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Lucerne Festival im Sommer 2014: Sinfoniekonzert 23 The Cleveland Orchestra | Franz Welser-Möst | Joshua Smith, besucht von Léonard Wüst

Franz Welser-Möst mit dem Cleveland Orchestra

 

Mitwirkende:

The Cleveland Orchestra

Franz Welser-Möst, Dirigent

Joshua Smith, Solist Flöte

 

Programm:

Johannes Brahms (1833-1897)
Akademische Festouvertüre op. 80

Jörg Widmann (*1973)
Flûte en suite für Flöte und Orchestergruppen

Johannes Brahms (1833-1897)
Sinfonie Nr. 1 c-Moll op. 68

 

Rezension:

Franz Welser – Möst , Dirigent

 

Obwohl der Abgang von Franz Welser – Möst als musikalischer Leiter der Wiener Staatsoper absehbar war, kam dann die Ankündigung letzte Woche doch eher abrupt, plötzlich und per sofort. So erhielt das Konzert des heutigen Abends noch eine zusätzliche Dimension. Würde man davon etwas merken oder schiebt der ebenso unbestrittene wie auch umstrittene Könner dies einfach mal so glatt beiseite?

Nachdem ich aufgrund einer Verspätung des Zuges das Einführungsgespräch im Auditorium, das Mark Sattler mit dem Komponisten Jörg Widmann (*1973, selber auch ein begnadeter Soloklarinettist) führte verpasste, blieb mir nur die intensive Programmlektüre um eine ungefähre Ahnung zu bekommen, wer und was Widmann inspirierte, das Auftragswerk des Cleveland Orchestra (Flûte en suite für Flöte und Orchestergruppen) von 2011 so zu komponieren und orchestrieren , wie es an diesem Abend im ersten Konzertteil zur Aufführung kam.

Das Konzert begann aber mit der Akademischen Festouvertüre op. 80 von Johannes Brahms (1833-1897), mit dieser Komposition bedankte er sich quasi bei der Universität Breslau für die Verleihung der Ehrendoktorwürde. Das Ganze kam daher als „business as usual“ zur Einstimmung des Publikums im ausverkauften Konzertsaal.

Soloflötist Joshua Smith

 

Dann begeisterte der Soloflötist Joshua Smith mit seiner Umsetzung und Interpretation des obengenannten Widmann`schen musikalischen Leckerbissens. Franz Welser – Möst fügte das Orchester und dessen Solisten zur Einheit, genug Raum lassend für Intonation und Improvisation der Flûte en suite und überraschte dann die Anwesenden am Ende mit der Einfügung des letzten Satzes aus Johann Sebastian Bach`s h– moll Suite, bei deren Ausführung schimmerte auch noch Jacques Loussier `s Play Bach durch. Erstaunlicherweise für ein dem Barock angelehnten Werk aber wies die Komposition überhaupt keinen Bezug zu Georg Friedrich Händel auf. Während der Pause schnappte man wohlwollende, anerkennende Dialogfetzen auf, die sich auf vor allem auf das anspruchsvolle Werk Widmann`s bezogen.

Nach der Pause folgte dann noch die Sinfonie Nr. 1 c-Moll op. 68 von Johannes Brahms, die Richard Wagner mal spottend Beethovens Zehnte nannte. Hier konnte sich Welser – Möst fast entspannt zurücklehnen, hatte doch „sein“ Cleveland Orchestra das Ganze total im Griff, bzw. in den Instrumenten und bot eine berauschende Demonstration orchestraler Leistung. Dies sahen auch die Konzertbesucher so und feierten die Protagonisten heftig, die sich ihrerseits mit einer Zugabe erkenntlich zeigten. Fazit: Welser – Möst, hochkonzentriert, führte seine Mitmusiker zu einer Glanzleistung und liess keinen Augenblick erahnen, ob das mediale Echo und der Rummel betreffend seinem Wiener Abgang ihn je irgendwie interessiert hätten.

Komponist Jörg Widmann

 

Ergänzend noch einige Erläuterungen des deutschen Komponisten Jörg Widmann in diversen Interviews bei verschiedenen Gelegenheiten und Medien in den letzten Jahren:

Vor allem mit dem japanischen Stardirigenten Kent Nagano pflegt Widmann eine enge Zusammenarbeit zur Erarbeitung und Umsetzung der Stücke, die er komponiert. Einige Kritiker fänden seine Musik zu unterhaltsam, zu wenig konsequent modern, dem Publikum aber gefällt das Gebotene jeweils erstaunlich gut. Widmann weiter: wenn die Musik in die DNA des Orchesters übergehe, sei auch ein gewisser Abschiedsschmerz mit der Uraufführung einer Komposition verbunden, da seine Musik sinngemäss, Zitat: nicht mehr mir allein gehört, sondern ab dann auch der Öffentlichkeit.

Hintergrundinfos zu Welser – Mösts Abgang über diesen Link:

http://kurier.at/kultur/buehne/welser-moest-abgang-der-verlierer-ist-die-staatsoper/84.116.009

Text: www.leonardwuest.ch

Fotos: www.lucernefestival.ch/

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Schweiz:LUCERNE FESTIVAL ACADEMY Orchestra | Matthias Pintscher | Barbara Hannigan, besucht von Léonard Wüst

LUCERNE FESTIVAL ACADEMY Orchestra

LUCERNE FESTIVAL ACADEMY Orchestra

Mitwirkende:

LUCERNE FESTIVAL ACADEMY Orchestra

Matthias Pintscher Dirigent

Barbara Hannigan Sopran

Programm:

Johannes Maria Staud (*1974)
Zimt. Ein Diptychon für Bruno Schulz
Uraufführung der Gesamtfassung

Gustav Mahler (1860-1911)
Sinfonie Nr. 4 G-Dur

 

 

Rezension wie es war: Schönes, gehaltvolles Konzert an einem schönen Sommerabend in Luzern, alles eben wie gehabt und gewohnt.

 

Rezension wie es hätte sein können:

Matthias Pintscher (*1971, selber auch „Composer in residence“ am Lucerne Festival im Jahre 2006), nahm Risiko und es lohnte sich und wie!

Statt wie üblicherweise bei der Aufführung von Werken zeitgenössischer Musik, in diesem Fall sogar der Uraufführung der Gesamtfassung der Komposition: „Zimt. Ein Diptychon für Bruno Schulz „ des diesjährigen „Composers in residence“ Johannes Maria Staud (*1974), vor der Pause zu programmieren packte Pinscher die Gelegenheit und zelebrierte zuerst den eigentlich sicheren Wert, ursprünglich als krönender Konzertabschluss geplant, Gustav Mahlers „Vierte“ im Verbund mit Orchester und Solistin souverän, solide, musikalisch technisch überzeugend aber nicht mitreissend, was aber grundsätzlich logisch ist, Mahlers gutbürgerliche harmonisch ausgewogene Werke haben eigentlich noch zu keiner Zeit jemanden wirklich aus den Socken gehauen.

Solistin, Sopran,Barbara Hannigan

Solistin, Sopran,Barbara Hannigan

Höhepunkt hier sicher die einmal mehr eindrückliche Demonstration der kanadischen Sopranvirtuosin Barbara Hannigan, eine der diesjährigen „artiste „étoile“, im vierten Satz der Sinfonie: „Wir geniessen die himmlischen Freuden“. Sie bewegte sich in Sphären die manchmal wie fernöstlicher Gesang tönten, ihre Mimik wirkte nie aufgesetzt, gar verkrampft, sondern eingefühlt , dem Ganzen dienend und untergeordnet, nicht aber unterwürfig. Dies alles würdigte das zahlreich erschienene Publikum auch mit entsprechendem Applaus. Zusammengefasst: ein schöner, ansprechender erster Konzertteil, wie das der verwöhnte Lucerne Festival Besucher erwartet und auch immer geboten bekommt, aber eben auch nicht mehr.

Dann nach der Pause folgte Staud`s Musikzauber und Musikschauder.

Dirigent Matthias Pintscher

Dirigent Matthias Pintscher

Dieses Cliché contra punktete diesmal Matthias Pinscher und schlug mit dieser überraschenden Vortragsreihenfolge einen starken Pflock ein für künftige weitere Experimente in der Präsentation zeitgenössischer Musik, dies ja auch ganz dem Credo des Intendanten Michael Häfliger beigeordnet, der ja seit seinem Antritt das Festival für die Moderne nicht nur geöffnet, sondern wegweisend auch für andere Festspielleiter ausgerichtet hat.

 

Staud schrieb seine Komposition ausdrücklich „für grosses Orchester“. Dieses stand, bzw. sass ja mit dem Lucerne Festival Academy Orchestra auf der Bühne und wurde denn auch entsprechend gefordert und beschäftigt, mal mit feineren Passagen, dann wieder aus dem vollen Notentopf geschöpft und angerichtet. So kam es denn schon mal vor, dass die Perkussionisten fast hin und her hüpften um all ihre „Aufträge“ zeitgerecht zu erledigen. Mal zupften die Streicher, mal streichelten sie sanft, bevor ein Peitschenhieb knallte (ja, auch diesen kann man mit Streichinstrumenten erzeugen). Feinen Passagen mit Vibraphonen folgten fetzige Bläsereinwürfe, gefolgt von Staccati der Perkussion, mal wieder abebbend, dann anschwellend, verblüffend, überraschend, neu und frisch.

Komponist Johannes Maria Staud

Komponist Johannes Maria Staud

Das Auditorium war hingerissen und explodierte mit einem nicht mehr enden wollendem Applaus, lauten Bravorufen und einer fast unglaublichen stehenden Ovation. Dieser Mut zum Risiko durch den Dirigenten setzt klare Massstäbe, wie man moderne Klassik (oder ist das schon klassische Moderne?) umsetzen muss und soll, damit die Komponisten unserer Zeit die Lorbeeren auch jetzt erhalten und nicht deren Erben in über 200 Jahren eventuelle Tantiemen einstreichen können. Wär eigentlich auch logisch, dass man zuerst die alten Sachen vorträgt und dann das Neue. Mahler kennt man ja zur Genüge, Johannes Maria Staud (noch) nicht so gut. Mit solchen genialen Einfällen, könnten sich die Werte, was ja auch nötig und vor allem zeitgemäss wäre, zugunsten der aktuellen Komponistengeneration verschieben.

Aber eben: es hätte sein können! Irgendwann packt das einer, lieber früher als später.

Text: www.leonardwuest.ch

Fotos: www.lucernefestival.ch/

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Schweiz:Lucerne Festival im Sommer:Sinfoniekonzert 10 Luzerner Sinfonieorchester | James Gaffigan | Midori, besucht von Gabriela Bucher

Luzerner Sinfonieorchester

 

 

Besetzung: Luzerner Sinfonieorchester | James Gaffigan Dirigent | Midori Violine

Programmation:

Carl Maria von Weber (1786-1826)
Ouvertüre zur romantischen Oper Oberon

Johannes Maria Staud (*1974)
Oskar (Towards a Brighter Hue II). Musik für Violine und Orchester
Uraufführung | Auftragswerk von LUCERNE FESTIVAL, des Luzerner Sinfonieorchesters, des Konzerthauses Wien und des ORF Radio-Symphonieorchesters Wien

Franz Schubert (1797-1828)
Sinfonie Nr. 8 C-Dur D 944 Grosse C-Dur-Sinfonie

 

Rezension:

James Gaffigan, Dirigent

 

Auf dem Programm des 10. Sinfoniekonzertes vom letzten Mittwoch standen zwei bekannte Werke und eine Uraufführung. Als erstes erklang die Ouvertüre zu Oberon von Carl Maria von Weber. Diese basiert auf dem gleichnamigen Epos von Christoph Martin Wieland, welches Elemente aus Shakespeares «Sturm» und der Komödie «Ein Sommernachtstraum» aufgreift. Der Verschmelzung aus Ritter- und Märchenwelt, Exotismus und Romantik, welche Weber mit diesem Werk anstrebte, wurde das Luzerner Orchester unter der Leitung von James Gaffigan absolut gerecht. Die Hornklänge eingangs und die schmelzenden Streicher hatten durchaus etwas Märchen- und Feenhaftes und liessen Bilder von verzauberten Wäldern aufkommen. Ausdrucksstarke Passagen ohne Pathos wechselten mit tänzelnden, leichtfüssigen Momenten. Diese schienen den Dirigenten sichtlich zu beschwingen, führte er doch die Musiker teilweise selber hin und her wiegend und leicht tanzend durch das Werk, was vielen Zuhörern ein Lächeln aufs Gesicht zauberte.

Midori, Solistin Violine, Artiste étoile

 

Ganz anders die Stimmung bei der Uraufführung des Werkes des Composers in residence, Johannes Maria Staud. «Die Geige zum Verglühen bringen» soll seine Komposition «Oskar, Towards a brighter Hue II». Staud hat dieses Stück eigens für Midori komponiert. Drei Schlagzeuger und ein Streichorchester begleiteten die zierliche Geigerin in diesem überaus anspruchsvollen Werk. Das gesteigerte Pizzicato der Streicher und die Glockentöne hatten eingangs etwas leicht bedrohliches, Töne fielen wie Tropfen, Midori hauchte sie hin, flüstert sie, legte einen ganzen Teppich aus, dies mit unglaublicher Präzision und Reinheit und in sphärischen Höhen, wo man solches nicht erwartet. Über ihr Instrument gebeugt, in höchster Konzentration, liess sie ihren Bogen über die Saiten rennen, hüpfen, schleichen, schrammen, manchmal unterstrichen mit einem Fussstampfen. Oft blieb die Violine Teil des Ganzen, dann wieder ging sie über in einen Dialog mit den Schlagzeugen, oder wurde von diesen aufgefangen. Ab und zu schlich sich das Orchester an, schleifte über Tonleitern, verfiel in ein Grollen, aus welchem zuletzt ein höchst virtuoses Solo aufstieg, das Midori einerseits alles abzuverlangen schien, andererseits mit einer unglaublichen Leichtigkeit daherkam. Das Stück liess die Zuhörer irgendwie rast- und atemlos zurück, aber auch fasziniert.

Schuberts Sinfonie Nr. 8 in C-Dur, die Grosse C-Dur-Sinfonie, war nach der Pause wie eine Oase, erholsam, man konnte sich gehen lassen in den wundervollen Klängen mit den vielen Wiederholungen. Auch hier war wieder diese Leichtigkeit zu spüren, das Tänzerische, Verspielte. Gaffigan hielt die Musiker im Zaum, liess ihnen aber dann im 3. Satz die Freiheit, das Volumen voll zu entfalten. Die Bläser des Luzerner Orchesters waren besonders grossartig an diesem Abend, das Publikum dankte mit einem warmen, langanhaltenden Applaus.

Text: www.gabrielabucher.ch

Fotos: www.lucernefestival.ch

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Schweiz:LUCERNE FESTIVAL ACADEMY Orchestra & Chorus | Simon Rattle | Barbara Hannigan, 23. August 2014, besucht von Léonard Wüst

LUCERNE FESTIVAL ACADEMY OrchestraProgramm und Ausführende:

LUCERNE FESTIVAL ACADEMY Orchestra | LUCERNE FESTIVAL ACADEMY Chorus (James Wood Einstudierung) | Simon Rattle Dirigent | Barbara Hannigan Sopran

Paul Dukas (1865-1935) Fanfare pour précéder «La Péri»
Claude Debussy (1862-1918) Rondes du Printemps aus Images
Unsuk Chin (*1961) Le Silence des Sirènes für Sopran und Orchester
Uraufführung | Auftragswerk Roche Commission
Luciano Berio (1925-2003) Coro für vierzig Stimmen und Instrumente

Rezension:

Im Januar 2013 gab Sir Simon Rattle bekannt, dass er seinen im Jahr 2018 auslaufenden Vertrag mit den Berliner Philharmonikern nicht mehr verlängern werde.

Sir Simon Rattle, Chefdirigent

 

In Luzern leitete er nicht sein Stammorcheser sondern das LUCERNE FESTIVAL ACADEMY Orchestra, das normalerweise unter der künstlerischen Leitung von Pierre Boulez steht, der krankheitsbedingt dieses Jahr nicht am Festival teilnehmen kann.

Mit Luciano Berio`s spätavantgardistischem Monumentalwerk „Coro“ für Chor und Orchester setzte Rattle die Latte sehr hoch, zumindest für das Publikum, dem diese Komposition wohl grossmehrheitlich unbekannt gewesen sein dürfte. Für diesen einen Abend liess Rattle auch extra einen 4o Sängerinnen umfassenden Chor „casten“, der diese Partitur unter der Leitung von James Wood einstudierte.

Komponistin Unsuk Chin

 

Der Reihe nach: im ersten Konzertteil je ein kurzes Werk von Paul Dukas (1865 – 1935) und Claude Debussy (1862 – 1918), dann überraschte uns ein klarer a capella Sopran wie aus dem Nichts, der aus dem Bereich des hinteren Saalteiles erklang. Ihren Solopart weitersingend durchschritt die kanadische Sopranistin Barbara Hannigan (artiste étoile des diesjährigen Festivals) den Konzertsaal, stieg auf die Bühne und gesellte sich zu Dirigent und Orchester. Es war der überraschende Auftakt des, von der südkoreanischen Komponistin Unsuk Chin (*1961, Composer in Residence dieses Festivals), geschriebenen Auftragswerk der Roche Commission: „Le Silence des Sirènes“ für Sopran und Orchester. Nach Textmotiven von Homers „Odyssé“ und „Ulysses“ von James Joyce verfasste Chin ihre Komposition auf eine Art, gegen Ende der Partitur fast unsingbar ,wie sie gegenüber Mark Sattler im Vorgespräch des Konzertes aussagte. Vor allem habe sie im Prinzip das Ganze phonetisch umgesetzt und sei dabei aber auch online in ständiger Verbindung mit Barbara Hannigan gestanden, hätte ihr auch immer wieder Partitur Auszüge übermittelt, die von der Sopranistin jeweils umgehend mit einem „no problem“ kommentiert worden seien.

Sopranistin Barbara Hannigan und Sir Simon Rattle

 

Zurück zum Konzert. Unglaublich wie klagend, apostrophierend, neckisch, ablehnend, jaulend, euphorisiert, manchmal fast trotzig und zornig die Kanadierin diesen Sprechgesang interpretierte. Auch das von der Interpretin ausgewählte wallende Outfit war perfekt abgestimmt zur visuellen Darstellung der Sirene, in Verbindung mit Dirigent und Orchester schlicht und einfach ein grandioses Gesamtkunstwerk, das wieder einmal klare Akzente in der Interpretation moderner Musik zu setzen wusste.

Das Publikum (ausverkaufter Konzertsaal) würdigte diese Darbietung denn auch entsprechend mit langanhaltendem stürmischem Applaus.

Nach der Pause dann das eingangs erwähnte 60minütige Pièce de Resistance dieses denkwürdigen Abends, der “Coro”, dem folkloristische Elemente verschiedener Kulturen und Textfragmente von Pablo Neruda zugrunde liegen.
Wie Luciano Berio bei früherer Gelegenheit mal aussagte, wurde der Auftakt der Komposition auch von den damaligen Konflikten in Nahost beeinflusst, daher zu Beginn die Sequenz, die akustisch stark einen massiven Bombeneinschlag andeutet.

Das Ganze war nichts für zartbesaitete sensible Naturen. Auch durch die direkte Integration des Chores ins Orchester (d.h. neben 2 Musikern sass jeweils eine Sängerin) war man auch teilweise abgelenkt, leicht überfordert den Überblick zu behalten, da mal auf der linken Seite sich eine Sängerin erhob, dann wieder in der Mitte oder hinten, rechts, vorne usw.. Dass sich da aber Ausserordentliches ereignete, war irgendwie trotzdem allen Konzertbesuchern klar, wurden doch die Protagonisten mit wahren Applausorgien überschüttet. Ein aussergewöhnlicher, aber auch sehr anspruchsvoller und anstrengender Event, ein weiterer Meilenstein in der Entwicklung des Festivals, immer offen für das Neue, dabei trotzdem die Tradition bewahrend und seine Wurzeln nie verleugnend.

Lucerne Festival Academy Chorus

 

 

Videotrailer von Sir Simon Rattle mit den Berlinern Philharmonikern:

http://www.berliner-philharmoniker.de/geschichte/sir-simon-rattle/

Text: www.leonardwuest.ch

Fotos: www.lucernefestival.ch/

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