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23. Deutscher Lebertag: „total zentral: die Leber!“

Es gibt Annahmen, die auf Fehlinformationen und Halbwahrheiten beruhen und
trotzdem in den Köpfen der Menschen einen festen Platz haben. Ein Beispiel
dafür sind Lebererkrankungen: Noch immer denken viele Menschen bei diesem
Thema nur an Alkohol – obwohl häufig andere Risikofaktoren zu
Lebererkrankungen führen. Anlässlich des 23. Deutschen Lebertages am 20.
November 2022, der das Motto „total zentral: die Leber!“ trägt, informiert
die Deutsche Leberstiftung über die Bedeutung der Leber und Möglichkeiten,
sie gesund zu halten.

Die Leber übernimmt als zentrales Stoffwechselorgan des menschlichen
Körpers zahlreiche Funktionen. Sie ist wichtig für den
Energiestoffwechsel, den sie mit der Produktion wesentlicher Enzyme
reguliert. Zu den Aufgaben der Leber gehören auch die Entgiftung des
Körpers, die Speicherung von Energiereserven und Vitaminen sowie die
Produktion von Bluteiweißen, Gallenflüssigkeit, Abwehrstoffen und
Ausgangsprodukten für die Hormonproduktion. Eine funktionsfähige Leber ist
essenziell für unsere Gesundheit und sie kann sich in der Regel von
Schäden gut erholen, wenn die Ursache rechtzeitig entdeckt und behoben
wird. Doch die Leber ist ein schmerzunempfindliches Organ, deswegen
verlaufen Erkrankungen der Leber häufig über einen langen Zeitraum
unbemerkt.

Erschwerend kommt hinzu, dass viele Menschen noch immer beim Thema
Lebererkrankung nur an Alkohol als Ursache denken. Eine Annahme, die
falsch ist und auch heutzutage dazu führt, dass ungern über
Lebererkrankungen gesprochen wird. „Hartnäckig und entgegen der Realität
hält sich das Vorurteil, dass Lebererkrankungen immer mit Alkoholismus in
Verbindung stehen. Studien zeigen, dass beispielsweise von Hepatitis C und
Hepatitis B betroffene Patienten, unabhängig von der Art der
Virusübertragung, häufig stigmatisiert werden“, erklärt Prof. Dr. Michael
P. Manns, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Leberstiftung, und weist auf
ein weiteres Problem in Verbindung mit Lebererkrankungen hin: „Die
weltweit steigenden Zahlen der nicht-alkoholischen Fettlebererkrankung
(NAFLD) haben spanische Wissenschaftler dazu veranlasst, auch hier bei
Betroffenen nach empfundener Stigmatisierung zu forschen. Die
Studienautoren kommen in ihrer im Mai 2022 veröffentlichten Studie zu dem
Ergebnis, dass sich 69 Prozent der Patienten, die an einer NAFLD leiden,
im Alltag stigmatisiert fühlen. Dieses Studienergebnis belegt, wie wichtig
die Aufklärung über Lebererkrankungen ist. Jede Form der Stigmatisierung
kann sich negativ auf die Psyche des Patienten auswirken und ihn
möglicherweise sogar darin hindern, medizinische Versorgung in Anspruch zu
nehmen.“

In Europa sterben jährlich fast 300.000 Menschen vorzeitig aufgrund von
Lebererkrankungen. Zu den Risikofaktoren zählen neben übermäßigem
Alkoholkonsum, Infektionen mit einem Hepatitis-Virus und genetischen sowie
autoimmunen Lebererkrankungen vor allem Fettleibigkeit und
Bewegungsmangel. Erkennen kann man Erkrankungen der Leber meist über die
Leberwerte im Blut (GPT – Glutamat-Pyruvat-Transaminase, GOT – Glutamat-
Oxalacetat-Transaminase und gGT – Gamma-Glutamyl-Transferase). Die
Leberstiftung steigert die Wahrnehmung für Lebererkrankungen, damit diese
früher erkannt und geheilt werden können. Auch im Rahmen des 23. Deutschen
Lebertages mit dem Motto „total zentral: die Leber!“, wird umfassend über
das zentrale Stoffwechselorgan Leber aufgeklärt.

Neben der Vermeidung und Früherkennung von Lebererkrankungen ist ein
weiteres Aktionsfeld der Deutschen Leberstiftung die lebergesunde
Ernährung. Da die Leber eine zentrale Funktion im Stoffwechsel hat, können
Lebererkrankungen durch entsprechende Ernährung positiv beeinflusst, bei
der Fettleber sogar geheilt werden. Für die Betroffenen ist daher eine
gesunde und der Situation angepasste Ernährung enorm wichtig.

Aus diesem Grund hat die Deutsche Leberstiftung „Das große Kochbuch für
die Leber“ herausgegeben, das am 15. September 2022 erschienen ist. „Das
Kochbuch richtet sich an alle, die sich für eine lebergesunde Ernährung
interessieren. Insbesondere Menschen mit Fettleber oder
Fettlebererkrankung, Leberzirrhose, Hämochromatose, Morbus Wilson,
cholestatischen Lebererkrankungen oder nach einer Lebertransplantation
finden wichtige Informationen und zahlreiche Rezepte für eine
bedarfsgerechte Ernährung. Entstanden ist es in der Zusammenarbeit eines
interdisziplinären Teams, dem unter anderem Diätassistenten,
Ernährungsfachkräfte sowie Ärzte und Experten der Deutschen Leberstiftung
angehörten. Das Besondere an dem Kochbuch ist, dass es erklärt, wie man
die aktuellen wissenschaftlichen hepatologischen Erkenntnisse individuell
und schmackhaft im praktischen Leben umsetzen kann“, erläutert Prof.
Manns.

Deutsche Leberstiftung
Die Deutsche Leberstiftung befasst sich mit der Leber, Lebererkrankungen
und ihren Behandlungen. Sie hat das Ziel, die Patientenversorgung durch
Forschungsförderung und eigene wissenschaftliche Projekte zu verbessern.
Durch intensive Öffentlichkeitsarbeit steigert die Stiftung die
öffentliche Wahrnehmung für Lebererkrankungen, damit diese früher erkannt
und geheilt werden können. Die Deutsche Leberstiftung bietet außerdem
Information und Beratung für Betroffene und Angehörige sowie für Ärzte und
Apotheker in medizinischen Fragen. Weitere Informationen zur Stiftung
unter https://www.deutsche-leberstiftung.de. Auf der Website finden Sie
unter anderem umfangreiche Informationen sowie Bildmaterial für
Betroffene, Interessierte, Angehörige der Fachkreise und Medienvertreter.

NEUERSCHEINUNG: „Das große Kochbuch für die Leber“ – 122 Rezepte mit allen
wichtigen Nährwertangaben; wichtige Küchentipps und Regeln für eine
lebergesunde Ernährung, September 2022. Das Buch ist im Buchhandel
erhältlich: ISBN 978-3-8426-3100-7 € 28,00 [D]. Weitere Informationen:
https://www.deutsche-leberstiftung.de/Kochbuch-Leber/.

BUCHTIPP: Jetzt in der vierten, aktualisierten und erweiterten Auflage:
„Das Leber-Buch“ informiert umfassend und allgemeinverständlich über die
Leber, Lebererkrankungen, ihre Diagnosen und Therapien. Es ist im
Buchhandel erhältlich: ISBN 978-3-8426-3043-7, € 19,99 [D].
Weitere Informationen: https://www.deutsche-leberstiftung.de/Leber-Buch/.

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Gegen den Mangel: FH bildet Lehrkräfte für das Gesundheitswesen aus

Der Bedarf ist enorm: Knapp 1.000 Lehrkräfte fehlen kurz- und
mittelfristig an den Schulen des Gesundheitswesens in NRW. Die
Fachhochschule (FH) Bielefeld steuert dagegen und bildet in zwei
aufeinander aufbauenden Studiengängen fundiert und praxisnah Lehrkräfte
für Gesundheitsberufe aus. Erst kürzlich wurden die Studienkapazitäten
erhöht. Damit leistet die FH – Stichwort Pflegenotstand – auch einen
wichtigen Beitrag für die Gesundheitsversorgung der Region.

Bielefeld (fhb). Zu wenig medizinisches Personal, überlastete
Pflegekräfte: Spätestens die Pandemie hat den Fachkräftemangel im
Gesundheitswesen offenbart. Der Mangel beginnt aber nicht erst in den
Einrichtungen, auf den Kranken- und Pflegestationen oder im ambulanten
Dienst, sondern schon vorher. „Es fehlt an Lehrkräften an den Schulen des
Gesundheitswesens, die die dringend benötigten Fachkräfte für Pflege und
Therapie ausbilden. Deshalb konnten bereits einige Ausbildungsgänge nicht
starten“, sagt Prof. Dr. Marisa Kaufhold, zuständig für das Lehrgebiet
Berufspädagogik für Gesundheitsberufe am Fachbereich Gesundheit der FH
Bielefeld. Ein Bereich, der seit fast dreißig Jahren Erfahrung in der
Ausbildung von Lehrkräften für Gesundheitsberufe hat.

FH Bielefeld greift aktuelle Bedarfe in der Ausbildung auf

In dieser Zeit haben sich die Anforderungen im Gesundheitsbereich stetig
gewandelt, die fachlichen ebenso wie die gesetzlichen. Die FH hat darauf
mit entsprechenden Anpassungen und der permanenten Weiterentwicklung der
Studiengänge reagiert. „Mit unserem Angebot greifen wir somit auch
aktuelle Bedarfe auf“, betont Marisa Kaufhold. Sie leitet den
Masterstudiengang Berufspädagogik Pflege und Therapie, der derzeit in
Kombination mit einem einschlägigen Bachelorabschluss, wie zum Beispiel
dem Bachelor Gesundheit der FH, für die Lehrtätigkeit qualifiziert. Mit
dem Masterabschluss erfüllen die Absolventinnen und Absolventen die
(angestrebten) gesetzlichen Anforderungen für ausgebildete Lehrkräfte an
Schulen des Gesundheitswesens und sind gut auf ihr Berufsleben
vorbereitet.

Lehrerausbildung ist grundlegend für die Versorgungssicherheit im
regionalen Gesundheitsbereich

Wie wichtig und sinnvoll das ausgereifte Studienangebot der FH ist –
gerade in der Region –, wurde jetzt auf einem Begegnungstag des
Fachbereichs zum Thema mit internen und externen Teilnehmenden deutlich.
Oliver Neuhaus war einer von ihnen. Er leitet seit 2010 die Akademie für
Gesundheitsberufe der Mühlenkreiskliniken Minden mit rund 700
Auszubildenden in neun Gesundheitsberufen und zwei Studiengängen, in
Kooperation mit der FH. Neuhaus verweist dazu auf einen besonderen Mangel:
„Das Verhältnis von Lehrenden und Auszubildenden beträgt am Beispiel
unserer Pflegeschule nach Vorgabe des Landes 1:25, statt wie vom Bund
gefordert 1:20. Könnten wir diesen Schlüssel umsetzen, hätten wir fünf
Lehrerstellen mehr. Und ginge es nach dem Bremer Verhältnis von 1:15,
wären es zwölf Stellen mehr“, rechnet Neuhaus vor. „Was dann an Bildung
möglich wäre!“

Möglich ist ihm derzeit aber nicht einmal die adäquate Erfüllung des
1:25-Schlüssels. Statt voll ausgebildeter Lehrkräfte nutzt Neuhaus die
Sonderregelung des Landes und setzt auch Bachelorabsolventen und
-absolventinnen im Unterricht ein und fördert deren berufsbegleitende
Weiterqualifizierung durch ein Masterstudium. Er weiß um die
Schwierigkeiten aus eigener Erfahrung als Lehrer: „Ich habe damals selbst
berufsbegleitend studiert und kenne die Zerrissenheit: Man steckt selbst
noch mitten in der Ausbildung und unterrichtet zugleich andere
Auszubildende.“ Mit entsprechenden Personalentwicklungsmaßnahmen federt
Neuhaus an seiner Schule den Konflikt etwas ab und weiß dabei auch die
Kooperation mit der FH sehr zu schätzen: „Das Studium ist sehr an der
Berufspraxis ausgerichtet und lässt sich hervorragend mit ihr vereinbaren.
Und das Beste: Es erfüllt gleichzeitig auch höchste wissenschaftliche
Ansprüche!“ Für die Region sei das Bielefelder Angebot der
Lehrerausbildung enorm wichtig: „Es ist die Basis für die Ausbildung der
Fachkräfte und damit grundlegend für die Versorgungssicherheit im
regionalen Gesundheitsbereich.“ Oliver Neuhaus sieht deshalb vor allem die
Politik gefordert und wünscht mehr Studienplätze. Denn er ist sich sicher:
„Ohne Masterabschluss geht es nicht.“

Masterstudiengang fördert pädagogische Kompetenzen

Das kann Viktoria Schwarze nur bestätigen. Die gelernte Ergotherapeutin
arbeitet nach mehrjähriger Berufstätigkeit und dem zusätzlichen
Bachelorabschluss in Ergotherapie als Lehrerin am Lippe Institut mit den
Fachschulen für Logopädie, Ergotherapie und Physiotherapie in Bad
Lippspringe. Die fachlichen Inhalte waren dabei nie das Problem. „Aber bei
der Vermittlung habe ich mir doch mehr pädagogische Kompetenzen
gewünscht.“ Kolleginnen empfahlen ihr den Bielefelder Masterstudiengang
Berufspädagogik Pflege und Therapie. Zudem bestätigten Bielefelder
Studierende, die ihr Praxissemester in Bad Lippspringe absolvierten, im
Austausch mit Victoria Schwarze die Qualität der akademischen Ausbildung
an der FH. Viktoria Schwarze beschloss: „Das mache ich auch.“ Und hat es
nicht bereut. Demnächst reicht sie ihre Masterarbeit ein und sagt jetzt
schon: „Es hat sich auf jeden Fall gelohnt. Ich kann meinen Unterricht auf
Grundlage der theoretischen Kenntnisse aus dem Studium viel besser
gestalten, es hilft enorm bei der Vorbereitung, Nachbereitung und Analyse.
Und der wissenschaftliche Hintergrund mit der breiteren Perspektive
erleichtert auch die curriculare Tätigkeit.“

Darauf, dass mit dem Master noch nicht Schluss ist, weist Anne Teigeler-
Niehüser hin. Die gelernte Krankenschwester hat sich an der FH Bielefeld
im Bachelor- und Masterstudiengang für die Lehre an Schulen des
Gesundheitswesens qualifiziert und ist nach ihrem Praxissemester an der
Zentralen Akademie für Berufe im Gesundheitswesen (ZAB) in Gütersloh
gleich dortgeblieben. Inzwischen ist sie seit eineinhalb Jahren
stellvertretende Schulleiterin und hat nicht nur Veränderungen der
fachlichen Anforderungen, wie etwa die Generalisierung der
Pflegeausbildung, beobachtet. „Auch die Schülerschaft hat sich verändert,
ihre Zusammensetzung, ihr Bedarf. Darauf muss auch die Lehre reagieren.
Qualifizierungen im Nachgang des Studiums sind deshalb für die Lehrkräfte
enorm wichtig.“ Akademische Weiterbildungsangebote werden diesem Anspruch
gerecht, so Teigeler-Niehüser.

Die FH Bielefeld hat sich auch auf diesen Bedarf längst eingestellt: Von
Digitalisierung im Gesundheitsbereich über Handlungsfelder beruflichen
Bildungspersonals bis hin zu Schulmanagement und -entwicklung bietet sie
in berufsbegleitenden Zertifikatsangeboten eine aktuelle und
wissenschaftlich fundierte Weiterqualifizierung an.

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Zertifizierte Phagen-Forschung in Braunschweig

Das Leibniz-Institut DSMZ erhält als erstes Institut in Deutschland das
GMP-Zertifikat nach Arzneimittelgesetz für die DNA-Sequenzierung zur
Erforschung therapeutischer Phagen

Erstmalig erhielt mit dem Leibniz-Institut DSMZ-Deutsche Sammlung von
Mikroorganismen und Zellkulturen GmbH ein wissenschaftliches Institut in
Deutschland die GMP-Zertifizierung zur Identitätsprüfung von Phagen-
Prüfpräparaten zur Anwendung am Menschen gemäß § 64 Absatz 3f
Arzneimittelgesetz. Das Leibniz-Institut DSMZ kann somit die DNA-
Sequenzierung zur Identifizierung von Phagen in Projekten, die an einem
therapeutischen Einsatz von Phagen forschen, durchführen. Als zuständige
Überwachungsbehörde bestätigte das Staatliche Gewerbeaufsichtsamt
Braunschweig die GMP-Zertifizierung am zweiten August 2022. Die Behörde
für Arbeits-, Umwelt- und Verbraucherschutz zertifiziert, dass das
Leibniz-Institut DSMZ die Anforderungen der „Guten Herstellungspraxis“
(Good Manufacturing Practice = GMP) für die DNA-Sequenzierung zur
Identitätsprüfung in Phagenprojekten erfüllt. Damit gehört das Leibniz-
Institut DSMZ zu den wenigen Einrichtungen weltweit, die dazu befähigt und
anerkannt sind. Die DNA-Sequenzierung zur Identifizierung von Phagen ist
die Grundlage der weiterführenden Forschung und kann jederzeit als
Identitätskontrolle einer Phagenpräparation dienen.

Innerhalb von zwei Monaten ist es der Arbeitsgruppe „DNA und
Sequenzierung“ der DSMZ-Abteilung „Bioinformatik & Datenbanken“ gelungen,
die Inspektion des Gewerbeaufsichtsamts im Rahmen der
Arzneimittelüberwachung vorzubereiten und im Anschluss erfolgreich zu
absolvieren. Das Zertifikat bestätigt, dass die DSMZ für die Sequenzierung
zur Identitätsprüfung von Phagen nach den GMP-Richtlinien arbeitet und von
Arzneimittelherstellern beauftragt werden kann. Der Bedarf zur GMP-
Zertifizierung entstand aus den zwei Forschungsprojekten „PhagoFlow“ und
„Phage4Cure“ der von Dr. Christine Rohde geleiteten Arbeitsgruppe
„Klinische Phagen und gesetzliche Regulation“, der DSMZ-Abteilung
„Bioressourcen für Bioökonomie und Gesundheitsforschung“ unter der Leitung
von Prof. Dr. Yvonne Mast. „Das GMP-Zertifikat kann auch über den Einsatz
in den beiden Projekten hinaus verwendet werden und zeichnet die DSMZ als
bisher einziges Institut in Deutschland aus, das diese Dienstleistung für
Bakteriophagen unter GMP-Bedingungen anbietet.“, erläutert die DSMZ-
Justiziarin Dr. Hilke Püschner. In den wissenschaftlichen Projekten mit
dem Ziel, Phagen als zugelassenes Arzneimittel zu etablieren, entstand der
Bedarf einer GMP-konformen Sequenzierung zur Charakterisierung und
Freigabe von therapeutischen Phagen. Gemeinsam mit dem Fraunhofer ITEM in
Braunschweig, das im Rahmen der beiden oben genannten Forschungsprojekte
therapeutische Phagen herstellt, wurde nach Erkennen des dringenden
Bedarfs an der Erstellung einer geeigneten Standardarbeitsanweisung, der
Vorbereitung der Infrastruktur in den Laboren und Analytikräumen sowie
einem nachvollziehbaren Proben- und Verbrauchsmaterialmanagement
gearbeitet.
Die durch Drittmittel geförderte und institutionell stark fokussierte
Phagenforschung an der DSMZ begann ab 2005/2006. Heute gehört zur weltweit
vielfältigsten Bioressourcensammlung der DSMZ auch die DSMZ-Phagenbank mit
mehr als 1.000 Phagen. Aus Anlass der GMP-Zertifizierung hat der Leiter
der Stabsstelle Presse und Kommunikation PhDr. Sven-David Müller ein
Interview zu Bakteriophagen, die wahrscheinlich die häufigste Daseinsform
auf der Erde sind, mit Dr. Christine Rohde und Dr. Johannes Wittmann
(Leiter der Arbeitsgruppe „Phagengenomik – und Anwendung“ an der DSMZ)
geführt.

Was sind Bakteriophagen?
Bakteriophagen oder kurz „Phagen“ sind Viren, die nur Bakterien erkennen
und mit ihnen interagieren können, sodass sie im nächsten Schritt in die
Bakterienzellen eindringen und sich darin vermehren können, um dann die
Bakterien schlussendlich zu lysieren. Da Phagen spezifisch nur innerhalb
jeweils einer Bakterienart ihre Zielzellen durch Rezeptoren erkennen
können und dies Voraussetzung für die nachfolgenden Schritte des lytischen
Zyklus ist, gibt es in der Natur eine unendliche Zahl und Vielfalt von
Phagen. Gegen fast alle Bakterien, die man als „Selektions-Köder“ benutzt,
können Phagen aus natürlichen Standorten gefunden werden. Sie sind auch
die natürlichen Regulatoren der Bakterienmasse der gesamten Biosphäre und
gehören beispielsweise als Bestandteil des Viroms auch in unserem
Mikrobiom fest in unser Leben.

Wie könnten Bakteriophagen eingesetzt werden?
Überall da wo Bakterien unerwünscht sind, in der Human- und Tiermedizin,
in der Landwirtschaft und Lebensmittelverarbeitung. Das letztgenannte
Anwendungsgebiet ist das einzige rein präventive, dagegen stellt die
Anwendung in der Medizin, aber auch in der Landwirtschaft, besonders der
Nutztierhaltung, eine Alternativoption zur Antibiotikaanwendung dar.
Aufgrund ihrer Wirtsspezifität können Phagen gezielt eingesetzt werden,
wenn die bakteriellen Ziele bekannt sind. Hinsichtlich der Form der
Anwendung gibt es im Prinzip keine Grenzen, solange die Phagen nicht durch
Hitze, Säure, Desinfektionsmittel oder Scherkräfte geschädigt werden.

Können Bakteriophagen bei antibiotikaresistenten Keimen effektiv wirken?
Ja, wenn die Phagen nachgewiesenermaßen zu den Keimen passen, diese also
effektiv lysieren können. Das muss vorher im Labor in verschiedenen
Experimenten beurteilt werden, auch wenn wir damit nicht die Phagenwirkung
im Patienten vorhersagen können. Ob ein Keim antibiotikaresistent oder
-sensitiv ist, ist nicht ausschlaggebend, sondern viele Aspekte der
Phagenbiologie müssen vor Phagenanwendung untersucht worden sein. Diese
Aspekte betreffen Sicherheit und Effizienz in der Anwendung, denn es gibt
bei Phagen auch einige unerwünschte Eigenschaften, die durch Analysen der
Phagengenome ausgeschlossen werden können und müssen.

Wie viele Bakteriophagen werden in der DSMZ-Phagensammlung beforscht und
gesammelt?
Zurzeit sind es etwas mehr als 1.000 Phagen, die Sammlung wächst besonders
durch die Forschungsprojekte. Beforscht werden aber nicht alle Phagen, der
Forschungsbedarf richtet sich meist nach den Fragestellungen der Projekte
oder nach spontanen Fragestellungen innerhalb der Arbeitsgruppe oder es
ergeben sich Aspekte durch externe Anfragen. Die Phagensammlung ist
jedenfalls mittlerweile so umfangreich, dass sie viel „Spielmasse“ bietet.

An welchen Bakteriophagen-Forschungsprojekten sind Sie momentan in welcher
Form beteiligt?
Wir sind in vier anwendungsbezogenen Forschungsprojekten der Humanmedizin
beteiligt und zwar in allen Fällen im Forschungs- und Entwicklungsbereich
des mikrobiologischen Labors und erforschen dabei die Phagenbiologie mit
allen uns möglichen Verfahren zur Charakterisierung der Phagen, inklusive
Sequenzierung und Analyse der Genome (unter anderem Identifizierung von
Antibiotikaresistenz-Genen, Virulenzfaktoren oder Lifestyle): Phage4Cure
ist eine klinische Studie und die Arbeiten des Gesamt-Konsortiums sind so
weit gediehen, dass das Vorhaben zu Beginn 2023 in die klinische Phase I
geht. Phagen werden an der Charité Research Organisation GmbH Berlin
inhalativ gegen Pseudomonas aeruginosa bei gesunden Probanden und
Patienten verabreicht. Im Projekt PhagoFlow wird die Praktikabilität der
individuellen Phagenanwendung an einzelnen Patienten am
Bundeswehrkrankenhaus Berlin getestet und soll die Voraussetzungen in
Deutschland aufzeigen. Ein DZIF-finanziertes klinisches Projekt, IDEAL-EC,
ist zunächst nach Plan in den Laboren der DSMZ abgeschlossen worden, dabei
wurde ein Phagencocktail gegen bestimmte pathogene E. coli entwickelt und
seine Effizienz erforscht, durchgeführt von der Dr. med. Annika Claßen vom
Universitätsklinikum Köln. Der Phagencocktail wird an weiteren klinischen
Standorten in präklinischen Versuchen auf seine Effizienz getestet. Ebenso
von DZIF finanziert ist das im Juli 2022 gestartete Projekt EVREA-Phage.
Hier soll ein Phagencocktail gegen Enterococcus faecium (Vancomycin-
resistente Stämme) entwickelt werden, der später insbesondere
immunsupprimierten hämatologischen Patienten zur Vermeidung von
Blutstrominfektionen verabreicht werden soll. Enterococcus faecium ist in
seinen multiresistenten Varianten in Deutschland stark sowie zunehmend
verbreitet und zählt zu den besorgniserregenden Bakterien der WHO-
Prioritätsliste. Ohne medizinische Zusammenhang ist die DSMZ Teil eines
Schwerpunktprogramms zur Erforschung verschiedener Aspekte von
Phagenbiologie (SPP2330 - „New concepts in prokaryotic virus-host
interaction“), unsere beiden Arbeitsgruppen unterstützen dort als
infrastrukturelles Z-Projekt die einzelnen Forschungsprojekte des Verbunds
mit etablierten Technologien und Bioressourcen. Zudem dient die DSMZ auch
als Hinterlegungsstelle der im SPP isolierten Bioressourcen und sorgt
damit zusammen mit dem Aufbau einer Virus-gewidmeten Datenbank für die
Nachhaltigkeit des SPPs.

Wie sehen Sie die Zukunft der Bakteriophagenforschung?
Die Phagenforschung hat mit Sicherheit sehr große Zukunft. Es werden aber
zunehmend Fragen hinzukommen, für die die Zeit aktuell insbesondere aus
regulatorischer Sicht noch nicht reif ist. Als Beispiel können
gentechnisch veränderte Therapiephagen genannt werden oder die
Systembiologie. Auch in der Zukunft werden nicht nur anwendungsbezogene
Themen wichtig sein, sondern auch Fragen der Grundlagenforschung, um die
Phage-Wirt- Wechselwirkung und das Zusammenspiel von Struktur, Funktion
und Regulation besser zu verstehen. Aufgrund der Komplexität und
Diversität der Phagen werden vermutlich die offenen Fragen nie versiegen.
Jedes unserer Forschungsprojekte verdeutlicht fast täglich diese
Komplexität und Diversität, aber: „Wer nicht phagt, der nicht gewinnt!“.

Unter welchen Voraussetzungen können Bakteriophagen bei Patienten
eingesetzt werden
und wann rechnen Sie damit?
Dies braucht eine definierte Infrastruktur, die zunächst auf einem gut
etablierten Forschungs- und Entwicklungs-Sektor mit einer umfangreichen
Phagenbank und Forschungsmöglichkeiten aufbaut. Im nächsten Schritt müssen
die Phagen, die als Therapiephagen in Frage kommen, durch fachkundige
Herstellungslabore aufgereinigt werden. Das Arzneimittelgesetz darf dabei
nicht umgangen werden, es beinhaltet zurzeit noch als Qualitätskriterium
bei Phagen die GMP-Herstellung jedes einzelnen Phagenpräparats in der
Humanmedizin. Da wir aber in der Expertengemeinschaft erkannt haben, dass
eine flexible Vielzahl von Phagen pro Bakterienart nötig ist, die
idealerweise als Bank bereits gereinigter Phagen für klinische Anwendung
bereitsteht, besteht an dem Punkt noch ein großes Problem, das nur
überwunden werden kann, wenn nicht zwingend GMP im gesamten
Aufreinigungsprozess nötig ist sondern ein Phagen-angepasstes
Qualitätsprüfsystem, das letztlich die individuellen magistralen
Phagenmischungen für einen Patienten zeitnah erlaubt.

Werden Bakteriophagen auch bei Tieren eingesetzt?
Neben der Anwendung in der Humanmedizin wurde natürlich auch das Interesse
am Einsatz von Phagen in der Veterinärmedizin und auch
Lebensmittelindustrie geweckt, um präventiv beispielsweise zoonotische
Pathogene zum Beispiel in Ställen oder bei der Lebensmittelverarbeitung zu
reduzieren. Aber auch der Einsatz von Phagen zur therapeutischen
Behandlung von akuten Infektionen bei Haus- und Nutztieren wird immer
interessanter. - ENDE Pressemitteilung -

Über das Leibniz-Institut DSMZ
Das Leibniz-Institut DSMZ – Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und
Zellkulturen GmbH ist die weltweit vielfältigste Sammlung für biologische
Ressourcen (Bakterien, Archaea, Protisten, Hefen, Pilze, Bakteriophagen,
Pflanzenviren, genomische bakterielle DNA sowie menschliche und tierische
Zellkulturen). An der DSMZ werden Mikroorganismen sowie Zellkulturen
gesammelt, erforscht und archiviert. Als Einrichtung der Leibniz-
Gemeinschaft ist die DSMZ mit ihren umfangreichen wissenschaftlichen
Services und biologischen Ressourcen seit 1969 globaler Partner für
Forschung, Wissenschaft und Industrie. Die DSMZ ist als gemeinnützig
anerkannt, die erste registrierte Sammlung Europas (Verordnung (EU) Nr.
511/2014) und nach Qualitätsstandard ISO 9001:2015 zertifiziert. Als
Patenthinterlegungsstelle bietet sie die bundesweit einzige Möglichkeit,
biologisches Material nach den Anforderungen des Budapester Vertrags zu
hinterlegen. Neben dem wissenschaftlichen Service bildet die Forschung das
zweite Standbein der DSMZ. Das Institut mit Sitz auf dem Science Campus
Braunschweig-Süd beherbergt mehr als 80.000 Kulturen sowie Biomaterialien
und hat knapp 200 Beschäftigte. www.dsmz.de

Über die Leibniz-Gemeinschaft
Die Leibniz-Gemeinschaft verbindet 97 selbständige
Forschungseinrichtungen. Ihre Ausrichtung reicht von den Natur-,
Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Raum- und
Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften. Leibniz-Institute
widmen sich gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch relevanten Fragen.
Sie betreiben erkenntnis- und anwendungsorientierte Forschung, auch in den
übergreifenden Leibniz-Forschungsverbünden, sind oder unterhalten
wissenschaftliche Infrastrukturen und bieten forschungsbasierte
Dienstleistungen an. Die Leibniz-Gemeinschaft setzt Schwerpunkte im
Wissenstransfer, vor allem mit den Leibniz-Forschungsmuseen. Sie berät und
informiert Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit. Leibniz-
Einrichtungen pflegen enge Kooperationen mit den Hochschulen - in Form der
Leibniz-WissenschaftsCampi, mit der Industrie und anderen Partnern im In-
und Ausland. Sie unterliegen einem transparenten und unabhängigen
Begutachtungsverfahren. Aufgrund ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung fördern
Bund und Länder die Institute der Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam. Die
Leibniz-Institute beschäftigen rund 20.500 Personen, darunter 11.500
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Der Gesamtetat der Institute
liegt bei 2 Milliarden Euro. www.leibniz-gemeinschaft.de

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Welttag Diabetes: „Immer mehr Kinder und Jugendliche erhalten die Diagnose Diabetes“

An der Universität Leipzig wird seit Jahren zu einer bedeutenden
Begleiterscheinung von Diabetes geforscht: der Adipositas. Die Biologin
Dr. Kathrin Landgraf untersucht im SFB 1052 „ObesityMechanisms“ mit
anderen Wissenschaftler:innen verschiedener Fachdisziplinen Ursachen,
Präventions- und Therapieansätze dieser Erkrankung. Ihr Kollege Dr. Robert
Stein forscht verstärkt an klinischen Ansätzen, insbesondere bei Kindern
und Jugendlichen. Die beiden berichten im Interview anlässlich des
Welttags Diabetes am 14.November über ihre Forschungen im Team von Prof.
Dr. Antje Körner im pädiatrischen Forschungszentrum der
Universitätsmedizin Leipzig.

Warum erkranken manche Kinder und Erwachsene an Diabetes und andere nicht?

Dr. Kathrin Landgraf: Warum manche Menschen eher zu Diabetes neigen als
andere, ist in der Wissenschaft noch nicht genügend verstanden. Diabetes
ist ein sehr komplexes Gefüge, viele Faktoren spielen da zusammen. Zum
einen wissen wir, dass die Umwelt eine große Rolle bei der Entstehung von
Diabetes spielt. Zum anderen ist eine genetische Veranlagung vorhanden.
Eine Hauptfragestellung, die wir im Labor beantworten wollen, ist,
herauszufinden, was die Faktoren sind, die eine Entstehung von Diabetes
begünstigen. Wir fokussieren uns in unserer Forschung speziell auf Kinder,
da frühe Anzeichen einer Insulinresistenz oder Störung im
Glukosestoffwechsel schon bei Kindern zu sehen sind. Darauf zielt ein Teil
unserer Forschungsprojekte im SFB 1052 direkt ab.

Dr. Robert Stein: Mittlerweile sind wir überzeugt, dass es verschiedene
Sub-Typen von Diabetes-Erkrankungen gibt, also weitaus mehr als die
bekannten Formen von Diabetes Typ 1 und Typ 2. Gerade beim Typ 2, an dem
mehr als 90 Prozent der erwachsenen Diabetes-Erkrankten betroffen sind,
aber mittlerweile auch immer mehr Jugendliche, liegt ein komplexes Gefüge
aus Umweltfaktoren und genetischer Veranlagung zugrunde. Beispielsweise
gibt es Unterformen, bei denen eher Übergewicht und Fettverteilung
entscheidend ist und dann gibt es Unterformen, bei denen eher das Alter
eine Rolle spielt. Je nach Ursachentyp verläuft dann auch das
Krankheitsbild unterschiedlich. Hier müssen wir ansetzen, weil es durchaus
Unterschiede in der Prävention und Therapie haben kann.

Diabetes und Adipositas: Wie bedingen sich diese beiden Krankheiten? Ist
die eine ohne die andere überhaupt denkbar?

Dr. Kathrin Landgraf: Adipositas ist natürlich ein sehr großer, wenn nicht
sogar der Hauptrisikofaktor für die Entstehung von Diabetes, zumindest für
den Typ 2. Der Fokus unserer Forschung liegt darauf, die Mechanismen zu
verstehen, die zu Adipositas wie auch assoziierten Erkrankungen wie
Diabetes im Kindesalter beitragen. Dabei sind wird insbesondere an
Prozessen im Fettgewebe interessiert, das heißt an Faktoren, die im
Fettgewebe selbst eine Rolle spielen. Wir untersuchen beispielsweise
genetische Risikofaktoren, wie das Adipositasgen TMEM18, und versuchen zu
verstehen, wie diese Faktoren an der Entstehung von Adipositas beteiligt
sein könnten, also wie dieses Gen im Körper funktioniert.

Dr. Robert Stein: Für den Zusammenhang zwischen Adipositas und Typ 2
Diabetes ist der Hauptmechanismus die Insulinresistenz. Insulin ist ein
wichtiges Hormon, welches den Blutzucker senkt und dafür verantwortlich
ist, dass der dort ankommt, wo wir ihn brauchen: beispielsweise als
Energielieferant im Muskelgewebe. Wenn der Körper aber resistent gegenüber
Insulin wird, bekommen wir ein Problem. Zuerst kann die Bauchspeicheldrüse
das kompensieren, indem sie mehr Insulin produziert, aber irgendwann ist
es auch damit vorbei und der Blutzucker steigt, es entwickelt sich der
manifeste Diabetes. Trotz allem sehen wir auch hier Unterschiede: Viele
Kinder und Jugendliche mit Adipositas haben bereits eine Insulinresistenz,
aber manche eben auch nicht, obwohl sie extremes Übergewicht haben. Wir
müssen in Zukunft besser verstehen, was diese Unterschiede ausmacht und
daran arbeiten wir.

Wie gehen Sie dabei methodisch vor?

Dr. Kathrin Landgraf: Im Sonderforschungsbereich 1052 kombinieren wir
verschiedene Patientenkohorten miteinander, die im Zusammenhang mit
Adipositas, aber auch mit Begleiterscheinungen wie Diabetes stehen. Wir
nutzen zum Beispiel eine klinische Kohorte von Kindern mit und ohne
Übergewicht, von denen wir Fettgewebsproben aus Routine-OPs bekommen.
Diese Kohorte ist einzigartig in Bezug auf die Anzahl der bereits
verfügbaren Proben und wie wir diese Proben im Labor auf funktioneller
Ebene charakterisieren. Untersuchungen in dieser Kohorte haben gezeigt,
dass das Adipositasgen TMEM18 mit bestimmten Fettgewebseigenschaften
zusammenhängt, die eine Entstehung von Typ 2 Diabetes begünstigen. In
Laborexperimenten an Zellkulturen und im Tiermodell ist es uns gelungen,
den zugrundeliegenden molekularen Mechanismus aufzuklären.

Dr. Robert Stein: Wir haben in Leipzig das Glück, große Stichproben von
Kindern und Jugendlichen mit und ohne Übergewicht wissenschaftlich
untersuchen zu können. Diese Kohorten wurden über viele Jahre
zusammengetragen, beispielsweise über die Adipositas-Sprechstunde der
Kinderklinik und die LIFE Child Studie, aber sie werden auch beständig
weiterentwickelt und in ihrem Verlauf weiterverfolgt. Hierfür kooperieren
wir beispielsweise mit dem Helmholtz-Institut (HI-MAG) in Leipzig. Wir
können dann in diesen Kohorten nach Mustern und Auffälligkeiten suchen,
also nach bestimmten Gruppen, die sich anhand ihrer Daten unterscheiden
von den Gesunden. Dann versuchen wir herauszufinden, was diese
Unterschiede verursacht. Da stehen uns in der Forschung verschiedene
Werkzeuge zur Verfügung, zum Beispiel suchen wir im Blut nach
verschiedenen Biomarker. Wir haben Fettgewebsproben oder auch genetische
Proben, wie von Dr. Landgraf angeführt, die wir untersuchen. Und wir
können soziale und Umweltfaktoren einbeziehen, die uns, meist durch
Befragungen der Teilnehmer, zur Verfügung stehen. So versuchen wir, dass
extrem komplexe Puzzle der Erkrankung zu rekonstruieren.

Wohin geht die Entwicklung bei den Erkrankungen?

Dr. Robert Stein: Leider stellen wir fest, dass immer mehr Kinder und
Jugendliche die Diagnose Diabetes Typ 2 erhalten und dies in vielen
Ländern, weltweit. Diese Erkrankungsform tauchte bisher vorwiegend bei
Erwachsenen auf, die sogenannte Erkrankung des Wohlstandes. Das gibt uns
zu denken. Diabetes Typ 2 tritt bei Kindern meist in der Pubertät auf.
Dies ist eine sensible Phase, weil auch bei den meisten gesunden Kindern
kurzzeitig die Insulinresistenz steigt. Alarmierend ist hierbei, dass
betroffene Kinder und Jugendliche mit Typ 2 Diabetes in der Regel einen
schwereren Verlauf als Erwachsene erleben. Hier müssen wir auf der Hut
sein, und möglichst frühzeitig diejenigen mit dem höchsten Risiko
erkennen.

Wird Diabetes in der Zukunft heilbar sein, wenn die Krankheit besser
verstanden ist?

Dr. Robert Stein: In der Forschung gibt es sehr vielversprechende Ansätze.
Am wichtigsten halte ich die Prävention, insbesondere die Adipositas-
Prävention, denn wir wissen, dass Typ II Diabetes im Kindesalter häufig
noch reversibel ist, wenn man die Adipositas in den Griff bekommt. Wir
brauchen gute Programme, die auch auf gesellschaftlicher Ebene greifen.
Aber jeder Einzelne kann natürlich auch unabhängig davon schon frühzeitig
seinen Beitrag leisten, beispielsweise mit gesunder Ernährung und
ausreichendem Sport. Damit sind auch die kleinen Alltagsaktivitäten
gemeint: Nehme ich lieber die Treppe als den Fahrstuhl, fahre mit dem Rad
zur Arbeit anstelle das Auto zu nehmen. Die Idee, eine Zucker- und
Fettsteuer einzuführen, fände ich auch interessant. Eine komplette Heilung
anzunehmen, ist dennoch sehr optimistisch, denn Adipositas ist eine
chronische Erkrankung. Der Körper sträubt sich gegen eine Gewichtsabnahme,
das macht es auch so schwer, Adipositas dauerhaft zu behandeln. Im Moment
haben wir die Lebensstilinterventionen als Instrument, die zum Teil
Erfolge bringen, aber jedoch nicht immer das Ergebnis, was wir uns
wünschen. In Ausnahmefällen greifen wir auch bei Kindern und Jugendlichen
bereits auf Magen-Verkleinerungen zurück. Es gibt aber auch zum Beispiel
Therapieansätze wie neue Medikamente, die auf das Sättigungsgefühl
einwirken und so eine Gewichtsreduktion begünstigen. Dies ist aktuell
jedoch nur für seltene genetisch-bedingte Adipositas-Formen in Erprobung
und nicht für die Allgemeinheit gedacht. Auch für die Diabetes-Therapie
werden aktuell neue Medikamente entwickelt, welche neben einer besseren
Blutzuckerkontrolle auch das Gewicht günstig beeinflussen können. Das
heißt, wir werden die Erkrankung wahrscheinlich zukünftig nicht heilen,
aber dennoch besser therapieren können.

Dr. Kathrin Landgraf: Ich stimme Dr. Stein zu, ein Schlüssel zur
Regulierung von Adipositas und dem damit verbundenen Risiko für die
Ausbildung von Typ II Diabetes liegt in der Prävention. Darüber hinaus ist
ein Verständnis der physiologischen Mechanismen, welche im Körper während
der Anhäufung von Fettgewebe ablaufen und welche zur Entstehung von
Diabetes beitragen, von entscheidender Bedeutung. Dies könnte zum einen
dazu beitragen, das individuelle Risiko für Adipositas und Diabetes besser
einschätzen zu können und zum anderen zur Entwicklung von neuen
Therapiestrategien beitragen.

Adipositasforschung in Leipzig

Die Mechanismen der Entstehung und Behandlung von Adipositas zu
erforschen, ist seit vielen Jahren ein Schwerpunkt der universitären
Forschung in Leipzig. Es besteht eine vielfältige Forschungslandschaft,
die sich der Prävention und Behandlung der Erkrankung widmet. Zu den
Themen der Adipositasforschung in Leipzig zählen unter anderem genetische
Assoziationen, Stoffwechselstörungen, Mechanismen der Fettakkumulation,
die Rolle des Gehirns beim Essen und therapeutische Interventionen zum
Gewichtsverlust und -erhalt.

Das Helmholtz-Institut für Metabolismus-, Adipositas- und Gefäßforschung
(HI-MAG) ist eine gemeinsame Einrichtung des Helmholtz Zentrums München
mit der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig und dem
Universitätsklinikum Leipzig. Das Institut erforscht die molekularen
Grundlagen krankhafter Fettleibigkeit, um mithilfe eines klinisch-
translationalen Forschungsansatzes präzise Therapien für Adipositas und
deren Folgeerkrankungen zu ermöglichen.

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