Jetzt ist Impfsaison! Routineimpfungen senken womöglich auch das Alzheimer-Risiko
Morgen ist Welt-Alzheimer-Tag. Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie
nutzt diesen Anlass für einen Impfaufruf. Warum? Es ist bekannt, dass
verschiedene bakterielle und virale Infektionen das Demenzrisiko erhöhen
können. Eine Studie legt nun nahe, dass die Routineimpfungen gegen
Tetanus-Diphtherie-Pertussis, Herpes zoster und Pneumokokken das Alzheimer
Risiko senken könnten. Für die Grippeimpfung gibt es ähnliche Daten.
Bei der Entstehung der Alzheimer-Erkrankung scheinen Infektionen eine
gewisse Rolle zu spielen, indem sie Neuroinflammation, Neurodegeneration,
aber auch Amyloid- und Tau-Ablagerungen, die typisch für das
Krankheitsbild sind, fördern. Im Umkehrschluss wurde inzwischen in
etlichen Untersuchungen gezeigt, dass Impfungen (z.B. gegen Gürtelrose
(Herpes zoster - HZ), Tetanus-Diphtherie-Pertussis (Tdap) sowie
Pneumokokken) bei Erwachsenen das Alzheimer-Risiko verringern.
Auch eine retrospektive Kohortenstudie [1] ging anhand von Daten der
anonymisierten „Clinformatics“-Patientendaten
Frage nach. Verglichen wurden für jede der Impfungen (gegen Tdap, HZ- oder
Pneumokokken) je zwei Kohorten, eine geimpfte und eine ungeimpfte. Die
Patientinnen und Patienten waren zu Beginn der achtjährigen
Nachbeobachtungszeit ≥ 65 Jahre alt und während der ersten zwei Jahre frei
von Demenz.
Im Ergebnis kam es bei Menschen, die eine der Impfung erhalten hatten, im
Vergleich zu den jeweils nicht Geimpften signifikant seltener zur
Erstmanifestation einer Alzheimer-Erkrankung. Bei den gegen Tetanus-
Diphtherie-Pertussis Geimpften waren es 7,2 % (n=8.370) gegenüber 10,2 %
(n=11.857) derjenigen, die diese Impfung nicht erhalten hatten (RR 0,7),
bei der Impfung gegen Herpes zoster waren es 8,1 % (n=16.106) versus 10,7
% (n=21.273) (RR 0,75) und bei der Impfung gegen Pneumokokken 7,92 %
(n=20.583) versus 10,9 % (n=28.558) (RR 0,73). Eine ähnlich hohe
Risikoreduzierung hatte die Autorengruppe bereits in einer vorhergehenden
Publikation für die Grippeimpfung gezeigt [2].
„Das entspricht einer Risikoreduzierung von 25 bis 30 Prozent, was
wirklich viel ist“, erklärt Prof. Dr. Peter Berlit, Generalsekretär der
DGN. Zwar handle es sich um eine retrospektive Auswertung, angesichts der
Größe der Kohorte und der Tatsache, dass bereits andere Studien auf eine
Risikoreduzierung durch Impfungen hindeuteten, liefere die aktuelle
Erhebung ein „ernstzunehmendes Signal“, so der Experte, dass diese
Routineimpfungen auch das Alzheimer-Risiko senken. „Da diese Impfungen
älteren Menschen vom Robert Koch-Institut ohnehin angeraten werden,
möchten wir zum Welt-Alzheimertag die Menschen ermutigen, dieses Angebot
unbedingt zu nutzen – und damit auch vom potenziellen Zusatznutzen eines
Schutzes vor Alzheimer zu profitieren.“
Jede vielversprechende Präventionsmaßnahme sei, so der Experte, angesichts
der hohen Alzheimer-Prävalenz sinnvoll. Derzeit leben in Deutschland
1.798.000 Menschen mit einer Demenzerkrankung (Stand 12/2021 [3]); einen
Großteil davon macht die Alzheimer-Erkrankung aus.
Bekannte Alzheimer-Risikofaktoren sind: niedriger Bildungsstand im frühen
Lebensalter, Schwerhörigkeit, Hypertonie, Übergewicht, Diabetes mellitus,
Bewegungsmangel/körperliche Inaktivität, Depressionen, Schädel-Hirn-
Traumen, soziale Isolation, übermäßiger Alkoholkonsum (>21 Einheiten pro
Woche), Rauchen und Luftverschmutzung. Bei Vermeidung aller bekannten
Risikofaktoren könnten bis zu 38% der Neuerkrankungen verhindert werden.
Allerdings lassen sich nicht alle Faktoren beeinflussen. „Einen möglichen
Zusatzschutz über die ohnehin angeratenen Impfungen ‚mitzunehmen‘, ist
daher ratsam“, erklärt Prof. Berlit und verweist auf den Beginn der
Impfsaison.
[1] Harris K, Ling Y, Bukhbinder AS et al. The Impact of Routine
Vaccinations on Alzheimer's Disease Risk in Persons 65 Years and Older: A
Claims-Based Cohort Study using Propensity Score Matching. J Alzheimers
Dis 2023 Aug 7. DOI:10.3233/JAD-221231
[2] Bukhbinder AS, Ling Y, Hasan O et al. Risk of Alzheimer's Disease
Following Influenza Vaccination: A Claims-Based Cohort Study Using
Propensity Score Matching. J Alzheimers Dis. 2022;88(3):1061-1074. doi:
10.3233/JAD-220361. PMID: 35723106; PMCID: PMC9484126.
[3] Blotenberg I, Hoffmann W, Thyrian JR. Dementia in Germany:
Epidemiology and Prevention Potential. Dtsch Arztebl Int. 2023 Jul
10;120(27-28):470-476. doi: 10.3238/arztebl.m2023.0100
Pressekontakt
Pressestelle der Deutschen Gesellschaft für Neurologie
c/o Dr. Bettina Albers, albersconcept, Jakobstraße 38, 99423 Weimar
Tel.: +49 (0)36 43 77 64 23
Pressesprecher: Prof. Dr. med. Peter Berlit
E-Mail:
Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN)
sieht sich als wissenschaftliche Fachgesellschaft in der
gesellschaftlichen Verantwortung, mit ihren 12.000 Mitgliedern die
neurologische Krankenversorgung in Deutschland zu sichern und zu
verbessern. Dafür fördert die DGN Wissenschaft und Forschung sowie Lehre,
Fort- und Weiterbildung in der Neurologie. Sie beteiligt sich an der
gesundheitspolitischen Diskussion. Die DGN wurde im Jahr 1907 in Dresden
gegründet. Sitz der Geschäftsstelle ist Berlin. www.dgn.org
- Aufrufe: 76