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Lifestyle

Lucerne Festival, Sinfoniekonzert 16 Royal Concertgebouw Orchestra Amsterdam,Tugan Sokhiev, Tabea Zimmerman, 3. September 2019, besucht von Léonard Wüst

Royal Concertgebouw Orchestra Amsterdam,Foto Anne Dokter
Royal Concertgebouw Orchestra Amsterdam,Foto Anne Dokter

Besetzung und Programm:
Royal Concertgebouw Orchestra Amsterdam
Tugan Sokhiev  Dirigent
Tabea Zimmermann  Viola

Johannes Brahms (1833–1897)
Variationen über ein Thema von Joseph Haydn op. 56a
Béla Bartók (1881–1945)
Konzert für Viola und Orchester Sz 120
Pjotr Iljitsch Tschaikowsky (1840–1893)
Sinfonie Nr. 1 g-Moll op. 13 Winterträume

 

Rezension:

Johannes Brahms Variationen über ein Thema von Joseph Haydn op. 56a

Man meint reine Kirchenmusik zu hören wenn man sich auf das einleitende Thema

fokussiert, so erhaben, ja glorios lässt es sich an mit den charakteristischen Einwürfen von Horn da  wieder Fagotte, die indes immer wieder von den Streichern abgefedert werden. Die Melodie schreitet, wie bei einer Prozession, im Zweivierteltakt selbstsicher voran. Aus der Bläserbesetzung wird ein Sinfonieorchester. Und aus dem kraftvollen Chorale St. Antoni? Johannes Brahms gibt der Melodie in acht Variationen verschiedene Farben, wechselt von Dur nach Moll, verleiht ihr einen tänzerisch, fast wilden Charakter, lässt sie geisterhaft wie im Nebel klingen und mündet im Finale in einer Passacaglia.

Choral geht nie verloren

Bei all diesen Wandlungen geht der ursprüngliche Choral nie ganz verloren. Die meisten Experten sind ja heute der Meinung, dass das Werk mitnichten auf einem Thema, des, nicht nur von Brahms verehrten Haydn aufbaut. Als Johannes Brahms 1870 im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde Wien stöbert, entdeckt er den Chorale St. Antoni. Ein kleines Stück Musik aus dem Divertimento B-Dur des Komponisten Joseph Haydn; so glaubt zumindest Johannes Brahms über sein Fundstück.

Wahrscheinlich doch nicht Haydn der geistige Vater

Heute sind sich die meisten renommierten Musikwissenschaftler ziemlich sicher, dass dieser kleine Bläserchoral eher einem Schüler Haydns, nämlich Karl Ferdinand Pohl, zuzuschreiben ist. Anyway, Dirigent Tugan Sokhiev führt sein Orchester souverän feinfühlig durch das Werk, lässt den Solisten Gehör, indem er das Basisvolumen des Klangkörpers jeweils zurücknimmt, dezenter hält, wenn diese zum Zuge kommen. Ein äusserst gelungener Auftakt in diesen Konzertabend, vom sachkundigen Publikum im gutbesetzten Saal, mit viel Beifall honoriert.

Béla Bartók Konzert für Viola und Orchester Sz 120 

Von Bartok kennt man ja eher die sehr bekannten Violinkonzerte die im Repertoire der allerwenigsten Geigensolisten fehlen. Weit weniger bekannt und gespielt hingegen ist ein Auftragswerk für den schottischen Bratscher William Primrose, der ihm auf den Weg gab, ein Konzert zu schreiben und dabei keine technischen Limits des Instrumentes zu berücksichtigen. Der Solopart dominiert in faszinierender Weise. Das Konzert ist eine Bereicherung im nicht gerade großen Bratschenrepertoire. Trotz seiner Leukämieerkrankung komponierte der Ungar unverdrossen fort, fast bis zum letzten Atemzug. Sein Bratschenkonzert konnte er dennoch nicht mehr vollenden – es wurde nach seinem Tod von dritter Hand ergänzt, erweitert, in der Substanz verändert.

Tabea Zimmermann fand ihren ureigenen Bartok

Tabea Zimmermann  Viola Foto Marco Borggreve
Tabea Zimmermann Viola Foto Marco Borggreve

Tabea Zimmermann aber hat sich die autographen Skizzen vorgenommen und Bartóks originale Intentionen ergründet und so den eigentlich  «letzten Willen» des Komponisten präsentiert. Die Solistin stieg, dank ihres passionierten Vorspiels, unmittelbar in Bela Bartóks Klangwelten ein, der Ton war schon preludierend so geschmeidig wie reichhaltig und sie vermochte es, mit meist geschlossenen Augen zu spielen, Orchester und Publikum in ihre Interpretation zu ziehen. Tabea Zimmermann sorgte für die perfekte Synchronie und das Gleichgewicht aller Beteiligten und dafür, dass sie, als Solistin, das akustische Podium erhielt, von dem aus sie strahlen konnte. Und wie sie strahlte, damit das Auditorium und auch ihre Mitmusiker in ihren Bann zog.

Tänzerisch durch die Partitur

Sie tanzte im ersten Satz förmlich von einem Bein zum anderen, getrieben durch die Energie, die von ihrem Bogenstrich ausging. Die triumphierenden Blechbläser signalisierten das Ende des Moderatos, dessen finale Chromatik eine späte Brücke zu Debussys Prélude schlug. Im Adagio religioso spielte die Bratsche auf einem delikaten Hauch von Nichts der Streicher und seine Zartheit gab dem zweiten Satz tatsächlich eine besondere Spiritualität. Im Allegro vivace bewegte sich  dann der Dirigent zu Zimmermanns orientalisierender Bratsche und den rhythmischen Beschwörungen von Tuba und Pauke.

Ein Bartok wie von Mozart

Zimmermann spielte das Konzert mit einer liebevollen Sanglichkeit, als wäre es von Mozart, und zeigt den Melodiker Bartók, aber auch einige wunderbare Momente der Stille. Dabei kann Zimmermann durchaus auch mal energisch sein, ihren Part mit vollem Körpereinsatz durchziehen, das Ortchester mitnehmen auf die Reise. Das Publikum war hingerissen und überschüttete die Solistin mit einer nicht enden wollenden Applauskaskade, die natürlich die Mitmusiker mit einschloss.

Pjotr Iljitsch Tschaikowsky Sinfonie Nr. 1 g-Moll op. 13 Winterträume

Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt. So lässt sich Tschaikowskys Stimmung beschreiben, als ihm sein Lehrer Anton Rubinstein den Auftrag gibt, seine erste Sinfonie zu schreibender 24-Jährige macht sich mit hellem Eifer an sein Opus 13, bricht aber bald zusammen. «Ich bin nutzlos, ich bin eine Null», sagt er sich in selbstzerstörerischer Weise. Trotz solcher schweren Zweifel vervollständigt er die Sinfonie. Sie heisst «Winterträume» und ist voller Stimmungsbilder. Dieser Romantisch-tragische, Herzzerreißende Geist, der durch diese Symphonie streicht ist umwerfend. Und dann dieser zweite Satz. Ein sanftes Thema der gedämpften Streicher umrahmt den Satz.

Schwelgen in Sehnsucht

Das eigentliche Hauptthema ist eine sehnsuchtsvolle Oboen Melodie, die ständig zwischen Dur und Moll schwankt. Mit dieser Melodie motivisch verwandt ist auch das dritte Thema des Satzes, welches in den Bratschen erklingt. Höhepunkt des Adagios ist die letzte Wiederkehr des B-Themas in den Hörnern, ehe die Wiederaufnahme des Streicherthemas den Satz ruhig ausklingen lässt. Von Ihm geht mit seinen sehnsüchtigen, wehmütigen Themen, eine ganz besondere, heilende Kraft aus. Schöner kann man wohl kaum einen „langsamen“ Satz komponieren, so über alles erhaben.

Wenn Winterträume zum Sommertraum mutieren

Tugan Sokhiev  Dirigent Foto Mat Hennek
Tugan Sokhiev Dirigent Foto Mat Hennek

Dieser Satz könnte auch gut „Sommerträume“ heißen. Die zweiten Geigen klingen wie Grillen, hinter den Hauptthemen. Dirigent Tugan Sokhiev, vorher schon aufgefallen durch ausgeprägte, aber trotzdem dezente Gestik, viel Mimik und Augenkontakte, liess das Orchester zur Hochform auflaufen. Auch er ein Schüler von Ilja Musin, wie auch u.a. folgende zu Weltruhm gelangten Dirigenten: Yuri Temirkanov, Valery Gergiev, Odysseas Dimitriadis, Semyon Bychkov, Teodor Currentzis. So war denn auch sein Gebaren nicht unähnlich dem, von mir sehr verehrten Teodor Courrentzis. Dieses Ausstrahlen einer seltsamen Mystik im Dirigat erfasste auch seine Mitmusiker und dieses Gesamte, entführte uns in eine aussergewöhnliche Wunderwelt des Wohlklangs.

Spektakuläres Finale

Der letzte Satz beginnt mit einer düsteren Moll-Einleitung. Bald wird jedoch das Tempo beschleunigt, und es erklingt das fröhlich-markante G-Dur-Hauptthema im vollen Orchester. Als Seitenthema verwendet Tschaikowski die Melodie aus der Einleitung. Insgesamt zeigt dieser Satz bereits die Vorliebe des Komponisten für effektvoll dahinstürmende, bisweilen lärmende Finali. Solch Pompöses liebt ja auch das Publikum und feierte die Musiker denn auch entsprechend mit wahren Beifallsstürmen. Als Zugabe gewährte man noch etwas Prokofjew, sehr zur Freude des Auditoriums, das sich aber nicht zu einer stehenden Ovation entschliessen konnte.

Text: www.leonardwuest.ch Fotos: www.lucernefestival.ch

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Luzerner Theater, Der Besuch der alten Dame, tragische Komödie von Friedrich Dürrenmatt, Première, 7. September 2019, besucht von Léonard Wüst

Claire Zachanassian, Delia Mayer beim Eintreffen in Güllen. Foto Ingo Höhn
Claire Zachanassian, Delia Mayer beim Eintreffen in Güllen. Foto Ingo Höhn

Produktionsteam
Inszenierung: Angeliki Papoulia, Christos Passalis Bühne: Christos Passalis Mitarbeit Bühne: Simon Sramek Kostüme: Vassilia Rozana Video: Julia Bodamer Licht: David Hedinger-Wohnlich Dramaturgie: Irina Müller

Besetzung
Delia Mayer Christian Baus Lukas Darnstädt Fritz Fenne Wiebke Kayser Nina Langensand Antonia Meier Julian-Nico Tzschentke und Luzerner Vereine Statistierie des LT

 

Rezension:

Die alte Dame, gespielt von Delia Meyer Foto Ingo Hoehn
Die alte Dame, gespielt von Delia Meyer Foto Ingo Hoehn

Das Pferd von hinten aufzäumen, den Versuch wars wert, besonders gelungen ist er aber nicht. Die beiden Regisseure, Angeliki Papoulia und Christos Passalis drehten die Geschichte um. Nicht wie bei Dürrenmatt, wo Claire Zachanassian nach Güllen zurückkehrt und sich schlussendlich brutal rächt, indem sie mit einem Kopfgeld von einer Milliarde die Dorfbewohner zum Mord an jenem Mann anstiftet, der sie vor 35 Jahren hochschwanger sitzen liess, die Vaterschaft abstritt und, durch falsche Zeugenaussagen einiger Güllener, vor Gericht auch noch Recht bekam, so quasi Klara Wäscher, wie die junge Dame damals hiess, zur Hure abstempelte. Die so gedemütigte, von den Dorfbewohnern verachtet und verspottet, floh mit dem nächstmöglichen Zug  aus dem Ort. Der Übeltäter stirbt also am Ende der Geschichte. Nicht so am Luzerner Theater. Da betritt die alte Dame, verkörpert von Delia Mayer, schwarz gekleidet die Bühne und stellt sich neben eine Plastikplane, in die eine Leiche eingewickelt ist.  Alfred Ill, sackstark verkörpert von Fritz Fenne, ist also zu Beginn der Geschichte tot, ab da wird zurückgespult, mittels Übertiteln dem Publikum, mitgeteilt, wie viele Tage noch verbleiben bis zum Besuch  der alten Dame.

Starker Auftritt schon vor dem Auftritt

Starker Fritz Fenne als Alfred, Foto Ingo Hoehn
Starker Fritz Fenne als Alfred, Foto Ingo Hoehn

Diese weltgewandte Milliardärin, authentisch verkörpert von Delia Mayer,  war stilgerecht und von Intendant Benedikt von Peter mittels Megaphon angekündigt, kurz zuvor auf dem, von sehr vielen Menschen bevölkerten Theaterplatz vorgefahren worden, standesgemäss in einem englischen Luxusauto der Marke mit den zwei R, die auch Flugzeugmotoren herstellt. Selbstsicher betrat sie das Theatergebäude, in dem sie alsbald ihren Auftritt haben sollte.

Der ironische Sarkasmus des Friedrich Dürrenmatt blieb auf der Strecke

Delia Mayer als Claire. Foto Ingo Hoehn
Delia Mayer als Claire. Foto Ingo Hoehn

Man kann es drehen und wenden  wie man will, aber Sarkasmus und Ironie lässt sich nun mal nicht auf den Kopf stellen. Spannung schafft man nicht, indem man das Ganze einfach umgekehrt ablaufen lässt. Dank ausgezeichneter schauspielerischen Leistungen, besonders von Fritz Fenne als stotterndes Racheopfer, Lukas Darnstädt als Pfarrer, Julian-Nico Tzschentke als Lehrer, einer wie immer bestens aufgelegten Wiebke Kayser in der Polizistenrolle und dem jovialen Bürgermeister Christian Baus, die alte Dame hatte ja nicht viel Dialog, aber sehr wohl viel zu sagen, was sie mimisch und mit Gesten auch deutlich zum Ausdruck brachte, ging das Experiment „Dürrenmatt „reversed“ nicht bachab.

Demütigen wollte sie ihn trotz allem nicht, umbringen lassen aber schon.

Alfred Ill soll büssen, Foto Ingo Hoehn
Alfred Ill soll büssen, Foto Ingo Hoehn

Dass noch nicht alle Gefühle der Dame von Welt für ihren Ex – Lover Alfred erloschen sind, offenbarte sich, als dieser, in die Enge getrieben, konfrontiert mit massiven Todesandrohungen von den Einwohnern, sich in die Hose macht vor Angst, worauf Claire befiehlt, mit den Drohungen aufzuhören, etwas Sentimentalität im bösen Spiel also. Sentimentalität auch, als sich, in diversen Rückblickszenen, die beiden einst in tiefer Liebe verbundenen, an vertraute Orte ihrer früheren Stelldicheins versetzt sahen, so in den Wald, in eine Scheune usw. Da kam auch Wehmut auf, ein Funken Hoffnung, dass sich doch noch alles zum Guten wende, aber wir wissen es ja besser, dass dem nicht so ist.

Geschehen im Gewächshaus, statt in Bahnhofgebäude

Geht auch als alte Dame über eine Leiche Delia Mayer vor den gedemütigten Güllen-Repräsentanten Foto Ingo Hoehn
Geht auch als alte Dame über eine Leiche Delia Mayer vor den gedemütigten Güllen-Repräsentanten Foto Ingo Hoehn

Viel Handlung, die bei Dürrenmatt im Bahnhofsgebäude spielt, verlegen die Luzerner in ein Gewächshaus, durch dessen transparente Plastikblachen sich das Geschehen verfolgen lässt, u.a. die Gemeindeversammlung, die die Annahme der Milliarde gutheisst, sich damit auch zum Mord verpflichtet, der dann gemeinsam, ziemlich blutig, über die Bühne geht, die Feste in Vorfreude auf die Milliarde, dokumentiert auch durch Livevideozuspielungen der, von Claire eigens dafür engagierten  Reporterin und Kamerafrau (Nina Langensand). In anderen, externen Videozuspielungen, kommentieren Einwohner von Luzern – so auch Stadtpräsident Beat Züsli – die Geschichte, als hätte sie hier gespielt. Luzerner Vereine steuern zur Empfangsszene Beiträge bei. Der Tiefgang von Dürrenmatts Psychodrama geht durch die Hektik auf der Bühne (es  gibt ja eben auch noch die Livevideoprojektionen des Bühnengeschehens), leider zu einem grossen  Teil verloren.  Die Livekamera dokumentiert auch, wie  Repräsentanten von Güllen vor der alten Dame ihre Fehler eingestehen, sich für ihre grössenwahnsinnigen, teuren infrastrukturellen Fehlinvestitionen usw. rechtfertigen müssen und Ill für sein früheres Verhalten nun so stark verurteilen und belasten, sodass der Mord an ihm, die Milliarde natürlich im Hinterkopf, gerechtfertigt sei.

In Güllen hatten schon Grössen wie Goethe und Brahms genächtigt

Wie konnte dies im ruhigen, abgelegenen «Güllen», wo einmal sogar Goethe übernachtet und Brahms ein Quartett komponiert hatte, passieren, dass man einen Menschen so schnell zum Sündenbock macht und sein Leben einfach für Geld opfert, sei es auch für den Betrag von einer Milliarde? Waren die „Güllener“, sich auf Pump einen Luxus leistend, der sie hoch verschuldet hat, etwa schon immer so und bloss ihre unersättliche Geldgier der Auslöser dieses Verbrechens? Kam gar der Wunsch der Besucherin gar nicht so ungelegen?

Furioser Schluss, der bei Dürrenmatt der Anfang war

Spektakulär dann schlussendlich auch die Ankunft der alten Dame auf der Bühne. Rotoren Lärm kündigt den Hubschrauber an, der die Besucherin auf dem Dorfplatz absetzen wird. Dieser wird umsäumt von der Güllener Einwohnerschaft, Dorfvereinen, Honoratioren usw. die Spalier stehen, um ihre ehemalige Mitbürgerin, die es zu etwas, zumindest zu Geld, gebracht hat.

Vielleicht hätte man, dem Stück angepasst, vor Beginn Beifall spenden sollen, dann wäre derselbe vielleicht etwas enthusiastischer ausgefallen, so blieb man etwas ratlos zurück ob dem Umkehrversuch. Wieso muss man das Rad, wenn man es ja nicht mehr erfinden kann und muss, ums Verrecken verbiegen?

Text: www.leonardwuest.ch Fotos: Ingo Hoehn     luzernertheater.ch

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Konzert Theater Bern Carmen, besucht von Noémie Felber

CARMEN von Georges Bizet Konzert Theater Bern Foto Tanja Dorendorf
CARMEN von Georges Bizet Konzert Theater Bern Foto Tanja Dorendorf

Produktionsteam:
Musikalische Leitung: Mario Venzago
Regie: Stephan Märki
Bühne / Kostüme: Philipp Fürhofer
Lichtgestaltung: Bernd Purkrabek
Choreografie: Tabea Martin
Mitarbeit Regie und Choreografi: Chris Comtesse
Mitarbeit Kostüm: Barbara Bachmann
Chor: Zsolt Czetner
Dramaturgie: Xavier Zuber
Mit:
Frasquita: Marielle Murphy
Mercedes: Eleonora Vacchi
Micaela: Evgenia Grekova
Carmen: Claude Eichenberger
Remendado: Andries Cloete
Don José: Xavier Moreno
Dancairo: Nazariy Sadivskyy
Morales: Carl Rumstadt
Escamillo: Jordan Shanahan
Zuniga: Young Kwon
Joker/ Tanz: Winston Ricardo Arnon
Statist/-innen: Statisterie Konzert Theater Bern
Chor: Chor Konzert Theater Bern, Singschule Köniz
Kinderchor:
Singschule Köniz
Orchester Berner Symphonieorchester

 

Rezension:

Claude Eichenberger in der Titelrolle als Carmen
Claude Eichenberger in der Titelrolle als Carmen

Es ist eine ungewöhnliche Situation, wenn das Licht im Zuschauerraum während der Ouvertüre noch zu grossen Teilen an ist. Umso eindrücklicher ist die Wirkung des gewählten Bühnenbilds: In einem Spiegel von gewaltigem Ausmass reflektiert sich nicht nur die Figur der Carmen, sondern auch das gesamte Publikum der Aufführung. Zu der altbekannten Musik beginnt die Inszenierung mit einer torkelnden, verwirrten Protagonistin, welche von einer mysteriösen Tänzerfigur begleitet wird. Die beiden führen das Publikum nicht nur in den Stil der Aufführung ein, sondern geben zudem eine düstere Vorahnung über den Verlauf der Handlung.

Un oiseau rebelle

Xavier Moreno als Don José
Xavier Moreno als Don José

Die Oper dreht sich um die verführerische Carmen und deren Liebschaften. Im Verlauf des Stücks verspricht sie ihre Liebe mal dem Soldaten José, mal dem Stierkämpfer Escamillo. Dieses Beziehungsdreieck führt zu verzwickten und bedrohlichen Situationen und findet seine Klimax in der abschliessenden Auseinandersetzung zwischen José und Carmen. In diesem Moment wird klar, dass beide Herren nie eine Chance bei ihr hatten, da sie seit Beginn der Oper dem Tod versprochen ist. Komponiert wurde das Werk von Georges Bizet. Das Libretto von Meilhac und Halévy basiert auf der 1845 erschienen Novelle Carmen von Prosper Mérimée. Die Uraufführung der Oper fand am 3. März 1875 in Paris statt, doch erst mit ihrer Aufnahme in Wien im Oktober desselben Jahres beginnt ihr internationaler Erfolg. Schon während der französischen Probezeit nimmt Bizet ständig Änderungen an seinem Werk vor, so dass heute verschiedenste Formen der Komposition vorliegen.

Oper in neuem Gewand

Carmen Szenenfoto von Tanja Dorendorf
Carmen Szenenfoto von Tanja Dorendorf

Die Oper Carmen ist eine sehr bekannte und von vielen Opern-Fans wahrscheinlich schon zahlreich gesehene. Umso spannender ist es, sie in der modernen wiederaufgenommenen Inszenierung des KTB zu erleben. Der Fokus wird hier von den traditionell mit der Oper verbundenen Hispanismen auf eine Zeitlosigkeit der Geschichte gelegt. Betont wird dies unter anderem mit den oft schlicht gehaltenen, jedoch sehr wirkungsvollen Kostümen. Besonders eindrücklich ist ausserdem das vielfältige Bühnenbild von Philipp Fürhofer, welches mit Licht, Dimensionen und Reflektionen spielt. Zudem wurde die Bühne des Hauses um den Orchestergraben herum erweitert und schreckt auch nicht vor direktem Publikumskontakt zurück. Eine weitere Neuerung führt Regisseur Stephan Märki mit der Figur des Jokers ein, welcher durch den maskierten Tänzer Vittorio Bertolli verkörpert wird.

Carmen Szenenfoto von Tanja Dorendorf
Carmen Szenenfoto von Tanja Dorendorf

Der Tod wird so in den Fokus der Erzählung geholt und als einziger wahrer Liebhaber von Carmen dargestellt. Allgemein brilliert das gesamte Ensemble durch hohe Leistungen, die sehr weit über das Gesangliche herausgehen. Die Figuren der Oper werden durch ihre schauspielerischen Glanzleistungen authentisch dargestellt und ermöglichen ein komplettes Versinken in der Geschichte. Unterstützt werden sie dabei durch das Berner Symphonieorchester unter der Leitung von Matthew Toogood. Dieser garantiert nicht nur die überragende klangliche Leistung der Instrumentalisten, sondern koordinierte auch das Zusammenspiel aller Beteiligten mit einer bemerkenswerten Präzision.

Für alle was dabei

Carmen Szenenfoto von Tanja Dorendorf
Carmen Szenenfoto von Tanja Dorendorf

Auch wenn Carmen ein vielbekannter und oft gehörter Opern-Klassiker ist, so lohnt sich ein Besuch des Stücks immer wieder. Besonders in einer aussergewöhnlichen Fassung wie jener des KTB. So gelingt es der Leitung und dem Ensemble, den Klassiker komplett neu zu inszenieren und auf allen Ebenen herausstechen zu lassen. Mit den bekannten Ohrwürmern und der aussergewöhnlichen Bearbeitung ist diese Inszenierung sowohl für traditionelle Opernbesucher als auch für Neulinge äusserst ansprechend. Wer die zeitlose Carmen in Bern erleben möchte, hat noch bis Mitte September die Gelegenheit dazu.

Kleine Fotodiashow der Produktion von Tanja Dorendorf:

fotogalerien.wordpress.com/2019/09/01/konzert-theater-bern-carmen-besucht-von-noemie-felber/

Text: www.noemiefelber.ch

Fotos:  Annette Boutellier https://www.konzerttheaterbern.ch/

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  • Aufrufe: 552

Lucerne Festival, Sinfoniekonzert 14 Orchester der LUCERNE FESTIVAL ACADEMY, Sir George Benjamin u.a., 1. September 2019, besucht von Léonard Wüst

Orchester der LUCERNE FESTIVAL ACADEMY Foto Stefan Deuber
Orchester der LUCERNE FESTIVAL ACADEMY Foto Stefan Deuber

Besetzung und Programm:

 

Dirigentin (Liik)
David Fulmer
Dirigent (Planells Schiaffino)
Sir George Benjamin  Dirigent
Reinhold Friedrich  Trompete
Robyn Schulkowsky  Schlagzeug

Marianna Liik (*1992)
Kurzschluss für Orchester
Uraufführung «Roche Young Commissions»
Josep Planells Schiaffino (*1988)
Torna für Orchester
Uraufführung «Roche Young Commissions»
Wolfgang Rihm (*1952)
Marsyas. Rhapsodie für Trompete mit Schlagzeug und Orchester
George Benjamin (*1960)
Palimpsestsfür Orchester
Dieter Ammann (*1962)
glut für Orchester

 

Rezension:

Wolfgang Rihm (*1952) Marsyas. Rhapsodie für Trompete mit Schlagzeug und Orchester

Reinhold Friedrich  Trompete Foto Rosa Frank com
Reinhold Friedrich Trompete Foto Rosa Frank com

Rihm, fast schon ein Klassiker, jedenfalls unter den „Zeitgenössischen“. Seine Tonstrukturen doch schon etwas vertrauter als die der zwei relativen „Frischlinge“, deren Werke anschliessend gar uraufgeführt wurden und bei denen ich mich, im Nachgang, fast genötigt sehe, Arnold Schönberg und Karlheinz Stockhausen als hoffnungslos Harmonie süchtig zu klassieren, derart avantgardistisch waren diese zwei Auftrags Kompositionen. Zurück zu Rihm, der da tief in der griechischen Mythologie Kiste gewühlt hat und daraus  inszeniert er den musikalischen Zweikampf zwischen Satyr Marsyas, einem Virtuosen des antiken Blasinstruments „Aulas“ und engagiertem Streiter für die Musik und Apollon (u.a. Gott des Lichts, der Heilung, des Frühlings, der sittlichen Reinheit und Mäßigung sowie der Weissagung und der Künste, insbesondere der Musik, der Dichtkunst und des Gesangs). Der, mit seiner wallenden Mähne und kräftigen Gestalt an einen, von einem Renaissancemeister gemalten Barockengel erinnernde Reinhold Friedrich, duellierte  sich, mit seiner Trompete bewaffnet, mit der amerikanischen Apollon Darstellerin Robyn Schulkowsky an ihren zahlreichen Schlagwerkutensilien, die, zumindest in der Mystik, den Sieg erfocht.

Robyn Schulkowsky  Schlagzeug Foto wowe
Robyn Schulkowsky Schlagzeug Foto wowe

Auf der Konzertbühne hingegen, bewegten sich die Kontrahenten auf Augenhöhe, unterstützt vom souveränen Orchester unter abgeklärtem Dirigat von Sir George Benjamin. Teils drifteten die schrägen Töne ins jazzige ab, einem eigentlichen Thema untergeordnet waren sie faktisch nie. Dem Publikum passte die ungewöhnliche, aber doch nicht ganz zu abgehobene Komposition und applaudierte den Protagonisten denn auch reichlich. Der anwesende Komponist, Wolfgang Rihm, durfte, sichtlich erfreut,  einen Extraapplaus in Empfang nehmen

Marianna Liik (*1992) Kurzschluss für Orchester  Uraufführung «Roche Young Commissions», dirigiert von Ruth Reinhard

Dirigentin Ruth Reinhardt, Foto Harrison Linsey
Dirigentin Ruth Reinhardt, Foto Harrison Linsey

Sehr transparent, auch irgendwie transzendente Komposition, Tonbögen nicht ineinander verschlungen, eher fast beiläufig ungeordnet hingelegt. Trotzdem rieben sich die halt doch vorhandenen Gegensätze, auch mittels der kurzen eingeflochtenen Solopartien. lyrische, tonale Gedankenspielereien in der Traumwelt der Werkschöpferin. Schwer verständlich für nicht grad total „angefressene“ Verfechter sehr moderner Musik, wurde aber trotzdem freundlich zur Kenntnis genommen, aber auch nicht mehr. Überzeugte, vermochte aber nicht zu berühren, so auch der eher höfliche Applaus erklärbar, der dann stärker wurde, als die Komponistin auf die Bühne gebeten wurde und sich zu den Musikern gesellte.

Josep Planells Schiaffino (*1988)  Torna für Orchester  Uraufführung «Roche Young Commissions» dirigiert von David Fulmer

David Fulmer Dirigent, Planells Schiaffino
David Fulmer Dirigent, Planells Schiaffino

Ähnliches könnte man auch über die zweite Auftragskomposition schreiben, würde der junge Spanier nicht doch etwas mehr (südländisches) Temperament in Töne giessen und auch den selbstbewussten „Macho“ durchschimmern lassen. Ebenso wirkte das Orchester hier deutlich überzeugter, unterstützender. Das Publikum schien auch angetaner von diesem Werk und so gesellte sich der Komponist gern zum Schlussapplaus zu den Musikern auf der Bühne.

George Benjamin (*1960) Palimpsests für Orchester

Sir George Benjamin  Dirigent Foto Michiharu Okubo
Sir George Benjamin Dirigent Foto Michiharu Okubo

Benjamin bedient sich hier einer mittelalterlichen Technik Schichten von Noten und Schriften, um Papier zu sparen, übereinander auf einer Seite zu schreiben. Dies ergab einen Klang, der dem Academy Orchestra erlaubte, sich voll zu entfalten, zu demonstrieren, dass es der Klangkörper ist, der wie kein anderes Orchester, über die Fähigkeit verfügt, zeitgenössisch auch zeitgemäss zu interpretieren. Inspiriert vom Tongeflecht, animiert vom Dirigenten packten die Akademist*innen auch das Publikum, liessen dieses teilhaben an dieser Delikatesse an Präzision und schon fast vollkommenen Zusammenspiel. Dafür ernteten die Protagonisten einen tosenden Applaus, den besonders Komponist und Dirigent Sir George, sichtlich gerührt, in vollen Zügen genoss.

Dieter Ammann (*1962) glut für Orchester

Sinfoniekonzert 14, Impressionen von Priska Kettere
Sinfoniekonzert 14, Impressionen von Priska Kettere

Bombastische Komposition von Dieter Ammann. Dieter Ammann komponiert wenig und in gemächlichem Tempo, daher gibt es bis heute erst etwas mehr als 20 Stücke. Dass er dabei instrumental gern aus den Vollen schöpft, ist inzwischen hinlänglich bekannt. So standen denn u.a. auch gleich acht Schlagwerker auf der Bühne um die monströse Komposition zu interpretieren. Deutlich schimmert immer wieder die Vergangenheit Ammanns als „Jazzer“ durch, ebenso Anlehnungen an die neue, von Gershwin und Bernstein angestossene amerikanische Musik.

Wechsel zwischen berufen auf grosse Komponisten und Schritten auf neuen Wegen

Sinfoniekonzert 14, Impressionen von Priska Ketterer, das iomposamte Schlagwerk der Amerikanerin
Sinfoniekonzert 14, Impressionen von Priska Ketterer, das iomposamte Schlagwerk der Amerikanerin

Zwischendurch auch mal eine Reminiszenz an die ganz Grossen seiner Zunft, wie z. B.  Ravel, um unvermittelt wieder auf diesen ganz neuen Weg einzubiegen, den auch viele seiner Weggefährten, wie Wolfgang Rihm, Matthias Pintscher usw. eingeschlagen haben und der von Pierre Boulez mit seiner „Lucerne Festival Academy“ massgeblich vorbereitet und aufgezeigt wurde. «glut» – nach des Komponisten eigenen Worten «eine Welt, deren innere Glut, zu Klang geformt, nach aussen drängt»; eine klangfarblich höchst vielfältige Musik, die «von einer ausserordentlichen Dichte der Ereignisse geprägt» ist. Ja, hochkomplex, kompliziert, irgendwie unvorherseh – und undurchschaubar sind die Klangwerke des 1962 in Aarau geborenen Schweizer Komponisten.

Ungewöhnlicher Werdegang des Komponisten

Sinfoniekonzert 14, Impressionen von Priska Ketterer
Komponist Wolfgang Rihm, Sinfoniekonzert 14, Impressionen von Priska Ketterer

Widersprüchlich auch sein Werdegang: Nach Studium von Schulmusik und Jazz wandte er sich der Musiktheorie und Komposition zu, performte parallel dazu in diversen Formationen, an diversen Instrumenten, u.a. in „Steven`s Nude Club“, der Ska – Punkformation des unvergesslichen, viel zu früh verstorbenen Luzerners Thomas Hösli (1965 – 2007). Das Orchester, unter der souveränen Leitung von Sir George Benjamin, intonierte sichtlich inspiriert und  angetan vom Werk Ammanns. Das sachkundige Publikum, honorierte die Leistung der Protagonisten denn auch mit langanhaltendem, kräftigen Applaus, der sich noch steigerte, als dann auch noch der im Saal anwesende Komponist aufstand und sich mit entsprechenden Gesten bei den Musikern bedankte.

Text: www.leonardwuest.ch Fotos: www.lucernefestival.ch

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