Noch immer sterben rund 45.000 Deutsche jährlich an Lungenkrebs, weil der
Tumor zu spät erkannt wird. Das soll sich jetzt ändern. Wissenschaftler
haben heute erstmals Eckpunkte eines nationalen Früherkennungsprogramms
vorgestellt, das vor allem das Sterberisiko für langjährige Raucher
deutlich senken kann. „Wir geben behandelnden Ärztinnen und Ärzten sowie
der Gesundheitspolitik klar definierte Empfehlungen an die Hand, die ein
einheitliches, strukturiertes, qualitätsgesichertes Früherkennungsprogramm
ermöglichen, das effektiv, sicher und zudem kosteneffizient ist“, sagt
Professor Torsten Blum, einer von drei federführenden Autoren des nun
vorgelegten Positionspapiers.
Ein Jahr haben Expertinnen und Experten der Deutschen Gesellschaft für
Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP), der Deutschen Röntgengesellschaft
(DRG) und der Deutschen Gesellschaft für Thoraxchirurgie (DGT) gemeinsam
daran gearbeitet. „Gleichzeitig warnen wir vor den realen Gefahren für
Teilnehmer an unstrukturierten sowie unzureichend koordinierten Screening-
Maßnahmen, da so unnötigerweise Schwachstellen und Fehlerquellen entlang
der gesamten Prozesskette drohen“, ergänzt der Pneumologe Blum, Oberarzt
an der Klinik für Pneumologie des Helios Klinikums Emil von Behring in
Berlin.
Die für die Anwendung des Computertomografie-Screenings notwendige
Rechtsverordnung des zuständigen Bundesministeriums für Umwelt,
Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz könnte schon zum
Jahreswechsel in Kraft treten. Anschließend hat der Gemeinsame
Bundesausschuss (G-BA), der über den Leistungsanspruch gesetzlich
krankenversicherter Menschen entscheidet, 18 Monate Zeit für die
Erarbeitung einer notwendigen Richtlinie. „Ein unstrukturiertes
Lungenkrebs-Screening ohne konkrete Richtlinien-Vorgaben ist somit
vielleicht schon zum Jahresbeginn möglich, ein strukturiertes Programm
aber erst mit den Beschlüssen des G-BA“, erklärt Professor Hans Hoffmann,
Thoraxchirurg und der zweite federführende Autor des Positionspapiers.
„Als Kliniker wünschen wir uns natürlich zeitnah gute Richtlinien für ein
strukturiertes Lungenkrebs-Screening-Programm in Deutschland, da es
Menschenleben retten wird. Wir wissen aber auch um die damit einhergehende
Arbeit und Verantwortung für den G-BA. Seitens der im Lungenkrebs-
Screening beteiligten Fachgesellschaften unterstützen wir den zuständigen
Bundesausschuss in seiner Arbeit, da wir alle ein wirksames und sicheres
nationales Programm möchten“, so der Leiter der Sektion für
Thoraxchirurgie am Klinikum rechts der Isar in München und Vorsitzender
der Zertifizierungskommission für Lungenkrebszentren der Deutschen
Krebsgesellschaft.
Obwohl Nutzen und Sicherheit von Lungenkrebs-Screenings wissenschaftlich
unstrittig sind, gilt es aber bis zum Vorliegen der G-BA-Richtlinie,
weiterhin auf die Gefahren hinzuweisen. Die Botschaft ist hierbei klar:
Niedrige Teilnahmequoten sowie hohe Raten an Überdiagnosen oder falsch-
positiven Befunden gefährden die Früherkennungsziele, können aber durch
klare Strukturvorgaben vermieden werden. „Im Rahmen unserer HANSE-Studie
zur Lun-genkrebsfrüherkennung konnten wir an drei Klinik-Standorten in
Norddeutschland zeigen, dass ein strukturiertes Lungenkrebs-Screening-
Programm im bestehenden Gesundheitssystem gut integrierbar und machbar
ist“, zeigt der Radiologe Professor Jens Vogel-Claussen auf. Er ist Leiter
der HANSE-Studie und der dritte federführende Autor des neuen
Positionspapiers. „Die Umsetzung unserer Empfehlungen wird zu einer
wirksamen und sicheren Lungenkrebs-Früherkennung in Deutschland führen.
Aber auch zukünftig ist eine Beteiligung der Fachgesellschaften wichtig,
um ein nationales Programm aufgrund neuer Forschungserkenntnisse gemeinsam
weiterzuentwickeln“, so der
Leitende Oberarzt am Institut für Diagnostische und Interventionelle
Radiologie der Medizinischen Hochschule Hannover.
Betroffen sind 3,3 Millionen Männer sowie 2,2 Millionen Frauen – Programme
zu Rauchentwöhnung verpflichtend
Konkret soll sich das Lungenkrebs-Früherkennungsprogramm an Menschen im
Alter zwischen 50 und 75 Jahren richten, die mindestens 25 Jahre rauchen
oder deren Rauchstopp weniger als zehn Jahre zurückliegt. Auch Betroffenen
mit mindestens 15 Packungsjahren – sprich: wer beispielsweise eine Packung
pro Tag über 15 Jahre hinweg geraucht hat – soll das Screening ermöglicht
werden. Dies träfe insgesamt auf rund 3,3 Millionen Männer sowie etwa 2,2
Millionen Frauen in Deutschland zu, stellen die Experten dar. Die sich
jährlich wiederholende Vorsorgeuntersuchung soll von einer zentralen
Stelle koordiniert werden. Das Lungenkrebs-Screening selbst wird mittels
niedrigdosierter Computertomografie vorgenommen werden. „Die
Lungenkrebsfrüherkennung im Rahmen eines gut strukturierten Screening-
Programms ist eine der wichtigsten Empfehlungen der vergangenen zehn Jahre
im Bereich Lungenkrebs“, hebt DGP-Präsident Professor Wolfram Windisch,
Chefarzt der Lungenklinik an den Kliniken der Stadt Köln, die Bedeutung
des Papiers hervor. „In diese organisierten Vorsorgeuntersuchungen müssen
aber auch verpflichtend Programme zur Rauchentwöhnung eingebettet werden,
da deren Zusatznutzen wissenschaftlich klar belegt ist.“
Bisher geringe Überlebenschancen – Neues Versorgungsangebot durch
regionale Lungenkrebs-Zentren
Etwa 57.000 Menschen in Deutschland erkranken jedes Jahr an Lungenkrebs.
Nur rund 21 Prozent der Frauen und etwa 15 Prozent der Männer überleben
die darauffolgenden fünf Jahre. Bei Männern ist Lungenkrebs nach
Prostatakrebs die zweithäufigste, bei Frauen nach Brustkrebs und Darmkrebs
die dritthäufigste Krebsneuerkrankung. Zuletzt wurden in Deutschland fast
45.000 Todesfälle durch Lungenkrebs registriert – pro Jahr. Weltweit sind
es jährlich in etwa 1,8 Millionen Todesfälle. Was Patientinnen und
Patienten sowie deren An-gehörige zusätzlich enorm belastet: Mit dem
Lungenkarzinom als Grunderkrankung gibt es sehr oft zahlreiche
Begleiterkrankungen. Darüber hinaus tritt keine andere Krebsart mit so
vielen Symptomen auf. „Was die Risikogruppe braucht, ist ein
flächendeckendes und hoch-wertiges Versorgungsangebot. Vertragsärztliche
Radiologien sowie die Radiologie in einem auf Lungenkrebs spezialisierten
Zentrum sollen eine qualitätsgesicherte Untersuchung so-wie eine
exzellente Befundqualität sicherstellen“, sagt Professor Konstantin
Nikolaou, Präsident der Deutschen Röntgengesellschaft (DRG). „Dabei soll
jedem Lungenkrebs-Zentrum ein fest definierter regionaler
Versorgungsbereich in Deutschland zugewiesen werden“, so der Ärztliche
Direktor der Abteilung für Diagnostische und Interventionelle Radiologie
am Universitätsklinikum Tübingen.
Frühzeitige Lungenkrebsbehandlung geht nur im interdisziplinären Team
Konkret wird in dem Positionspapier dargelegt, wie ein organisiertes
Lungenkrebs-Früherkennungsprogramm in Deutschland genau aussehen kann.
Dabei wird nicht nur die Zielgruppe definiert, auch die konkreten
Behandlungsmethoden, Untersuchungsintervalle, Ressourcenaufwände,
Anforderungen an die Screening-Einrichtungen und die Qualifikation der
behandelnden Medizinerinnen und Mediziner wird dargelegt. Festgeschrieben
ist auch, dass die Untersuchung sowie die gesundheitliche Beurteilung von
betroffenen Patientinnen und Patienten nur im interdisziplinären Team
geschehen kann. Dazu zählen Fachärztinnen und -ärzte für Pneumologie,
Radiologie und Thoraxchirurgie. „Für die umfassende Beurteilung und
weitere Behandlung bei der Lungenkrebs-Früherkennung brauchen wir eine
breite Expertise in den Fallbesprechungen. Für die Thoraxchirurgie ist ein
qualitätsgesichertes Früherkennungsprogramm mittels niedrigdosierter
Computertomografie der Schlüssel dazu, Lungenkrebs früher als bisher zu
erkennen und die Sterberate zu reduzieren“, sagt Dr. Katrin Welcker, Past-
Präsidentin und Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für
Thoraxchirurgie (DGT). Sie ist Mitautorin des vorgelegten Positionspapiers
und Chefärztin an der Klinik für Thoraxchirurgie der Kliniken Maria Hilf
in Mönchengladbach.
Vorsorge senkt Gesundheitskosten – Vorschlag für Gemeinsamen
Bundesausschuss
Noch gibt es ein Lungenkrebs-Screening als flächendeckend organisierte
Vorsorgeuntersuchung für Risikogruppen nicht. Vergleiche mit dem seit
Jahren etablierten Mammografie-Screening zur Brustkrebs-Früherkennung bei
Frauen weisen laut der Experten aber auf die enormen Erfolgsaussichten
hin. Neben den medizinischen und gesundheitlichen Aspekten hat das
Positionspapier auch die ökonomischen Punkte im Blick: „Der Lungenkrebs
nimmt jeweils den ersten Rang bei den direkten und indirekten
krebsbedingten Gesundheitskosten in Europa ein“, sagt Autor Torsten Blum.
„Nach unserer Vorstellung sollen die Krankenkassen die Kosten für das
Lungenkrebsscreening tragen. Mehrere gesundheitsökonomische Modelle
konnten mittlerweile die Kosteneffektivität von jährlichen
niedrigdosierten CT-Lungenkrebs-Screening-Programmen nachweisen“, so der
Wissenschaftler.
Originalpublikation:
https://www.thieme-
connect.de/products/ejournals/pdf/10.1055/a-2175-4580.pd