Eigentum der Yu-Kunststiftung wurde zuvor auch von Arthur Grumiaux gespielt. Nachdem Nordrhein-Westfalen 297 Kulturgüter von der WestLB-Nachfolgerin Portigon AG zurückgekauft hatte, wird die „Lady Inchiquin“ nach Aussage der Landeskulturministerin Christina Kampmann dem Violinisten künftig wieder zur Verfügung gestellt.
Ludwig van Beethoven – Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 61
Vier leise Paukenschläge, gefolgt von der Vorstellung des Hauptthemas durch die Holzbläser, leiten den Satz ein, dessen liedhaftes und doch majestätisches Hauptthema eine lyrische Stimmung verbreitet. Die Solovioline setzt erst nach der Vorstellung der beiden Hauptthemen und einer etwa dreiminütigen Orchesterpassage ein. Der schlaksige Dirigent leitet mittels viel Mimik und sparsamer, aber aussagekräftiger Gestik.
Trotz viel Ernst wirkt alles leicht
Besonders markant ist das einleitende, pochende Paukenmotiv (es erklingt insgesamt mehr als 70 Mal), aber auch das von den Holzbläsern vorgetragene Hauptthema, das mit seinem lyrischen Gestus den Charakter des gesamten Satzes bestimmt. Kürzer gefasst ist das als Romanze angelegte Larghetto, während Beethoven das Finale als ein Rondo im munteren 6/8-Takt gestaltet und ansatzweise die Ausdruckswelt seiner nur wenig später niedergeschriebenen Sinfonie Nr. 6 F-Dur op. 68, der „Pastorale“, vorwegnimmt.
Frank Peter Zimmermann , Violine Foto Harald Hoffmann
Zimmermann geht mit viel Ernst zur Sache, aber alles wirkt um vieles leichter als seine Mimik ausdrückt, quasi dem Himmel näher, tief in die Musiksubstanz aus Artikulation, Tongebung und Phrasierung dringt er ein und ist damit bedingungslos virtuos. Sein Können stellt er ganz in den Dienst von Beethovens wundervollem Bewegungsdrang, heißblütig spielend und präzis kalkulierend. Das Orchester, in der Größe ideal besetzt und ausbalanciert, hält ohne Mühe mit, fängt Zimmermann nach seinen solistischen Höhenflügen auf und bettet ihn gleichsam sanft wieder in den Schoss des Klangkörpers.
Im Rondo, dem Schlusssatz, der mit seinem 6/8-Thema an ein Jagdthema erinnert, rufen die Waldhörner alle wieder zusammen, worauf sich die Solovioline noch ein letztes Mal darüber hinaus schwingt und das Motiv virtuos kadenzierend modelliert.
Dirigent Vladimir Jurowski
Jedes Detail dieser Interpretation war perfekt, von den Triolen, Staccato und Vibrato des Solisten über die präzisen Pizzicato der Celli bis zu den Bläsereinwürfen floss alles ineinander zu einem Gesamtkunstwerk.
Das Auditorium war begeistert und steigerte sich über stürmischen Applaus bis zu einer stehenden Ovation, die solange anhielt bis die Musiker noch das Adagio aus Mozarts – Violin Concerto No. 3 als Zugabe gewährten
Trotz der sehr ungewöhnlichen Umständen infolge des „Corona Zeitalters“ und dem unsäglichen Hick – Hack mit den diversen Amtsstellen, Denkmalämtern usw. um die Renovation/den eventuellen Neubau des Luzerner Theaters wird gespielt, und wie, einfach nur vor den erlaubten 320, statt den üblichen 480 Zuschauern. Nicht nur bei Luzern Tourismus spielen Asiaten eine Hauptrolle, auch am Luzerner stehen mit Eungkwang Lee und Hyojong Kim zwei Südkoreaner in tragenden Rollen auf der Bühne, zudem agieren noch einige im Chor.
Szenenfoto von Ingo Hoehn
Die eigentliche Handlung von Gioachino Rossinis Opern-Evergreen «Il Barbiere di Siviglia» ist schnell skizziert: «Ein verliebter Alter will morgen sein Mündel heiraten; ein junger Liebender mit mehr Geschick kommt ihm zuvor», fasste der französische Komödiendichter Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais, der mit seinem gleichnamigen Stück die Vorlage geliefert hatte, das Geschehen zusammen.
Die Luzerner präsentieren Bartolo nicht als lüsternen, alten Bock, sondern machen sich die aktuelle Weltlage zunutze und positionieren ihn als überbesorgten Virologen im Kampf gegen die sich immer mehr einschleichende Sorg- und Gedankenlosigkeit seiner Mitmenschen.
Seit über 200 Jahren ein Bestseller
Szenenfoto von Ingo Hoehn
Die Geschichte wird schon seit 204 Jahren auf vielen Bühnen weltweit musikalisch erzählt, vermag aber, trotz Durchfall bei der Uraufführung am 20. Februar 1816 im Teatro Argentina in Rom, immer wieder zu fesseln, so auch aktuell am Luzerner Theater. Diesmal aber wird, aufgrund der Hygienevorschriften, ohne Pause gespielt, wofür das Werk, durch Bearbeitung von Dramaturgin Rebekka Meyer, von fast drei Stunden auf 1 Stunden 50 Minuten gestrafft werden musste. Da aus den gleichen Gründen nur eine Kleinformation von 14 Musikern inkl. Dirigent mitmachen durften, war auch Rossinis Musik davon betroffen, die von einem unabhängigen, externen Komponisten, in enger Zusammenarbeit mit dem musikalischen Leiter Alexander Sinan Binder, neu arrangiert wurde und zwar so raffiniert, dass man trotzdem ein volles Klangerlebnis genoss und gar nicht explizit mitbekam, was denn weggelassen oder umgeschrieben wurde.
Aequitas, Hygienitas und Veritas
Diese Worte stehen auf der Leinwand, die zu Beginn die später im Spiel benötigte grosse Wendeltreppe verhüllt. Links und rechts davon posiert je ein Soldat, die sich später als „Seuchenpolizisten“ entpuppen. Im Hintergrund, im Halbrund aufgereiht, das dünn besetzte Luzerner Sinfonieorchester unter Leitung von Alexander Sinan Binder. Im Vorspann, auf die Leinwand projiziert ein paar Eckdaten der Entwicklungsgeschichte, u.a.: 1814 Komposition des Barbiere, 1783 erster bemannter Heißluftballon 1825 fuhr 1. Eisenbahn, 1886 1. Patent für Automobil, 1931 1. Fernsehsendung, 1945 Abwurf der 1. Atombombe1957 1. Satellit, 2007 1.Phone, 2020 Covid 19. Fiorello (grossartiger Robert Mazl) als Erzähler führt durch den Plot, erläutert die Geschehnisse.
Wenn der „Goldene Käfig“ aus metallenen, grauen Gitterstäben besteht
Szenenfoto von Ingo Hoehn
Eine grosse drehbare, vergitterte metallene Wendeltreppe, sinnbildlich für das Haus von Doktor Bartolo, steht mitten im Globe und dient als eine Art Bühne, wo sich das meiste abspielt. Darin, wohlbehütet von ihrem Vormund Bartolo, sitzt dessen Mündel im sprichwörtlichen goldenen Käfig. Regisseur Martin G. Berger versetzt das Geschehen in die aktuelle Zeit der Pandemie, steckt Bartolo in die Rolle eines übervorsichtigen Virologen. Dieser ist um die Gesundheit aller ihn umgebenden Personen, aber besonders um die eigene und um die seines Mündels, äusserst besorgt und agiert deshalb sehr vorsichtig penibel und er duldet nichts und niemand in nächster Nähe, der nicht garantiert getestet „unverseucht“ ist. Über das ganze Geschehen wacht eine strenge Hygienepolizei (Männerchor des LT in Tiefseetaucher ähnlichem Outfit inkl. Gasmaske und Desinfektionsmittelzerstäubern).
Ignoranten und Verneiner formieren sich
Ein pink – Strumpfband – gewandeter Figaro und sein Kumpane Fiorello foutieren sich mehr oder weniger um die Anordnungen und erlassenen Vorschriften der Behörden und zuständigen Gesundheitsämtern, animieren gar andere, sich ebenso zu verhalten, bewegen sich in der Nähe von Verschwörungstheoretikern und entschliessen sich, um mehr politisches Gewicht und grösseren Widerstand zu generieren, zur Gründung des LBU (Lustvoller Berührungs Untergrund).
All dies tun sie lustvoll und nicht humorlos. Vor allem, um den sturen Bartolo zu ärgern, schmieden sie ein Komplott um, unter Mithilfe des Grafen Almaviva, Rosina zu verführen und aus den Fängen des pingeligen Despoten zu befreien. Es ist Figaro, der Barbier von Sevilla, der sich als lebensfroher und einfallsreicher Geselle entpuppt, der seinen Beruf liebt und voller Begeisterung ausübte, inzwischen aber, aufgrund des Lockdowns, pleite ist. Figaro erklärt dem Grafen, dass er bestens über Rosina informiert ist.
Ensemble agiert auf allerhöchstem Level
Szenenfoto von Ingo Hoehn
Als Rosina, ähnlich Rapunzel ihre Haare, einen langen pinken Schal vom obersten Treppenabsatz zu ihren Verehrern hinunterlässt, bekommt die Szenerie einen märchenhaft- komödiantischen Touch. Beim ersten Annäherungsversuch tarnt sich der Graf als angetrunkener Soldat, bleibt aber erfolglos. Als er sich beim zweiten Mal als Musiklehrer einschleicht, klappt die Verführung beim Gesangsunterricht und Rosinas Flucht kann vorbereitet und ausgeführt werden. Die Interpreten überzeugen durch Ihre schauspielerische und sängerische Leistungen. Eungkwang Lee gibt einen sehr extrovertierten, dennoch etwas blassen Figaro. Diana Schnürpel ist eine aufgestellte, selbstbewusste Rosina, figürlich in Richtung blond-pinkhaarfarbige Barbie Puppe angelegt. Ihr Sopran ist angenehm, wenn auch etwas zu schreierisch bei den Spitzentönen. Hyojong Kim ist der perfekte Graf Almaviva/Lindoro mit schöner, lyrischer Tenorstimme. Flurin Caduff überzeugt als ernster, sturer Don Bartolo und mit seiner temperiert, differenzierten Stimme. Auf der Bühne wird umarmt, sich abgeküsst, als ob es keine Bedrohung durch das unsichtbare Virus gäbe und alles so wäre, wie es schon immer war. Beim Zwischenabspann werden schmusende, küssende, kopulierende Paare auf die grosse Leinwand projiziert, also alle bei nicht „seuchengerechten“ Tätigkeiten und Fiorello stellt voreilig befriedigt fest: Es ist alles wie vorher.
Die Seuche hinterlässt Spuren, fordert Opfer
Zum Schluss fordert die Seuche halt dann doch noch ihr Opfer, fatalerweise aber nicht einen der aufrührerischen, besserwisserischen Widerständler, sondern ausgerechnet den übervorsichtigen, pflichtbewussten Virologen Bartolo.
Der Regisseur zeichnet das Gesellschaftsbild etwas zu überspitzt clichéhaft im Laufe der Geschichte, sodass leider die Ironie schon fast zur Parodie verkommt.
Nichtdestotrotz begeisterte ein glänzend aufgelegtes Ensemble das Premierenpublikum und wurde dafür mit einem entsprechend langen Schlussapplaus belohnt.
Das Quintett auf der Bühne in Aktion Foto Fabrice Umiglia, Festival Strings Lucerne
Besetzung und Programm:
Festival Strings Lucerne Chamber Players
Daniel Dodds, Violine Erika Schutter, Violine Dominik Fischer, Viola Jonas Iten, Violoncello Alexander Kionke, Violoncello
Luigi Boccherini Quintett für zwei Violinen, Viola und zwei Violoncelli C-Dur G 273 op. 11/3
Franz Schubert Quintett für zwei Violinen, Viola und zwei Violoncelli C-Dur D 956 op. post. 163 Rezension:
Zeugheersaal im Schweizerhof
Es konnte ja niemand ahnen, dass eine Konzertreihe mit Kammermusik sich als optimales Format und, unverhofft, teilweise, etwas auch als befreiende Notlösung in der schwierigen Pandemiesituation erweisen würde. Aber ganz im Allgemeinen ist ein Konzert dieser Art, auch vom zeitlichen Rahmen her, Beginn um 17.ooUhr bis ca. 18.3o Uhr, äusserst gut geeignet, um Leute zu begeistern,, lässt es sich doch auch mit einem anschliessenden Diner gut verbinden, man kann also den akustischen mit dem kulinarischen Genuss bestens kumulieren.
So waren denn auch die, vom Schutzkonzept her möglichen, locker bestuhlten gut 200 Plätze besetzt.
Luigi BoccheriniQuintett in C-Dur G 273 op. 11/3
Grundsätzliches zum Komponisten und Werk
Daniel_Dodds Foto Fabrice Umiglia
Als virtuoser Cellist bevorzugte Boccherini die Quintett Besetzung mit zwei Celli anstelle der Wiener Besetzung mit zwei Bratschen, die man bei Mozart findet. Wohl deshalb „erfand“ Boccherini 1771 gleichzeitig mit dem in Madrid tätigen Gaetano Brunetti das Streichquintett mit zwei Violoncelli. Das Werk beginnt mit einem Amoroso, einem lieblichen Andantesatz aus lauter schmeichelnden Triolen in Terz- und Sext-Parallelen, die zwischen den Streicherpaaren hin- und herwandern. Eine Art Vogelstimmenduett sorgt im Mittelteil für klangliche Überraschungen. Das eigentlich zu Beginn erwartete Allegro wird im zweiten Satz nachgeholt, und zwar con spirito, mit italienischem Geist und Feuer. Hier konzertieren alle Instrumente, besonders aber die beiden Celli, die Boccherini oft in gefährlich hohe Lagen führt. Die Wirkung des Menuetts erklären zu wollen, wäre müßig: Seine Melodie ist schlicht ein Ohrwurm, getragen von einem raffinierten Klang aus gedämpften und gezupften Streichersaiten. Ein kapriziöses Rondo beschließt das Werk. Boccherini wurde zum ersten europäischen Komponisten, dem man Unsummen für Kammermusik bezahlte. So flossen 12.000 spanische Realos pro Jahr aus Madrid, wo er lebte, für ganze 18 Streichquintette, die er zu komponieren hatte, 1.000 Taler aus Berlin vom Preußenkönig Friedrich Wilhelm II. für zwölf Kammermusiken jährlich. Ein Mozart hätte von solchen Summen nur träumen können. Boccherini musizierte mit Casanova und stand mit Haydn im Briefverkehr. Virtuosen wie Viotti und Rode liebten seine Werke und die Verleger verkauften sie in Rekord-auflagen. Heute ist sein, damals europaweit guter Ruf, etwas in Vergessenheit geraten, seine Werke sind relativ selten programmiert.
Die Crème de la crème der Strings auf dem Podium
Das Quintett auf der Bühne in Aktion
Nebst altvertrauten Solisten der „Strings“, also Konzertmeister Daniel Dodds, dem Bratschisten Dominik Fischer und den Cellisten Jonas Iten und Alexander Kionke spielte Erika Schutter, welche die neue Schweizerhof-Reihe mit verschiedenen Quintett Formationen konzipiert hat, die zweite Geige,. Das gut harmonierende Quintett demonstrierte schon in Boccherinis Streichquintett die stilistische Flexibilität, hindeutend auf die künstlerische Handschrift Daniel Dodds. Der süffig elegante Klang, der die barocken Notenlinien volkstümlicher Souplesse entgegensetzt und das tempomässig accelerierende Finale war schlicht mitreissend, die pure Lebensfreude versprühend und hätte ebenso gut von einem übermütigen Mozart stammen können. Da waren die Celli nicht nur Mitläufer, sondern drückten zweistimmig, im Stile eines Kontrabasses, dem Stück auch ihren Stempel auf, ohne die andern Instrumente zu unterdrücken.
Franz Schubert Quintett in C-Dur D 956 op. post. 163
Die zwei mit den Violinen
Zu Beginn des ersten Satzes ist das Zeitgefühl aufgehoben. Es ist durch endlos gedehnte melodische Bögen außer Kraft gesetzt. Melodien, die kein Ende finden können, scheinen die Schönheit des Lebens wieder und wieder besingen zu wollen wie das zweite Thema der beiden Celli. Der Ausdruck ist der einer tiefen, romantischen Sehnsucht. Der Quintett Klang ist dabei von beispielloser Originalität: eine Übereinander Schichtung von Legato-Melodien, Staccato Figuren, rhythmischen Impulsen und Sforzati, die in jeder Phase des ausgedehnten Sonatensatzes neue überraschende Schönheiten, aber auch krasseste Härten offenbart.
Viola und die zwei Celli
Dominik Fischer an der Bratsche, agierte nicht nur optisch aus der Mitte heraus, sondern gestaltete das Spiel, analog einem Spielmacher beim Fussball, mal die Violinen und Celli verbindend, mal unterstreichend oder glänzte mit Solosequenzen und dem Ausmalen des Leitmotivs auf seiner Viola. Es war fast, als ob für einmal die Bratsche die erste Geige spielt, irgendwie ungewohnt, aber äusserst wirkungsvoll und passend.
Kontinuierlicher Steigerungslauf durch die vier Sätze
Das Quintett geniesst der verdienten Applaus
Die Gegensätze verschärfen sich im Adagio. Im Scherzo wiederholt sich der grundlegende Kontrast in wiederum anderer Form. Sein Hauptteil ist ein furioses, orchestrales Presto. Im dritten Satz mutiert Schubert vom Romantiker unversehens zum Dramatiker. Die Stärke der emotionalen Gegensätze führt zu Extremen in Klang und Dynamik, die alles sprengen, was man in der Kammermusik jener Zeit findet. Sie reichen vom zarten Pizzicato über Doppelgriffe und Tremoli bis zu scharf akzentuierten Synkopen, vom dreifachen Piano bis zum Fortissimo-Sforzato.
Als Gast in den Salons der Haute volée
Die fünf geniessen den stürmischen Schlussapplaus
Bei dieser Art von Konzerten fühlt man sich zurückversetzt in einen Salon der Haute volée, gar in den Prunksall eines Fürsten- oder Königshauses vor 200 Jahren. Als Zugabe für den langanhaltenden, stürmischen Applaus intonierten die fünf grossartigen Protagonisten noch das Menuetto „Bella Serenata“ von Luigi Boccherini, welches deutlich an Mozarts kleine Nachtmusik anlehnt. Diese Konzertreihe hat durchaus das Potential, auch nach einer vollen Wiedereröffnung der grösseren Konzertsäle, ihren festen Platz im Jahresprogramm zu finden und, dank genügend Publikumsresonanz und Zuspruch, auch zu behaupten
Kleine Fotodiashow des Kozertes von Fabrice Umiglia, Festival Strings Lucerne: