Zum Hauptinhalt springen

Tschechische Philharmonie, Truls Mørk (Cello), KKL Luzern, 22. Oktober 2017, besucht von Lèonard Wüst

Tschechische Philharmonie
Tschechische Philharmonie

Besetzung und Programm:

Tschechische Philharmonie

 

Rezension:

Dirigent Tomáš Netopil
Dirigent Tomáš Netopil

Hatte ich bis dato die Tschechische Philharmonie „nur“ dreimal in ihrem Stammhaus, dem „Rudolfinum“ in Prag live erlebt, genoss ich jetzt das Vergnügen, bei ihrem Auswärtsspiel“ im Luzerner KKL mit dabei zu sein. Dies erst noch mit Werken zweier  ihrer Nationalkomponisten, namentlich Antonín Dvořák und Leoš Janáček, veredelt durch den 1961 in Bergen geborenen norwegischen Starcellisten Truls Mørk.

Gestartet wurde mit der Ouvertüre „Eifersucht“ zur Oper „Jenufa“ von Leoš Janáček (1854-1928), die für diesen der endgültige Durchbruch als anerkannter Opernkomponist bedeutete.  Dann folgte das, in New York 1894/95  geschriebene und 1896 in London uraufgeführte  Konzert für Violoncello und Orchester Nr. 2 h-Moll op. 104 von Antonín Dvořák (1841-1904).

Absoluter Weltklassecellist demonstrierte seine Virtuosität

Truls Mørk, Solist am Cello
Truls Mørk, Solist am Cello

Truls Mørk ist körperlich, als auch musikalisch ein Hüne und fügte sich mit seinem Spiel perfekt in das Orchester ein, beobachtete den Dirigenten sehr genau. Er spielt ein von Domenico Montagnana im Jahre 1723 in Venedig gebautes Cello („Esquire“), das ihm von der norwegischen SR-Bank zur Verfügung gestellt wird. Dieses Bijou bringt Mørk wunderbar zum Klingen, lässt seine Finger flink über die Saiten huschen, kitzelt gefühlvolle Tremoli aus dem Resonanzkörper. Unterstützt von seinen schwarzbefrackten Mitmusikern setzt er zu einem wahren akustischen Höhenflug an und verzückt das Publikum im praktisch voll besetzten Konzertsaal mit seinem mal sensiblen mal stürmischem Spiel, wird dann von einer tänzelnden Querflöte, einer vorwitzigen Oboe kontrapunktiert, darauf wiederum von den vielschichtigen Streichern durch die Partitur getragen. Das Cello setzt im 1. Satz für ein Konzert relativ spät und plötzlich ein, und entwickelt eigene melodische Linien, die mit den vorgestellten Themen wenig zu tun haben, es entwickelt sich ein Dialog zwischen Orchester und Soloinstrument. Im 2., eher ruhigeren Satz, zitiert Dvořák sein Lied „Lasst mich allein“, das Lieblingslied seiner Schwägerin, die im Frühjahr 1895 verstarb und in die Dvořák einst heimlich verliebt war. Der Schlusssatz wird zunächst vom Orchester ruhig eingeleitet und steigert sich, bevor nach ca. einer halben Minute das Cello einsetzt und das Thema des Satzes vollständig spielt. In der Coda wird noch einmal das Lied „Lasst mich allein“ zitiert. Das begeisterte Auditorium belohne die Protagonisten, insbesondere den Solisten mit stürmischem Applaus, garniert mit einzelnen Bravorufen, was Truls Mørk zu einer kurzen Zugabe animierte.

Zweiter Konzertteil mit der Sinfonie Nr. 8 G-Dur op. 88von Antonín Dvořák

Zur düsteren Stimmung der 7. Sinfonie  bildet die 8. Sinfonie einen gelösten, lyrischen Kontrast, das Thema beginnend in G Moll durch Violoncello, Klarinette und Fagott. Das Hauptthema steht in G-Dur und wird von der Flöte vorgetragen.  Das Adagio in C Moll und 2/4-Takt und ist von Pjotr Iljitsch Tschaikowski beeinflusst, den Dvořák kurz zuvor kennengelernt hatte. der 3. Satz beginnt in G Moll mit einemwalzerartigen Thema der transparenten Violinen. Der 4. in G Dur geschrieben beginnt mi einer Trompetenfanfare in D. Anschließend wird das zweiteilige Variationsthema von den Celli vorgestellt. Ein Horntriller und eine virtuose Flötenmelodie prägen die ersten Variationen. Die anschließende markant-rhythmische dritte Variation trägt den Namen „Slawische Variation“. Eine lyrische Passage führt schließlich zur virtuosen Coda chromatischen Charakters, welche dem Werk ein triumphales Ende verleiht. Der tschechische Klangkörper unter seinem Dirigenten zog hier, im wahrsten Sinne des Wortes, sämtliche Register, verlieh dem Werk viel Herz und Ausstrahlung. Tschechische Musik in Reinkultur, eben.  Das begeisterte Publikum spendete heftigen langanhaltenden Applaus, der aber nicht in eine „Standing Ovation“ mündete. Das liessen die Tschechen aber nicht so stehen und holten sich diese (wohlverdiente) mit der Zugabe von Brahms ungarischem Tanz Nr.5 doch noch ab. Ein grossartiges Konzert der diesjährigen Migros – Kulturprozent Classics Saison.

Souveränes Dirigat von Dirigent Tomáš Netopil

Dirigent Tomáš Netopil führte das tschechische Renommierorchester stilsicher, engagiert und trotzdem unaufgeregt durch die Partituren, den sicheren Instinkt für Werkdetails demonstrierend. Auch verstand er es ausgezeichnet, die Nuancen raffiniert heraus zu schälen. Er arbeitete relativ viel mit Gesten, setzte des Öftern auch seinen ganzen Körper ein, war immer souverän und hielt alle Zügel fest in der Hand, motivierte seine Mitmusiker und animierte sie zur Höchstleistung.

Antonín Dvořáks Musik beeinflusste nachfolgende Komponistengenerationen nachhaltig

Die Kompositionen von Antonín Dvořák zeigen seine starke Verwurzelung in seiner Heimat, die Affinität zur böhmischen Volksmusik, die immer gegenwärtig ist und auf der die meisten seiner Kompositionen aufbauen. Die oft sehnsuchtsvoll slawischen Motive werden des Öftern spontan von fröhlich animierten Zwischenspielen garniert, auch Zigeunerweisen schimmern ab und zu durch. Es sind diese Gipsy Rhythmen, die nachfolgende Komponisten wie z.B. Django Reinhardt prägten und die darauf aufbauend  dann den mitreissenden Gipsy Jazz, auch Jazz Manouche oder Sinti-Jazz genannt, entwickelten.

 

Text: www.leonardwuest.ch

Fotos: http://www.migros-kulturprozent-classics.ch/

Homepages der andern Kolumnisten: annarybinski.ch  www.irenehubschmid.ch

www.gabrielabucher.ch  Paul Ott:www.literatur.li

Autoren- und Journalisten-Siegel von European News Agency - Nachrichten- und Pressedienst

  • Aufrufe: 266

Hélène Grimaud – Woodlands and Beyond, KKL Luzern, 21. Oktober 2017, besucht von Léonard Wüst

Hélène Grimaud in der Elbphilharmonie in Hamburg 2017, © Claudia Hoehne
Hélène Grimaud in der Elbphilharmonie in Hamburg 2017, © Claudia Hoehne

Besetzung und Programm:

Luciano Berio (1925 – 2003)
«Wasserklavier» aus: 6 Encores

Nitin Sawhney (*1964)
Water – Transition 1

Toru Takemitsu (1930 – 1996)
«Rain Tree Sketch II»

Nitin Sawhney
Water – Transition 2

Gabriel Fauré (1845 – 1924)
Barcarolle Nr. 5 fis-Moll op. 66

Nitin Sawhney
Water – Transition 3

Maurice Ravel (1875 – 1937)
Jeux d’eaux»

Nitin Sawhney
Water – Transition 4

Isaac Albéniz (1860 – 1909)
«Almería» aus: «Iberia»

Nitin Sawhney
Water – Transition 5

Franz Liszt (1811 – 1886)
«Les jeux d’eau à la Villa d’Este» aus: «Années de pèlerinage» – Troisième Année

Nitin Sawhney
Water – Transition 6

Leoš Janácek (1854 – 1928)
«Im Nebel» I

Nitin Sawhney
Water – Transition 7

Claude Debussy (1862 – 1918)
«La Cathédrale engloutie» aus: Préludes I

 

Rezension:

Hélène Grimaud © Mat Hennek

Vertont Hélène Grimaud Bilder, oder malt ihr Lebenspartner Mat Hennek Musik mit seiner Kamera? Für einmal tanzt die, am 7. November 1969 in Aix-en-Provence geborene französische Pianistin nicht mit den *Wölfen, auch nicht mit Wasser,  wie auf ihrem AlbumWater„, das im Januar 2016 bei der Deutschen Grammophon erschien, sondern mit Fotoinstallationen. (*Hélène Grimaud  bezog 1997 in South Salem bei New York ein Haus und richtete ein Wolf Conservation Center ein, das 1999 eröffnet wurde).

Mehrfach preisgekrönte Künstlerin

Hélène Grimaud © Mat HennekHélène Grimaud  wurde u.a. schon 2002 honoriert mit dem französischen „Officier dans l’Ordre des Arts et des Lettres“, den Echo-Klassik-Preisen 2009 und 2013. Im Jahre 2004 erhielt sie den « Victoire d’honneur » der französischen Victoires de la musique. 2009 den Bremer Musikfest-Preis.  Ebenso erfährt ihr Engagement für die Zucht, den Schutz und der Reintegration von Wölfen in natürliche Umgebung grosse Beachtung.

Informationen zu Mat Hennek

Mat_Hennek ©Robert Schultze
Mat_Hennek ©Robert Schultze

Mat Hennek porträtierte viele Grössen der Klassik (Sängerinnen, Dirigenten usw.), arbeitet auch z.B. für große Plattenfirmen und Labels wie Deutsche Grammophon, Four Music, EMI, Sony BMG. Seine Arbeiten wurden u.a. veröffentlicht in folgenden, renommierten Printmedien: Cosmopolitan, Frankfurter Allgemeine Zeitung, GQ, Marie Claire, Max, Playboy, Süddeutsche Zeitung Magazin.

 

Basis des Konzertes sind Werke von acht verschiedenen Komponisten

Nitin Sawhney
Nitin Sawhney

Auf dem Programm standen Werke von acht verschiedenen Komponisten. Zwischen deren Werken erklang jeweils eine der „Transitions“ vom indisch stämmigen Engländer Nitin Sawhney, die er für  Grimauds CD „Water“ geschrieben hatte. Diese Zwischenspiele wurden als Backgroundmusik zugespielt, also nicht von der Pianistin vorgetragen, Das wirkte zu Beginn befremdlich, entwickelte sich aber im Verlauf des Konzertes durch die Fotoinstallationen immer weiter und fügte sich schlussendlich perfekt ins Ganze ein, da sich alle der real gespielten Kompositionen irgendwie auch mit der Thematik „Wasser“ befassten.

Das Thema Wasser, nebst den Fotoprojektionen, im Mittelpunkt

Angefangen bei „Wasserklavier“ von Luciano Berio über „Les jeux d`èau à la Villa d`Este“, bis zum finalen „La Cathédrale engloutie“ von Claude Debussy. Auf die 7 x 7 Meter grosse moderne LED-Leinwand auf der Bühne hinter der Pianistin projizierte Mat Hennek die Bilder seiner Fotoserie „Woodlands“. Durch Überblendungen passte er diese jeweils dem gerade gespielten Stück an, schuf so ein räumliches Bild der Musik.

Glanzlichter der Performance

Hélène Grimaud beim Internationalen Klavierfestival in La Roque d'Anthéron, 2004
Hélène Grimaud beim Internationalen Klavierfestival in La Roque d'Anthéron, 2004

Hélène Grimaud, mit ungewohnt blondem Kurzhaarschnitt, begeisterte nicht nur, aber vor allem, bei den Interpretationen von „Almeria“ (Isaac Albéniz) und „Im Nebel“  von Leos Janacek. Mat Hennek transformiert bei „Les jeux d`èau à la Villa d`Este“ den türkisfarben gischenden Wasserstrudel mittels Überblendungen kontinuierlich in eine lichtdurchflutete Birkenwaldlichtung, bei „Almeria“ die blutrot an den Meeresstrand wogenden Wellen in ein vielschichtiges, transparentes Abendrot über dem Ozean.

Ganz ohne Wölfe geht’s halt doch nicht

Hélène Grimaud
Hélène Grimaud

Beim Janacekschen Nebel erscheint natürlich ein milchiger Morgenwald in den er noch einen Wolf projiziert (Ganz ohne die, von der Pianistin so geliebten Wesen, geht’s dann doch nicht). Diese erscheinen in der Folge immer häufiger auf der Leinwand in den wechselnden Waldlandschaften. Nach dem, das Konzert abschliessende  Debussy Werk „La Cathédrale engloutie“, herrschte Stille.

Etwas ratloses Publikum

Es war sich niemand wirklich schlüssig, ob das Konzert fertig war. Erst nachdem sich Hélène Grimaud von ihrem Schemel erhob, brandete der grosse Applaus durch den Konzertsaal, worauf sie auch ihren Partner Mat Hennek auf die Bühne bat und ihn herzhaft umarmte. Grimaud wurde immer wieder zurück auf die Bühne geklatscht und gewährte schlussendlich doch noch eine Zugabe. Dieses sehr ungewöhnliche, intime Konzertprojekt, so Grimaud in einem Interview, entwickle sich ständig weiter, einige Bilder werden, in gegenseitiger Absprache, neu zugefügt, andere belassen. Es bleibe also, wie beim Wasser und auch der Musik, alles in Fluss.

Trailer Water – Transition 5″ & Franz Liszt „Les Jeux d’eaux à la Villa d’Este

www.youtube.com/watch?v=1OIWA8IcxPE

Text: www.leonardwuest.ch

Fotos: sinfonieorchester.ch/home

Homepages der andern Kolumnisten: www.irenehubschmid.ch

www.gabrielabucher.ch https://annarybinski.ch/

Paul Ott/Paul Lascaux:www.literatur.li

Autoren- und Journalisten-Siegel von European News Agency - Nachrichten- und Pressedienst

  • Aufrufe: 487

Mögen Sie Eulen, Big Bands und J.F.Kennedy? von Anna Rybinski

Zentrum MaiHof Foto Ingo Hoehn
Zentrum MaiHof Foto Ingo Hoehn

Wenn Sie die Frage mit ja beantworten, sind Sie bei uns an der richtigen Adresse!

Das nächste Konzert  von MusikWerk Luzern findet in MaiHof Luzern, am 4. November um 19.00 Uhr statt.

MusikWerk Luzern bietet seinem Publikum diesmal  ein spezielles Programm an:  Jungtalente der Hochschule Luzern werden  Musik von Igor Stravinsky und Leonard Bernstein zum Swingen bringen.

 

Igor Stravinsky in Hollywood,Foto Paul Sacher Stiftung
Igor Stravinsky in Hollywood,Foto Paul Sacher Stiftung

Diese Saison ist bei MusikWerk Luzern dem russischen Jahrhundertgenie Igor Stravinsky gewidmet. Im vierten MaiHof-Konzert erklingen Werke auch aus den späteren Jahren, in denen er  neue Musikrichtungen und Kompositionstechniken ausprobierte und aneignete.

Kaum ein Komponist, der so  unterschiedliche Phasen in seinem Schaffen durchlief, als Igor Stravinsky. Zwischen der russischen Periode, die von der Volksmusik stark beeinflusst war, und den amerikanischen Kompositionen, die im Exil entstanden sind, liegen Welten.

In seiner letzen Heimat, Kalifornien, war er vom allgegenwärtigen amerikanischen Sound, dem Jazz, umgeben. Stravinskys Beziehung zum Jazz fing jedoch schon in seinen frühen Pariser Jahren an. Mit seinem 1945 komponierten  «Ebony Concerto» erreicht seine Affinität zum Jazz einen Höhepunkt, zumindest so, wie  Stravinsky den Jazz für sich interpretierte.  Das Werk  bleibt allerdings in seinem Aufbau fast klassisch.

Nach Arnold Schönbergs Tod nähert er sich auch der Zwölftontechnik an, die er aber selbstverständlich anders auslegt als sein Erfinder: manchmal verspielt, manchmal virtuos.

Die Kompositionen «The owl and the Pussycat», sowie die «Fanfare for a new theatre» zeugen davon.

Schlüsselwerk von Stravinsky

MusikWerk zu Gast in Basel,Foto Benno Hunziker
MusikWerk zu Gast in Basel,Foto Benno Hunziker

Auch ein Schlüsselwerk von Stravinsky für grosses Bläserensemble wird an diesem Konzert erklingen: die «Symphonies d’instruments à vent».

Der Titel ist irreführend: es ist keine Sinfonie! Er meinte nur «zusammenklingend».

24 Blasinstrumente klingen hier zusammen und verschiedene musikalische Bausätze reihen sich aneinander, wie: Glockenmotiv, Choralmotiv, Tanzmotiv und russische Melodien. Diese Komposition hinterliess bei der Uraufführung im Publikum zunächst einen enttäuschenden Eindruck. Die Zuhörer erwarteten die sinnlichen Klänge eines Petruschka oder Feuervogels, stattdessen wurde ihnen ein herbes Musikkonstrukt präsentiert. Ein Kritiker behauptete, der Anfangsteil klänge nach den Schreien eines Esels.

Es leitete aber eine einschneidende Phase in seinem kompositorischen Schaffen ein, wie Stravinsky  selbst bestätigte.

Stravinskys «Elegie» zum Andenken an J.F Kennedy und das Werk «Prelude, Fugue and Riffs» von seinem amerikanischen Zeitgenossen, Leonard Bernstein ergänzen das abwechslungsreiche Programm.

 

MusikWerk in MaiHof,Foto Ingo Hoehn
MusikWerk in MaiHof,Foto Ingo Hoehn

Ob der Anfang der «Symphonies d’instruments à vent» an die Schreie eines Esels erinnert? Klingt das «Ebony concerto» wirklich jazzig?

Das Publikum möge es selbst entscheiden.

Es spielen das Bläserensemble und     Dozente  der Hochschule Luzern – Musik.

https://www.musikwerkluzern.ch/

Text: annarybinski.ch/

Homepages der andern Kolumnisten:www.gabrielabucher.ch
 

Paul Ott:www.literatur.li

Autoren- und Journalisten-Siegel von European News Agency - Nachrichten- und Pressedienst
  • Aufrufe: 354

Luzerner Theater, Die schwarze Null Zentralschweizer Reportagen von Erwin Koch, Première vom 6. Oktober 2017, besucht von Felicitas Kranich

Die schwarze Null,Zentralschweizer Reportagen von Erwin Koch, v.l.n.r.Adrian Furrer, Maximilian Reichert, Wiebke Kayser Foto Ingo Höhn, Luzerner Theater

Die schwarze Null,Zentralschweizer Reportagen von Erwin Koch, v.l.n.r.Adrian Furrer, Maximilian Reichert, Wiebke Kayser Foto Ingo Höhn, Luzerner Theater

 

Produktion und Besetzung:

Inszenierung: Ivna Žic Raum und Video: Martina Mahlknecht Kostüme und Objekte: Sophie Reble Reportagen: Erwin Koch Licht: Marc Hostettler Dramaturgie: Julia Reichert

 

Rezension:

Szenenfoto schwarze Null,Adrian Furrer
Szenenfoto schwarze Null,Adrian Furrer

Nach dem mutigen Unterfangen eine Novelle des 19.Jahrhunderts in ein zeitgenössisches Grusical umzugiessen, unternahm das Luzerner Theater ein weiteres Wagnis: Die Inszenierung von Reportagen von Erwin Koch. Der bekannte Luzerner Journalist liefert mit fünf ausgewählten Geschichten sowie einer eigens für den Anlass geschriebenen Anekdote den Stoff für einen «Totentanz aus der Agglomeration», so der Untertitel. Die Analogie von «schwarzer Spinne» zu «schwarzer Null» ergibt sich also aus der Verstrickung des Menschen in Schuld und Schulden als archaisches Muster der Conditio Humana.

Was das Leben übrig lässt                

Szenenfoto schwarze Null,  Wiebke Kayser und Maximilian Reichert
Szenenfoto schwarze Null, Wiebke Kayser und Maximilian Reichert

Indem die Theaterbesucher mitten auf der Bühne Platz nehmen, im Bühnenbild der «schwarzen Spinne» sozusagen, werden sie selbst ein Teil des Welttheaters. Man sitzt auf dem Dorfplatz, mitten im Leben, es ist Fastnacht. Am Narrenbaum wirbeln bunte Bänder. Das Publikum ist vorbereitet auf die Geschichten, die diese Lebensfäden erzählen.

Rezitativer Einstieg in Erwin Kochs Geschichten

Szenenfoto schwarze Null, Wiebke Kayser
Szenenfoto schwarze Null, Wiebke Kayser

In Form einer Lesung beginnt die erste Geschichte von Erwin Schröter, dem «Robin Hood» aus Schötz. Er scheint unter einer Fastnachtsmaske selbst anwesend zu sein. Seine Tragik in der Definition des «schuldlos schuldig – Werdens» besteht in seiner Gutherzigkeit. Er wird die schwarze Null verfehlen, aus purer Güte. Die Lesung öffnet sich zum dramatischen Spiel und die musikalische Untermalung gewinnt theatralen Charakter. Erwin Schröter werden wir ganz am Schluss der Aufführung wieder begegnen. Ist das eine kleine Anspielung auf die fehlende Rahmengeschichte des Grusicals?

Beziehungskiste in vier Akten

Szenenfoto schwarze Null, Wiebke Kayser und Maximilian Reichert
Szenenfoto schwarze Null, Wiebke Kayser und Maximilian Reichert

Die Liebesgeschichte von Doris und Josef unterteilt die Regisseurin Ivna Zic in vier Sequenzen. Sie suchen sich per Internet, verlieben sich, vor der Hochzeit sind noch dringende Geständnisse fällig, existenzieller Art. Geständnisse, die über Ende oder Weiterbestehen der Beziehung entscheiden. Diese radikale Selbstauslieferung wirkt beschämend, anrührend. Doris, die 150 Kilo Lebendgewicht überzeugend gespielt von der grazilen Wiebke Kayser, besticht durch ihre Liebesfähigkeit, die erst klar Schiff machen muss, bevor sie ihren Josef zu heiraten wagt. Er soll wissen mit wem er es zu tun hat. Erst wenn er sie noch will, nachdem er weiss, dass sie in der Spinnwinde (Psychiatrie) war, kann sie mit ihm an den Altar treten. Sie sagt ihm von Anfang an, dass sie mit Männern schlechte Erfahrungen gemacht hat. Maximilian Reichert verkörpert den abgründigen, grundtreuen Josef glaubhaft. Seine Schwäche für Lokunfälle, die er begeistert fotografisch dokumentiert, nimmt man ihm ebenso ab wie seine Kraft sich gegen die ehrabschneidende Entlassung auf raffinierte Art zu rächen. Er befreit sich von der erniedrigenden Last, er findet zur Tat.

Erwin Koch hält auch traurige Geschichten literarisch fest

Die Geschichte vom Selbstmord des Elfjährigen, der eines heiter-hellen Tages von der «hohen Brücke springt ohne Schrei» dürfte die bizarrste Geschichte des Abends und damit ihr dramatischer Höhepunkt sein. Hier wird der Leser von Erwin Kochs Reportagen diesen speziellen Duktus wiedererkennen, der seinen Stil kennzeichnet. Rekonstruierende staubtrockene Beschreibung, so distanziert, dass es bereits schmerzt, detailliert bis in den Nanobereich. Das Rätsel darüber, was Leben auch sein kann, im Extremfall offenbar der Wunsch zu sterben, wird in dieser Geschichte am deutlichsten. Wir blicken in einen Abgrund, dessen klaffender Spalt der Verstand nicht zu überbrücken vermag.

Komisch – tragische Dreieicksgeschichte

Szenenfoto schwarze Null, Maximilian Reichert und Wiebke Kayser
Szenenfoto schwarze Null, Maximilian Reichert und Wiebke Kayser

Albert T., Laura N. und Oskar D. führen eine Menage a trois. Dass da einer zu viel ist, leuchtet allen ein, bis auf den glücklichen, betrogenen Ehemann, der am Leben hängt, gutgläubig und unverwundbar, mehreren Mordversuchen zum Trotz. Einer dieser Mordversuche, der Knollenblätterpilz, spielt eine tragende Rolle. Wir sind wieder im Fastnachtstreiben angelangt, das so grotesk ist wie das Leben selbst.

Kein Wintermärchen auf dem Pilatus

Der letzte Erzählfaden, mit dem die vorigen Geschichten verschnitten sind, widmet sich der letzten Winterwartin auf dem Pilatus. Sie schuldet ihr bitteres «Winterwinterwinterleben» einem unbedachten trotzigen Ausspruch, den sie einst zur Beschwichtigung ihres Vaters geäussert hatte. Mit dem Versprechen, den ersten Mann zu heiraten, der auf den Berg komme, besiegelt sie ihr eigenes grausames Schicksal. Sepp hat nicht gesprochen.

Nach vielen «kalten Abenden», vielen Daten, Jahreszahlen, Uhrzeiten macht sich langsam eine gewisse Müdigkeit im Publikum breit, da fällt dem Erzähler noch jene Anekdote ein, die er auf Schweizerdeutsch zum Besten gibt. Felix G., Jurist und Millionär spart sich selbst zu Tode aus krankhaftem Sparzwang. Die Bezüge bedürfen keiner Erläuterung für den lokalen Theaterbesucher. Wir kehren zurück zu Erwin Schröters Lebensresten, den guten Menschen aus Schötz. Er schafft es nicht sich zu erschiessen.

Unwägbare Wirrungen in unserem Sein

Autor Erwin Koch
Autor Erwin Koch

Das Rätsel der Mechanismen des Lebens bleibt, wir können unzählige Geschichten ausbreiten, sie studieren und analysieren. Wieso sich der eine von seiner Last befreien kann, notfalls durch eine Schuld, während die Bilanz des anderen am Ende seines Lebens unausgeglichen bleibt, werden wir nicht ergründen. Es bleiben Reste, unüberbrückbare Abgründe, Unerklärbares. Ist das ein Plädoyer für das Weitererzählen, für das sich weiter Wundern?

Fazit der Rezensentin

Die Frage der Eignung von Reportagen zur Dramatisierung steht noch aus. Der mutige Inszenierungsversuch lässt Zeit zur Entstehung von dem, was beim Lesen an Intimität zwischen Protagonist und Leser entsteht. Auf der Bühne wird dieses meditative Moment bald zur Beklemmung. Beim Schlussapplaus wirkte selbst der anwesende Autor etwas beklommen neben dem vom Fastnachtstanz im Strohkostüm erschöpften «Josef». Wiebke Kayser hielt die federleichte Spannung bis zuletzt.

Trailer mit Regisseurin Ivna Žic

http://www.luzernertheater.ch/dieschwarzenull

Trailer der Produktion

vimeo.com/237108022

Kleine Fotodiashow der Produktion von Ingo Höhn, Luzerner Theater

fotogalerien.wordpress.com/2017/10/06/luzerner-theater-die-schwarze-null-zentralschweizer-reportagen-von-erwin-koch-premiere-6-oktober-2017/

Text: Fee Kranich

Fotos: www.luzernertheater.ch,  Ingo Höhn

 

Homepages der andern Kolumnisten: annarybinski.ch  www.irenehubschmid.ch

www.gabrielabucher.ch  Paul Ott:www.literatur.li

Autoren- und Journalisten-Siegel von European News Agency - Nachrichten- und Pressedienst

  • Aufrufe: 1425